Interview „Und morgen die ganze Welt“ – Was sagen hier aktive Antifaschist*innen zum Antifa-Film aus Mannheim?
„Und morgen die ganze Welt“ (UMDGW) ist ein Spielfilm, der seit Oktober 2020 (corona-bedingt bisher nur wenig) in den Kinos läuft und seit Mai auch über Netflix gestreamt werden kann. Aus zwei Gründen lohnt es sich, diesen Film im Kommunalinfo zu besprechen. Zum einen, weil er überwiegend in Mannheim gedreht wurde und zum anderen, weil es ein Film über eine linke Bewegung ist – genauer gesagt, über die linksradikale Antifa. KIM hat sich deshalb mit Aktiven vom Offenen Antifaschistischen Treffen Mannheim zum Interview verabredet, um den Film zu diskutieren und die Frage zu stellen, wie authentisch die Darstellung insgesamt ist.
Zunächst die Handlung in aller Kürze: Jura-Studentin Luisa politisiert sich neben ihrem Studium, knüpft Kontakte zur linken Szene und zieht in eine Polit-WG ein. Es ist die Zeit der brennenden Flüchtlingsunterkünfte und des Aufstiegs der AfD. In einem fiktiven Ort namens Hemsdorf, welcher stark an das reale Kandel erinnert, marschieren regelmäßig Nazis auf. Luisa will mehr machen, als nur demonstrieren und wird Teil einer militanten Antifa-Gruppe. Dies bringt einige Probleme mit sich. Nicht nur mit Neonazis, die brutale Methoden einsetzen, auch mit der Polizei gibt es zunehmend Konflikte.
Skepsis statt Vorfreude
Die ersten Infos zum Film sickerten schon vor den Dreharbeiten 2019 durch. Locations und Komparsen wurden gesucht und ein anfängliches Interesse am Film wich schnell großer Skepsis. Zurecht? Aus Nürnberg kam damals eine Warnung (siehe Stellungnahme des Projekt 31). Gerüchteweise gab es zahlreiche Absagen von linken Räumen, die nicht als Drehorte für den Film herhalten wollten. So kam es, dass die Ereignisse im fiktiven linken Zentrum “P81“ im alternativen Kulturprojekt Peer23 in Mannheim gedreht wurden. In der Realität befindet sich das Peer23 auf der Friesenheimer Insel. Für den Film wurde es im Jungbusch verortet. Warum? Vielleicht weil die städtischen Kreativwirtschaftfsförderer den hippen Jungbusch gerne zu Netflix bringen wollten? Egal. Im Film geht‘s nicht um Gentrifizierung, sondern um Antifa. Also zur Sache.
Anfang Juni ist KIM zum Interview verabredet. Wir bringen die Frage mit, wie nah der Film an der Realität dran ist. Die besten Methode, um dies heraus zu finden, wird es wohl sein, die unfreiwillige Vorlage für den Film zu befragen: Mannheimer Antifas, die seit Jahren gegen die AfD mobilisieren und nicht selten nach Kandel gefahren sind, um sich Naziaufmärschen entgegen zu stellen. Im JUZ Friedrich Dürr treffen wir einige vom Offenen Antifaschistischen Treffen, die sich dort gerade zum Banner malen verabredet haben. Der nächste Wahlkampf steht an. Während einige drinnen fleißig weiter pinseln, setzen wir uns draußen im Hof zum Interview zusammen.
Interview mit Antifas vom Offenen Antifaschistischen Treffen (OAT) Mannheim
KIM: Hallo in die Runde. Wollt ihr euch kurz vorstellen?
(Kleine Diskussion untereinander)
Max: Zunächst mal, wir sprechen für uns, aber wir sind alle regelmäßige Besucher*innen des OAT. Du kannst mich Max nennen.
Justus: Ich bin Justus. Ich hab den Film übrigens nicht gesehen.
Nadine: Ich bin Nadine.
