Wo bleibt das Gewalthilfegesetz?
Am 23. November fand in Mannheim eine von Gökay Akbulut (Die Linke) organisierte Veranstaltung mit dem Motto „Frauen vor Gewalt schützen“ im Trafohaus statt. Die Bundestagsabgeordnete und Sprecherin für Frauenpolitik diskutierte mit Parteikollegin Janine Wissler, Sylvia Haller von der Zentralen Informationsstelle Autonomer Frauenhäuser (ZIF) und Dr. Delal Atmaca vom Dachverband der Migrantinnenorganisationen (DaMigra e.V.) anlässlich des „Internationalen Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen“.
Steigende Zahlen in der Kriminalstatistik
Statistisch gesehen werden jede Stunde etwa 14 Frauen Opfer von Partnerschaftsgewalt. Beinahe jeden Tag versucht ein Partner oder Ex-Partner, seine (Ex-)Frau zu töten und fast alle zwei Tage gelingt ihm das auch – so die nüchternen Zahlen der Kriminalstatistik, hinter denen unzählige Geschichten voller Leid der Betroffenen stehen. Das gesamte Hilfesystem für den Gewaltschutz von Frauen sei völlig unterfinanziert und platze aus allen Nähten, kritisierte Akbulut.
Diese Kritik teilte auch Sylvia Haller vom ZIF: „Wir kämpfen seit über 40 Jahren für eine Verbesserung der Situation gewaltbetroffener Frauen und Kinder. Nach wie vor ist es so, dass wir steigende Zahlen erleben.“ Gleichzeitig sei der Politik bekannt, dass es zu wenige Plätze in Frauenhäusern gebe, diese mangelhaft finanziert und nicht dauerhaft abgesichert seien.
Die Istanbul Konvention gebe so viele kluge Hinweise und sei seit sechs Jahren geltendes Recht in Deutschland. „Wir haben kein Erkenntnisproblem.“ Dennoch sei die Situation von Frauenhäusern und Beratungsstellen weiterhin prekär. „Es fehlt am politischem Willen, wirklich auch was zu verändern“, so die Einschätzung von Haller.
Die Linke fordert ein Gewalthilfegesetz noch vor der Neuwahl des Bundestags
Gökay Akbulut erklärt dazu: „Der Anstieg von Gewalt gegen Frauen ist höchst alarmierend. Wir fordern schnelle Maßnahmen und mehr finanzielle Mittel, um dieses Problem zu bekämpfen. Die Bundesregierung muss ein Gewalthilfegesetz unverzüglich einbringen – es wäre eine Schande, wenn es im Bundestag keine Mehrheit dazu gibt. Die Bundesregierung hatte in ihrem Koalitionsvertrag ein Gewalthilfegesetz versprochen. Dabei hat sie es immer wieder verzögert. Zuletzt war es für den Sommer versprochen. Und jetzt? Einen Tag vor dem Regierungsbruch wurde es laut Familienministerin Paus in die Ressortabstimmung gegeben und seitdem keine Spur und großes Schweigen darüber im Ministerium.
Die Gruppe Die Linke im Bundestag hat deshalb den Antrag ‚Frauen und ihre Kinder vor Gewalt schützen – Istanbul-Konvention umsetzen- Gewalthilfegesetz jetzt!‘ in den Deutschen Bundestag eingebracht. Darin fordern wir unter anderem, dass die Bundesregierung trotz allem noch unverzüglich den im Koalitionsvertrag versprochenen Gesetzentwurf eines Gewalthilfegesetzes vorlegt. Der Bund muss mit einer Regelfinanzierung einen bundeseinheitlichen Rechtsrahmen und eine verlässliche Finanzierung des Hilfesystems garantieren. Entsprechend der Istanbul-Konvention muss die Anzahl der Beratungsstellen und Frauenhausplätze deutlich erhöht werden. Eine entsprechende Initiative aus der Minderheitsregierung würden wir klar unterstützen.“
Geschlechtsspezifische Gewalt
Im folgenden dokumentieren wir den einführenden Vortrag von Gökay Akbulut zur Veranstaltung am 23. November „Frauen vor Gewalt schützen – Istanbul-Konvention umsetzen“:
