Die Quadratur des Hufeisens – Ist der Verfassungsschutz eine Gefahr für die Demokratie?
Der vor wenigen Wochen vorgestellte Verfassungsschutzbericht 2022 belegt vor allem eins, dass es sich beim Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) nicht um eine klassische Sicherheitsbehörde handelt, sondern um eine politische und politisch abhängige Institution. Organisationen aus Mannheim sind mit mehreren Nennungen im Bericht des Landesamtes Baden-Württemberg vertreten. Auch beim letzten Offenen Antifaschistischen Treffen Mannheim (OAT) wurde der Verfassungsschutzbericht in einer Präsentation im Hinblick auf dessen ideologische Ausrichtung thematisiert.
„Der Geheimdienst gehört abgeschafft“…
… lautet der Titel des Artikels von Thomas Wagner in der Wochenzeitung Der Freitag vom 06.07.2023. In diesem bezieht er sich auf das Erscheinen des Buches: „Verfassungsschutz. Wie der Geheimdienst Politik macht“ des Juristen und Autoren Ronen Steinke. Steinke befasst sich darin vor allem mit den politischen Funktionen des BfV.
Eine Ursache hierfür sei laut Steinke, dass die Spitzen der Verfassungsschutzbehörden von den jeweiligen Innenministerien weisungsabhängig sind und somit die Bestimmung dessen, was als „verfassungsfeindlich“ eingestuft werde auch von den Bundes- und Landesregierungen abhängig sei. Ein jüngeres Beispiel dafür könnte der unterschiedliche Umgang der Bundesländer mit der Gruppe Letzte Generation sein. Diese politische Abhängigkeit beinhalte laut Steinke das Risiko der Aushöhlung politischer Grundrechte wie der Meinungs-, Versammlungs- oder Wahlfreiheit. Dieses Risiko ist keinesfalls abstrakt, wenn nicht nur objektive und überprüfbare Kriterien für eine Bewertung der “Verfassungsfeindlichkeit” herangezogen werden. Wenn auch die Besetzungen von bestimmten politischen Positionen und ideologischen Prägungen eine Rolle dafür spielen, ob Akteure beobachtet werden, unabhängig davon, ob von ihnen eine konkrete Gefahr ausgeht, werden Eingriffe in wesentliche Grundrechte zudem auf die individuelle politische Einstellung einzelner Mitarbeiter:innen des BfV begründet.
Wagner greift auf das Beispiel der Tageszeitung Junge Welt zurück. Deren Bezeichnung der Bundesrepublik als Klassengesellschaft, widerspreche laut BfV „der Garantie der Menschenwürde“, weil Menschen damit unter bestimmte Kollektive subsumiert würden. Nach dieser verkehrten Logik fällt nicht nur ein Großteil der anerkannten Soziologie unter den Verdacht der Verletzung der Menschenwürde und etliche Verlage wissenschaftlicher Publikationen müssten im Verfassungsschutzbericht auftauchen, sondern reicht allein die Nutzung eines etablierten Begriffes aus der Gesellschaftsforschung als Verdachtsmoment für das BfV und damit als Anlass für eine Nennung in einem der Berichte. Diese Nennung allein kann für die Betroffenen bereits negative Konsequenzen bis hin zur Einschränkung von Grundrechten bedeuten, obwohl diese legaler, unter Umständen sogar grundrechtlich geschützter Tätigkeiten (Presse- und Meinungsfreiheit) nachgehen.
Wagner zieht daraus den Schluss, dass die BRD kaum „jene Stufe ziviler Liberalität erreicht, die in anderen westlichen Demokratien längst Standard ist“ und unterstützt deshalb Steinkes Forderung wenigstens den Teil des Verfassungsschutzes aufzulösen, der „legale politische Aktivitäten mit geheimdienstlichen Mitteln ausspioniert“.
Ein Geheimdienst für alle?
Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) wurde 1950 durch die Alliierten im Zuge des Wiederaufbaus staatlicher Institutionen in Westdeutschland nach dem 2. Weltkrieg gegründet. Schon von Beginn an waren nicht nur ehemalige NS-Funktionäre involviert, sondern standen bei der Aufgabenwahrnehmung auch politische Aspekte im Vordergrund. Der hohe Stellenwert der Beobachtung der KPD belegt seit der Gründung vor allem ein antikommunistisches Profil. Über Jahrzehnte hinweg wurden das Tätigkeitsfeld und auch das Amt selbst auf weitere “extremistische” Strömungen ausgeweitet. Allein das Bundesamt für Verfassungsschutz beschäftigt mittlerweile über 4.000 Personen, was eine Verdopplung des Personals innerhalb der letzten 20 Jahre bedeutet. Im gleichen Zeitraum hat sich das zu Verfügung stehende Budget auf beinahe 500 Millionen Euro sogar verdreifacht.
Laut eigenen Angaben ist der Schutz der freiheitlich-demokratischen-Grundordnung (FDGO) die zentrale Aufgabe des Verfassungsschutzes, für deren Erfüllung Informationen über politische Akteure gesammelt und bewertet, um Gefahren erkennen und einschätzen zu können. Die FDGO wird im Verfassungsschutzbericht auch als Basis an Werten bezeichnet, deren Verteidigung für eine Demokratie unverzichtbar sei. Gegen Bedrohungen der FDGO bechreibt sich das BfV als „Frühwarnsystem“. (S.16/17)
Die Einleitungen in die einzelnen Kategorien beginnen mit einer tabellarischen Darstellung der zahlenmäßigen Entwicklung und einer kurzen Beschreibung sowie einem knappen Begleittext, der die jeweilige Kategorie näher beschreiben soll. Diese Einführungstexte sind überwiegend sachlich verfasst und an Zahlen und Entwicklungen innerhalb der einzelnen Kategorien orientiert.
Das wegen zu starker Verstrickung gescheiterte NPD- Verbotsverfahren oder die Rolle der Verfassungsschützer im NSU-Komplex, sollten als praktische Beispiele schon genügen, den Nutzen des BfV grundsätzlich in Frage zu stellen. Auch demokratie-theoretisch lässt sich begründen, warum das BfV in Frage gestellt werden muss. Da eine grundsätzliche Kritik am Verfassungsschutz unabhängig davon bestehen können muss, wer konkret von der Beobachtung oder Nennung durch das BfV betroffen ist, sind Begriffe in den folgenden Zitaten bewusst ausgelassen, die eine Zuordnung zu einer der Kategorien (Rechtsextremismus, Islamismus, Linksextremismus, etc.) vorwegnehmen.
Eine Freiheitliche Demokratische Grundordnung ist das halbe Leben.
In der Kurzfassung des Verfassungsschutzberichtes von 2022 mit dem Titel „Fakten und Tendenzen“ heißt es im Einleitungstext zu einer der Kategorien, deren Akteure …
„[…] wollen die bestehende Staats- und Gesellschaftsordnung und damit die freiheitliche demokratische Grundordnung beseitigen.“
In einer neuesten Rechtsprechung hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) 2017 begründet, dass die FDGO diejenigen zentralen Grundprinzipien umfasse, die für den freiheitlichen Verfassungsstaat schlechthin unentbehrlich seien und benennt konkret die Menschenwürde sowie Demokratie- und Rechtstaatsprinzipien. Diese Merkmale bilden die Kernstruktur des Gemeinwesens der BRD. Es ist dabei davon auszugehen, dass das Bundesverfassungsgericht eine Reduktion der FDGO auf bestimmte Elemente des Grundgesetzes bewusst vorgenommen hat, um deren besondere Bedeutung hervorzuheben. Die FDGO zeichnet sich also auch durch ihre Abgrenzung zu anderen Grundrechten aus.
Diese Einschränkung scheint dem BfV jedoch nicht auszureichen, um seine Aufgaben wahrnehmen zu können. Deshalb wird die FDGO mit den Worten „und damit“ kurzerhand mit der „bestehenden Staats- und Gesellschaftsordnung“ gleichgesetzt und somit die eigentlich klar gefasste Zuständigkeit ausgedehnt. Auf den ersten Blick mag dies vielleicht harmlos erscheinen, aber die Auswirkungen sind enorm. Damit weitet das BfV seine Zuständigkeit nicht nur eigenmächtig über den Kernbestand der FDGO hinaus aus. Es stützt sich dazu noch auf eine äußerst unkonkrete Begrifflichkeit, die das Feld des zu Beobachtbaren im Prinzip auf alles ausweitet, was den Status Quo in Frage stellt. So schafft sich das BfV die Grundlage der Definitionsmacht darüber, wer eine Bedrohung für diese Ordnung darstellt und betreibt damit aktiv Politik.
