Gedenkkultur: ENTMILITARISIERTER Volkstrauertag gegen Rechts
Am Sonntag, 18.11. um 11 Uhr findet wieder in der Trauerhalle des Hauptfriedhofs die jährliche Gedenkveranstaltung zum „Entmilitarisierten Volkstrauertag“ statt. Wozu diese Veranstaltung? Volkstrauertag? Ist das nicht der Tag der Kriegerdenkmäler, wo den gefallenen (deutschen) Soldaten gedacht und gedankt wird, dass sie „ihr Leben für uns“ gegeben haben? 1914 bis 18 und 1939 bis 45? „Für uns“?? Und wo etwas geraunt wird wie: „Die Toten mahnen“.
Wozu mahnen sie? Dass es schlecht ist, einen Krieg zu verlieren? Wer weiß?
Oder mahnen sie, darüber nachzudenken, wie es so weit kommen konnte? Dass jetzt mit militärischer Aggression ein für allemal Schluss ist? Nie wieder Krieg? Nie wieder Kolonialismus? Nie wieder Faschismus? Nie wieder Waffenexporte und Rüstungswettläufe? Für Völkerverständigung? Für Solidarität und Gerechtigkeit unter den Völkern, für die Chance auf wirtschaftliche und soziale Entwicklung? Für ein Europa der menschlichen Grundrechte, der Demokratie, der Solidarität und sozialen Gerechtigkeit?. – Nichts dergleichen! Die Tradition des „Volkstrauertages“ ist eine gänzlich andere.
Als die aufständischen deutschen Matrosen und Soldaten den Ersten Weltkrieg beendeten und den Weg ebneten für die Beseitigung des kaiserlichen autoritären Ständestaates, für eine demokratische Republik, für demokratische Wahlen einschließlich Frauenwahlrecht, für grundlegende soziale Errungenschaften wie den 8-Stundentag, da machten auch die führenden kaiserlichen Militärs mit ihrer „Dolchstoßlegende“ mobil, die zu feige waren, selbst die Kapitulation zu unterzeichnen und einen Zivilisten vorschickten, den bürgerlichen Politiker Matthias Erzberger, den sie dann 1921 dafür ermorden ließen. Große Teile des Adels und der Großbourgeoisie waren ebenso unterwegs: „Für Deutschlands Auferstehung“, für die Revision des Friedensvertrags von Versailles, für Wiedererlangung der „Wehrfreiheit“, für Rehabilitation des angeschlagenen Ansehens des Militärs. Es waren die Feinde der Republik.
Aus diesem Milieu heraus wurde 1919 der „Volksbund deutsche Kriegsgräberfürsorge“ (VDK) gegründet, der die Trauer über die Millionen Kriegstoten von Anfang an instrumentalisierte für die militaristische Renaissance. Er erfand auch den „Volkstrauertag“, den die Nationalsozialisten ohne weiteres in den „Heldengedenktag“ (1934) und dann in den „Tag der Wehrfreiheit“ (1939) überführen konnten. Der erste „Volkstrauertag“ in Mannheim 1926 – damals noch in der Osterzeit – stand unter den Farben schwarz-weiß-rot; die Freunde der Republik versammelten sich abseits unter schwarz-rot-gold. Sie führten ihren Gedenktag um den Totensonntag herum durch.
Nach dem 2. Weltkrieg ging es – wenn auch verbal abgerüstet – im alten Geist und mit altem Personal weiter. Echte Selbstkritik war vom VDK weder auf Bundesebene noch in Mannheim je zu hören.
Der „ENTMILITARISIERTE Volkstrauertag“ war Ende der 80er Jahre die Reaktion auf das alljährliche Treiben des VDK zum Volkstrauertag mit damals noch in Mannheim stationierten Soldaten in Uniform mit präsentiertem Gewehr, mit Vertretern der militärischen Traditionsverbände („Deutsche Marine-Kameradschaft“, „Deutsches Afrikakorps“) samt ihren Traditionsfahnen sowie den Vertriebenenverbänden. Mit dazu gehörte stets das Lied „Ich hatt‘ einen Kameraden“ und das Deutschlandlied. Als 1987 Jugendliche aus dem Jugendzentrum Friedrich Dürr, des Stadtjugendrings und Mitglieder der DFG/VK bei der Feierstunde des VDK ein Gebinde für die deutschen Deserteure niederlegten und ein Transparent mit der Aufschrift entrollten: “Ehre und Gedenken den deutschen Deserteuren”, da griffen einige der „Trauergäste“ des VDK beherzt zu ihren Schirmen, um gegen solches Treiben militant vorzugehen. Gezische wie „Euch hätte man früher vergast“ war nicht zu überhören. 1988 Ähnliche Szenen, diesmal mit der eifrig Personalien feststellenden politischen Polizei; dann Pause und ab 1990 bis 1995 der Versuch unter Ägide des damaligen OB Gerhard Widder (SPD), gemeinsam mit dem VdK einen „Entmilitarisierten Volkstrauertag“ zu gestalten. Was auch leidlich gelang als zivile Gedenkveranstaltung unter dem Motto „Nie wieder Faschismus! Nie wieder Krieg!“, mit Gedenken auch und vor allem an die Opfer des NS-Terrors. 1995 kündigte der VDK die Zusammenarbeite am bisherigen Runden Tisch auf und führt seither nachmittags seine eigene Veranstaltung auf dem Hauptfriedhof durch. Auf den Vorortfriedhöfen bzw. an Kriegerdenkmälern gibt es seit den 50er Jahren ununterbrochen VDK-Veranstaltungen, die je nach den beteiligten Akteuren mal wirklich gegen Krieg und im Gedenken an die NS-Opfer ausgerichtet sind, sonst aber der VDK-Tradition folgen.
Bei der diesjährigen Gedenkstunde zum Entmilitarisierten Volkstrauertag werden zwei Vertreter des Connection e.V. Texte von Deserteuren aus der Endphase des Ersten Weltkriegs vortragen. Die Hauptrede wird OB Dr. Peter Kurz halten, der nachmittags auch beim VDK sprechen wird. Man darf gespannt sein, wie er sein immer wieder unter Beweis gestelltes Anliegen umsetzen wird, das Vorrücken der extremen Rechten zu bekämpfen und für Menschlichkeit, Demokratie und Frieden einzutreten. Musikalische Beiträge wird es in diesem Jahr nicht geben – natürlich auch nicht das Deutschlandlied. Im Anschluss an die Gedenkstunde in der Trauerhalle findet der Schweigeweg zu drei Gedenkpunkten auf dem Hauptfriedhof statt:
- Gräberfeld der Zwangsarbeiter: Stanislaw Komaszewski, polnischer Bildhauer, umgekommen 1945 im KZ Sandhofen
- KZ-Gedenkstätte: Daniel Seitzinger – ein Mitglied der Lechleiter-Gruppe
- Gedenkstätte am Gräberfeld der Soldaten: „Deserteure und Kriegsdienstverweigerer, früher und heute“
(Thomas Trüper)
Veranstaltungshinweis:
Gedenkstunde zum Entmilitarisierten Volkstrauertag
Sonntag, 18.11.2918
Beginn: 11 Uhr in der Trauerhalle auf dem Hauptfriedhof