Israelkritiker im Gespräch: Interview mit Prof. Dr. Rolf Verleger
Interview mit Rolf Verleger
Kommunalinfo:
Herr Verleger, Sie gelten für Manche als zu starker Kritiker Israels. In Hechingen z.B. ist eine am 24.3.2015 geplante Veranstaltung mit Ihnen in der Alten Jüdischen Synagoge abgesagt worden. In einem Brief wird den Veranstaltern vorgeworfen, „eine Veranstaltung aufzuwerten und zu legitimieren, die sich gegen das derzeit am meisten bedrohte Judenkollektiv richtet, nämlich gegen den kleinen jüdischen Staat.“ Ist ihre Kritik an Israel überzogen?
Rolf Verleger:
Kann Eintreten für Menschenrechte überzogen sein? Ich richte mich nicht gegen Israel. Sondern ich schlage vor, dass die Regierung Israels im Namen der jüdischen Bevölkerung Israels die Palästinenser um Verzeihung für vergangenes und gegenwärtiges Unrecht bittet. Dann wird Israel eine leuchtende Zukunft haben.
Kommunalinfo:
Die Veranstaltung in Mannheim am 29. Oktober “Zionismus, Antisemitismus und die Entstehung Israels“ hat offensichtlich einen sehr grundsätzlichen und historischen Ansatz.
Warum wählen Sie diesen Ansatz?
Rolf Verleger:
Weil kaum jemand in Deutschland über diese Entwicklungen um 1900 informiert ist, die so gravierende Auswirkungen bis in die Gegenwart haben. Im Zarenreich lebte damals mehr als die Hälfte der jüdischen Weltbevölkerung. Sie wurde systematisch diskriminiert. Aus dieser Lage entstand von dort durch Auswanderung von 1,5 Mio. Menschen das US-amerikanische Judentum und wurde durch Einwanderung nach Westeuropa der moderne Antisemitismus angefeuert (in vielen Details vergleichbar mit dem heutigen Antiislamismus gegen Migranten). Es entstanden aber auch die konkurrierenden Befreiungsbewegungen Zionismus und Sozialismus, also Kampf um Emanzipation in einem anderen Land oder im eigenen Land. Dass die Emanzipation in einem anderen Land auf Kosten Dritter gehen könnte – der Palästinenser – wurde sehr schnell schon vor hundert Jahren allen Beteiligten klar. Dieser Konflikt hat nicht 1948 durch „hitzköpfige Araber“ begonnen, sondern Jahrzehnte früher durch die Verquickung der jüdischen Emanzipation mit dem europäischen Kolonialismus.
Kommunalinfo:
Israel hat vor kurzem das Nationalstaatsgesetz verabschiedet. Vermutlich fordert dieses Ihre Kritik heraus.
Rolf Verleger:
Das Gesetz schreibt fest, dass Gleichberechtigung aller Menschen in Israel weniger wichtig ist als die nationale Verwirklichung einer Bevölkerungsgruppe. Barenboim sagte dazu, er schäme sich, Israeli zu sein.
Kommunalinfo:
Kritiker werfen Ihnen vor, Israel zu kritisieren, die Palästinenser bei Kritik außen vor zu lassen. Das zeige eine Einseitigkeit. Was sagen Sie zu diesen Vorwürfen?
Rolf Verleger:
Jeder kehre vor seiner eigenen Tür, damit die Welt besser wird. Meine Tür ist die jüdische. Und ich bemühe mich, stets mit den Unterprivilegierten und Schwachen zu halten. Beim Fußball halte ich immer zu der Mannschaft, die im Rückstand liegt. Das ist jüdische Tradition: Wir sind eine gelernte Minderheit, und in diesem Gefühl bin ich aufgewachsen. Wer das Machtgefälle zwischen Juden und Palästinensern in Israel und Palästina nicht sieht, hat kein Herz – oder vornehmer gesagt: zeigt einen Mangel an Einfühlungsvermögen
Kommunalinfo:
Obwohl Sie selbst einen jüdischen Hintergrund haben und ihre politische Haltung glaube ich eher im linkeren Spektrum auf jeden Fall nicht im rechten Spektrum anzusiedeln ist, werden Sie der Verharmlosung des Antisemitismus bezichtigt. Als Beleg hierfür wird hierfür u.a. ihre geäußerte Haltung zu Attacken auf Kippa-Träger angeführt. Ist das Antisemitismus?