Das Grundgesetz enthält jedoch bewusst keine Regelung für eine bestimmte Gesellschaftsordnung. Von Kapitalismus, sozialer Schichtung oder bürgerlicher Gesellschaft ist schließlich nirgendwo zu lesen. Der daraus ableitbare Konsequenz ist, dass die bestehende Gesellschaftsordnung durchaus überwunden und sogar aktiv bekämpft werden kann, ohne die Kernwerte der FDGO anzutasten. Absurderweise werden so Akteure durch das BfV als Gefahr markiert, die zwar durchaus nach eigenen Angaben und objektiv betrachtet die bestehende Ordnung überwinden wollen, in deren Gesellschaftsentwürfen Menschenwürde, Demokratieprinzip und Rechtsstaatlichkeit aber möglicherweise einen höheren praktischen Stellenwert erfahren als in der bestehenden Staats- und Gesellschaftsordnung. Eine Ordnung in welcher immer mehr Menschen in unwürdiger Armut leben müssen während wenige immer reicher werden. Eine Ordnung, welche Millionen von Menschen ein Wahlrecht vorenthält, obwohl sie hier nicht nur vorübergehend leben und Steuern zahlen. Eine Ordnung, in welcher ökonomische Verhältnisse maßgeblich mitentscheiden, wer vom Rechtsstaat profitiert und wer weg- und ausgeschlossen werden kann.
Kann Spuren von Politik enthalten.
Neben diesem argumentativen Trick, sich über die Grenzen der FDGO hinwegzusetzen, greift das BfV auch auf sprachliche Mittel zurück, wenn es darum geht das eigene Vorgehen auch gegen legale politische Aktivitäten richten zu können. Zwei Beispiele sollen dies verdeutlichen.
Im gleichen Abschnitt wie oben zitiert heißt es weiter:
„Themen wie […], […] oder […] sind dabei anlassbezogen relevante, letztlich aber austauschbare Aktionsfelder, die immer nur der Umsetzung der eigenen ideologischen Vorstellungen dienen.“
Womit das BfV den Eindruck erwecken möchte, ein nahezu heimtückisches Vorgehen bestimmter politischer Akteure aufgedeckt zu haben, handelt es sich bei genauerem Hinsehen eigentlich doch vielmerh um den normalen politischen Alltag. Ist es nicht Grundanliegen politischer Arbeit, die Umsetzung der eigenen Ideen bzw. Ideologien voranzubringen? Ob dabei mehrere Aktionsfelder bedient werden ist eher eine Frage der personellen Ausstattung und sicher kein Hinweis auf Extremismus. Jede Partei, die danach strebt politische Verantwortung zu übernehmen, sollte selbstverständlich verschiedene Aktionsfelder bedienen können. Doch selbst einmal angenommen, die Aussage würde tatsächlich ein verwerfliches Vorgehen beschreiben, bleibt offen, worin sich eine konkrete Gefahr für die FDGO ergeben soll, dadurch dass sich politische Akteure in verschiedenen Themenfeldern engagieren?
Damit skandalisiert diese Aussage nicht nur etwas völlig Banales, sondern ist sie auch in ihrer Formulierung so beliebig, dass sie auf nahezu alle politischen Akteure angewandt werden kann. Setzt man zum Beispiel einmal “Steuerpolitik”, “Privatisierung” und “freier Markt” in die leeren Felder, fallen Anhänger:innen neoliberaler Ideologien darunter. Oder, und dabei wird der Nonsense dieser Aussage besonders deutlich, man setzt “Rechtsextremismus”, “Islamismus” und “Linksextremismus” in die Felder ein. Schon findet sich darin auch das BfV mit seinen eigenen ideologischen Vorstellungen aus der sogenannten Hufeisentheorie wieder.
Extrem brutal.
