SEK-Einsatz gegen vier Mitglieder einer Jugend-Delegation aus Westafrika
Mannheim, 3.5.23. Wenn man den inzwischen auch über die Presse bekannt gemachten Vorgang von seinem Ende her betrachtet, so bleiben einem nur Entsetzen und Scham. Und wieder einmal die Feststellung: Hier offenbarte sich ein ganz offensichtlich rassistisch motiviertes Vorgehen von Polizeikräften, welches vier junge Männer zu Tode erschreckte und ernsthaft traumatisierte. Für alle, denen am internationalem Jugendaustausch im Rahmen der „UN-Dekade für Menschen afrikanischer Herkunft“ und an sicherem Aufenthalt auch afrikanischer Gäste in Deutschland und auch in Mannheim liegt, stellt es eine unerhörte Peinlichkeit dar. Ein Schock für alle, die für universelle Menschenrechte und respektvollen Umgang aller Menschen untereinander eintreten.
Was ist am 27.4. geschehen und wie entwickelte sich das Drama von vorne?
Auf Einladung der Black Academy in Mannheim und mit Unterstützung des Goehte-Instituts und des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung traf in Mannheim vor drei Wochen eine achtköpfige Delegation aus westafrikanischen Staaten ein, vier jungen Frauen und vier Männer. Sie alle sind in ihren Heimatländern als Umweltaktivist:innen tätig; sie arbeiteten in Mannheim an Projekten zum Klimawandel und zur Sichtbarkeit schwarzer Aktivist:innen. Sie trugen ihre Arbeitsergebnisse in der vergangenen Woche auch dem Oberbürgermeister voller Enthusiasmus vor.
Die vier jungen Männer waren in den drei Wochen in einer Wohnung in Käfertal untergebracht, die seit mehr als einem Jahr als Büro- und Aufenthaltsräume von dem einladenden Verein angemietet war. Unglücklicherweise erwies sich jetzt der Untervermieter als ein von der Polizei Verdächtigter aus dem Drogen- und Waffenmilieu. „Nach intensiven Ermittlungen“ sollte dieser der Polizei zufolge zusammen mit einem anderen ebenfalls verdächtigten Mann am 27.4. früh morgens in seiner Wohnung festgenommen werden. Dazu seien zwei richterliche Durchsuchungsbeschlüsse vorgelegen. Da es Hinweise auf eine Bewaffnung der beiden Gesuchten gegeben habe, sei das Spezialeinsatzkommando (SEK) hinzugezogen worden.
Dieses stürmte die Wohnung. Nach Aussage einer Zeugin war die Wohnung zweigeteilt. Der eine Teil sei von dem Untervermieter bewohnt gewesen. Das SEK brach die verschlossene Verbindungstür zum anderen Wohnungsteil auf. Was dann geschah, wird von der Polizei gänzlich anders dargestellt als von Personen, die nach dem Einsatz mit den Betroffenen sprechen konnten. (Diese sind inzwischen wieder in ihre Heimatstaaten zurückgekehrt). Die Polizei behauptet: „Beim schlagartigen Betreten der Wohnung der Beschuldigten in den frühen Morgenstunden über den Haupteingang, verließen vier Männer die Wohnung über die Terrassentür auf der Gebäuderückseite. Aufgrund ihres Aufenthaltes in der Wohnung der Beschuldigten und des fluchtartigen Verlassens der Wohnung bei Eintreffen der Polizei, wurden sie angehalten und einer Kontrolle unterzogen.“
Nach Darstellung der Betroffenen seien sie in ihren Betten überrascht worden und hätten angesichts der Vermummung und schweren Bewaffnung der SEK-Beamt:innen, die sie überhaupt nicht einordnen konnten, Todesangst gelitten. Sie seien aufgefordert worden, sofort die Wohnung durch den Vorderausgang zu verlassen. Die Betroffenen seien in ihrer Nachtwäsche, teils sogar barfuß, den Blicken von Passant:innen ausgesetzt gewesen und hätten sehr gefroren. Sie seien mit Kabelbindern schmerzhaft, teils blutig gefesselt worden und hätten sich auf den Boden legen müssen.
Auch nach Rückfrage von Kommunalinfo bei der Polizei beharrt die Stabsstelle: „Die betroffenen Personen wurden nicht im Zimmer sondern beim Verlassen des Gebäudes auf der Gebäuderückseite bei Eintreffen der Polizeibeamtinnen und -beamten festgestellt. Ihnen wurde aus ihrem Zimmer weitere Kleidung gebracht und sie konnten sich witterungsentsprechend kleiden.“ Die Polizei bestätigt, dass die jungen Leute den Grund ihres Aufenthalts in Mannheim dargelegt hätten. Sie selbst sagten zudem, sie hätten sofort und unaufgefordert ihre Pässe vorgezeigt.
