75 Jahre Israel: Freudenkundgebung und Gedenkveranstaltung in Mannheim aus sehr unterschiedlicher Sicht
Sonntag, 21. Mai, Paradeplatz: Die Deutsch-Israelische Gesellschaft (DIG) hält ab 15 Uhr eine Versammlung ab mit Informationsstand und Reden zur Feier der israelischen Staatsgründung am 14.05.1948. Ca. 80 Personen nehmen teil, darunter viele Mitglieder der jüdischen Gemeinde. Hauptredner ist Patrick Baumgärtner, vom Jungen Forum DIG Heidelberg. Vor der Veranstaltung fand aus gleichem Anlass eine Versammlung im jüdischen Gemeindezentrum statt.
Kapuzienerplanken: Gleichzeitig findet hier eine Kundgebung von Free Palestine und Nahostgruppe Mannheim statt. Eine Ausstellung des Vereins Flüchtlingskinder im Libanon e.V. ist zu sehen. Auf der Kundgebung gibt es Reden der Nahostgruppe Mannheim, von Dr. Shir Hever (Mitglied der Jüdischen Stimme für gerechten Frieden in Nahost), sowie von Free Palestine Mannheim. Außerdem werden zwei Briefe von Dr. Abed Schokry, Professor für Ingenieurwissenschafen an der Islamischen Universität von Gaza vom 9. und 10.Mai. 23 über die aktuelle Situation im Gazastreifen verlesen. Anschließend gibt es eine Demonstration auf einem Rundkurs von den Kapuzinerplanken zum Wasserturm und zurück auf den Planken über O2/O3 und Kunststraße. Es nehmen nach Polizeiangaben 130 Personen teil. Insgesamt seien es nach Angaben der Veranstalter:innen über die ganze Zeit ca. 250 gewesen, darunter Mitglieder von Kirchengemeinden und von Amnesty International.
Die größte „Teilnehmerzahl“ freilich weist die Polizei auf: lt. MM 300. Sie gewährte Mitgliedern der Jüdischen Gemeinde auf ihrem Weg von ihrem Gemeindezentrum zum Paradeplatz Personenschutz und sie trennt vor allem die Demonstration von Free Palestine bei O2 von der Kundgebung der DIG auf dem Paradeplatz bis auf Hörweite. Die Planken bzw. die Kunststraße werden zwischenzeitlich an der „Demarkationslinie“ selbst für einzelne Fußgänger:innen gesperrt, bis die kleine Demonstration den Schwenk von den Planken auf die Kunststraße ohne direkten Kontakt mit der DIG-Kundgebung vollzogen hat. Die Demonstration der Palästinenser:innen, an der auch einige Mitglieder der Nahost-Gruppe Mannheim teilnehmen, zeigt – soweit wahrnehmbar – nur palästinische Fahnen. In der Vergangenheit war es auch zur Verbrennung der Fahne Israels gekommen. Türkisch-nationalistische oder sonstige arabische Fahnen und Symbole, die bei zurückliegenden Aktionen von Palästinenser:innen zu sehen waren, gibt es ebenfalls nicht.
Das Sicherheitskonzept der Polizei und des Ordnungsamtes hatte offenkundig die Unterlassung der Flaggenschändung ebenso zur Auflage gemacht, wie die bis dato einmalige Selbsteinhegung der gesamten Demonstration durch deren Ordnungsdienst. Die Demo lief in einem mit langer Kordel selbst aufgespannten Viereck. Solche Maßnahmen sind bisher nur bei Teilnehmergruppen auf CSD oder Fasnachtszug mit LKW -Begleitung erforderlich (damit niemand unter die Räder kommt). Hassparolen gegen den Staat Israel oder gegen jüdische Menschen sind – soweit deutsch und akustisch verständlich gerufen – nicht wahrnehmbar. Es dominiert der Ruf: „Free, free Palestine!“ und „Hoch die internationale Solidarität!“. Die Nahostgruppe veröffentlicht nach der Demonstration die Auflagen des Ordnungsamtes hinsichtlich möglicher Parolen, die amtlicherseits als der „Volksverhetzung“ verdächtig dargestellt werden (https://mannheimnahost.wordpress.com/)
Die Stadt Mannheim hatte im Vorfeld die Prinzipien der „Mannheimer Erklärung“ und des Mannheimer Bündnisses“ nochmals ausdrücklich in einer speziellen Erklärung zur Geltung gebracht. In der zugehörigen Pressemitteilung vom 20.5. schreibt die Verwaltung:
„Demonstrationen zum Nahostkonflikt treffen auf unterschiedliche Befindlichkeiten und führen zu verschiedenen politischen Bewertungen – auch in unserer Stadt. Das Einvernehmen der Unterzeichnenden des nachfolgenden Appells besteht jedoch darin, dass mit Ausdrucksformen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit eine Grenze der Meinungsfreiheit überschritten wird. Deshalb ergeht nachfolgender Appell im Vorfeld der für den morgigen Sonntag angekündigten Demonstrationen als eine gemeinsame Positionierung gegen jedwede Form von Hass, Hetze und Gewalt.“
Die Erklärung selbst beginnt folgendermaßen: „Vereint im Gedenken an das große Leid und die Opfer des seit Jahrzehnten ungelösten palästinensisch-israelischen Konflikts, teilen wir ebenfalls unsere Betroffenheit und Sorge über die sich dort aktuell zuspitzenden Spannungen.
