Spiegel-TV: Reißerischer und tendenziöser Bericht über die Neckarstadt-West und die Schönau
Am 3. Dezember strahlte „Spiegel TV“ auf RTL in seiner „Spiegel TV Reportage“ einen halbstündigen Bericht über die Neckarstadt-West und die Schönau aus. In der Aufmachung einer Art „Reality Show“ kamen Bewohner oder angebliche Bewohner, so genau weiß man das nicht, zur Sprache, um genau dieses defätistische Bild dieser Stadtteile zu zeigen.
In der Ansage kommt die Moderatorin Maria Gresz gleich zur Sache: “Sozialhilfekosten, Drogenkriminalität, Verwahrlosung, Armutszuwanderung, Schwarzarbeit. Mannheim hat von allem zu viel. Nicht erst seit gestern und nicht überall, aber in den Stadtteilen Schönau und Neckarstadt-West haben die Probleme die Zumutbarkeitsgrenze der Bewohner längst überschritten.”
Die folgende Reportage von Yasmin Javuz soll dann genau dieses kaputte Milieu beschreiben.
Von der Schönau ist dies ein Möchtegern-Gangster-Rapper mit bosnischen Wurzel, der gerne mit anderen Typen rumhängt, vom großen Geld träumt und dieses – zumindest was seine Luxuskarosse angeht – auch zu haben scheint. Ein Auto, das „wohl nicht nur mit ehrlicher Arbeit“ verdient ist.
Dann gibt es einen Dealer und Konsument von Drogen, der beim Gespräch als Vermummung eine schwarze Maskerade trägt und mit einem Revolver herum hantierend ebenfalls vom großen Geld spricht, da ehrliche Arbeit sich sowieso nicht lohnen würde.
Dann wird auf der Schönau die Wohnung eines Mannes gezeigt, der seit Jahren arbeitslos ist und Hartz IV bezieht. Die Wohnung ist messimäßig total zugemüllt.
Den Höhepunkt unseriöser journalistischer Arbeit erreicht die Sendung mit einer Reportage über den Einsatz einer Polizeistreife in der Neckarstadt-West. Im Schlepptau einer Polizeistreife geht das Fernsehteam von „Spiegel-TV“ dem akuten Notruf einer Frau nach, die in der eigenen Wohnung gestürzt ist und sich im hilflosen Zustand befindet. Der Lebenspartner ist kurz vorher verstorben. Die Polizei erlaubt den Eintritt in die Privatsphäre. Die Kamera hält voll drauf, man sieht die Beine eines leblosen Körpers auf dem Fußboden. Es wird von einer verwahrlosten Wohnung berichtet, die Polizeibeamten bestätigen dies, dies sei in der Neckarstadt-West nun mal normal. Nach uns vorliegenden Informationen ist die Frau vom Besuch des Fernseh-Teams total überrumpelt worden. Sie habe inzwischen einen Rechtsanwalt beauftragt.
Nächste Szenen: In Begleitung eines größeren Polizeieinsatzes wohnt „Spiegel TV“ einer Razzia gegen die bulgarisch/rumänische Kneipenszene in der Neckarstadt-West bei. Es bleibt allerdings nur ein mutmaßlicher Schwarzarbeiter im Netz, der Chef ist nicht da, die Kneipe wird geschlossen. Immerhin gibt es vor der Kneipe einen Falschparker, der sich uneinsichtig bei der Feststellung seiner Personalien zeigt. Der wird vor laufender Kamera dann auch mal schnell von den Polizeibeamten zu Boden gebracht und mit Handschellen gefesselt.
