Die Mannheimer Reiterstaffel muss aufgelöst werden!

Reiterstaffel am Rande einer Kundgebung | KIM-Archivbild 2023

Zwei Polizisten der Mannheimer Reiterstaffel wurden Ende März wegen Tierquälerei zu unerwartet hohen Geldstrafen verurteilt. Die Staatsanwalt spricht jedoch davon, dass im Prozess nur die „Spitze des Eisbergs“ sichtbar wurde, die Richterin regt an, nicht nur den Umgang mit den Tieren, sondern auch den Führungsstil der Reiterstaffel zu hinterfragen. Außer der justiziellen ist nun auch eine politische Bearbeitung des Themas dringend erforderlich.

Schläge, veraltete Methoden, rohes Verhalten

Am 21. März wurden zwei Mannheimer Polizisten wegen Verstößen gegen das Tierschutzgesetz schuldig gesprochen und zu überraschend empfindlichen Strafen verurteilt. Die Anklage hatte sich auf insgesamt fünf Taten bezogen, die zwischen Winter 2019 und Ende 2021 während des sogenannten Einsatztrainings von Polizeipferden begangen worden waren und als Tierquälerei gewertet wurden. Es handelte sich um harte Schläge mit einer Reitgerte und mit der flachen Hand, um das Umhängen eines sogenannten Klappersacks und um das Anbringen einer schmerzhaften Pfefferpaste an einem Futtertrog. Die Misshandlungen hatten die Tiere wiederholt in Panik versetzt und bei ihnen Schmerzen und ein „erhebliches Leiden“ verursacht.

Die Anklage hatte mehrmals von einer »gefühllosen und fremdes Leiden missachtenden Gesinnung« gesprochen, auch die Richterin spricht am Ende des Verfahrens von „Rohheit“. Sie spricht zudem von veralteten Methoden, die von „Gewalt und Kraft“ bestimmt gewesen seien, obwohl beide erfahrene Reiter seien.

Sie belehrt die Beamten: „Auch Pferde sind Lebewesen und empfinden Schmerz wie Menschen auch.“ Der jüngere der beiden, zur Tatzeit 38 Jahre alte Beamte wurde zu einer Geldstrafe von 14.000 Euro (140 Tagessätze à 100 Euro) verurteilt, ist damit vorbestraft und erhält einen Eintrag ins polizeiliche Führungszeugnis. Für zwei Jahre wurde ihm zudem der berufliche Umgang mit Tieren jeder Art verboten. Der ältere, zur Tatzeit 54 Jahre Angeklagte, erhielt eine Geldstrafe von 9.200 Euro (80 Tagessätze à 115 Euro).

Abgründe

Es ist durch empirische Studien gut belegt, dass übermäßige und damit illegale Polizeigewalt sich einerseits häufig ereignet, andererseits aber nur sehr selten juristische Folgen hat. Die Höhe der Urteile mag deshalb überraschen. Der Prozessverlauf eröffnete jedoch Einblicke in mehrere Abgründe, die schließen lassen, dass sowohl hinsichtlich des Tierschutzes als auch in Bezug auf die in der Reiterstaffel bestehende „Cop Culture“ wesentlich weitergehende Lösungen und Eingriffe erforderlich sind.

Da ist zunächst das in vielerlei Hinsicht fragwürdige Verhalten der Angeklagten. Die Staatsanwaltschaft spricht davon, im Prozess sei nur die „Spitze des Eisbergs“ sichtbar geworden, andere Ordnungswidrigkeiten und Verstöße seien bereits im Vorfeld eingestellt worden. An dieser Stelle erhebt sich die Frage: Konnten oder wollten vorgesetzte Stellen diese Missstände nicht abstellen?