Umso mehr besitzt für uns das friedliche Zusammenleben, für das auch wir uns gemeinsam in Mannheim engagieren, einen hohen Wert.
Uns ist bewusst, dass der Nahostkonflikt nicht hier in unserer Stadt gelöst werden kann. Jedoch wollen wir miteinander dafür Sorge tragen, dass es keine Übertragung des Nahost-Konfliktes auf Mannheim geben darf. Dies würde vielmehr unserem gemeinsamen Bemühen um ein gelingendes Zusammenleben schaden.
Ein friedliches Zusammenleben in unserer Stadt erfordert besondere Verantwortung für ein respektvolles Verhalten – gerade bei Spannungen durch unterschiedliche Einschätzungen und in konflikthaften Situationen. (…) Wir stehen für das direkte Gespräch und den Dialog, auch und gerade in Krisenzeiten.“ Unterzeichnet ist die Erklärung vom AKIG – Arbeitskreis der islamischen Gemeinden in Mannheim (14 Moscheen), von der Jüdischen Gemeinde Mannheim, dem islamischen Mannheimer Institut für Integration und interreligiöse Arbeit und dem Oberbürgermeister der Stadt Mannheim. Die eigentlichen Akteur:innen des Tages bis auf die jüdische Gemeinde und Oberbürgermeister sind nicht unter den Unterzeichnenden. (S. unten zum Mannheimer Bündnis.)
Nahostkonflikt in Mannheim?
Wenn schon „der Nahostkonflikt nicht in Mannheim gelöst werden kann“ – was wohl niemand je erwartet – so stellt sich doch die Frage, ob nicht wenigstens in der Diaspora eine gegenseitige Anerkennung existenzieller Grundbefindlichkeiten der jeweils anderen Seite durch die Anhänger:innen der Konfliktparteien erreichbar oder wenigstens denkbar wäre – Grundbefindlichkeiten, mit denen sich ein unbedingt wieder anzustrebender Friedensprozess im Nahen Osten auseinandersetzen müsste. Immerhin nimmt die aktuelle Erklärung keine einseitigen Schuldzuweisungen vor. Die kommunale Ebene ist dabei aber auch nicht zu unterschätzen, wie die Mannheimer Städtepartnerschaft mit der israelischen Stadt Haifa und die zeitweise Verwaltungskooperation mit der palästinensischen Stadt Hebron in Sachen Abwasser-Infrastruktur zeigt.
Aber es gibt ja nicht nur die jüdische Community in Mannheim, sofern sie sich positiv auf den Staat Israel bezieht, und nicht nur die palästinensische Community, für die der gegenwärtige Staat Israel keine positive Option für das Leben in Palästina bietet, sondern es gibt jenseits davon eine Zivilgesellschaft in Mannheim, die sich zu den Folgen des nationalsozialistischen Menschheitsverbrechens der Shoah und weiterer Völkermorde des Nationalsozialismus bekennt, die sich gegen jegliche faschistische völkische Tendenzen zur Wehr setzt und für Frieden in der Welt einsetzt. Sie ist bezüglich des Nahost-Konflikts, bezüglich Israel und Palästina gespalten und eigentlich nicht mehr dialogfähig – auch in Mannheim. Es gibt Bekenntnisse zur einen und zur anderen Seite hin.
Doppelte Verantwortung
Dass die Erben des Nationalsozialismus dieses irreversible „Erbe“ nicht einfach ausschlagen können, führt zu einer doppelten Verantwortung: Verantwortung für Israel: Es ist Ergebnis des europäischen Antisemitismus des 19. und 20. Jahrhunderts mit dem Höhepunkt des ungeheuerlichen NS-Programms, die „Judenfrage“ einer mörderischen „Endlösung“ zuzuführen, woraus der Versuch von Hundertausenden jüdischer Menschen resultiert, sich der rassistischen Verfolgung und Ermordung auf einer „Rettungsinsel“ zu entziehen, die der Zionismus während des Zerfalls des Osmanischen Reichs in Palästina verortete.
Verantwortung aber auch für Palästina: Es erlitt als unmittelbare sekundäre Folge des nationalsozialistischen Vernichtungsprogramms die alles andere als friedlichen Vertreibung von 800.000 Palästinenser:innen („Nakba“ – die Katastrophe) und die Errichtung einer Staatlichkeit, die auf der Ungleichbehandlung der verbliebenen palästinensischen Bevölkerung beruht, und die den einstigen UN-Teilungsplan expansionistisch ad absurdum führt durch illegale Siedlungen auf dem Territorium des Palästinensischen „Autonomiegebiets“. Diese doppelte Verantwortung kann nur heißen: Eintreten für das Existenzrecht sowohl der jüdischen wie der palästinensischen Bevölkerung auf dem Gebiet der beiden ungleichen Staatlichkeiten, und zwar auf der Basis von Frieden, Gleichberechtigung und Freiheit. Dass die gegenwärtige nationalistisch-rechtsradikal-ultraorthodox geprägte israelische Regierung alle Widersprüche verschärft anstatt Elemente eines neuen Friedensprozesses in die Wege zu leiten, ist eine gravierende Bürde.
Die Mannheimer Zivilgesellschaft hat mehrheitlich den 75. Geburtstag des Staates Israel und den 75. Nakba-Gedenktag nicht zum Anlass genommen, sich eigenständig zu positionieren. Es gab keine Ambition, die „Nahostfrage“ im Sinne der doppelten Verantwortung wenigstens wieder diskursiv aufzunehmen.