Weitere Merkmale einer politischen Ausrichtung des BfV finden sich auch im Vokabular wieder. Als Beispiel dafür dient ein Begriff der im gesamten Bericht nur zwei Mal und nur in einer Kategorie vorkommt, nämlich „brutal“ bzw. „Brutalität“. Im Kurzbericht heißt es, seien bei Akteuren der benannten Kategorie „Brutalität und Gewaltbereitschaft stark ausgeprägt“ und weiter ist die Rede von „brutalen körperlichen Angriffen“. Würden Sie im ersten Moment denken, dass diese Aussagen nur auf eine Kategorie innerhalb des Verfassungsschutzberichtes zutreffen würde?
Der Verdacht liegt nahe, dass die Bedrohung durch Akteure der betreffenden Kategorie mit der emotionalen Komponente des Begriffes „brutal“ aufgewertet werden soll und die Gefahr des Phänomens verbal verstärkt werden muss. Im wohlmeinenden Fall handelt es sich vielleicht nur um eine Hilfestellung und das das BfV will den Leser:innen nicht zutrauen, eine eigene Bewertung vorzunehmen, welche Form von Gewalt sie als brutal empfinden. Wahrscheinlicher ist jedoch, dass eine Manipulation der Leser:innen bewusst eingesetzt wird, da der Begriff Ablehnung hervorrufen und ein Gefühl bestärken soll, dass das BfV wirklich nur ganz gefährliche Akteure in den Fokus nimmt.
Bei der Beurteilung von Brutalität kommen weder objektive Faktoren zutrage, noch lässt sich daraus ableiten, ob eine „brutale“ Handlung „verfassungsfeindlich“ ist oder nicht. Zum einen kann es sich um eine allgemeine Zuschreibung handeln, die man im Grunde jeder Form von Gewalt unterstellen kann und deren Aussagekraft in Einzelfällen deswegen fraglich ist. Oder es handelt sich um subjektive Zuschreibungen, die nur bestimmte Formen von Gewalt als brutal erfassen. In diesem Fall wäre jedoch wenigstens zu klären, welche Kriterien für die Bewertung von Brutalität im Verfassungsschutzbericht herangezogen werden und warum diese in einer Kategorie eine besondere Rolle zu spielen scheinen? Anscheinend kommen in der ein oder anderen Kategorie zusätzliche Komponenten zu Hilfe, um die Beobachtung durch das BfV zu rechtfertigen. Hinzu kommt, dass die Bewertung, ob eine Handlung brutal ist oder nicht, überhaupt nicht notwendig wäre, wenn das BfV begründen könnte, ob sich eine politische Handlung oder ein Akteur gegen die FDGO richtet, oder eben nicht.Damit überschreitet das BfV erneut seine Grenzen und betreibt politische Einflussnahme, indem Akteure gezielt mit bestimmten Eigenschaften wie Brutalität markiert werden, ohne dass dies nachvollziehbar begründet wird.
Man wird doch noch sagen dürfen, wer wirklich extrem ist!
Nicht wer Extremes tut, wird dadurch zum Extremist. Sondern extremistisch ist alles, was Extremisten tun. Und wer die Extremisten sind, bestimmt das BfV wie oben geschildert nach äußerst fragwürdigen Methoden. Nach der Herleitung der eigenen Definitionsmacht, müssen seitens des BfV nun nicht mehr die konkreten Gefahren bestimmter Handlungen erklärt werden, sondern reicht es verschiedene Akteure einfach als extrem zu markieren, sodass jegliche Betätigung dieser Gruppen als extremistisch beschrieben werden kann und der Beweis erbracht ist, dass es sich also um Extremisten handeln müsse, wenn sie so viel Extremes tun. Klingt nachen einem Zirkelschluss? Ist es auch. Da eine solche Schein-Logik hin und wieder hinkt, muss zusätzlich an die Gefühle der Leser:innen appelliert werden, dass es das BfV am Ende doch nur gut meine und sein Nötigstes leiste. Dafür greift das BfV auch auf eine der mächtigsten Vorwürfe zurück, einen politischen Gegner als Gefahr darzustellen und die oft dann gezogen wird, wenn das eigene argumentative Fundament eher dünn ist.
