Klinikums-Prozess: Loyal im Irrsinn der herrschenden Krankenhausfinanzierung
Alfred Dänzer, Geschäftsführer der Universitätsklinikum Mannheim GmbH von 2005 bis zum „Hygieneskandal“ im Jahr 2014, stand nach über sechs Jahren Ermittlungsverfahren eben wegen dieses „Skandals“ vor der Dritten Strafkammer des Mannheimer Landgerichts. Er habe, so die Auffassung des Gerichts, durch „aktives Tun“ beim Betreiben von Medizinprodukten, nämlich dem Umgang mit Sterilgut, notwendige Kontrollen bei der Erfüllung von delegierten Aufgaben unterlassen. Er habe für Fortbildung und Qualitätskontrolle kein Budget und damit auch kein Personal zur Verfügung gestellt. Er habe damit das Leben Tausender Patient*innen gefährdet. (Mannheimer Morgen 26. Und 27.4.21)
Das Urteil ist saftig: 2 Jahre Freiheitsstrafe auf Bewährung und 75.000 Euro Geldauflage. Ferner droht ihm der Entzug seiner Beamtenpension und ein privatrechtlicher Schadensersatz für das seither wirtschaftlich mächtig gebeutelte Klinikum. Hierfür kann zwar seine Berufshaftpflichtversicherung (Managementversicherung) eintreten – nicht jedoch bei Vorsatz. Und hierum dreht sich letztlich der Streit zwischen Verteidigung und Gericht: War es Vorsatz oder Fahrlässigkeit? Die Verteidigung hat Revision angekündigt, sie hält das Urteil für grottenfalsch.
Ein hartes Urteil gegen einen Manager, der seine Berufspflichten verletzt hat, mag zunächst einmal befriedigen. Endlich hat man mal einen „Großen“ zur Rechenschaft gezogen. Bei näherer Betrachtung erscheint das Urteil jedoch mehr und mehr schief. Es wurde ein „Kriminalfall“ verhandelt, der einerseits das Vergehen oder Verbrechen viel zu kurz fasst, andererseits aber das Verursacherprinzip vollkommen außer Acht lässt: Herr Dänzer lavierte in einem dauernden finanziellen Notstandsgebiet, welches durch gesetzliche Strukturen, also politisch gewollt, bewusst und zielgerichtet erzwungen wurde: Nämlich die Ökonomisierung und Liberalisierung des Gesundheitswesens als „Marktgeschehen“ und die Verwandlung von Daseinsvorsorgeleistungen in Waren. Die Krankenhausfinanzierung war in der ganzen Zeit seines Wirkens und ist bis heute überhaupt nicht auskömmlich, wofür die Regierungen von Bund und Ländern Verantwortung tragen. Und auch auf kommunaler Ebene war die Verwaltungsspitze selbstverständlich nicht geneigt, aufkommende Verluste einfach zu akzeptieren und aus dem Kommunalhaushalt auszugleichen. Erzielte Gewinne wurden gerne zur Kenntnis genommen, obwohl Betriebsrat und Gewerkschaft auf die ruinierende Art der Gewinnerzielung immer wieder hinwiesen.
Regierende sind für ihre politischen Entscheidungen nicht vor Strafgerichten haftbar zu machen. Sie werden durch die Verwaltungs- und Verfassungsgerichte bei gesetzwidrigem Vorgehen in die Schranken gewiesen, wenn sich Klagende finden und die unabhängige Justiz funktioniert. Sie werden ggf. durch gesellschaftlichen Protest zu Korrekturen gezwungen und müssen sich periodisch dem Wahlvolk stellen. Erzwingung von Mangelverwaltung wird nicht als Verbrechen gesehen. Verordnete Qualitätsstandards werden nicht mit notwendigen Finanzmitteln unterfüttert. In diesem Feld zwischen dem gesetzlichen Finanzierungsrahmen und den gesetzlichen Qualitätsanforderungen lebt ein Klinikdirektor gefährlich. Dänzer versuchte hier seinem Dienstherrn gegenüber loyal zu sein und die Mangelverwaltung eisern durchzusetzen. Unter seiner Leitung bis zum bitteren Ende 2014 machte die UMM sogar jährlich Gewinne im einstelligen Millionen-Bereich. Diese blieben im Haus und wurden für notwendige Instandhaltungsarbeiten und Investitionen eingesetzt, weil das Land seiner Pflicht zur Tragung von Investitionskosten öffentlicher Krankenhäuser nicht nachkam.