Rolf Verleger:
Mein ganzes Leben wurde davon bestimmt, dass ich in einer Familie von Überlebenden der Judenvernichtung aufgewachsen bin. Die Leute, die heutzutage ihre Gegnerschaft zum Antisemitismus entdeckt haben, glauben, dadurch den Terror gegen meine Familie wiedergutmachen zu können. Man kann das nicht wiedergutmachen. Man kann das nur betrauern und sich vornehmen, ein anständiger Mensch zu sein und nicht mehr zu schweigen, wenn Unrecht geschieht. Das heißt es, links zu sein. Ich bin links. Netanjahu und seine politischen Freunde Trump, Bolsonaro, Orban, Salvini, Wilders, Strache, AfD (bis hin zu „Juden in der AfD“) sind rechts.
Kommunalinfo:
Ein Dialog, sagen wir mal etwas schlicht, zwischen Israel-Kritikern und Befürwortern erscheint unmöglich. Womit erklären Sie sich die Härte der Auseinandersetzung?
Rolf Verleger:
Es geht um das grundsätzliche Lebensgefühl von Juden: Welche Lehre ziehen wir aus dem ziemlich erfolgreichen Versuch der Ausrottung jüdischen Lebens in Europa? Sagen wir „Das darf uns niemals mehr passieren“ oder sagen wir „Das darf niemandem mehr passieren“? Beides ist tief emotional verwurzelt.
Kommunalinfo:
Veranstaltungen mit Ihnen und anderen Personen – Stichwort BDS – wird mit quasi Verboten belegt. In Frankfurt wurde kürzlich dem Club Voltaire die Aufkündigung der städtischen Zuschüsse angekündigt, da er eine Veranstaltung mit Personen durchführt, die sich nicht eindeutig von BDS distanzieren würde. BDS gilt als Synonym für Antisemitismus. Ist das berechtigt?
Rolf Verleger:
Nein, das ist nicht berechtigt. Eine friedliche Widerstandsbewegung soll „antisemitisch“ sein?
Welche Form des Widerstands der Palästinenser gegen die Besatzung soll denn erlaubt sein? Wollen die Kritiker von BDS wieder Flugzeugentführungen haben wie in den 70ern, oder Selbstmordattentate wie um 2000 oder Messerattacken verzweifelter fanatisierter Einzelner? Gerne wird behauptet, bei BDS seien halt „auch“ Antisemiten dabei. Sind denn bei den Unterstützern Israels nicht auch Antisemiten dabei? Ist der obengenannte Orban nicht der Ideengeber des Attentäters von Halle, mit seiner Kampagne seit 2017 gegen den jüdischen Millionär Soros, der angeblich Europa mit Flüchtlingen überschwemmen wolle?
Kommunalinfo:
Inzwischen haben viele Kommunen Beschlüsse gefasst, die BDS verurteilen und daraus folgern, dass es hier keine städtische Unterstützung geben darf, so auch der Mannheimer Gemeinderat. Es darf dann auch keine Veranstaltungen geben. In der Praxis führt das dann dazu, dass generell israelkritische Veranstaltungen von diesem Bannstrahl getroffen werden. Ist es nicht fatal, dass nicht einmal mehr gesprochen werden kann?
Rolf Verleger:
Hier geht es um Einschränkung der Meinungs- und Versammlungsfreiheit im allgemeinen und um die Unterdrückung eines menschenrechtlich orientierten Diskurses im besonderen. Es gibt schon einige Gerichtsurteile gegen diesen neuen McCarthyismus, und es werden hoffentlich noch mehr solcher Urteile folgen.
Kommunalinfo:
Ihre Kritiker wollen das Gespräch mit Ihnen verhindern. Frage jetzt umgekehrt: Sind Sie denn bereit für ein Gespräch mit ihren Kritikern?
Rolf Verleger:
Natürlich. Wo kämen wir hin, wenn wir nicht miteinander reden? Zum Beispiel freue ich mich immer, wenn in meinen Vorträgen kontrovers diskutiert wird.
Das Interview für das Kommunalinfo führte Roland Schuster