#wirsindmehr: Heidelberg zeigt Solidarität mit Chemnitz
(jb) Nach Aufmärschen von Rechtsextremen in Chemnitz fand auch in Heidelberg eine spontane Solidaritätskundgebung statt. Hier hatte die SPD zusammen mit Heidelberg gegen Rassismus auf dem Bismarckplatz dazu aufgerufen.
Eine knappe Woche nach den Aufmärschen Rechtsradikaler in Chemnitz gingen am Montagabend Menschen in Heidelberg aus Solidarität auf die Straße.
Auf unsägliche Weise wird derzeit der Tod eines Deutschen mit kubanischen Wurzeln von offen rassistischen und faschistischen Kräften ausgenutzt. Es ist einfach nur widerlich, mit Hitlergrüßen und mit der Jagd auf Menschen anderer Hautfarbe sowie mit ausländerfeindlichen Parolen und Transparenten jetzt seiner zu „gedenken“.
Mit dem Motto dieser Veranstaltung: #Wirsindmehr und Solidarität heißt Widerstand zeigen wir, dass wir mehr sind, die Hass, Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, Sexismus, Queerfeindlichkeit und Faschismus aufs Schärfste verurteilen.
Mehr als 1000 Menschen sind dem Aufruf der Organisatoren gefolgt und haben an der Kundgebung teilgenommen. Der Bismarckplatz platzte aus allen Nähten.
Marlen Pankonin (Kreisvorsitzende der SPD) eröffnete die Veranstaltung mit den Worten: “Es ist Zeit, gemeinsam für unsere Werte einzustehen und Flagge zu zeigen. Wollen wir wirklich, dass in Deutschland immer mehr Hass, Hetze und Angst regieren? Wir, die Organisatorinnen und Organisatoren sagen laut: NEIN! NICHT MIT UNS!”
“In unserem Land werden wieder Menschen durch die Straßen gejagt. Am helllichten Tag. Unter den Augen hunderter Beobachterinnen und Beobachter. Sie stehen da, mit Händen in den Taschen oder schlimmer noch: johlend und Beifall klatschend.
Diesen Leuten muss man JETZT sagen: Es reicht. Wer bei solchem Unrecht nicht einschreitet, trägt eine Mitschuld! Wer hinter Menschen, die den Hitlergruß zeigen, die Nazi-Symbole tragen und Nazi-Lieder singen hinterher läuft, muss sich als NAZI bezeichnen lassen.”
“Nur gemeinsam schaffen wir es, die Probleme in unserem Land und in unserer Stadt zu lösen. Im Sinne der Menschen. Mit ehrlichen Antworten auf wichtige Fragen. Und es ist gut, dass wir gemeinsam ein breites Heidelberger Bündnis auf die Straße bekommen. Gegen rechte Gewalt. Gegen Rassismus. Immer und immer wieder.
Johnny Brambach (Heidelberg gegen Rassismus) sprach davon, nicht länger zu schweigen. „Die Anständigen müssen jetzt auf die Straße und der AfD und ihren widerlichen Anhängseln deutlich machen, dass mit ihrem Hass und ihrer Hetze jetzt Schluss ist.
Wer mit diesen Leuten auf die Straße geht, hat seine Menschlichkeit definitiv verloren. Würdelos wird jeder Anlass für nationalistische Hetze, Spaltung und reaktionäre Forderungen genutzt“. AfD und Neonazistischen Akteuren ist es viel zu lange möglich gewesen, “weitestgehend unwidersprochen” zu agieren.
„Wenn wir jetzt nicht laut widersprechen und auf die Straßen gehen, geben wir dem Rassismus und dem Rechtsextremismus eine gewisse Normalität“. Auch kritisierte er das Verhalten der Kreisverwaltung Germersheim im Umgang mit Gegenprotesten in Kandel. Proteste gegen die allmonatlichen rechten Aufmärsche werden dort regelrecht beschnitten und somit das rechte Spektrum klar hofiert.