„Der Deckel muss weg!“ Größte Demonstration in der Geschichte des deutschen Gesundheitswesens am 25.09.2008 – immer noch aktuell. 135.000 in Berlin bei der zentralen Protestkundgebung. Hinter dem Transparent „Politik spart die Kliniken krank“ rechts Alfred Dänzer neben Frank Bsierske, damaliger ver.di-Vorsitzender. (Bild: Betriebsrat Klinikum Mannheim. Sonder-ECHO des Betriebsrates der Universitätsmedizin Mannheim Nr. 66,. 1/2009)
Gleichzeitig machte Dänzer als Vorsitzender des Arbeitskreises Kommunale Krankenhäuser im Deutschen Städtetag und später als Präsident der Deutschen Krankenhausgesellschaft auf die unhaltbaren gesetzlichen Bedingungen aufmerksam. Bei einer großen Demonstration der Mannheimer Klinikbeschäftigten am 9.9.2008 gegen den verordneten Budgetdeckel für die Personalkosten, der auf die Tarifentwicklung keine Rücksicht nahm, stand er mit den Arbeitnehmervertreter*innen in der ersten Reihe.
Die Geschäftsberichte jener Jahre enthielten stereotyp Feststellungen wie diese:
„Die allgemeinen Rahmenbedingungen, zusammengefasst unter dem Stichwort Tarifschere, gesetzliche Budgetdeckelung und nicht refinanzierte kostenträchtige Strukturvorgaben des Gemeinsamen Bundesausschusses innerhalb des Fallpauschalensystems bestehen fort.“ (Stadt Mannheim, Beteiligungsbericht 2012, S. 110).
Meister an der gesetzlich verorndeten „Zitronenpresse“
Unter solchen Rahmenbedingungen also versuchte Dänzer durch rigoroses Sparen das Klinikum ohne Finanzbelastung für die Eigentümerin Stadt Mannheim zu führen. Im Gegensatz zu den meisten öffentlichen Kliniken war das Mannheimer Klinikum sogar schuldenfrei. Die Belegschaft geriet unter immer größeren Druck. Hauptsache, der Betrieb läuft – die Qualität muss notfalls zurückstecken. Diese Devise verfolgte nicht nur Dänzer in Mannheim. Ver.di hatte beispielsweise in einem dramatischen Aufschlag Alarm geschlagen: Bereits am 21.02.2013 titelte BILD Stuttgart: „Verdi klagt an! Krankenhäuser sparen immer mehr bei Reinigung | Hygiene-Alarm in unseren Kliniken (…) Die Gewerkschaft hat Beschäftigte von 15 städtischen und privaten Kliniken im Ländle befragt. Neben Reinigungskräften auch Pflegepersonal und Techniker. Das Ergebnis: Um die Arbeiten annähernd zufriedenstellend zu erledigen, fehlen rund 21.000 nichtärztliche Beschäftigte!“ Dass für Dänzer das Qualitätsrisiko schließlich zur zuschnappenden Falle wurde, begann mit einer anonym ins Klinikum beorderten Kontrolle durch das Regierungspräsidium. Diese war möglicherweise auf den damals offen tobenden Machtkampf zwischen Klinikum GmbH und Fakultät Heidelberg über die Finanzbeziehungen und Kontrollkompetenzen im Mannheimer Uniklinikum zurückzuführen. Es folgte eine von Professoren befeuerte bundesweite Pressekampagne gegen die Klinikum Mannheim GmbH.
Das eigentliche Risiko tragen Personal und Patient*innen
Aber nicht nur der Klinik-Manager hat in solcher Situation ein Risiko. Nein, die Patientinnen und Patienten tragen das größere Risiko für Leib und Leben bzw. sie tragen die Folgen von unzureichender Versorgung: Vom allgegenwärtigen Krankenhauskeim angefangen über ärztliche „Kunstfehler“ gestresster Ärzt*innen bis hin zu Pflegemängeln oder –fehlern durch überfordertes Pflegepersonal, welches oft nicht den erforderlichen Standard einhalten kann. Alle tragen das Risiko mangelhafter Infrastruktur. Das Personal leidet unter krankmachenden Arbeitsbedingungen. Diese führen dazu, dass z.B. die Verweildauer in den Pflegeberufen durchschnittlich weit unter 10 Jahren liegt. Das erschwert die Gewinnung von neuem Personal. Periodische Personalabbaumaßnahmen zum „Verlustabbau“ tun ihr Übriges.
All diese Gefahren für Patient*innen und Beschäftigte hat der Staatsanwalt außer Acht gelassen. Er hat also weit untertrieben. Und das Gericht hat die Rahmenbedingungen außer Acht gelassen und die festgestellten Unterlassungen des Managers nur auf „vorsätzlich“ oder „fahrlässig“ überprüft. Der Prozess gegen Alfred Dänzer hätte es verdient gehabt, von der Verteidigung als politischer Prozess angegangen zu werden. Der „Skandal“ war und ist nicht eine angebliche Fliege im steril verpackten OP-Besteck, sondern die Gesamtsituation in der klinischen Gesundheitsversorgung, die nun aufgrund der Anstrengungen des Personals vor dem Kollaps bewahrt wird und überwiegend trotz allem „gut funktioniert“. Und dieser Skandal besteht fort.
