Berufsverbot-Betroffene verlangen Wiedergutmachung: Die Landesregierung kann sich nicht länger drücken!
Am 28. Januar wurde der „Radikalenerlass“ 50 Jahre alt. Bundesweit gab es über 90 Presseartikel und 70 Veranstaltungen. Die ARD zeigte eine 45-minütige Dokumentation des Filmemachers Hermann Abmayr und berichtete in „Panorama“. Im Frühjahr wurde eine 684-seitige Studie eines Forschungsteams der Universität Heidelberg zu den Auswirkungen des Erlasses veröffentlicht: „Es war eine Hexenjagd gegenüber jungen Menschen, denen Verfassungsfeindlichkeit unterstellt wurde.“ Die „Süddeutsche Zeitung“ sprach „von einem der folgenreichsten Desaster in der Geschichte der Bundesrepublik“.
In Baden-Württemberg erfolgten von 1973 bis 1990 im Zuge der hiesigen „Schiess-Erlass“ 695.674 „Regelanfragen“ beim Inlandsgeheimdienst („Verfassungsschutz“). Offiziell gab es rund 300 Nicht-Einstellungen und Entlassungen aus dem öffentlichen Dienst. Die Dunkelziffer ist hoch. Betroffen waren zu 97 Prozent politisch linksgerichtete Menschen.
Die Berufsverbote verstießen gegen Grundrechte, Meinungs- und Organisationsfreiheit. Sie waren kollektives Unrecht und gemäß der zitierten Studie ein Verstoß gegen Kernnormen der ILO (Internationale Arbeitsorganisation), somit völkerrechtswidrig. Während Betroffene bis heute um Rehabilitierung kämpfen, steht in Brandenburg – unter dem Vorwand „gegen rechts“ vorzugehen – im ersten Bundesland wieder ein neues „Radikalen-Gesetz“ vor der Verabschiedung („Verfassungstreue-Check“ im öffentlichen Dienst, siehe Rückseite).
Beschlüsse zur Rehabilitierung der Betroffenen haben vier Landtage gefasst. Die „Süddeutsche Zeitung“ fragt, ob Ministerpräsident Kretschmann auf eine „biologische Lösung“ abziele. Elf Jahre hatte er eine Wiedergutmachung unter Verweis auf „fehlende Forschung“ verweigert. Bezogen auf die Studie erklärte er nun am 1. Juli in der „Stuttgarter Zeitung“: „Ich werde entscheiden, wie wir weiter mit dem Thema umgehen.“
Damit konfrontiert, die Studie liege seit längerem vor, antwortete er am 14. Juli: „Meine Zeit und die der Ministerien ist begrenzt. Ich habe gerade sehr, sehr große Probleme zu lösen, Stichwort Gaskrise. Die Betroffenen hatten schon lange Geduld. Und jetzt müssen sie sich halt noch mal gedulden.“ Die an Ignoranz kaum zu überbietende Stellungnahme hat die Sprecherin des Staatsministeriums in der „Rhein-Neckar-Zeitung“ vom 30. September wiederholt: „In der aktuellen Situation gibt es Fragen von akuter Dringlichkeit, die diesem Thema vorgelagert sind.“
Die Betroffenen haben das ewige Verschleppen satt. Viele haben rund 1.000 € weniger Rente im Monat, einige nur Armutsrenten um 600 € brutto. Entsprechende finanzielle Ausgleichsbeträge könnten aus einem Fonds gezahlt werden. Das Land müsste dafür nur einen mittleren einstelligen Millionen-Eurobetrag zur Verfügung stellen (einmalig 0,1 Promille eines Jahreshaushalts).
DGB, GEW, ver.di und IG Metall unterstützen die Betroffenen und ihre Forderungen. Die SPD-Fraktion hat im Landtag eine Anfrage zur wissenschaftlichen Studie eingebracht. Im Ständigen Ausschuss des Landtags wurde sie mehrfach beraten. Ein Antrag der SPD-Mitglieder, sich „bei den Betroffenen zu entschuldigen“ und „erlittenes Unrecht finanziell angemessen zu kompensieren“, erhielt jedoch am 29. September im Ausschuss keine Mehrheit. Die „Initiativgruppe Baden-Württemberg gegen Radikalenerlass und Berufsverbote“ führt daher anlässlich einer am 26. Oktober anstehenden Landtagssitzung in Stuttgart eine Kundgebung vor der Oper auf dem Großen Schlossplatz durch.
Kundgebung
Berufsverbot-Betroffene endlich rehabilitieren und entschädigen!
Mittwoch, 26. Oktober 2022, um 17 Uhr in Stuttgart vor der Oper, Großer Schlossplatz
Es sprechen: Kai Burmeister (DGB-Vorsitzender Baden-Württemberg) und Betroffene: Sigrid Altherr-König (Esslingen), Martin Hornung (Heidelberg