Unter der Überschrift „Bedeutung der Jugendarbeit […]“ ist Folgendes zu lesen:
„Um Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene für sich zu gewinnen, betreiben dogmatische […] (Jugend-)Organisationen […] zunehmend ideologische Jugendarbeit und Anwerbung vor Schulen, […]“.
Das BfV kreiert damit ein Bild, in dem Extremisten nicht einmal davor zurückschrecken wehrlosen Kindern vor Schulen aufzulauern, um sie für ihre Anliegen gewinnen. Auch hier handelt es sich erstmal um eine übliche und in den meisten Fällen auch legale Praxis verschiedenster Organisationen zur Nachwuchsgewinnung. Parteien haben Jugendorganisationen, freiwillige Feuerwehren und THW werben um Nachwuchs auf Festen und Tagen der offenen Tür und selbst die Bundeswehr hat Jugendliche auf Youtube oder bei Jobmessen als Zielgruppe entdeckt.
Auch Veranstaltungen wie der Kinder- und Jugendgipfel der Stadt Mannheim weisen darauf hin, dass eine Ansprache von Kindern zu politischen Zwecken an sich kein Problem zu sein scheint. Welche Gefahren damit verbunden sein sollen, lässt das BfV auch hier mal wieder offen. Entweder empfinden die Agenten des BfV die Gefahr als so gewaltig, dass sie nicht genannt werden kann. Oder sie unterliegen der naiven Annahme, dass sich Kinder und Jugendliche in einem ansonsten völlig unpolitischen Raum bewegen und schon die Möglichkeit politischer Einflussnahme unter allen Umständen vereitelt werden müsse. Dabei ist gerade der Sozialraum Schule keineswegs ein politisch neutraler (Schutz-)Raum und auch der Alltag von Kindern ist durchweg von politischen Verhältnissen geprägt.
Nun ist die Erwähnung einer abstrakten Gefahr für Kinder häufig ein Anzeichen dafür, dass sachliche Argumente nicht in ausreichender Güte vorhanden zu sein scheinen und auch hier muss danach gefragt werden, inwiefern die FDGO durch bestimmte Aktionsformen an Schulen oder Universitäten bedroht zu sein scheint? Erneut wird mit einem emotional besetzten Begriff gearbeitet, um grundsätzlich legale politische Handlungen mit einem Verdachtsmoment zu versehen und Akteure brandmarken zu können. Wenn offensichtlich nicht jede Form der politischen Ansprache von Kindern und Jugendlichen grundsätzlich in Frage gestellt wird, darf man erwarten, dass ein Geheimdienst erklärt, worin darin bei bestimmten Akteuren die Gefahr für die FDGO genau besteht, insbesondere wenn es sich um legale Tätigkeiten und im Rahmen der Meinungsfreiheit geschützte Inhalte handelt. Die Verweigerung solche Erklärungen für das eigene Handeln zu abzugeben darf nicht als notwendige Geheimhaltung der eigenen Arbeitsweise missverstanden werden, sondern muss als das beichnet werden, was sie darstellt, nämlich völlige Intransparenz. Eine solche Intransparenz einer Behörde, die teilweise zu massiven Eingriffe in die Grundrechte führt, droht selbst zur Gefahr für die FDGO zu werden.
(Schlapp-) Hut ab!
„Wir gehen mit voller Härte gegen Extremisten vor, die unsere Demokratie verachten und Menschen in unserem Land bedrohen“ so Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) bei der Vorstellung des Berichtes für das Jahr 2022. Wie oben beschrieben nimmt das Bundesamt für Verfassungsschutz dabei große Kollateralschäden in Kauf, die auch aus demokratischer Sicht bedenklich erscheinen, da viele der von der Härte des BfV betroffenen weder die Demokratie verachten, noch eine konkrete Bedrohung darstellen.
Wie demokratisch ist es, wenn sich ein Geheimdienst auf Grund eigenwilliger Interpretationen die Macht herausnimmt, politische Organisationen allein durch eine Nennung in seinen Berichten ins politische Abseits drängen zu können. Wie rechtsstaatlich ist es, wenn ein Geheimdienst die ihm auferlegten Einschränkungen der FDGO selbst dermaßen ausweiten kann, dass nicht nur illegale und damit juristisch zu bearbeitende Aktivitäten darunterfallen, sondern eine Beobachtung legaler politischer Handlungen durch ein selbsternanntes „Frühwarnsystem“ als normal und sogar erstrebenswert erscheint?