Jede Stunde werden etwa 14 Frauen Opfer von Partnerschaftsgewalt, beinahe jeden Tag versucht ein Partner oder Ex-Partner, seine (Ex-)Frau zu töten, und alle zwei bis drei Tage gelingt ihm das auch. Bei den vollendeten Femiziden sah es noch viel schlimmer aus, davon gab es 360, also fast jeden Tag. Im Jahr 2023 gab es insgesamt 256 276 Fälle häuslicher Gewalt, im Vergleich zum Vorjahr ein Anstieg von circa 6,5%. Mehr als 70% der Opfer waren weiblich, während die Täter mit über 75% vorrangig männlich sind. Geschlechtsspezifische Gewalt hat unterschiedliche Gesichter. Sie umfasst Phänomene wie verbale sexualisierte Belästigung, Beleidigungen, psychische Gewalt, digitale Gewalt, körperliche Gewalt, schwere sexuelle Gewalt, Stalking sowie Gewalt, die wirtschaftliche Schäden für Frauen zur Folge hat, wenn sie z.B. keinen Zugriff auf ihre Konten haben. Im schlimmsten Fall reicht sie sogar bis zum Mord, dem Femizid. Häufig wird diese Gewalt im sogenannten sozialen Nahbereich ausgeübt, also durch die Familie oder den eigenen (Ex-)Lebenspartner. Dennoch ist geschlechtsspezifische Gewalt weder ein Frauen- noch ein Privatproblem. Sie ist ein strukturelles Problem und kommt in allen Bereichen der Gesellschaft vor. Sie ist der offensichtliche Beleg eines tiefergehenden gesellschaftlichen Sexismus, der in seinen vielen Erscheinungsformen angegangen werden muss. Nur so kann Prävention erfolgreich gelingen.
Besonders Frauen, die Mehrfachdiskriminierung erfahren, wie zum Beispiel Frauen mit Migrationsgeschichte oder Frauen mit Behinderungen sind von Gewalt in besonderem Ausmaß betroffen.
Frauen mit Behinderungen, insbesondere in Einrichtungen, sind im nationalen Durchschnitt zweimal häufiger von körperlicher Gewalt und zwei- bis dreimal häufiger von sexualisierter Gewalt betroffen als Frauen ohne Behinderungen. Auch geflüchtete Frauen, die in Sammelunterkünften leben, sind vor Übergriffen absolut nicht sicher.
Sowohl durch das Grundgesetz als auch durch internationale Abkommen, wie zum Beispiel die Istanbul-Konvention, muss der Staat dafür Sorge tragen, Frauen vor Gewalt zu schützen, tut es aber nicht. Weder stellt er ausreichende Gelder für Präventionsprogramme noch für eine angemessene Zahl an Beratungsstellen und Frauenhäusern und deren bedarfsgerechte Ausstattung zur Verfügung. Außerdem gibt es weiterhin keine umfassende und wirksame Schutzstrategie zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen.
Obwohl die rechtlich bindende Istanbul-Konvention, das „Übereinkommen des Europarates zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt“, bereits seit 1. Februar 2018 in Deutschland in Kraft ist, wurde bisher noch viel zu wenig für ihre Umsetzung getan. Mit der Ratifizierung der Istanbul-Konvention ist der Staat z.B. dazu verpflichtet, umfassende Daten zu Gewalt an Frauen zu erheben und das Gewaltschutzsystem auszubauen. Zudem fordert die Umsetzung der Konvention von der Bundesregierung nicht nur zahlreiche Verbesserungen für den Schutz und die Unterstützung von Frauen, die von Gewalt betroffen sind, sondern auch eine umfassende und wirksame Gesamtstrategie für die Umsetzung der Konvention.
Mit der Ratifizierung der Istanbul-Konvention hat Deutschland anerkannt, dass Gewalt gegen Frauen und Mädchen in der Bundesrepublik ein tiefgreifendes Problem ist, dem mit umfassenden Maßnahmen in den Bereichen Prävention, Intervention und Sanktionen begegnet werden muss. Diese Maßnahmen sind im Vertragstext festgehalten und die Vertragspartner völkerrechtlich zu ihrer Einhaltung verpflichtet.
