Freiheit im grünen Bereich -No-COVID
In dem Papier „Eine neue proaktive Zielsetzung für Deutschland zur Bekämpfung von SARS-CoV-2“ werden Ansätze ins Spiel gebracht, die regional umgesetzt werden und zu „grünen Zonen“ führen sollen, in denen eine nachhaltig niedrige Inzidenz – nahe null – gehalten werden soll.
„Der Ansatz der No-COVID-Strategie ist, im Sinne einer Schadensbegrenzung mit möglichst geringen gesundheitlichen, wirtschaftlichen und demokratischen Verlusten und Folgeschäden durch die globale Pandemie zu kommen.“ Das No- COVID -Papier wurde von Wissenschaftler:innen verschiedenster Fachrichtungen wie Medizin, Physik, Wirtschaft, Soziologie oder Pädagogik verfasst und versucht einen Weg zur Beendigung großflächiger Lockdowns aufzuzeigen.
Forderungen
Als Kern werden vier Elemente der Pandemiebekämpfung genannt, die die Impfungen und Hygieneregeln ergänzen sollen, nämlich:
„Grüne Zonen + Früherkennung + TTI-Beschleunigung [Test, Nachverfolgung, Isolation; Anm. Redaktion] + lokales Ausbruchsmanagement“.
Damit sollen Lockerungen in allen gesellschaftlichen Bereichen möglich und die Grundrechte wieder in Balance gebracht werden. In Toolboxen werden dafür Werkzeuge, sprich Handlungsmöglichkeiten, für die jeweiligen politischen Entscheidungsebenen von der Kommune bis auf europäischer Ebene bereit gestellt.
Eine Beendigung des Lockdowns (rote Zone) ist ab einer Inzidenz von 10 vorgesehen. Hierauf folgen erste Öffnungen und Lockerungen (gelbe Zone) bis eine Inzidenz von 0 erreicht wurde und in dieser grünen Zone weitgehende Öffnungen möglich sind. Die Zonen sollen flexibel definierbare Gebiete sein, sodass sich Städte, Kommunen oder Regionen auch grenzüberschreitend zusammenschließen können, um letztlich auch auf europäischer Ebene die grünen Zonen mehr und mehr auszuweiten.
Quelle: „Eine neue proaktive Zielsetzung für Deutschland zur Bekämpfung von SARS-CoV-2 2. Teil: Handlungsoptionen“
Ziel
Durch diese Strategie soll den Politiker:innen aber auch den Einwohner:innen einer Zone eine klare Ausstiegsoption aufgezeigt werden, die motivieren soll, von sich aus auf das Ziel der Null- Inzidenz hinzuarbeiten. Es stehen weniger restriktive Maßnahmen im Vordergrund, sondern die Motivation der Menschen von sich aus wieder ohne Einschränkungen leben zu wollen. Dabei wird außerdem hervorgehoben, dass die These des Zielkonfliktes zwischen Gesundheit und Wirtschaft nicht gehalten werden könne, da die starken Eindämmungsmaßnahmen der Wirtschaft zwar kurzfristig einen größeren Schaden zufügen würden, diese jedoch langfristig kompensiert werden, da die kürzere Dauer ein schnelleres, umfänglicheres und nachhaltigeres Öffnen zuließen.
Allerdings bringt die Konzentration auf Zonen auch die Kontrolle der Zugänge zu den jeweiligen Zonen mit sich, was zwar im Papier nur als letzte Möglichkeit durch großräumige Grenzkontrollen erreicht werden solle, bei realistischer Betrachtung aber wohl genau auf solche hinauslaufen würde, da eine Kontrolle durch Verwaltungsmaßnahmen derzeit wohl kaum möglich erscheint.
Zwischen Ambitionen und Ernüchterung
Der in dem No-COVID- Papier aufgeführte Weg zur Beendigung des Lockdowns wirkt an sich schlüssig und gut begründet. Auch der Disziplinen- übergreifende Ansatz wird gut sichtbar, wobei der wirtschaftliche Anteil sowohl im Vokabular, als auch in der Gewichtung überhand behält und soziologische oder pädagogische Ansätze überlagert. Der letzte Woche veröffentlichte Stufenplan der Bundesregierung und Landesregierungen zeigt auf, dass die Festlegung auf einen Inzidenz- Höchstwert von maximal zehn zur Beendigung des Lockdowns politisch derzeit in weiter Ferne liegt, so gut begründet er auch sein möge. Dies spricht allerdings erstmal nicht gegen das No-COVID-Papier, sondern ist ein klares Zeichen dafür, dass die Politik sich kaum allein von wissenschaftlichen Vorgaben leiten lässt.
Was in anderen Zeiten Ausdruck demokratischer Vielfalt und Notwendigkeit ist, scheint in einer Pandemie allerdings fraglich und das ständige Auf- und Ab- vom Lockdown hard und Lockdown light scheint den Autor:innen von No-COVID zumindest in der Hinsicht Recht zu geben, dass wir eine deutlich niedrigere Inzidenz als 100, 50 oder 35 brauchen, um einen nachhaltigen Ausstieg zu gewährleisten und somit wieder Hoffnung zu wecken. Insofern ist einer der Effekte des Papiers in jedem Fall, dass es uns die Kurzsichtigkeit der aktuellen Politik vor Augen führt, die auch nach einem Jahr Pandemie nur wenig dazugelernt zu haben scheint und den denkbar schechtesten Mittelweg aus Wissenschaft und Realpolitik beschreitet.
Trotz des Einbezugs gesellschaftswissenschaftlicher Erkenntnisse fokussiert sich das No-COVID- Papier jedoch lediglich auf die Pandemiebekämpfung und bietet kaum tiefergehende Analysen oder Lösungsansätze für damit verbundene gesellschaftliche Probleme, die zwar in der Pandemie verstärkt, aber nicht verursacht wurden. Das Ziel liegt klar in der Beendigung des Lockdowns und der Kontrolle von COVID19 und geht kaum darüber hinaus, sodass es wenige Ideen zu einer Post-COVID- Gesellschaft bietet oder sich zum Beispiel mit Gerechtigkeits- und Verteilungsfragen auseinandersetzt.
Im nächsten Beitrag folgt die Betrachtung von Zero-COVID.
Text: DeBe
Quelle: „Eine neue proaktive Zielsetzung für Deutschland zur Bekämpfung von SARS-CoV-2 2. Teil: Handlungsoptionen“ unter: https://www.ifo.de/publikationen/2021/monographie-autorenschaft/proaktive-zielsetzung-bekaempfung-sars-cov-2-handlungsoptionen