Was war zu hören auf beiden Veranstaltungen?
Patrik Baumgärtner von der DIG eröffnet seine Rede mit einem Jubel-Hymnus auf den Staat Israel: „75 Jahre Israel sind ein Grund zum Feiern. Es sind 75 Jahre der Demokratie, Vielfalt und Innovation. 75 Jahre, in denen ein Staat errichtet wurde, der es geschafft hat, trotz widrigster Umstände ein Schutzraum für Menschen, die von Antisemitismus bedroht sind, zu sein und zu bleiben.“
Es stellt sich die Frage, für wen Demokratie, Vielfalt und Innovation eine Lebenswirklichkeit im Staate Israel sind und wie es aktuell um die Demokratie steht. Immerhin – und das ist vielleicht neu bei derlei Anlässen – mahnt Baumgärtner auch: “Bei all diesen Gründen zum Feiern dürfen auch Bedrohungen und Verwerfungen der israelischen Staatlichkeit nicht ausgeblendet werden. Es ist allzu offensichtlich, dass es in der Gesellschaft tiefsitzende Konflikte gibt. Diese Konflikte werden momentan durch den Streit um die Justizreform deutlich und mobilisieren seit Wochen Hundertausende zu Protesten: Auch das ist ein Zeichen für gelebte Demokratie.“ Sind Proteste der palästinensischen Bevölkerung auch ein Zeichen der Demokratie?
Weiter räumt Baumgärtner ein: „Auch die Lage der Palästinenser:innen darf dabei nicht übergangen werden: Unsägliche Zustände in Gaza, in den Flüchtlingslagern im Westjordanland, in Jordanien, im Libanon und in Syrien. Die persönlichen Geschichten von erlebtem Unrecht, die gehört werden müssen. Dieses Nebeneinander kann nicht aufgelöst werden, aber es wird ein Umgang nötig sein, um Perspektiven zu öffnen.“
Damit ist die spannende Frage in den Raum gestellt, warum dieses „Nebeneinander“ nicht aufgelöst werden können soll. Ist dieses Nebeneinander von Innovation, technischem Fortschritt und Demokratie einerseits, von anhaltenden Enteignungen durch immer neue illegale Siedlungen, die rechtsstaatfeindliche unbefristete „Administrativhaft“, von wirtschaftlichem Elend gottgegeben oder ein Naturgesetz? Welche „Perspektiven“ meint Baumgärtner? „In Deutschland werden durchaus Stellvertreterdialoge geführt. (…) Diese Dialoge hantieren mit allerlei Verzerrungen und Projektionen. Da wird von manchen in Israel das unfehlbar Gute und von anderen das in ihm das ultimativ Böse gesehen. Beides hat mit der Realität nichts zu tun.“ Immerhin: Hier ist von „Dialogen“ die Rede. Die Verteilung von Dämonisierung, Verzerrung, Projektion und Doppelstandards wird dann aber klar auf die „Anderen“ konzentriert, z.B. die Nahostgruppe Mannheim und die Anhänger der BDS-Kampagne. Vertreibung? Die hätten sich die Palästinenser selbst zuzuschreiben, weil ihre arabischen Freunde (?) Israel sofort nach Staatsgründung den Krieg erklärt haben. Dieser fiel allerdings nicht vom Himmel, sondern die Zeit unter dem britischen Protektorat war von heftigen paramilitärischen und terroristischen Angriffen auf die ortsansässige Bevölkerung zum Zwecke der Vertreibung geprägt.
Ein Dialog und die Erschließung von Perspektiven kann – das ist allzu offensichtlich – nur durch gegenseitiges Zuhören und gegenseitigen Abschied von „Dämonisierungen“ gelingen. Baumgärtner: „Es ist unerlässlich, Israel als Schutzraum vor Antisemitismus anzuerkennen und zu bewahren. Kann das als Minimalfundament erreicht werden, ist Raum für Zwischentöne und Fortschritt. Dann kann sanft gehofft werden, dass die nächsten 75 Jahre auch Jahre der Versöhnung werden können.“ Vielleicht sollte er künftig in das „Unerlässliche“ auch die Anerkennung der ganz normalen Lebens- und Gleichberechtigungsinteressen der palästinensischen Bevölkerung aufnehmen?
Die Nahostgruppe Mannheim hatte in ihrem Mobilisierungsflugblatt für die Nakba-Gedenkveranstaltung geschrieben:
„Wir als Nahostgruppe Mannheim sind Bürgerinnen und Bürger unterschiedlichen Alters aus der Region Mannheim mit unterschiedlichen sozialen und beruflichen Hintergründen. Auch Palästinenser*innen sind dabei. Wir möchten die Situation und die Konfliktentwicklung in Palästina/Israel nicht kommentarlos hinnehmen. Mit Informationen und Kritik möchten wir einen Beitrag zu einem gerechten Frieden zwischen Israel und seinen palästinensischen und arabischen Nachbarn leisten. Dem stehen insbesondere die israelische Besatzung und Besiedelung palästinensischer Gebiete im Weg.