„Ein Zeichen setzen reicht jetzt nicht mehr, der Widerstand gegen den Rassismus muss viel breiter sein. Er muss von überall aus der Gesellschaft kommen“.
Beate Deckwart-Boller (Bündnis 90 Grüne) forderte ebenfalls die Bevölkerung auf, jetzt laut und mutig zu sein. Gerade in einer Demokratie sei es jetzt umso wichtiger eng zusammen zu stehen… egal welcher Partei man angehöre. Ich verurteile auch die Angriffe auf Journalistinnen und Journalisten. Die Pressefreiheit in unserem Land ist ein hohes Gut, das wir verteidigen müssen.
Alexander Hummel (Die Linke Heidelberg) sagte, dass die Rechten ein Trugbild von Daniel H. entworfen haben, weil Daniel H. nicht in ihrem Sinne als Opfer taugte. „Daniel H. war Deutsch-Kubaner, hatte in der Vergangenheit selbst Probleme mit Nazis, denen er nicht deutsch genug aussah, er war Demokrat und Antifaschist. Bei den Ausschreitungen waren nicht nur braune und blaue Nazis, sondern auch ‚gewöhnlich wirkende Bürger‘. Man ist aber kein besserer Teil eines braunen Mobs, wenn man dabei einen Kinderwagen vor sich her schiebt. Das zeigt, wir brauchen auch eine soziale Offensive für Alle“.
Hannah Zielke (Jusos Heidelberg) u. Franziska Heinisch (Hochschulgruppe Heidelberg): Rechte Gewalt darf nicht relativiert werden, sich gegen sie zu stellen ist das was wir tagtäglich tun müssen: „Echte, aufrechte Demokrat*innen sind immer Antifaschistisch“ Wir können nicht alle nach Chemnitz fahren und dort dem rechten Mob entgegentreten. Aber wir können hier in unserer Stadt Gesicht zeigen. Wir stehen Seite an Seite mit denjenigen Menschen, die Opfer von Hass und Menschenfeindlichkeit werden. Sie sind nicht allein!
Wir stehen Seite an Seite mit all den Menschen, die genau diesen Schritt heute gehen – ob in Chemnitz oder anderswo – um zu zeigen: diese Verhältnisse sind nicht Teil von unserem Land, dies ist nicht unsere Idee von einer offenen Gesellschaft.
Elisa (Seebrücke): Seit 2014 sind auf dem Mittelmeer rund 17.000 Menschen ertrunken. Die Zahl wäre noch viel höher, hätten seither nicht viele Freiwillige in Seenot geratene Menschen gerettet. In diesen Sommer hat die Katastrophe eine neue Dimension erreicht.
Der Aquarius, der Lifeline, SOS Mediterrane – sämtlichen Rettungsschiffen wird die Ausreise und Hilfe auf See verwehrt. Der Kapitän der Lifeline, Claus-Peter Reisch verantwortet sich weiterhin vor dem Maltesischen Gericht. Er sagt: „Ich habe 234 Menschen das Leben gerettet, ich bin mir keiner Schuld bewusst“.
Unterdessen geht die Abschottung Europas weiter.
Die Naziausschreitungen in Chemnitz haben erschreckend eindeutig gezeigt, wie fragil unsere Demokratie heute ist.
Die ‚Seebrücke‘ entstand im Sommer, weil es heute eine Politik von rechts gibt, die es überhaupt erst zulässt, dass darüber verhandelt wird, ob man Menschen, die sich in Seenot befinden, lieber sterben lassen als retten sollte.
Die Seebrücke ist dabei nicht nur ein klares Bekenntnis zu Mitmenschlichkeit und Solidarität,
sie ist vor allem eine Geisteshaltung. Die Naziausschreitungen in Chemnitz und die Politik der Abschottung sind nicht getrennt voneinander zu betrachten.
Wir können es uns nicht mehr erlauben keine Haltung zu zeigen.