Die Botschaft ist überall gleich: Die Menschen und ihr Stadtteil sind verloren, in der Darstellung des „Spiegel TV“ werden die Menschen letztlich als sozial unfähig d.h. als asozial gezeigt. Eine Würde wird diesen Menschen abgesprochen. Aufgemacht als reißerische Darstellung, Hintergrunddarstellungen oder soziale Recherchen sind nicht gefragt. Bei einigen Szenen hat man den Eindruck, dass diese gestellt sein könnten, Geschichten vielleicht sogar aus Sensationsgier aufgepeppt worden sind. Wie viel Geld hat „Spiegel TV“ für die Erzeugung dieser Geschichten bezahlt? Zweifel über die Echtheit bestehen. Die Geschichten sind zumindest gnadenlos einseitig.
Dass es von diesen Stadtteilen und seinen Menschen auch ganz andere, nämlich positive Geschichten zu erzählen gibt, kommt in dieser Reportage nicht vor. So bleibt dieser Film eine weitere „No-Go-Area“-Geschichte, wie es auch schon einmal von der Sensationsjournalistin Düzen Tekkal über die Neckarstadt-West in einer Anne-Will-Talkshow behauptet worden ist.
Gegen diese Darstellung gab es vielfältigen Protest aus Teilen der Politik und der Bürgerschaft. Das scheint auch diesmal notwendig.
Kritische und notwendige Fragen an die Polizei
Besonders delikat ist diesmal allerdings der Part der Polizei. Es steht der Vorwurf im Raum, dass bei dem möglicherweise nicht angekündigten Betreten privater Räumlichkeiten Hausfriedensbruch begangen worden ist. Beim Filmen der Personen liegt möglicherweise eine Verletzung der Persönlichkeitsrechte dieser Personen vor. Gibt es hierfür jeweils eine glaubhafte Einwilligung der betreffenden Personen?
Der Einsatz von „Spiegel TV“ war offensichtlich mit der Polizei abgesprochen.
Welche Vorbesprechungen hat es hierzu gegeben?
Wer hat davon gewusst und wer ist ist hierfür letztlich verantwortlich?
Wie wird der Einsatz von der Polizeibehörde beurteilt?
Welche Konsequenzen werden aus diesem Einsatz gezogen?
Im Gegensatz zum Mannheimer Morgen hat die Rhein-Neckar-Zeitung das Thema der skandalösen Spiegel-TV-Reportage in zwei Artikel aufgegriffen. Danach hat die Polizei zu kritischen Fragen inzwischen Stellung bezogen und „hinterfragt sich kritisch“. Verabredungen mit Spiegel-TV seien nicht eingehalten worden. Offensichtlich war man da zu blauäugig und ist überrumpelt worden. Gegen einige der Darsteller soll sogar jetzt ermittelt werden wie z.B. gegen den maskierten vermeintlichen Drogendealer mit dem Revolver in der Hand. Über Positivbeispiele wie die Präventionsarbeit der Polizei an den Neckarstadt-Schulen, die Spiegel-TV offensichtlich auch begleitet hat, sei nicht berichtet worden. Ja, offensichtlich ist da mächtig etwas schief gelaufen.
Aber auch Fragen an die Politik und an die Stadtverwaltung
Die Reportage von „Spiegel TV“ hat die Menschen und die Stadtteile Schönau und Neckarstadt-West in einem äußerst negativen und einseitigen Bild gezeigt. Die Reportage ist geeignet, das friedliche Zusammenleben der Bürgerschaft zu stören. Es wurden möglicherweise geltendes Recht und Persönlichkeitsrechte verletzt.
Sehen politische Vertreter und die Stadtverwaltung die Möglichkeit, solchem Sensationsjournalismus Einhalt zu gebieten?
Wird eine Beschwerde beim deutschen Presserat in Erwägung gezogen?
Sollten die Polizeibehörden eine Mitverantwortung tragen, welche Konsequenzen hätte dies im Verhältnis zur Polizei?
Wie kann in diesem Fall das Vertrauen zur Polizei wiederhergestellt werden?
(Roland Schuster, Bezirksbeirat Neckarstadt-West DIE LINKE)
Siehe auch
Das Recht des Stärkeren: Stadt, Polizei, Parkplatz- und Gewaltprobleme in der Neckarstadt-West