Wir treten ein für das Recht auf freie Meinungsäußerung sowie auf gewaltfreien Widerstand gegen jede Art von rassistischer Diskriminierung. Damit schließen wir uns der ‚Mannheimer Erklärung für ein Zusammenleben in Vielfalt‘ an.“
Die Nahostgruppe geht also von der Weiterexistenz Israels und dem Wunsch nach einem gerechten Frieden zwischen diesem und seinen Nachbarstaaten aus. Ihre Perspektive ist die Unteilbarkeit der Menschenrechte und in diesem Kontext Solidarität mit dem „Befreiungskampf in Palästina“:
Ihre Perspektive ist die Unteilbarkeit der Menschenrechte und in diesem Kontext Solidarität mit dem „Befreiungskampf in Palästina“:
„Wir von der Nahostgruppe richten uns gegen jegliche Form von Rassismus, ganz konkret: ob der in Form von Judenfeindlichkeit oder als Diskriminierung von Palästinensern auftritt. Die Lehre aus der deutschen Geschichte ist für uns: Menschenrechte sind unteilbar. Sie gelten für alle Unterdrückten, Ausgegrenzten und Diskriminierten der Welt.
Wenn die Deutschen bewusst wegschauen von der Situation in Palästina, machen sie sich menschenrechtlich unglaubwürdig und mitschuldig. Keine Regierung der Welt darf immun sein gegen Kritik, auch Israel nicht. Wenn Kritik an Israel als Antisemitismus bezeichnet wird, ist eine Bekämpfung von wirklichem Antisemitismus – d.h. Feindlichkeit gegen jüdische Menschen, kaum mehr möglich.
Uns geht es um eine Politik, die ein friedliches Zusammenleben in Palästina ermöglicht.
Die Komplizenschaft der deutschen Politik mit dem Apartheidsystem Israels, das seit 75 Jahren auf ethnischer Säuberung – Vertreibung – und Raub basiert, muss beendet werden. Das zu erreichen ist unsere Aufgabe hier in Deutschland als solidarischer Beitrag zum Befreiungskampf in Palästina.“
Die Frage, die sich hier stellt: Ist die Unteilbarkeit der Menschenrechte als universelles Prinzip tatsächlich speziell die „Lehre aus der deutschen Geschichte“? Sie hat grundsätzlich immer und überall zu gelten, wird aber bei genauerem Hinschauen fast in keinem Staat bedingungslos und vor allem praktisch anerkannt. In allen Staaten, die Ziel von Migration sind wie auch in den Staaten, die Anlass zu massenhafter Migration geben, ist dieser Universalismus der Menschenrechte graue Theorie, unabhängig von der Lehre aus der deutschen Geschichte. Die besondere Lehre aus der deutschen Geschichte kann wohl darüber hinaus nur die sein, die gravierende Folgen des nationalsozialistischen Menschheitsverbrechens überwinden zu helfen, und zwar in doppelter Verantwortung – siehe oben. Darüber eben ist der Dialog zu führen.
Im Sinne des Dialogs ist es im Übrigen kontraproduktiv und nicht nachvollziehbar, warum der Antrag der Nahostgruppe Mannheim, dem Mannheimer Bündnis beizutreten, abgelehnt wurde (jedenfalls ist sie nicht in der Unterstützer:innenliste des Bündnisses verzeichnet.) Sinn des Bündnisses ist ja gerade, konflikthafte Beziehungen zwischen den vielfältigen Teilen der Stadtgesellschaft friedlich und in gegenseitigem Respekt auszutragen. Gewalttätigkeit und Respektlosigkeit kann man der Nahostgruppe jedenfalls nicht unterstellen. Und sie bekennt sich öffentlich zum Mannheimer Erklärung für ein Zusammenleben in Vielfalt.
Einen sehr entschiedenen Beitrag hält der in Jerusalem geborene, in Heidelberg lebende Vertreter der Jüdischen Stimme für gerechten Frieden in Nahost, Dr. Shir Hever. Er setzt sich mit der Parole auseinander: „From the river to the sea, Palestine will be free“ (“Vom [Jordan]-Fluss bis zum Meer – Palästina wird frei sein”). Dieser Slogan wird landläufig als Angriff auf das Existenzrecht Israels interpretiert.
„Vor fast genau 75 Jahren verabschiedete die UNO den Teilungsplan. Palästina wurde im Verhältnis 50:50 zwischen Jüd:innen und Palästinenser:innen aufgeteilt. Es war keine gerechte Teilung, denn die Palästinenser:innen sind die einheimische Bevölkerung Palästinas, während die jüdischen Kolonisatoren das Recht hatten, in ihre Heimat in Europa zurückzukehren, was die europäischen Staaten nicht anerkennen wollten, weshalb sie für den Teilungsplan stimmten.
Aber wenn dies die Grundlage für das Existenzrecht Israels ist, wo ist dann der Staat Palästina? Das Land wurde 50:50 geteilt, aber heute ist Palästina, vom Fluss bis zum Meer, unter der Kontrolle der israelischen Regierung, des israelischen Militärs. Es ist ein Apartheidregime, und es wird von den größten internationalen, israelischen und palästinensischen Menschenrechtsorganisationen als Apartheidregime anerkannt. Nur in Deutschland gibt es einen lächerlichen Versuch, die einfache Wahrheit zu leugnen. Also nein, auch nach Ansicht der UNO hat der Staat Israel kein Recht, auf ganz Palästina zu existieren.