Außerdem: Die Beamten setzten nicht nur übermäßige Gewalt ein, sondern auch Praktiken, die bei Pferdehaltern allgemein als tierschutzwidrig und strafbar bekannt sind, wie das Einreiben eines Futtertroges mit Pfefferpaste bei einem Pferd, das ein sogenanntes „Koppen“ zeigte. Es bedeutet, dass ein Pferd seine vorderen Halsmuskeln anspannt, wodurch Luft in die Speiseröhre strömt und ein rülpsendes Geräusch entsteht. Dabei setzen sie häufig die Zähne auf einen festen Gegenstand auf, z.B. auf den Futtertrog. Koppen ist eine in der Haltung von Pferden bekannte Stereotypie, die auf ein Leiden des Tieres hinweist. In freier Wildbahn kommt sie nicht vor. Auch Menschen zeigen nach einer starken Traumatisierung oder bei schwerer Behinderung oder in unerträglichen Situationen stereotype Verhaltensweisen, indem sie beispielsweise den Oberkörper unaufhörlich vor- und zurückbewegen oder den Kopf aufschlagen. Die sinn- und zwecklos erscheinende repetitive Bewegung oder die Selbstverletzung ermöglicht es ihnen, schwer erträgliche innere Leidenszustände zu überdecken und so ihr Leiden etwas zu lindern. Bei Tieren, nicht nur bei Pferden, sondern verbreitet in der Massentierhaltung, haben Stereotypien genau die gleiche Funktion. Das berühmte Gedicht „Der Panther“ von Rainer Maria Rilke handelt von einer solchen Stereotypie eines gefangen gehaltenen Tieres. Von Pferden ist bekannt, dass sie vor allem dann koppen, wenn sie zu wenig Sozialkontakte oder zu wenig Bewegung haben oder wenn sie durch Ausbildungs- oder Trainingsmaßnahmen überfordert werden. Bei Rennpferden ist das Koppen besonders häufig. Es also durch Bestrafung zu unterbinden, durch aversive Reize zu stoppen, löst nicht nur das zugrundeliegende Problem nicht, sondern nimmt dem Tier auch eine Bewältigungsmöglichkeit und vergrößert somit ihr Leiden. Deshalb ist es strafbar, wie jeder Tierhalter weiß. Dass Vorgesetzte hier nicht intervenierten, weder die Haltungsbedingungen der Tiere überprüften noch das tierschutzwidrige Verhalten abstellten, bis heute auch noch kein Disziplinarverfahren einleiteten, eröffnet einen weiteren Blick in Abgründe.

Den nächsten Abgrund kennzeichnet das Verhalten der Beamten gegenüber ihren Kolleginnen. Der Beamte, der verurteilt wurde, weil er ein Pferd geschlagen hatte, hatte nicht das eigene Pferd misshandelt, sondern eines, auf dem gerade eine Kollegin saß. Was ja auch gegenüber dieser betreffenden Beamtin eine Grenzüberschreitung bedeutet. Viele ehemalige Kolleginnen hatten immer wieder auf „tierschutzgerechtere Trainingsmethoden“ hingewiesen. Nach Zeugenaussagen erwiesen sich die beiden jedoch nicht als kritikfähig. Sie hätten stattdessen ihre Kolleginnen als „Ponyhof-Fraktion“ gemobbt, bis diese die Dienststelle wechselten. Auch hier die bohrende Frage: Wo waren die Vorgesetzten?

Die Staatsanwältin bezeichnete die diversen tierschutzwidrigen Praktiken der Beamten als „perfide“, diese jedoch sehen sich selbst als Opfer und die Zeugenaussagen als einen persönlichen Rachefeldzug. Die Staatsanwaltschaft hingegen betont, die Angeklagten hätten keine Reue gezeigt, „das eigene Verhalten nie selbstkritisch hinterfragt, sondern die Situation beschönigt.“ Ihre Verteidigung kündigte an, in Berufung zu gehen.

Reiterstaffel auflösen!

Viele der Kritikpunkte, die seit langem an polizeilichen Reiterstaffeln vorgebracht werden, finden in diesem Prozess eine Bestätigung. Das ganze Leben eines Polizeipferdes besteht darin, seinem Wesen, seinen Bedürfnissen und den ihm angeborenen Reflexen entgegenhandeln zu müssen. Die Ausbildung, das Einsatztraining und der Einsatz von Polizeipferden sind mit dem Tierwohl prinzipiell unvereinbar. Reiterstaffeln sind historisch und kulturell Ausdruck eines reaktionären und repressiven, obrigkeitsstaatlichen Polizeiverständnisses, was sich in dem Verhalten der Angeklagten auf vielfältige Weise widerzuspiegeln scheint. Reiterstaffeln führen dementsprechend im Ernstfall eher zur Eskalation als zur Vermeidung von Gewalt. Außerdem sind sie sehr, sehr teuer, eine Stadt wie Mannheim könnte dieses Geld wahrlich sinnvoller verwenden.

Michael Kohler