Daniel: Daniel
KIM: Kurzes Stimmungsbild zum Film?
Max schildert, dass er einer derjenigen sei, die auch als Statist*innen im Film zu sehen sind und hat deswegen auch Erfahrungen aus den Dreharbeiten.
Max: Ich hatte eine kleine Statisten-Rolle. Ich fand den Film und die Dreharbeiten ganz witzig. Nach Isi & Ossi der zweite Film mit Mannheim-Bezug. (Alle lachen) Klar, viele Stereotypen, aber es wurde immer wieder der Nagel auf den Kopf getroffen.
Nadine: Ich fand ihn sehr unterhaltsam und nicht so schlimm, wie es hätte sein können. Es trifft nicht immer die Realität. Dann hätte der Plenumsanteil höher sein müssen.
Justus: Ich hab den Film zwar nicht gesehen, aber ich war im JUZ, als die vom Film das Projekt vorgestellt hatten, als sie noch Locations und Statisten gesucht hatten. Ich war schon skeptisch und bin froh, dass wir uns weitestgehend rausgehalten haben.
Daniel: Ich hatte es schlimmer erwartet. Viele Dokumentarfilme der letzten Jahre sind mehr gescheitert. Überwiegend fand ich ihn kurzweilig und unterhaltsam, etwas sprunghaft, aber das ist wohl der Dramaturgie geschuldet.
KIM: Schaut man als Antifa eigentlich Netflix?
Nadine: Ist das eine Fangfrage?
Max: Ich hab keinen Account, aber das hat nichts mit meiner politischen Einstellung zu tun.
Justus: Ich zahle nicht, sagen wir es mal so.
KIM: Der Film spielt im Peer23 im Jungbusch? Wir fandet ihr diese Konstruktion? (Eigentlich befindet sich das Peer23 auf der Friesenheimer Insel; Anm. d. Red.)
Nadine: Ich fand es ok.
Max: Ich auch. Für die Produktion war der Ort praktisch.
Justus: Ich weiß vom ASV (ein anderer linker Treffpunkt im Jungbusch, der auch als Drehort angefragt wurde; Anm. d. Red.), dass die den ganzen Laden umbauen wollten. Da hatte niemand Bock drauf.
KIM: Schauen wir mal auf die Handlung des Films. Polit-WG, Antifa-Vorträge, Szene-Partys, eine Demo gegen die AfD am Paradeplatz und dann müssen die Mannheimer*innen auch noch ins fiktive Kandel fahren. Wird da nicht eure eigene Geschichte verfilmt und hat man euch wenigstens mal gefragt?
Max: Nein. Das OAT wurde nur angefragt, ob man Transpis ausleihen kann. Das war aber ein schlechter Deal. Im Nachhinein hab ich mich gefragt, was hätten wir überhaupt erzählt, wenn wir gefragt worden wären. Ansonsten muss man aber sagen, dass war oft sehr „on point“, wie im Film die AfD oder auch Kandel dargestellt wurden.
KIM: Es hat sich niemand auf den Schlips getreten gefühlt?
Nadine: Ich fand‘s nicht schlimm.
KIM: Ihr bietet einmal im Monat das Offene Antifaschistische Treffen im JUZ an. Denkt ihr, der Film wird euch eher mehr Besucher*innen bringen oder die Leute verschrecken?
Nadine: Das kommt auf die Leute an. Kommen die Leute wegen der Vokü oder weil sie nach Kandel fahren wollen? Nach Corona kommen sowieso alle. (Alle lachen)
Daniel: Ich finde es schwer einzuschätzen. Keine Ahnung, wie der Effekt des Films abzuleiten ist.
Max: Es gibt immer wieder Wellen, wo sich neue Leute engagieren wollen. Zum Beispiel nach Chemnitz konnten wir das zahlenmäßig feststellen. Ich denke eher nicht, dass es einen Effekt durch den Film gibt.