Und lassen Sie sich nicht von der Forderung täuschen, einen palästinensischen Staat auf der Grundlage der 67er-Grenzen zu gründen, denn dies würde bedeuten, dass statt einer 50:50-Teilung Palästinas der Staat Israel 80 % des Landes erhält und der Staat Palästina nur 20 %. Und das, obwohl die Jüd:innen heute in Palästina eine Minderheit sind. (…)
Ja, es ist an der Zeit, dass Palästina frei wird. Dass jeder Mensch, der zwischen dem Jordan und dem Mittelmeer lebt, frei sein wird, jeder Palästinenser, jeder Jude – eine Person, eine Stimme, gleiche Rechte, Redefreiheit, Bewegungsfreiheit. Es spielt keine Rolle, ob es einen gemeinsamen Staat für alle geben wird, zwei Staaten oder drei Staaten. Es kommt nur darauf an, dass die Menschen mit Würde und Respekt behandelt werden. An diesem Nakba-Tag fordern wir drei Dinge: Gerechtigkeit, Gleichheit und ja, Freiheit.
Wem das nicht gefällt, weil er meint, dass nur einige Menschen Rechte verdienen und andere nicht, der ist einfach ein Rassist.“
75 Jahre Israel – 75 Jahre Nakba: Dieser Tag hat deutlich gemacht: Wie schwer, aber auch wie notwendig der Dialog ist. Kurzschlüsse helfen nicht weiter.
Thomas Trüper
Im Folgenden dokumentieren wir die drei hier zitierten Reden in ihrem vollen Wortlaut
(Mit freundlicher Genehmigung der Autoren. Es gilt jeweils das gesprochene Wort)
Patrik Baumgärtner, DIG
Liebe Freundinnen und Freunde,
75 Jahre Israel sind ein Grund zum Feiern. Es sind 75 Jahre der Demokratie, Vielfalt und Innovation. 75 Jahre, in denen ein Staat errichtet wurde, der es geschafft hat, trotz widrigster Umstände ein Schutzraum für Menschen, die von Antisemitismus bedroht sind, zu sein und zu bleiben.
Die Gründung des Staates basierend auf dem Teilungsplan der Vereinten Nationen am 14. Mai 1948, hat Jüdinnen und Juden die Möglichkeit zum Überleben nicht wegen sondern trotz Auschwitz gegeben. Israel ist seither in seiner Region zum Vorreiter bei verschiedensten Technologien, aber auch der Entwicklung einer demokratischen Gesellschaft geworden. Trotz der Kriege, in die es von seinen Nachbarn gezwungen wurde, trotz der Vernichtungsdrohung durch das iranische Regime und seine Stellvertreter bei der Hisbollah, hat Israel es geschafft, Beziehungen in seiner Region zu knüpfen und mit den Abraham Abkommen einen Grundstein für Friedensdiplomatie zu legen. Es ermöglicht es dem nichtjüdischen Teil seiner Bevölkerung, der immerhin 20% ausmacht, teilzuhaben in diesem Projekt, als Mitglieder von Institutionen, Bildungseinrichtungen und Regierungen.
Israel hat aus dem Traum seiner Vordenker:innen eine blühende Wirklichkeit gemacht. Bei all diesen Gründen zum Feiern dürfen auch Bedrohungen und Verwerfungen der israelischen Staatlichkeit nicht ausgeblendet werden. Es ist all zu offensichtlich, dass es in der Gesellschaft tiefsitzende Konflikte gibt. Diese Konflikte werden momentan durch den Streit um die Justizreform deutlich und mobilisieren seit Wochen Hundertausende zu Protesten: Auch das ist ein Zeichen für gelebte Demokratie.
Auch die Lage der Palästinenser:innen darf dabei nicht übergangen werden: Unsägliche Zustände in Gaza, in den Flüchtlingslagern im Westjordanland, in Jordanien, im Libanon und in Syrien. Die persönlichen Geschichten von erlebtem Unrecht, die gehört werden müssen. Dieses Nebeneinander kann nicht aufgelöst werden, aber es wird ein Umgang nötig sein, um Perspektiven zu öffnen. Diese Perspektiven sind vor allem vor Ort nötig und sollen deshalb auch nicht hier in einer sprichwörtlichen Sonntagsrede ausgebreitet werden.
In Deutschland werden aber durchaus Stellvertreterdialoge geführt und das ist für uns wichtig.
Diese Dialoge hantieren mit allerlei Verzerrungen und Projektionen. Da wird von manchen in Israel das unfehlbar Gute und von anderen das in ihm das ultimativ Böse gesehen. Beides hat mit der Realität nichts zu tun.
Israel hat genauso Fehler wie alle anderen bürgerlichen Staaten auch, das dürfte zur Genüge aus den deutschen Qualitätsmedien bekannt sein, die für diese Berichte immer Platz finden.
Aber das reicht vielen passionierten und obsessiven Israelkritikern nicht. Roger Waters zum Beispiel, der glühende Anhänger der antisemitischen BDS-Kampagne, der sagte Israel sei ein Fehler. Wohlgemerkt: Nicht »Israel macht Fehler« – das wäre ja völlig unkontrovers – sondern, er entzieht Israel stattdessen schlicht die Existenzberechtigung.
Die Nahostgruppe Mannheim hat zum heutigen Tag zur Demonstration von »Free Palestine« in Mannheim aufgerufen mit der Überschrift »75 Jahre Israel = 75 Jahre Vertreibung der Palästinenser«. Durch die Nutzung des =-Zeichen bleibt kein Raum mehr für etwas anderes; die Staatsgründung erschöpft sich für diese Gruppe darin und zeigt, wie zentral Verzerrungen für ihr Narrativ sind.