Hinzu kommt, sind Akteure erst einmal als extrem markiert, werden jegliche ihrer Handlungen als potenziell extremistisch angesehen. Damit wird ein eine Art sich selbst erfüllender Prophezeiung in Gang gesetzt. Gerät ein Akteur einmal in den Fokus des Geheimdienstes, werden sämtliche Handlungen dieses Akteurs, selbst legale, als Gefährdung erfasst. Diese Logik ist für die Betroffenen kaum mehr zu durchbrechen und eine Beurteilung der Rechtmäßigkeit erfolgt erst Jahre oder gar Jahrzehnte später, wenn Betroffene überhaupt davon erfahren und Gerichte mit der Überprüfung beauftragen. Denn was würde es bedeuten, wenn man die Zuständigkeit des BfV tatsächlich eng an die Begrifflichkeiten der FDGO anlegen würde? Dann müsste das BfV wohl einsehen, dass einige Organisationen und Akteure beobachtet werden und im Bericht auftauchen, ohne dass objektive Gründe benannt werden, die eine konkrete Gefahr für Menschenwürde, Demokratie oder Rechtsstaatlichkeit darstellen. Die als Hufeisen bekannt gewordene Theorie der gleichförmigen Bedrohung der Mehrheitsgesellschaft durch alle randständigen politischen Positionen wäre dann kaum haltbar und das BfV würde die Grundlage seiner Bedeutung und damit an Finanzen, Personal und Einfluss verlieren. Dass das Bundesamt für Verfassungsschutz selbst am Fundament eines bedeutenden Teils seiner Arbeit und damit Anerkennung, rüttelt ist eher unwahrscheinlich. Eher im Gegenteil, ist das BfV von sich aus auf Grund der oben beschriebenen Mechanismen dazu überhaupt nicht in der Lage und deshalb geneigt seine Handlungsmacht auszuweiten und gleichzeitig noch intransparenter zu werden.
Zu der Abhängigkeit von politischen Machtverhältnissen und damit auch ideologischen Vorstellungen, man stelle sich nur vor wie das BfV unter H.G. Maaßen geführt wurde oder welche Richtung eine Landesamt für Verfassungsschutz einschlagen würde, sollte die AfD ein Innenministerium besetzen, lässt sich auch durch organisationsinterne Logiken begründen, dass es sich beim Bundesamt für Verfassungsschutz um eine Institution mit politischer Agenda handelt. Das allein ist aus demokratischer Sicht bereits fragwürdig genug. Besonders gefährlich ist jedoch, dass das BfV diesen Umstand leugnet und sich als scheinbar neutrale Institution inszeniert, was vor allem im bürgerlichen Lager und über Parteien hinweg immer wieder verfängt. Damit entzieht sich das BfV nicht nur Kritik von außen, sondern auch der Fähigkeit zur Selbstkritik. Institutionen die dazu nicht mehr in der Lage sind, neigen zwangsläufig zum Autoritarismus. Die Konstruktion und Verteidigung einer eigenen Definitionsmacht durch das BfV, auch über gesetzliche Schranken wie den Beschluss zur FDGO oder andere grundrechte hinweg, sind klare Anzeichen für diese Tendenz zum Autoritären.
Man muss sicher nicht Extremist:in sein, sondern lediglich Demokrat:in, um sagen zu können, dass sich intransparente und autoritäre Machtstrukturenkeinesfalls mit einer freiheitlich- demokratischen Grundordnung vereinbaren lassen. Die Zweifel an der Vereinbarkeit eines solchen Geheimdienstes mit einer zivilen Liberalität, wie sie Thomas Wagner oben anführt, sind also durchaus angebracht. Deshalb wäre eine Abschaffung des BfV und vor allem der Bobachtung legaler politischer Betätigung nicht nur konsequent, sondern auch ein Fortschritt im Sinne der freiheitlichen demokratischen Grundordnung.
Text: DeBe