Welche Konsequenzen sind aus der Mietpreisentwicklung (nicht nur) in der Neckarstadt-West zu ziehen?
Eine Anfrage der LI.PAR.Tie. und die amtlichen Zahlen
Seit es in der Neckarstadt-West die Lokale Stadtentwicklung (LOS) als kommunale Querschnittsaufgabe gibt (2017) und seitdem der Stadtteil fast vollständig Sanierungsgebiet im Sinne des Baugesetzbuches ist, (2018), gibt es in Teilen der gentrifizierungskritischen Bewegung (insbesondere Offenes Stadtteiltreffen OST) folgende Vermutung: Durch die angestrebte koordinierte Verbesserung der Lebens- , Wohn- und Bildungsbedingungen, durch Zurückdrängung nicht gewünschter Gewerbe wie Spielsalons und Wettbüros und eine Stärkung vielfältigeren Handels und z.B. der Kreativwirtschaft steige vor allem die Attraktivität für Wohlhabende. Im Laufe der Zeit würden die bisherigen finanziell weniger gut bis schlecht gestellten Bewohner:innen verdrängt. Diese Vermutung wird genährt durch die Beobachtung, dass ein Mannheimer Immobilienunternehmen (Hildebrandt & Hees) in großem Stil Häuser in der Neckarstadt-West (wie zuvor schon im Jungbusch) aufkauft und schrittweise so saniert und modernisiert, dass die Mieten durch die Modernisierungsumlage für die bisherigen Mieter:innen nicht mehr bezahlbar sind. Diese Mieter:innen würden deshalb schrittweise aus dem Stadtteil verdrängt. Das zahlungskräftige Publikum übernehme diese Mietwohnungen gern, wenn das Umfeld stimmt. Der Prozess werde verstärkt und bewusst intendiert durch die städtebaulichen und Infratrukturmaßnahmen der LOS.
Die Fraktion LI.PAR.Tie. im Mannheimer Gemeinderat hat diese Diskussionen zum Anlass genommen, mittels einer Anfrage (A573/2021) die Verwaltung nach belastbaren Zahlen über die jüngere Miet- und Immobilienkaufpreisentwicklung in dem Stadtteil zu befragen:
„Die Verwaltung möge berichten:
- Wie haben sich die Bodenrichtwerte in den vergangenen zehn Jahren in der Neckarstadt-West entwickelt?
- Wie haben sich die Preise für Grund und Boden sowie für Immobilien auf bebauten Grundstücken in der Neckarstadt-West in diesem Zeitraum entwickelt?
- Wie haben sich die Mietpreise für Wohnen und Gewerbe in der Neckarstadt-West in diesem Zeitraum entwickelt?
- Gibt es eine Evaluation der Preisentwicklungen (Bodenrichtwerte, Grundstückspreise, Mietpreise) im Vergleich unsanierter und sanierter Immobilien?“
Spuren der Bodenspekulation
Die Antwort der Verwaltung liegt nun mit Datum 16.3.22 als Informationsvorlage V142/2022 vor.
Die Bodenrichtwerte haben sich demnach in den Jahren 2010 bis 2020 für Wohnbauland um ca. 65% erhöht.
Zur Frage 2 ergibt sich folgendes Bild: Die Immobilienpreise für Mehrfamilienhäuser der Baujahre 1951-1991 und Mischgrundstücke mit weniger als 50% gewerblichem Anteil sind in der Zeitspanne um 135% gestiegen. Die Kaufpreise für wiederverkaufte Eigentumswohnungen von 46-70m² stiegen um 177% bzw. für Apartments von bis zu 45m² sogar um 201%, wie folgende Grafik zeigt:
Man sieht ein deutliches Anziehen der Preise ab 2014, das sich ab 2017/2018 nochmals verschärft. Inwiefern die Wirkung bzw. Verheißungen der LOS in diesen Kaufpreisen vorweggenommen sind, lässt sich nicht eindeutig bestimmen. Diese Preisentwicklung müsste mit anderen Stadtteilen verglichen werden, in denen es keine Sanierungsdynamik gibt. Außerdem ist der Prozess eingebettet in die bundesweite rasante Zunahme der Immobilienpreise in Groß- und Universitätsstädten. Man könnte allenfalls spekulieren: Wenn die Neckarstadt-West weiterhin verrotten und bildungsmäßig absinken würde, könnten die Immobilienpreise dort wahrscheinlich beim allgemeinen Trend nicht mithalten. Dies „Verrottenlassen“ wäre allerdings als Stadtentwicklungs- und mietenpolitisches Ziel verwerflich.
Der Handel mit Wohnhäusern ist schwunghaft – die Stadt muss aktiver eingreifen! Sondervermögen “Nachhaltig preisgünstiges und ökologisches Wohnen”!
Interessant ist die Zahl der zugrundeliegenden Verkaufsfälle von ganzen Mehrfamilienhäusern zwischen 2010 und 2020: Es sind 265 Eigentumswechsel. Die Firma H&H (s.o.) wäre somit Stand 2022 zu ca. 10% an den Transaktionen beteiligt, die GBG etwa an 5%. Ein erheblicher Teil der Hausverkäufe spielt sich offenkundig zwischen den Privateigentümer:innen und Kleininvestor:innen ab. Dafür sprechen auch die Bauherren-Hinweise auf sehr vielen „Rote-Punkt-Schildern“ mit der Baugenehmigung: Es handelt sich häufig um migrantische Investor:innen, die höchstwahrscheinlich in der Neckarstadt-West oder ähnlichen Milieus leben.