Dabei gehört zu dieser Geschichte noch viel mehr: So z.B. der Umstand, dass nicht maßgeblich die Gründung Israels zur Vertreibung und Flucht geführt hat, sondern die arabische Kriegserklärung gegen den neuen Staat in Reaktion darauf. Der Umstand, dass aus 700.000 geflüchteten Palästinenser:innen heute mehrere Millionen geworden sind, weil bei ihnen als einziger Flüchtlingsgruppe dieser Status vererbt wird, anstatt Bemühungen für Integration in den Zielstaaten zu versuchen.
Dazu gehört der Umstand, dass als in der Folge des Kriegs von 1948 die Jüdinnen und Juden aus fast allen arabischen Staaten fliehen mussten und diese ca. 800.000 Menschen nur in Israel Zuflucht fanden.
Ebenso der Umstand, dass in den palästinensischen Gebieten Schulbücher genutzt werden, die Antisemitismus fördern und dabei von UN und EU finanziert werden und dass öffentliche Anlagen nach Terroristen benannt sind. Auch der Umstand, dass für die Bewohner:innen Gazas freundliche Beziehungen zu Israelis bei Strafe verboten sind.
Werden diese Umstände reflektiert, kann die Forderung nach Befreiung ihre unrühmlichen und gefährliche Note antiisraelischer Agitation ablegen und tatsächlich eine befreite Gesellschaft fordern.
Aber diese Reflexion passiert viel zu selten. Stattdessen werden solche Umstände als Störfeuer wahrgenommen und verdrängt und wird dafür umso entschiedener gegen Israel geschrien. Da wird es wahlweise zum ultimativen Kolonisator, zum ultimativen Apartheidssystem, zum ultimativen Völker- und Kindermörder. All das fällt in anderen Ländern auf fruchtbaren Boden; besonders in Deutschland wurde historisch dankend angenommen, dass die eigene Schuld an der Shoa und die Verantwortung dafür aufgeweicht werden kann, indem auf einen neuen vermeintlichen Schurkenstaat gezeigt wird. Dass dort die Nachfahren der Opfer der deutschen Verbrechen leben und mitbestimmen gefällt dem hiesigen Diskurs besonders, weil man sich dann als Lehrmeister vorstellen und inszenieren kann.
Nur macht das die Dämonisierungen, die gegen Israel in Anschlag gebracht werden, nicht richtiger. Im Gegenteil: Wo eben Dämonen ins Spiel kommen und unheimliches Böses am Werk sein soll, da ist Antisemitismus in seiner weltanschaulichen Funktion nicht weit. Sei es beim Rapper Kollegah, bei Roger Waters, bei der documenta in Kassel, in den Generalversammlungen der UN und so weiter. Aber wie kann man dem begegnen?
Zuerst muss klar werden, wann es sich bei Äußerungen oder Darstellungen um diese Form des Antisemitismus, also den israelbezogenen Antisemitismus handelt. Ein paar Kriterien zur Hand:
Um israelbezogenen Antisemitismus handelt es sich, wenn…
– Verwendung von Symbolen/Bildern/Argumentationsmustern zur Beschreibung von Israel oder Israelis, die eine antijüdische/antisemitische Geschichte haben. Dazu gehört zum Beispiel die Aussage »Kindermörder Israel«, die an die Ritualmordlgende aus dem Mittelalter anknüpft.
– Israel und Judentum beziehungweise Juden und Jüdinnen weltweit gleichgesetzt werden
– Juden und Jüdinnen weltweit als vermeintliche Repräsentant:innen Israels beschuldigt und angegriffen werden
– Die israelische Politik und/oder Juden und Jüdinnen verantwortlich gemacht werden für die Entstehung von Antisemitismus, wodurch dieser legitimiert wird (Täter- Opfer-Umkehr).
– Dämonisierung und Delegitimierung Israels oder die Anwendung doppelter Standards in Bezug auf seine Politik
Nutzt man diese Kriterien, lässt sich wirksam gegen eine antisemitische Verzerrung angehen. Und wenn die entfernt ist, lässt sich ganz anders sprechen und ganz anders zuhören. Es ist deshalb notwendig, gegen Antisemitismus in allen Erscheinungsformen, auch der antiisraelischen, entschieden zu begegnen, in der Hoffnung, dass durch den Abbau von Projektionen Israel öfter das sein kann, was sich Chaim Weizmann wünschte: Ein ganz normaler Staat. Das bringt uns wieder zum diesjährigen Jubiläum. Es ist unerlässlich, Israel als Schutzraum vor Antisemitismus anzuerkennen und zu bewahren. Kann das als Minimalfundament erreicht werden, ist Raum für Zwischentöne und Fortschritt. Dann kann sanft gehofft werden, dass die nächsten 75 Jahre auch Jahre der Versöhnung werden können.
Es wäre allen Beteiligten zu wünschen. Am Israel Chai! [Das Volk Israel lebt! – Titel eines religiösen Liedes von Mordechai Ben David, Red.]
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Johannes Hauber, Nahostgruppe Mannheim
Liebe Freundinnen und Freunde, Ich begrüße Euch im Namen der Nahostgruppe Mannheim in Solidarität mit dem palästinensischen Widerstand.
Während in der UNO der Nakba gedacht wird, werden in Deutschland Veranstaltungen zum Nakba-Gedenken verboten. Darüber müssen wir uns bewusste sein!
