Mannheimer Sozialatlas ersetzt einen Armuts-Reichtums-Bericht nicht
Welche strukturellen Konsequenzen werden gezogen?
Thomas Trüper – Der 14. Mannheimer Sozialatlas ist veröffentlicht und wird im nächste Ausschuss für Wirtschaft, Arbeit und Soziales am 2. Dezember diskutiert (V332/2015 Anlagen 1 und 2). Der Sozialatlas untersucht die Mannheimer Stadtteile nach 18 Kriterien und kommt zu folgendem Ergebnis:
Insgesamt 33 der 44 Mannheimer Planungsräume sind durch geringe bis durchschnittliche soziale Problemlagen gekennzeichnet. Die überwiegende Mehrheit der Mannheimer Bevölkerung lebt in diesen Planungsräumen, die geringe oder durchschnittliche soziale Problemlagen aufweisen. In der Summe der Typen 1a, 1b, 2 und 3 sind es 229.600 Einwohner/innen (dies entspricht knapp 74 Prozent der Gesamtbevölkerung Mannheims).
Die Planungsräume mit überdurchschnittlichen sozialen Problemlagen finden sich in den Typen 4, 5a und 5b, die sich voneinander durch unterschiedliche demographischen Strukturen abgrenzen lassen. Diese 11 Planungsräume machen einen Anteil von 26 Prozent an der Gesamtbevölkerung Mannheims aus.
Immerhin also lebt ein Viertel der Mannheimer Bevölkerung in einer Sozialraumtypologie, in der Armut vorherrscht – und den Menschen Perspektiven abschneidet. Und was besonders gravierend ist: Es sind die kinderreichsten Stadtteile. Als Mannheimer/in braucht man keinen Sozialatlas, um die Wohnquartiere aufzuzählen, die dem prekärsten „Planungsraum-Typ 5b“ angehören.
Welche Schlussfolgerungen zieht die Verwaltung aus der Eigenschaft dieser Sozialräume? Im Vorwort zum Sozialatlas heißt es:
Für diese Personengruppen und Quartiere bietet die Stadt Mannheim gemeinsam mit verschiedenen Kooperationspartnern zielgerichtete Maßnahmen und unterstützende Hilfen an. Zahlreiche Maßnahmen und Einrichtungen tragen zu einer sozialen Quartiersentwicklung bei. Zu nennen sind unter anderem das Quartiermanagement in benachteiligten Stadtteilen und die dezentralen JobBörsen, die die Vermittlung und Beratung von Arbeitsuchenden vor Ort unterstützen. Dieser Weg einer sozialen Kommunalpolitik, die in den Quartieren ansetzt und die Besonderheiten der Stadtteile berücksichtigt, hat sich als richtig und wirkungsvoll bewährt und soll zukünftig fortgesetzt und – wo nötig und sinnvoll – verstärkt werden.
All diese Maßnahmen sind nicht verwerflich, aber sie gehen grundsätzlich von der Aufrechterhaltung der Stadtteilstrukturen aus. Und das funktioniert auch: Keine kinderreiche Familie wird den Weg raus aus dem Stadtteil finden – dafür sorgen schon die Mietpreise. Und wer irgendwo in der Stadt auf einem bestimmten Armutslevel angekommen ist, wird genau in diesen Stadtteilen landen. Durchaus viel Geld wird in Stadtteil- und Wohnungssanierung, in Kitas und Schulen gesteckt. Die Struktur wird geliftet, aber nicht verändert.
Dazu wäre als Erstes eine ganzheitliche und dezernatsübergreifende Sicht erforderlich. Der Armutsbericht ist ein Produkt des Sozialamtes. Welche Sicht hat das Jugendamt auf diese Stadtteile? Wie sieht es mit den Wohnungen hier aus? Wie mit den Bildungsmöglichkeiten und Erfolgen? Welche Transfer- und Dienstleistungsgelder fließen in diese Quartiere? Welche Perspektiven könnte der Wohnungsbau öffnen durch gezielte und intensive Förderung der Durchmischung neuer Stadtteile, wie sie auf den Konversionsflächen entstehen, durch bewusste „Aufmischung“ bestehender Stadtteile, z.B. durch eine geänderte Sanierungs- und Belegungspolitik in den Wohnungsbeständen der GBG? Wäre es nicht am Ende ein Beitrag zur „Haushaltskonsolidierung“, wenn bei den Kosten der Unterkunft bewusst auch Wohnungen oberhalb der „Mietpreisobergrenze“ des JobCenter finanziert würden, und damit anregendere Umgebungen für Kinder z.B. aus Schönau Nord geschaffen würden? Wenn die Stadt jährlich 120 Mio. Euro netto an Leistungen der Sozialhilfe, der Unterkunftskosten, der Hilfen zur Erziehung sowie der sonstigen Sozialleistungen zu tragen hat, muss die Frage gestellt werden, in wie weit dieser Aufwand durch die Zementierung der belasteten Sozialräume mitverursacht ist. Die Aufgabe lautet eindeutig Armutsbekämpfung. Wenn sich die Stadt eines nicht leisten kann oder leisten sollte, dann ist es nicht etwa das Nationaltheater, sondern die Armut und deren „Pflege“, die immer wieder dazu neigt, die Armen statt der Armut zu bekämpfen und letztlich die Armut zu zementieren.
Armutsbekämpfung ist eine Querschnittsaufgabe, an der wenigstens die Dezernate für Jugend und Bildung, Wohnen und Stadtplanung und Soziales zusammenwirken müssen. Wer die Armut bekämpfen will, darf nicht nur das Sozialamt daransetzen. Es braucht einen Armutsbericht unter ganzheitlicher Betrachtung. Der Sozialatlas ebenso wie die Mannheimer Bildungsberichte oder das Siedlungsmonitoring sind gute Voraussetzungen für eine solche ganzheitliche Berichterstattung und daraus abgeleitete Maßnahmen der Armutsbekämpfung. Und hier stellt sich natürlich auch das Thema Flucht in aller Deutlichkeit.
Da keine Armut ohne Reichtum der anderen und kein Reichtum ohne Armut der Einen existiert, müssen beide zusammen gesehen werden in einem Reichtums- und Armutsbericht. Diese Aufgabe macht allerdings nur Sinn, wenn sie als regionale angegangen wird. Denn der Reichtum sammelt sich v.a. vor den Toren der Städte in den Speckgürteln. Damit wird das zu bohrende dicke Brett der Armutsbekämpfung und der Beteiligung des Reichtums an dieser Aufgabe zweifellos noch dicker.