Diese Zeit erfordert unsere kollektiv-demokratische Offensive, sie erfordert unser aller Wachsamkeit, unseren Mut und vor allem unseren Zusammenhalt.
Johannah Illgner vom Queerfeministisches Kollektiv forderte die Menschen auf, sich zu Wort zu melden. „Meldet euch zu Wort, wenn Frauen benachteiligt und nicht gleichbehandelt werden! Meldet euch zu Wort gegen das tiefbraune antifeministische Gebaren. Steht auf, wenn queere Personen Unterstützung brauchen.
Gleichgeschlechtliche Liebe, Regenbogenfamilien und Menschen, die sich keinem Geschlecht zuordnen wollen, sind die Normalität, denn wir sind eine bunte, diverse und vielfältige Gesellschaft. Seid laut, wenn jemand rassistisch ist! Nicht nur auf der Straße und bei Demos, auch im privaten Umfeld, im Beruf, im Internet und in der Straßenbahn. Seid laut gegen rassistische Politiken. Akzeptiert es nicht, dass alle, die sich gegen rechts einsetzen auf einmal zu Linksextremen abgestempelt werden.
Akzeptieren wir nicht die Relativierungen, dass wir ein Problem von Links hätten. Das haben wir nicht, wir haben ein massives Problem von rechts!!! Lasst uns solidarisch untereinander sein, lasst uns gerade jetzt in unseren Kämpfen nicht auseinanderdividieren, sondern lasst uns zusammenstehen und uns unterhaken.
Aber nicht nur im Geiste, sondern ganz real. Werdet aktiv, setzt euch ein. Lasst uns nicht nur „Aufstehen“, lasst uns mit geradem Rücken stehen bleiben!
Claude Villeneuve (Musiker) „Auch ich hatte den Eindruck, dass es jeder Teilnehmer ernst meinte und die Solidarität mit Chemnitz ein wichtiges Zeichen für die Menschen in Sachsen war. Das Ganze war toll organisiert am besten hat mir die friedliche Stimmung gefallen. Danke, dass ich dabei sein durfte.
Matthias Kutsch (CDU, Stadtrat) Chemnitz hat uns erschüttert, aber nicht sprachlos gemacht. Wir sind heute hier, weil wir ein deutliches und kraftvolles Zeichen setzen wollen für unseren demokratischen Rechtsstaat, in dessen Verfassung gleich am Anfang steht: Die Würde des Menschen ist unantastbar!”
Tanja Sattler (Vorsitzende Aufstehen gegen Rassismus Südpfalz e.V) Die AfD hat das gesellschaftliche Klima nach rechts gerückt – das spüren die von Rassismus Betroffenen, Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter, Kulturschaffende, gesellschaftliche Minderheiten und alle Menschen, die sich gegen Rassismus engagieren.
Die rassistischen Mobilisierungen und die Hetzjagd in Chemnitz sind auch ein Ergebnis dieser Entwicklung“. In Chemnitz ist es Rassist*innen und Neonazis gelungen, für ihren Hass gegen Flüchtlinge und Migrant*innen eine Massenbasis zu finden.
Mit Abscheu und Entsetzen haben wir gesehen, wie sie – gerufen von AfD, NPD, Pegida, den rechtsradikalen Fußballfans „Kaotic Chemnitz“, und „Pro Chemnitz“ – Menschen gejagt, Hetzparolen gegrölt und den Hitlergruß gezeigt haben. Es ging nicht um „Selbstschutz“ oder „Selbstverteidigung“, wie führende AfDFunktionäre wie Gauland, Meuthen und Weidel behaupten. Es ging auch nicht um Selbstjustiz, wie in Medien zu lesen war. Denn die angegriffenen Menschen hatten nichts getan, außer „ausländisch“ auszusehen.
Es ist eine Schande, wenn Alexander Gauland es normal findet „dass Menschen ausrasten, wenn eine solche Tötung passiert.“ Es zeigt den Charakter der AfD, wenn Gauland den Aufruf zur rassistischen Hassorgie durch den AfDBundestagsabgeordneten Markus Fronmaier verteidigt. Er hatte am Tag zuvor dazu aufgerufen „die todbringende Messerimmigration zu stoppen.”