Wir konnten die hervorragende Nakba-Ausstellung heute in Mannheim aufstellen. Sie war schon vielen Angriffen ausgesetzt, niemand gelang es aber Fehler darin zu finde.
Wir haben eine Wandzeitung zusammengestellt auf der alle 235 Ermordete in 2022 zu sehen sind mit einer kurzen Beschreibung zur Person. Uns geht es dabei darum den Getöteten ein Gesicht geben.
In diesem Jahr haben das israelischen Militär und Siedler in den besetzten Gebieten bei Razzien, Pogromen und mit Luftangriffen bereits 143 Palästinenser*innen ermordet, darunter 28 Kinder. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International schreibt: Durch die »Unterdrückung und Beherrschung der Palästinenser hält Israel eine »extreme Form der Diskriminierung aufrecht« – menschenrechtsfeindlicher als das Südafrikanische Apartheidsystem.
Für die Menschen in Palästina wird die NAKBA – die Katastrophe – immer noch fortgesetzt.
Die aktuelle rechtsradikale Regierung Israels treibt die illegale Siedlungspolitik weiter auf die Spitze. Häuser, Schulen und andere Einrichtungen werden zerstört, auch solche, deren Bau von der EU finanziert wurde. Menschen werden weiter vertrieben.
Wie verhält sich die EU, wie verhält sich die deutsche Regierung dazu?
Sie wiederholen immer wieder, das sei illegal, verzichten aber auf jeglichen Druck auf die israelische Regierung. Israel wird also völlig anders behandelt als andere Staaten der Welt. In Bezug auf Israel gibt es keine „wertegeleitete Außenpolitik. Und egal was eine israelische Regierung macht, ihre Unterstützung gilt als deutsche Staaträson.
Im Februar schwafelte der deutsche Justizminister Buschmann von der echten und verlässlichen Freundschaft auch mit der neuen rechtsradikalen Regierung. Im März: betonte Scholz: „Die Beziehungen zwischen unsern beiden Ländern sind eng, vielfältig und vor allem einzigartig“, sagte er, dann kommt die immer wiederkehrende Gleichsetzung des Staates Israel mit der jüdischen Bevölkerung weltweit, und die Verantwortung Deutschlands für die Sicherheit Israels, abgeleitet aus den Verbrechen des deutschen Faschismus. Ursula von der Leyen zelebrierte 75 Jahre Israel als Riesenerfolg. Die Menschenrechtsverletzungen und der kontinuierliche Bruch des Völkerrechtes seit der israelischen Staatsgründung werden nicht erwähnt.
Welche Möglichkeiten haben die Menschen in Palästina, auf ihre Situation aufmerksam zu machen und die israelische Regierung zu einer Politik des friedlichen Zusammenlebens zu bewegen? Sie setzen auf eine internationale Bewegung, die
Druck auf die israelische Regierung ausübt und eine Beendigung des unerträglichen Gewalt- und Apartheidregimes erreichen könnte. Mit der BDS-Kampagne versuchen 170 palästinensische Organisationen gewaltfrei Widerstand zu leisten.
Diese Bewegung wird in Deutschland als antisemitisch diffamiert. Und nicht nur das: man versucht, jegliche Kritik an der Politik des israelischen Staats in Bezug zur BDS – Bewegung zu setzen und damit zu kriminalisieren und mundtot zu machen.
Das Menschenrecht auf freie Meinungsäußerung soll in Bezug auf die Debatte um die Politik der israelischen Regierung nicht gelten. Dass verstößt gegen unser Grundgesetz.
Wir von der Nahostgruppe richten uns gegen jegliche Form von Rassismus, ganz konkret: ob der in Form von Judenfeindlichkeit oder als Diskriminierung von Palästinensern auftritt. Die Lehre aus der deutschen Geschichte ist für uns: Menschenrechte sind unteilbar. Sie gelten für alle Unterdrückten, Ausgegrenzten und Diskriminierten der Welt.
Wenn die Deutschen bewusst wegschauen von der Situation in Palästina, machen sie sich menschenrechtlich unglaubwürdig und mitschuldig. Keine Regierung der Welt darf immun sein gegen Kritik, auch Israel nicht. Wenn Kritik an Israel als Antisemitismus bezeichnet wird, ist eine Bekämpfung von wirklichem Antisemitismus – d.h. Feindlichkeit gegen jüdische Menschen, kaum mehr möglich.
Uns geht es um eine Politik, die ein friedliches Zusammenleben in Palästina ermöglicht.
Die Komplizenschaft der deutschen Politik mit dem Apartheidsystem Israels das seit 75 Jahren auf ethnischer Säuberung – Vertreibung – und Raub basiert muss beendet werden. Das zu erreichen ist unsere Aufgabe hier in Deutschland als solidarischer Beitrag zum Befreiungskampf in Palästina.——-
Shir Hever, Jüdische Stimme für einen gerechten Frieden in Nahost
Ich heiße Shir Hever, bin Mitglied der Jüdischen Stimme für gerechten Frieden in Nahost. Ich bin in Jerusalem geboren und aufgewachsen und lebe heute in Heidelberg.
Welcher Teil von Palästina ist frei? Nicht einmal ein Quadratmeter. Wer meint, Gaza sei nicht mehr besetzt, muss sich nur die Ereignisse der ersten Maiwoche ansehen, als israelische Streitkräfte Familien in Gaza bombardierten und 33 Menschen in Gaza töteten, darunter 6 Kinder, nur damit Netanjahu seine Regierung stabilisieren kann, indem er den Blutrausch seiner Koalitionspartner besänftigt. Der Gazastreifen ist Israels Jagdrevier, er ist nicht frei.