Daniel: Ich glaube nicht, dass die Verbindung vom Film zum OAT Mannheim direkt genug ist.
Was ich aber bemerkenswert fand, dass im Film so ein großer Bogen gespannt wurde. Zuerst bringt ein Kommilitone einen dummen Spruch in einer Vorlesung, dann findet eine AfD-Wahlkampfveranstaltung statt und dann gibt es noch Nazis, die sich Sprengstoff beschaffen. Ich fand es bemerkenswert, dass diese drei Sachen als Teile eines großen Problems thematisiert wurden.
KIM: Vielleicht kommen wir mal zum Thema Militanz. Aus gut unterrichteten Kreisen wurde mir geflüstert, dass die Darstellung militanter Aktionen im Film gar nicht so unrealistisch ist. Autos kaputt machen und so weiter. Wird Militanz im Film realistisch dargestellt?
Nadine: Für mich war das alles zu impulsiv und zu spontan.
KIM: Aber sie planen es doch sehr genau.
Nadine: Aber vor Ort werden die Pläne über den Haufen geworfen. Leute werden mit reingezogen, ohne dass sie wissen, worauf sie sich einlassen.
Max: Ich denke, da musste ein filmisches Element geschaffen werden. Die Kurve vom ersten Plenum bis zum Zeitpunkt, als sie ein Gewehr in der Hand hat, ging doch sehr schnell. Das ist aus der Luft gegriffen.
Daniel: Ich denke, gerade die Szene, als sie sich umentscheiden, doch noch auf die Nazis zu warten und sie direkt anzugreifen, das ist konstruiert und hat wenig mit der Realität zu tun.
Justus: Dass Aktionen mal aus dem Ruder laufen, das gibt es schon. Vielleicht nicht auf dem Level, dass sich die Leute gleich bewaffnen.
KIM: Oft wird rechte und linke Gewalt gleich gesetzt. Wie geht der Film damit um? Worin seht ihr den Unterschied zwischen rechter Gewalt und linksradikaler Militanz.
Max: Da kann man viele Phrasen dreschen, wie die mit den brennenden Menschen und den brennenden Autos oder auf die Ergänzung von physischer Gewalt durch psychische Gewalt des Systems hinweisen. Auf den Film bezogen: Er macht das weder sehr gut, noch sehr schlecht.
Daniel: Ich habe im Film gar nicht die große Thematisierung von rechter und linker Gewalt im Vergleich gesehen, sondern eher die Diskussion innerhalb der Linken zum Für und Wider von Militanz, Gewalt und gewaltfreien Aktionen. Das finde ich auch eine bessere Alternative als das Fass mit „rechter und linker Gewalt“ aufzumachen.
KIM: Im Film belächelt die Figur Dietmar die Militanz der jungen Antifas. Dietmar, ein alter Militanter der 80er/90er Jahre mit Knasterfahrung sagt, dass Antifaschismus nur an der Oberfläche kratzt. Eigentlich müsste es „um‘s große Ganze“, sprich den Kapitalismus, und nicht „um so nen Kleinscheiß“ wie die Nazis gehen. Wie seht ihr das?
Max: Wir sind leider auch nicht vor der „früher-war-alles-besser-Mentalität“ gefeit. Gefühlt machen das aber nur sehr wenige. Vielleicht rechtfertigen manche damit, warum sie nicht mehr selbst aktiv sind? Seit 2003 macht das OAT seine Arbeit über verschiedene Generationen, die es an neue Leute weiter gegeben haben. Ich glaube nicht, dass unsere Arbeit zu kleinteilig ist. Ich glaube, sie ist super wichtig, auch wenn es nicht immer um‘s große Ganze geht.
Daniel: Das ist keine Debatte, die bei uns stattfindet. Ich glaube, der Rauch der RAF hat sich gelegt. Aus der Person Dietmar spricht auch die Resignation. Die Debatten haben sich in 30, 40 Jahren verändert. Es gibt neue Herausforderungen.