Einige Hintergründe der Situation an den Krankenhäusern und am Klinikum Mannheim
Bis 1997 war das Klinikum ein städtisches „Amt“ und Teil des Kommunalhaushalts. Jährlich wurden Verluste teilweise im zweistelligen Millionen-DM-Bereich erwirtschaftet und innerhalb des Kommunalhaushaltes ausgeglichen:
Quelle: Kommunalinfo Mannheim, August 1997
Die 80er und 90er Jahre waren bundesweit von Maßnahmen gekennzeichnet, die die Kosten der Krankenhausversorgung der Bevölkerung senken sollten. Es gab Wellen von Personal- und Bettenabbau. In Baden-Württemberg trat der Krankenhausbedarfsplan III zur Durchsetzung des Bettenabbaus in Kraft.
Ein einschneidender Systemwechsel in der Krankenhausfinanzierung war die Einführung der sog. Fallpauschalen (Diagnosis relatet Groups, DRG). Die Kassen mussten nicht mehr die real angefallenen Kosten über Pflegesätze ausgleichen, sondern die Kliniken mussten ihre Arbeit nach vorgegebenen und i.d.R. zu knappen Pausch-Beträgen für die unterschiedlichen Krankheitsbilder ausrichten. Damit wurde der „Sparzwang“ zum ausgefeilten System. Die Betriebswirtschaft dominiert seither.
1997 Wurde das Universitätsklinikum Mannheim auf Beschluss des Gemeinderats in eine (zunächst gemeinnützige) GmbH umgewandelt. Der damalige Solzialbürgermeister Pföhler (CDU) wechselte für fünf Jahre in die Geschäftsführung, Dänzer wurde sein Stellvertreter. Das Klinikum ist mit einem Ergebnisabführungs- (und Verlustübernahme-)Vertrag an die Stadt als 100%iger Eigentümerin gekoppelt.
Wie gewonnen, so zehnfach zerronnen
Seit dem „Hygiene-Skandal“ ist Schluss mit Gewinnen: der Umsatz brach ein, das Vertrauen der Bevölkerung verspielt, die Fixkosten liefen weiter; die Stadt muss Verluste ausgleichen, bis 2019 immerhin 78 Mio. EUR. Zusätzlich musste ein 60-Mio.-Bankkredit des Kinikums mit einer 100%igen Bürgschaft abgesichert werden.
(Ergebnisse in TEUR. Quelle: Stadt Mannheim, Beteiligungsberichte der entspr. Jahrgänge. )
Der inzwischen auch entlassene erste Nachfolger von Dänzer legte zusammen mit dem ärztlichen Direktor ein umfassendes Sanierungsprogramm auf. Er hatte jedoch offensichtlich eine massive Fehleinschätzung von der Bedeutung des pflegenden Personals. Er entließ den Pflegedirektor. Ein Proteststurm und ein regelrechter Exodus des Pflegepersonals waren die Folge. Nach Korrektur der Maßnahme können die Folgen nur schwer wieder aufgearbeitet werden. Die wirtschaftliche Basis des großen Hauses der Maximalversorgung soll durch Konzentration auf schwerwiegende Krankheiten und Unfälle gesichert werden, die mehr Deckungsbeiträge für die vorgehaltenen personellen und aufwändigen technischen Ressourcen erbringen sollen. Grundlegend aber wird die Errichtung eines großen und modernen OP- und Bettengebäudes sein. Die Substanz des in die Jahre gekommenen Klinikums ist einfach zu marode und die Klinik mit dem längsten Flur in Europa ist eine Einrichtung der langen Wege. Die halbe Milliarde für den Neubau können aber weder vom Klinikum noch von der Stadt erwirtschaftet werden. Die nun vom OB mit großem Rückhalt im Gemeinderat verfolgte Strategie, das Klinikum dem Land zu übertragen als Schwesterfakultät und –klinikum der Uniklinik Heidelberg, scheint in eine richtige Richtung zu weisen, nachdem die Mannheimer Krankenhausökonomie in der Realität angekommen ist. Die Fusionsbestrebungen zielen auch auf die Etablierung eines europaweit strahlenden Medizin- und Forschungsschwerpunktes ab, der durch das DKFZ in Heidelberg, das ZI in Mannheim und durch medizintechnische Forschungseinrichtungen abgerundet wird. Das klingt alles nachvollziehbar. Jedoch dürfen die Patient*innen in einem solchen Koloss nicht untergehen – ihre Interessen müssen die Grundlage bilden. Und ohne gute Arbeitsbedingungen für die tausende Beschäftigten wird eine gute Zukunft für das Klinikum in Mannheim nicht erreichbar sein. Das alles lehrt der „Kriminalfall“ Dänzer.
Thomas Trüper