Die Organisator:innen haben mich gebeten, über den Slogan „From the river to the sea, Palestine will be free“ zu sprechen, weil einige pro-israelische Rassisten in Mannheim und in anderen Städten in Deutschland sich auf diesen Slogan konzentriert haben, um zu versuchen, die palästinensische Solidarität und die Palästinenser:innen selbst zum Schweigen zu bringen.
Warum tun sie das? Wie kann jemand gegen ein freies Palästina sein? Für antizionistische Jüd:innen ist die Antwort klar, und ich stimme dieser Antwort zu: Diese pro-israelischen Rassisten wollen, dass Palästina ein Ghetto bleibt. Nicht ein Ghetto für Palästinenser:innen, sondern ein Ghetto für Jüd:innen. Sie unterstützen den Zionismus, weil sie die Jüd:innen, die in Europa, in Deutschland, in Mannheim leben, loswerden wollen.
Das gelingt ihnen natürlich nicht. Letztes Jahr hat die Mannheimer Staatsanwaltschaft einen Aktivisten wegen des Haltens eines Schildes mit diesem Slogan wegen Verhetzung angeklagt, und natürlich hat er den Prozess gewonnen. Der Ruf nach Freiheit ist keine Volksverhetzung.Was ist das Argument der pro-israelischen Rassisten? Sie argumentieren, dass wir, wenn wir sagen „From the river to the sea, Palestine will be free“, damit implizieren, dass der Staat Israel kein Recht auf Existenz hat. Interessant ist, dass selbst die größten Befürworter Israels verstehen, dass Freiheit eine palästinensische Forderung ist, während Israel mit Unterdrückung assoziiert wird.
Wir gedenken heute der Nakba, der ethnischen Säuberung Palästinas, die 1948 begann und ein Verbrechen ist, das bis heute andauert. Die Nakba ist die gewaltsame Verweigerung des Existenzrechts Palästinas und des Rechts der Palästinenser:innen, zu existieren.Wenn also pro-israelische Rassisten wütend auf uns sind, wenn wir von palästinensischer Freiheit sprechen, und behaupten, dass wir das Existenzrecht des Staates Israel leugnen, indem wir Freiheit fordern, welche Art von Existenzrecht meinen sie dann? Glauben sie, dass Gott den Zionist:innen Palästina gegeben hat? Oder glauben sie, dass das Existenzrecht des Staates Israel auf dem Völkerrecht und den UN-Resolutionen beruht?
Vor fast genau 75 Jahren verabschiedete die UNO den Teilungsplan. Palästina wurde im Verhältnis 50:50 zwischen Jüd:innen und Palästinenser:innen aufgeteilt. Es war keine gerechte Teilung, denn die Palästinenser:innen sind die einheimische Bevölkerung Palästinas, während die jüdischen Kolonisatoren das Recht hatten, in ihre Heimat in Europa zurückzukehren, was die europäischen Staaten nicht anerkennen wollten, weshalb sie für den Teilungsplan stimmten.Aber wenn dies die Grundlage für das Existenzrecht Israels ist, wo ist dann der Staat Palästina? Das Land wurde 50:50 geteilt, aber heute ist Palästina, vom Fluss bis zum Meer, unter der Kontrolle der israelischen Regierung, des israelischen Militärs. Es ist ein Apartheidregime, und es wird von den größten internationalen, israelischen und palästinensischen Menschenrechtsorganisationen als Apartheidregime anerkannt. Nur in Deutschland gibt es einen lächerlichen Versuch, die einfache Wahrheit zu leugnen. Also nein, auch nach Ansicht der UNO hat der Staat Israel kein Recht, auf ganz Palästina zu existieren.
Und lassen Sie sich nicht von der Forderung täuschen, einen palästinensischen Staat auf der Grundlage der 67er-Grenzen zu gründen, denn dies würde bedeuten, dass statt einer 50:50-Teilung Palästinas der Staat Israel 80 % des Landes erhält und der Staat Palästina nur 20 %. Und das, obwohl die Jüd:innen heute in Palästina eine Minderheit sind.
Nach Angaben des Bonner Friedensinstituts ist Israel der militaristischste Staat der Welt. Nach Ansicht der NATO ist eine militärische Besetzung kein legitimes Mittel zur Erweiterung von Grenzen – das gilt für Russland und für Israel gleichermaßen. Nach Ansicht von Völkerrechtswissenschaftler:innen hat sich Israel des Verbrechens der Apartheid schuldig gemacht.Ja, es ist an der Zeit, dass Palästina frei wird. Dass jeder Mensch, der zwischen dem Jordan und dem Mittelmeer lebt, frei sein wird, jeder Palästinenser, jeder Jude – eine Person, eine Stimme, gleiche Rechte, Redefreiheit, Bewegungsfreiheit. Es spielt keine Rolle, ob es einen gemeinsamen Staat für alle geben wird, zwei Staaten oder drei Staaten. Es kommt nur darauf an, dass die Menschen mit Würde und Respekt behandelt werden. An diesem Nakba-Tag fordern wir drei Dinge: Gerechtigkeit, Gleichheit und ja, Freiheit.
Wem das nicht gefällt, weil er meint, dass nur einige Menschen Rechte verdienen und andere nicht, der ist einfach ein Rassist.