Nadine: Es gibt verschiedene Arbeitsbereiche. Man kann nicht alles behandeln. Wir sind spezialisiert und wollen unsere Arbeit gut machen.
Justus: Es gab immer mal wieder Vorträge, wo Leute von früher erzählen. Klar, es war ne andere Zeit. Repression hat sich verändert. Als es früher noch kein BFE gab und die Streifenbullen zu den Demos gestellt haben, konnte man natürlich anders agieren. Aber ich fühle mich von den alten Geschichten nicht angegriffen. Manche aber schon.
KIM: Ich habe mal auf der Webseite des Films gestöbert. In einem didaktischen Begleitheft zum Film, wird Lehrer*innen ein Komplettprogramm für den Unterricht angeboten. Es geht um‘s Grundgesetz, um das Strafgesetzbuch und auch um den „Extremismus“. Was meint ihr dazu? Kann Schule das Thema gut behandeln?
Max: Das ist sehr von der Lehrperson abhängig. Ich glaube schon, dass manche Lehrer*innen Inhalte gut vermitteln können. Man kann aber auch viel falsch machen und gleich mit dem Hufeisen und der Extremismuskeule kommen.
Daniel: Ich bin mir nicht sicher, ob Lehrkräfte, die dazu ein didaktisches Begleitheft brauchen, diesen Film thematisieren sollten.
Justus: Was ich so aus PHs mitbekommen habe, wäre es mir lieber, wenn der Film nicht im Unterricht gezeigt werden würde.
Nadine: Ich kann mir das schon gut vorstellen. Antifa-Arbeit besteht ganz viel aus Bildung und Aufklärung. Es ist nur die Frage was das Ziel im Unterricht ist: „Antifaschismus verstehen“ oder „Was tun gegen linke Gewalt“?
KIM: Zum Abschluss unseres Interviews der Reality-Check: Wie nah ist UMDGW an der echten Antifa dran – auf einer Skala von 1 bis 10?
Nadine: Schwierig, weil es nicht „die Szene“ gibt. Es könnte schon solch eine Antifa irgendwo geben.
Daniel: Der Film versucht in wenigen Personen ein riesiges Spektrum darzustellen. Dadurch geht auch viel verloren. Durch die starke Komprimierung ist es kein super-realistisches Bild. Ich sage 6-7 von 10.
Max: Ich hätte auch 6 gesagt. Auf der einen Seite: Gut gemeint ist nicht immer gut gemacht. Mich würde mal interessieren, was eigentlich das Zielpublikum ist. Aber wie Nadine schon meinte, solche Leute, wie im Film, wird es sicher irgendwo geben.
Nadine: Ich würde auch 7 sagen.
Justus: Ich muss mich enthalten. Aber nach dem Medienecho zum Film hätte ich eher mit einer 3er oder 4er Wertung gerechnet.
KIM: Vielen Dank für eure Einschätzungen zum Film und weiterhin viel Erfolg bei eurer Arbeit!
Der Film „Und morgen die ganze Welt“ erscheint beim Alamode Filmverleih auf DVD/BLU-RAY, über verschiedene Video-On-Demand Dienste und bei Netflix. Außerdem wird er mit Wiedereröffnung der Kultureinrichtungen nach dem Lockdown sicher auch noch in dem einen oder anderen Kino zu sehen sein.
Das Interview wurde Anfang Juni 2021 im JUZ Friedrich Dürr Mannheim geführt und erscheint aus Platzgründen in einer leicht gekürzten Form. Nach Rücksprache mit den Interviewten wurde es an einigen Stellen überarbeitet. (cki)
Bilder: Offenenes Antifaschistisches Treffen Mannheim, Alamode Filmverleih / Oliver Wolff und Archivbilder KIM.
Links:
„Und morgen die ganze Welt“ Offizielle Webseite zum Film
Der Film beim Alamode Filmverleih
Offenes Antifaschistisches Treffen Mannheim