Clearingstelle für Menschen ohne Krankenversicherung
Die Fraktion LI.PAR.Tie. im Mannheimer Gemeinderat richtet an die Verwaltung eine Anfrage zu einem gar nicht so seltenen Elends-Problem:
Welche Maßnahmen sind durch die Stadtverwaltung geplant, um Menschen ohne Krankenversicherung Perspektiven zur Aufnahme in das Krankenversicherungs-Regelsystem aufzuzeigen?
Begründung:
Trotz Krankenversicherungspflicht sind auch in Mannheim zahlreiche Menschen ohne Zugang zu angemessener Gesundheitsversorgung. Diese Gruppe ist heterogen, betroffen sind z.B. EU-Bürger*innen, geflüchtete und wohnsitzlose Menschen, aber auch ehemalige Selbständige. Wie wichtig ein intaktes Gesundheitssystem ist, zeigte sich deutlich während der Corona-Pandemie. Der Deutsche Städtetag erkennt in dem ungeklärten Krankenversicherungsschutz vieler Menschen eine Belastung für die Kommunen und sieht die Verantwortung zur Klärung hauptsächlich bei den Krankenkassen. Unabhängig davon stellt er fest, dass „… die an mehreren Standorten erprobten Clearingstellen Gesundheit über das primär zuständige Regelsystem hinaus eine sinnvolle Ergänzung“ sind.
Nachfragen der Fraktion LI.PAR.Tie. bei der Malteser Migrantenmedizin für Menschen ohne Krankenversicherung (MMM) über die Inanspruchnahme der dort geleisteten ehrenamtlichen medizinischen Versorgung wurden wie folgt beantwortet:
2020: Insgesamt 317 Patient*innen in 861 Behandlungen, davon 10 % Deutsche (überwiegend ehemals Selbständige) 5 % Europa (ohne EU), 9 % Asien, 61 % EU ohne Deutschland, 13 % Afrika, 2 % ohne Angaben.
2021: Insgesamt 294 Patient*innen in 830 Behandlungen; 71 % stammen aus nur fünf Ländern (Bulgarien, Deutschland, Vietnam, Libyen, Rumänien); 27 % stammen aus 31 Ländern und vier Kontinenten.
Aussagen zu Anträgen auf Kostenerstattung der Kliniken für 2018/2019 stammen von der Stadtverwaltung in ihrer Stellungnahme zur Anfrage A014/2020 der LI.PAR.Tie. Es ist nicht davon auszugehen, dass diese sich verringert haben. Hinzu kommt eine Dunkelziffer von Behandlungen in Kliniken, die den Verwaltungsaufwand für nicht selten erfolglose Erstattungsanträge scheuen und die ehrenamtlichen Behandlungen bei einigen niedergelassenen Ärzt*innen.
Eine Clearingstelle ist eine feste Anlaufstelle mit regelmäßigen Sprechstunden, in der fachkundige Sozialarbeiter*innen, Jurist*innen und ggfs. Kulturdolmetscher*innen die Betroffenen unter Berücksichtigung der individuellen, sozialrechtlichen Herausforderungen beraten. Die Etablierung einer solchen Clearingstelle als zeitlich befristetes Pilotprojekt mit anschließender Evaluation und Dokumentation könnte hier Abhilfe schaffen. Sinnvoll ist es, diese Sprechstunden dort anzubieten, wohin sich die Betroffenen schon jetzt wenden, z.B. bei der MMM. Dazu braucht es entsprechende finanzielle und personelle Ressourcen.
In sehr vielen deutschen Städten gibt es Clearingstellen, von unterschiedlichen Trägern geführt und finanziert durch Landeszuschüsse, Spenden und Finanzmittel der jeweiligen Kommunen. Beispiele: Münster, München, Berlin, Bremen, Hamburg. Im Februar 2021 startete beim Gesundheitsamt Frankfurt ein auf zwei Jahre angelegtes Pilotprojekt. Die anfallenden Personalkosten werden durch das Jugend- und Sozialamt Frankfurt getragen. Zunächst einmal wöchentlich werden offene Sprechstunden angeboten. Bis Juli 2021 wurden 62 Personen in 93 Konsultationen beraten; etwa ein Drittel der Fälle konnte erfolgreich abgeschlossen werden, in der Regel durch Aufnahme in die Gesetzliche Krankenversicherung.