Corona ist kompliziert – Rechtsanwältin Bahner ist darauf ausgerutscht
Eigentlich ist das Thema: Eilantrag der Rechtsanwältin Beate Bahner an das Bundesverfassungsgericht zur Außerkraftsetzung der Covid-19-Verordnungen der Landesregierungen bei näherer Betrachtung der Klage selbst schon, aber vor allem durch das aktuelle weitere Schicksal der Anwältin nicht (mehr) geeignet, groß darüber zu berichten – dies hat zu leicht schon den Beigeschmack des Nachtretens. Darüber gab es auch Diskussion in der KIM-Redaktion. Andererseits ist das Spannungsverhältnis zwischen Anforderungen aus der Covid-19-Eindämmung und –Bekämpfung einerseits und der Gültigkeit und Verteidigung von Grundrechten andererseits zu bedeutend, um es wegen eines vollkommen verunglückten Lösungsversuchs unbeachtet zu lassen, insbesondere, wenn am Ende die Akteurin auch noch in der Psychiatrie landet. Wenn da nicht die Alarmglocken läuten!
Doch der Reihe nach bzw. umgekehrt: Das Drama von seinem vorläufigen Ende her betrachtet: Nach Angaben des zuständigen Polizeipräsidiums Mannheim habe Frau Bahner am Abend des Ostersonntags (12. April) auf der Straße einen Mann um Hilfe gebeten, weil sie verfolgt werde. Der Mann habe die Polizei alarmiert. Diese habe aufgrund des Gesprächsverlaufs den Eindruck gehabt, dass Frau B. verwirrt sei und medizinischer Hilfe bedürfe. Frau B. habe Widerstand geleistet. Die Unipsychiatrie, der Frau B. vorgestellt wurde, habe Frau B. stationär aufgenommen. Diese Vorgänge, so die Rhein-Neckar-Zeitung, habe Frau B. auch in einem Audio-Chat mit ihrer Schwester bestätigt, der der Zeitung vorliege (und inzwischen auf youtube zu hören ist. Sie spricht dort von „dunklen Mächten“, von „Anweisungen von ganz oben“, die man erst noch eingeholt habe, und dass man sie ja „in der ganzen Welt“ kenne). Den diensthabenden Polzeibeamt*innen dürfte zu diesem Zeitpunkt zunächst nicht klar gewesen sein, dass der Heidelberger Staatsschutz bereits gegen Frau B. wegen öffentlichen Aufrufs zu einer Straftat ermittelte, nämlich wegen Aufrufs zu bundesweiten Demonstrationen am 11.4. gegen die Anti-Covid-19-Maßnahmen unter Missachtung der bundesweiten Versammlungsverbote. Das Motto der Demo sollte lauten: „Coronoia 2020: Nie wieder mit uns. Wir stehen heute auf“. Auf ihrer Website kann man inzwischen lesen: „Anwältin Beate Bahner gewaltsam in Psychiatrie verfrachtet“; ein Link zur Story führt auf die Website „Impfkritik.de“.
Frau Bahners Website war zuvor wegen des Demo-Aufrufs am 9.4. vorübergehend auf Veranlassung des Polizeipräsidiums Mannheim abgeschaltet worden.
(Nachtrag 15.4.: Laut ihrer Website wurde Frau Bahner gestern abend aus der Heidelberger Psychiatrie entlassen.)
Eilantrag beim BVG
Zur Begründung ihres am 8.4. gestellten Eilantrags schreibt Frau Bahner: „Der Antrag ist begründet, weil alle Corona-Verordnungen der Landesregierungen offensichtlich verfassungswidrig sind und einen staatszersetzenden Angriff auf den Rechtsstaat, die freiheitlich-demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland, die Grundrechte und die unveräußerlichen Menschenrechte darstellen.“ (S. 18)
Weiter schreibt sie: „Die Panikmache der Regierungen und der Medien sind beispielhaft für die Manipulation ganzer Gesellschaften und für die Zerstörung des Vertrauens und insbesondere des gesunden Menschenverstands nicht nur aller 83 Millionen Menschen in Deutschland, sondern der Menschen in der ganzen Welt! Dies ist eine beispiellose Propaganda, wie Deutschland sie zuletzt im dritten Reich erlebt hat. Zwischenzeitlich sind hunderttausende Existenzen in Deutschland zerstört worden, die Menschen sind in den letzten drei Wochen in beispielloser Weise ihrer Freiheit beraubt worden. Insbesondere wurde die Gesundheit – insbesondere der von der Außenwelt und den Angehörigen abgeschnittenen alten und kranken Menschen in unmenschlicher und zynischer Weise – für die Antragstellerin vergleichbar nur mit der ungeheuerlichen Verfolgung und Ermordung der Juden und weiterer Bevölkerungsgrippen (sic!) im Dritten Reich – schwer geschädigt worden.“ (!!) (S. 24)