Dieser Widerspruch könnte gelöst werden, wenn die Polizeibeamt:innen Bodycams getragen und eingeschaltet hätten. Ob dies der Fall war, konnte bzw. wollte spontan von der Pressestelle der Polizei nicht beantwortet werden. Dass der Oberbürgeremeister – er hatte die jungen Leute am Folgetag erneut ins Rathaus eingeladen und lange Zeit mit ihnen gesprochen – durch die Schilderungen der Betroffenen zutiefst erschüttert war und sich genötigt sah, sich bei ihnen für das schlimme Erleben in Mannheim zu entschuldigen, ohne dafür Verantwortung zu tragen, veranlasst die Mannheimer Polizei offenbar nicht, Beweise vorzulegen, die irgend jemanden von der Korrektheit ihrer Version überzeugen könnten. Wie in vielen vorangegangenen Fällen, muss man auch hier davon ausgehen, dass Bodycams nicht eingeschaltet waren, auch nicht außerhalb der Wohnung.
Die Informationspolitik der Polizei wirft im Übrigen massive Fragen auf. Fünf Tage schweigt sie – angeblich, um laufende Ermittlungen nicht zu gefährden. Erst als immer mehr durchsickert und bis aus Berlin Fragen gestellt werden, gibt die Polizei eine äußert lückenhafte Erklärung heraus. Heute, am 3. Mai, wird die ganze Republik zum Zeugen gemacht, wie im Falle einer Groß-Razzia ebenfalls im Waffen- und und Drogenmilieu, in den frühen Morgenstunden in sieben europäischen Ländern und fünf Bundesländern mutmaßliche Mitglieder der `Ndragheta in Handschellen und warm gekleidet aus ihren Wohnhäusern abgeführt und in Autos gesetzt werden, vor laufenden Fernsehkameras. Gefährdung der Ermittlungen?
Wer derart informiert wie das Polizeipräsidium in Mannheim, setzt sich dem sehr starken Verdacht aus, etwas verbergen zu wollen und eine Legende zu bilden. Denn plausibel ist es nicht, warum die vollkommen überrumpelten jungen Menschen aus Afrika, die mit ihrem Kopf nicht beim Thema Kriminalität sondern bei umweltpolitischer Vernetzung waren, eine angeblich falsche Erzählung aus dem Hut zaubern sollten. Die Polizei begründet ihr Vorgehen mit dem Umstand, dass in der für sie vollständig unerwarteten Situation angesichts von vier Schwarzen natürlich auch diese Anlass gegeben hätten, auf Drogen und Waffen untersucht zu werden. Schwarze und Dealer – das ist für viele Polizeibeamt:innen ein Synonym. Selbst wenn man eine Vernehmung der unerwartet Vorgefundenen noch zugesteht – die nachfolgende Behandlung der kooperationsbereiten jungen Männer, die sie als vollkommen entwürdigend erlebten, ist inakzeptabel und menschenverachtend, offenkundig schwarze Menschen verachtend. Das racial profiling, welches Deutsche und Nichtdeutsche schwarzer oder dunkler Hautfarbe immer wieder anlasslos und unbegründet auf unseren Straßen erleben müssen, trägt den selben Fußabdruck.
Das Vorgehen der Mannheimer Polizei samt des unterstützenden SEK bedarf dringend der umfassenden Aufklärung. Im Ausschuss für Sicherheit unter Leitung des Mannheimer OB-Kandidaten Christian Specht (CDU), u.a. Sicherheitsdezernent, war gestern keinerlei Beitrag in diese Richtung von Polizei oder dem Dezernenten zu hören. Die Stadträt:innen waren empört, ohne Vorinformation in diese Sitzung zu kommen und forderten ebenfalls Klarheit.
Auch wenn die Betroffenen wieder zurück in Afrika sind – ihre erniedrigende Behandlung muss lückenlos aufgeklärt werden. Das schon wieder oder weiter ramponierte Vertrauen in die Polizei kann nur wieder aufgebaut werden durch systematische Unterbindung rassistischer Tendenzen und Netzwerke innerhalb der Polizei – wahrlich kein neues Thema, aber immer wieder, so auch in diesem Fall, von der Polizei weit von sich gewiesen.
Thomas Trüper