Durch die gezielte Falschmeldung, dass das Opfer H. getötet wurde, als er eine Frau gegen sexuelle Belästigung verteidigte, haben die Organisator*innen der Hetzjagden an gängige Vorurteile appelliert, Migrant*innen würden deutsche Frauen belästigen.
2017 gab es 405 Morde und 2400 weitere Tötungsdelikte in Deutschland. Die große Mehrzahl dieser Straftaten wurde von Menschen „deutscher Abstammung” begangen. Es geht den rechten Hetzer*innen weder um die Sicherheit der Bürger noch um die Verhinderung von Gewalttaten. Es geht ihnen darum, eine Pogromstimmung zu schaffen, die Geflüchtete und Migrant*innen in Angst und Schrecken versetzen und zur Flucht aus Deutschland bewegen soll.
Die neue Qualität der rassistischen Demonstrationen von Chemnitz hat mindestens zwei Väter:
Erstens die AfD, die aus ihrer offenen Zusammenarbeit mit Neonazis von Pegida und Pro Chemnitz keinen Hehl mehr macht. Die Wahlerfolge der AfD geben den Rassist*innen und Neonazis Mut und Auftrieb.
Zweitens aber jene Politiker*innen der konservativen Rechten wie Innenminister Seehofer, der seit Monaten gegen Flüchtlinge und Asylsuchende Stimmung macht, indem er sie als „nationale Gefahr” hinstellt. Auch das hat die Neonazis in der AfD und rechts von der AfD zu ihren Aufrufen zur „Selbsthilfe“ an die Bürger*innen ermutigt.
Zur Normalisierung von Rassismus und Faschismus beigetragen haben auch CDU Politiker, indem sie öffentlich über eine mögliche Regierungskoalition mit der AfD spekulieren.
Der rassistische Hassausbruch von Chemnitz betrifft uns alle. Chemnitz droht überall, nicht nur in Ostdeutschland. Auch in Kandel (Pfalz) mobilisieren AfD und andere Nazigruppen mit der Hetzparole „Ausländerkriminalität” über Monate gegen Migrant*innen.
Wir sagen:
• Schluss mit der Verharmlosung der AfD als „rechtspopulistische“ oder „nationalkonservative
Partei“. Die AfD ist Sammelbecken für alle Schattierungen der
extremen Rechten, eine faschistische Partei im Werden.
• Schluss mit der Normalisierung der AfD als möglicher Partner für
Regierungsbeteiligungen.
• Seine Zusammenarbeit mit der AfD im Bundestag, Länderparlamenten und
Kommunen.
• Schluss mit dem Gerede von „besorgten Bürger*innen”, die ihre Wut und ihren
Hass an allen auslassen, die anders aussehen als sie selbst. Das ist pure
Menschenverachtung.
Unsere Solidarität gilt zuerst den Menschen, die in Chemnitz durch die Straßen
gejagt, bedroht, verletzt wurden. Sie brauchen ein deutliches Zeichen aus der
Gesellschaft, dass sie nicht mit dem Mob alleine gelassen werden.
Unsere Solidarität gilt allen, die aufstehen und der AfD die Stirn bieten. Das gilt in
diesen Tagen ganz besonders für die, die in Chemnitz den Rassist*innen und
Nazis nicht die Straßen überlassen. Ihr seid nicht allein.
Zu erwähnen wäre auch noch, dass am Rande der Kundgebung einige der bekannten AfD Mitglieder Heidelberg/Rhein Neckar und der Identitäten Bewegung anwesend waren. Sicherlich mit dem Vorsatz die Veranstaltung mit Zwischenrufen wie üblich zu stören. Mit so viel Zulauf von aufrechten Menschen haben sie wohl nicht gerechnet… Es ist gut, wenn sie merken: #wirsindmehr
Artikel (jb) Foto: (dk)
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