Ihre Argumentationskette basiert auf einer vollkommenen Negierung der Gefährlichkeit der Pandemie und auf einer – für eine Fachanwältin für Gesundheitsrecht verblüffenden – Fehlinterpretation des Infektionsschutzgesetzes (IfSG). Dort heißt es:
„Werden Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige oder Ausscheider festgestellt (…) so trifft die zuständige Behörde die notwendigen Schutzmaßnahmen, (…), soweit und solange es zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten erforderlich ist; sie kann insbesondere Personen verpflichten, den Ort, an dem sie sich befinden, nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu verlassen oder von ihr bestimmte Orte oder öffentliche Orte nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu betreten.“ (§ 28 Abs. 1 IfSG). Sie schließt daraus, dass „Maßnahmen gegen gesunde Dritte nur in engen Ausnahmefällen“ ergriffen werden dürfen. Dass nun aber scheinbar „Gesunde“ (Menschen ohne Symptome) eben auch Infizierte und damit „Ausscheider“ sein können, und dass der Nachweis des noch ziemlich neuen Erregers schwierig und erst mit erheblichem zeitlichen Verzug in größerem Umfang durchgeführt werden kann, spielt in ihren Überlegungen keinerlei Rolle. Daher vergleicht sie die Einschränkung der Bewegungsfreiheit mit der Behandlung von „Kriminellen“: „Noch nie in der Geschichte der BRD wurden friedliche und gesunde Menschen innerhalb von zwei Wochen kriminalisiert.“ (S. 18). Deshalb dann die Forderung nach sofortiger Aufhebung aller getroffenen Einschränkungen.
„Corona-Auferstehungs-Verordnung“ vom 11. April 2020
Von erheblichem – schon religiös zu bezeichnenden – Sendungsbewusstsein zeugt ihre „Auferstehungs-Verordnung“, die man nach allem von ihr verfassten Schriftgut nicht als Satire begreifen kann. Nach der Niederlage mit dem Eilantrag vor dem BVG sieht sie sich als aus Art. 20 (4) GG zum Widerstand ermächtigt: „Gegen jeden, der es unternimmt, diese (verfassungsmäßige) Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.“
Da nun die Bundes- und die Landesregierungen und die Mitglieder des Bundestages aus ihrer Sicht willkürlich die verfassungsmäßige Ordnung im Begriffe sind zu vernichten, macht sie von ihrem (ganz individuell verstandenen) Widerstandsrecht Gebrauch, indem sie feststellt: „Hiermit ergehen auf Basis der vorgenannten Artikel des Grundgesetzes und der darin verankerten freiheitlich-demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland die folgenden Verfügungen“, nämlich die Aufhebung aller einzelnen Maßnahmen. Folgt noch die Androhung von „gravierenden Konsequenzen“ bei Verstößen. Und abschließend heißt es: „Die Corona-Auferstehungs-Verordnung vom 11. April 2020 gilt bundesweit und tritt mit sofortiger Wirkung in Kraft. Beschlossen und verkündet durch Beate Bahner, die seit der Erarbeitung dieser Verordnung beschlossen hat, ihre Anwaltszulassung bis auf weiteres zu behalten. Beate Bahner Heidelberg, den 11. April 2020, 19 Uhr“.
Das gesellschaftliche Echo
Am selbigen Tag sollten ja überall Corona-Demos stattfinden. Beispielsweise in Berlin Mitte gab es lt. RBB Resonanz bei 300 bis 350 Personen: „Der Verein ‚Kommunikationsstelle Demokratischer Widerstand‘ hatte im Internet zu der nicht genehmigten Demo aufgerufen. Er bezeichnet die Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus als ‚Ermächtigungsgesetz‘ und den Zustand als ‚de-facto-Diktatur‘. Laut Polizei hatte es zu der Veranstaltung ‚weder eine Anmeldung noch den Versuch einer Anmeldung gegeben‘.“ In Heidelberg waren lt. Blog auf „impfkritik.de“ 2 Leute unterwegs.
Dass Frau Bahner zunehmend „befremdlich“ geschrieben hat und vollkommen einseitig und unter Ausschluss der tatsächlichen medizinischen Diskussion argumentiert, ist das Eine. Dass viele, die sich mit dem Spannungsverhältnis zwischen medizinischer Vernunft und Einforderung der Grundrechte beschäftigen, Beate Bahner zunächst folgten und teilweise immer noch folgen, macht deutlich, dass in Corona-Zeiten mit den eher zunehmenden Wissens-Unsicherheiten das Urteilsvermögen extrem herausgefordert wird. Auch hier gilt offensichtlich: Die einfache Lösung ist nicht unbedingt die richtige.
Thomas Trüper