Es drängt sich mit Macht die Forderung auf, die Stadt müsse so oft wie nur möglich, von ihrem Vorkaufsrecht Gebrauch machen. Wenn die Stadt und ihre GBG wenigstens die Hälfte der zum Verkauf angestandenen 265 Häuser selbst gekauft hätten – was für die Mieter:innen wünschenswert gewesen wäre -, wären dafür grob geschätzt so ca. 250 Mio. Euro und vielleicht 60 Mio. Sanierungsaufwand erforderlich gewesen. Hierin zeigt sich die eigentliche politische Problemlage: Wie und mit welchen Kräften kommt man in dieser Stadt zu einem solchen Investitions-Kraftakt und wie kommt die Stadt zur Überwindung der zukunftsfeindlichen Null-Nettoneuverschuldungs-Doktrin? Und Investitionen in energetisch sanierte und trotzdem auf Dauer bezahlbar bleibende Bestandsmietwohnungen sind nur ein Teil der investiven Zukunftsaufgaben! Der Neubaubereich v.a. auf den Konversionsgeländen ist ein weiterer Teil. Hier ist festzustellen, dass zwar die 30%-Quote wirkt. Die Bestandshalter werden allerdings weit überwiegend keine gemeinwohlorientierten sein. Hier müsste v.a. die GBG den Projektenwicklern möglichst viele Häuser abkaufen – ein weiteres Investitionsunterfangen im dreistelligen Millionen-Bereich. Hier müsste die Stadt ein Sondervermögen “Nachhaltig preisgünstiges und ökologisches Wohnen” auf die Beine stellen. Diese Notwendigkeit wird in Mannheim bisher allerdings keineswegs so gesehen. Daneben stehen dann ja auch noch die massiven Infrastruktur-, Verkehrs-, Bildungs- und Kulturinvestitionen, die dreistellige Millionenbeträge erfordern, für die aber die Finanzplanungsnotwendigkeit anerkannt ist.
Die Mietpreise folgen den Immobilien-Kaufpreisen
Zur Wohnungs-Mietpreisentwicklung in der Neckarstadt-West (Frage 3) bietet die Antwort der Verwaltung eine Grafik, die jedoch unzureichend formatiert ist. Wir zeigen ersatzweise eine gleichgeartete Grafik aus dem Wohnungsmarktmonitoring 2020:
Die untere Linie zeigt die Entwicklung in der Neckarstadt-West, die obere diejenige in der Gesamtstadt. Der Stadtteil ist seit 2010 eher etwas zurückgefallen, zeigt aber letztlich die in der ganzen Stadt wirkende Mietpreisdynamik. Die durchschnittlichen Angebotspreise haben sich in der Neckarstadt-West in dem gezeigten Zweitraum um 38,6%, in der Gesamtstadt um 44,7% erhöht. Eine unerträgliche Situation insgesamt, wenn man die Entwicklung der Einkommen dagegenhält – erst recht, wenn man die gerade stattfindende Explosion der „zweiten Mieten“, der Energie- und sonstigen Nebenkosten in Rechnung stellt.
Zur Frage 4 über Preisunterschiede von sanierten und noch nicht sanierten Immobilien kann die Stadt keine Aussage machen, weil ihr die Daten hierzu fehlen. Rein logisch sind unsanierte Häuser billiger als sanierte; und auch in den Mieten wird sich dies niederschlagen. Bei 85% sanierungsbedürftiger Bausubstanz in der Neckarstdt-West müssen die Häuser jedoch über kurz oder lang saniert und modernisiert werden, schon aus ökologischen Gründen. Und wenn ein saniertes oder zu sanierendes Haus verkauft / gekauft wird, ist es für die Mieter*innen am Ende gleichgültig, oder der Verkäufer saniert hat oder der Käufer. Für die Mieter:innen ist es am Ende nur eines: teuer! Binnen 11 Jahren zahlt der Mieter dem Vermieter den gesamten Aufwand in Form eines Modernisierungsaufschlags, der nicht durch den Mietspiegel begrenzt ist. Und danach muss er weiter eine nun grundlos überteuerte Miete zahlen. Unfair!
Zusammenfassend muss man aus den Auskünften der Stadtverwaltung mindestens vier Schlussfolgerungen ziehen, nämlich
1. dass vor allem das Mietrecht (Bundesgesetz) über die Gestaltung von Mietpreisen und Modernisierungsaufschlägen dringend geändert werden muss: Deckelung und Splitting zwischen öffentlicher Hand, Vermieter und Mieter!
2. dass die öffentliche Hand bis hinab zur Kommune sehr viel mehr Geld in die Hand nehmen muss, damit ausreichend Wohnungen nachhaltig in gemeinwohlorientierte Trägerschaft kommen, damit auch Menschen, die nur über ein schlechtes Einkommen verfügen, die Chance zu dauerhaft bezahlbarem Wohnen bei Non-Profit-Vermietern erhalten und nicht der Teuerungswucht des “freien Marktes” ausgesetzt sind;
3. dass die Kommunen ein generelles Vorkaufsrecht zum Bodenrichtwert erhalten müssen;
4. dass die Einkommen so gestaltet werden müssen, dass Menschen, die dafür hart arbeiten oder die es aus diversen Gründen „vom Amt“ erhalten, die gedeckelten Mietpreise auch stemmen können: höhere Mindestlöhne, ausreichende Grundsicherung!
(Thomas Trüper)