Protest gegen Abschiebungen nach Afghanistan
Mannheim. Das Bündnis gegen Abschiebungen Mannheim rief für Mittwoch, 31. Mai, zu einer Kundgebung auf. Die Interventionistische Linke Rhein-Neckar und weitere Aktivisten der Flüchtlingshilfe unterstützten die Veranstaltung auf dem Marktplatz, die von rund 60 Personen besucht wurde. Allein in Baden-Württemberg gab es an diesem Tag neun Kundgebungen gegen Abschiebungen, zu denen der Landesflüchtlingsrat aufgerufen hatte. Bundesweit rief Pro Asyl zu den Protesten auf. Ein verheerender Anschlag am Morgen in Kabul überschattete den Tag. Die geplante Sammelabschiebung nach Afghanistan wurde schließlich ausgesetzt.
In den Morgenstunden des 31. Mai hatte sich in der afghanischen Hauptstadt Kabul ein Selbstmordattentäter mit einer Autobombe in die Luft gesprengt. Er riss dabei mindestens 80 Menschen in den Tod. Hunderte wurden bei dem Anschlag im Regierungs- und Botschaftsviertel verletzt.
Für diesen Tag war auch der nächste Sammelabschiebeflug der Bundesregierung nach Afghanistan geplant. Er wurde tagsüber vom Bundesinnenministerium abgesagt, da die Botschaft wegen des Anschlags nicht in der Lage sei, die Organisation abzuwickeln. Am Donnerstag, 1. Juni, einigten sich Bund und Länder darauf, Abschiebungen nach Afghanistan vorläufig stark einzuschränken. Dabei dürfte neben den Ereignissen in Kabul auch eine Rolle gespielt haben, dass es in Nürnberg Polizeiübergriffe gegeben hatte, als Schülerinnen und Schüler einer Berufsschule einen Kameraden aus Afghanistan vor der vorgesehenen Abschiebung zu bewahren versuchten.
Bundesregierung trifft Mitschuld
Haro Schuh vom Bündnis gegen Abschiebungen Mannheim (BgA) forderte bei der Kundgebung am Mittwoch in Mannheim in seinem ersten Redebeitrag, die Abschiebungen nicht nur wegen des schrecklichen Attentats und seiner vielen Opfer, sondern auch wegen der seit Anfang 2017 verschärften Reisewarnung des Auswärtigen Amtes für das Land am Hindukusch zu beenden.
Das gelte auch für die inhumanen Abschiebungen in Westbalkanstaaten. Schuh kritisierte, dass am 30. Mai vom Baden-Airport aus 25 Menschen nach Mazedonien abgeschoben wurden. Die Bundesregierung treffe wegen fortwährender Waffenexporte in Krisenländer eine Mitschuld an Fluchtursachen.
Von wegen „Abschiebekultur“
Besonders hart ging Schuh mit dem am 18. Mai verabschiedeten Gesetz „zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht“ ins Gericht. Pro Asyl bezeichnet es als „Hau ab“-Gesetz. Einfachste Vergehen reichten nun bereits aus, um eine Abschiebung anzudrohen. Dies ist nach Meinung Schuhs unerträglich.
Er zitierte nach einem Bericht des Tagesspiegel vom 23. Mai den für Abschiebungen zuständigen Innenminister Thomas de Maizière beim evangelischen Kirchentag mit den Worten, es könne nicht nur eine Willkommenskultur geben, sondern in einem Rechtsstaat müsse es auch Akzeptanz für eine „Abschiebekultur“ geben.“ Dieser von der Bundesregierung vorgegebene Kurs, der auch von Baden-Württemberg und Bayern mitgetragen wird, habe allerdings nichts mit Kultur zu tun, so der Redner.
Afghanistan ist nicht sicher
Weitere Redner, unter ihnen drei aus Afghanistan Geflüchtete, appellierten an die Vernunft und die Einsicht der Politik anzuerkennen, dass das Land am Hindukusch nicht sicher sei – für niemanden und an keinem Ort. Der Krieg, so ein Sprecher, könne nur beendet werden, wenn sämtliche ausländischen Militärkräfte aus dem Land abgezogen würden. Starke Kritik wurde auch daran geäußert, dass die EU die korrupte Regierung in Kabul mit Millionensummen unterstützt, ohne dass von dem Geld etwas bei der notleidenden Bevölkerung ankomme, geschweige denn, dass diese Mittel für Binnenflüchtlinge und abgeschobene Asylbewerber verwendet würde.
Deutliche Worte fielen auch zu den Waffenexporten einiger EU-Staaten wie Deutschland, Frankreich und Großbritannien oder den USA in Krisenländer. Besonders verdammt wurde der kürzlich zwischen den USA und Saudi-Arabien abgeschlossene milliardenschwere Rüstungsdeal. Saudi-Arabien sei nicht erst seit 2001, dem Jahr des Anschlags auf das World Trade Center in New York, dafür bekannt, ein maßgeblicher Unterstützer und Finanzier der Taliban und des IS zu sein.
Unhaltbare Bedingungen in Unterkünften
Ein weiterer Redner schilderte, wie eine Abschiebung in der Praxis abläuft und welche Ängste betroffene Menschen dabei auszustehen hätten. Als perfide und unanständig bezeichnet wurde das Angebot von Behörden, abgelehnte Asylantragsteller mit finanziellen Anreizen zur „freiwilligen“ Ausreise und Rückkehr in ihr Herkunftsland zu bewegen.
Haro Schuh vom Mannheimer Bündnis gegen Abschiebungen monierte auch die schlechten Bedingungen für Geflüchtete auf dem Arbeitsmarkt. Geringqualifizierte würden im Niedriglohnsektor unter prekären Arbeitsbedingungen ausgebeutet. Hochqualifizierte hätten nur dann eine Chance, wenn sie eine der wenigen Lücken wie im Gesundheitswesen ausfüllen könnten. Die Mehrheit der Geflüchteten falle in keine der beiden Kategorien und sei daher für den deutschen Arbeitsmarkt nicht verwertbar. Die Betroffenen erhielten demzufolge auch kein Bleiberecht, würden als Überflüssige abgestempelt und ausgegrenzt.
Refugee-Konferenz für Mitte Juni geplant
Kritik äußerte Schuh auch an „zum Teil unhaltbaren Zuständen“ in Mannheimer Einrichtungen für Geflüchtete. Beispielhaft nannte er das Columbus Areal in der ehemaligen US-Kaserne Benjamin Franklin. Dort würden Geflüchtete durch permanente Kontrollen durch Mitarbeiter eines Sicherheitsunternehmens drangsaliert, und es gebe keine Privatsphäre für die Menschen. Die Aslyantragsteller würden sich über lange Zeiträume in der Abhängigkeit befinden. Die Zustände glichen denen in einem Internierungslager, wobei der Freistaat Bayern wohl ein Beispiel gegeben haben könnte.
Im Jugendzentrum (JUZ in Selbstverwaltung) in Mannheim gibt es jeden Mittwoch von 15.30 bis 18 Uhr einen Refugee-Treff. Am 17. Juni ist von 10 bis 18 Uhr eine Refugee-Konferenz im JUZ geplant. Sie richtet sich in erster Linie an Geflüchtete und ehrenamtlich tätige Organisationen und Initiativen. Details sollen noch auf der Homepage des Bündnisses gegen Abschiebungen Mannheim bekannt gegeben werden.
(Christian Ratz)
Abdruck mit freundlicher Genehmigung von „Beobachter News – Magazin für politische Bewegung im Südwesten“
http://www.beobachternews.de/2017/06/02/landesweiter-protest-gegen-abschiebungen/