Aber! Dier Realität schaut in Deutschland leider ganz anders aus:
Seit dem Inkrafttreten der Konvention in Deutschland wurde weder ein politisches Dokument noch eine nationale Gesamtstrategie erarbeitet, welche die Rechte der Betroffenen in den Mittelpunkt stellt. Neben dem Fehlen eines bundesweit strategischen Rahmens zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen gibt es noch immer keine Koordinierungsstelle, welche beispielsweise die Umsetzung zwischen den einzelnen Ministerien abstimmt. Beides ist aber dringend erforderlich, um verbleibende Defizite zu beheben, wie zum Beispiel das uneinheitliche Aus- und Fortbildungsniveau der verschiedenen Fachkräfte (u. a. im Bereich Justiz und Polizei) oder die mangelnde Zusammenarbeit der unterschiedlichen Behörden, wenn es um die Sicherheit von gewaltbetroffenen Frauen und deren Kindern geht. Hinzu kommt, dass in Deutschland über 13 000 Frauenhausplätze fehlen und das bestehende Hilfesystem nicht den Anforderungen der Istanbul-Konvention entspricht (ein Frauenhausplatz pro 7 500 Einwohner*innen). Vulnerable Gruppen wie Frauen mit Migrationsgeschichte, Behinderungen oder in Wohnungs- und Obdachlosigkeit sind dadurch besonders betroffen. Für sie ist es besonders verheerend, dass die Bundesregierung noch immer über keine Gewaltschutzstrategie verfügt und trotz unzähliger Versprechen noch kein Gewalthilfegesetz vorgelegt hat.
Es ist verheerend, dass das Hilfesystem seit Jahrzehnten aus allen Nähten platzt und dauerhaft unterfinanziert ist.
Es ist katastrophal, wenn Frauen und Kinder keine sichere Unterkunft finden und entscheiden müssen, ob sie zum Täter zurückkehren oder lieber wohnungslos sind.
Es ist ein großes Problem, dass sich der Bund seit Jahrzehnten aus der Verantwortung stiehlt und regional sehr unterschiedliche Finanzierungsregelungen bestehen. Nur ein geringer Teil aller Frauenhäuser ist pauschal finanziert. Der weit größere Anteil der Frauenhäuser wird durch freiwillige Leistungen von Ländern und Kommunen (abhängig von der jeweiligen Regierung und Haushaltslage), Eigenmittel der Träger (z.B. Spenden) und – teils auch ausschließlich – aus sogenannten Tagessätzen finanziert.
Evtl. zu lang und zu detailliert, evtl. weglassen: (Bei der Tagessatzfinanzierung werden die Kosten auf die Bewohnerinnen umgelegt: Für sozialleistungsberechtigte Frauen werden je nach Bundesland Tagessätze auf Grundlage des SGB II oder SGB XII gezahlt, alle anderen müssen selbst für den Aufenthalt im Frauenhaus aufkommen, was für viele Betroffene schlichtweg unbezahlbar ist. Vor allem wenn Frauen gemeinsam mit ihren Kindern fliehen und gezwungen sind, auch für deren Kosten der Unterbringung im Frauenhaus aufzukommen, ist das für viele nicht machbar. Das betrifft Frauen mit eigenem Einkommen ebenso wie Schüler*innen, Student*innen oder geflüchtete Frauen „ohne Papiere“. Die bestehende Art der Finanzierung führt zu einer Überforderung der Kommunen und einer großen Unsicherheit für die Frauenhäuser selbst.)
Aber dazu erfahren wir von unseren Gästen auf dem Podium und in den Workshops gleich mehr.
Die Bundesregierung hatte in ihrem Koalitionsvertrag ein Gewalthilfegesetz versprochen. Dabei hat sie es immer wieder verzögert. Zuletzt war es für den Sommer versprochen. Und jetzt? Einen Tag vor dem Regierungsbruch wurde es laut Familienministerin Paus in die Ressortabstimmung gegeben und seitdem keine Spur und großes Schweigen darüber im Ministerium.
Die Gruppe Die Linke im Bundestag hat deshalb vergangene Woche den Antrag „Frauen und ihre Kinder vor Gewalt schützen – Istanbul-Konvention umsetzen- Gewalthilfegesetz jetzt!“ in den Deutschen Bundestag eingebracht. Darin fordern wir unter anderem , dass die Bundesregierung trotz allem noch unverzüglich den im Koalitionsvertrag versprochenen Gesetzentwurf eines „Gewalthilfegesetzes“ vorlegt, der mit einer Regelfinanzierung durch den Bund einen bundeseinheitlichen Rechtsrahmen und eine verlässliche Finanzierung des Hilfesystems garantiert und entsprechend der Istanbul-Konvention die Anzahl der Beratungsstellen und Frauenhausplätze (ein Platz auf 7.500 Einwohner*innen) erhöht.
Darüber hinaus fordern wir z.B. aber unter anderem auch:
• dass die BR unverzüglich einen Gesetzentwurf in den Bundestag einbringt, mit dem ein vom Ehemann unabhängiger Aufenthaltstitel für von Partnerschaftsgewalt betroffene geflüchtete Frauen geschaffen wird.
• dass die BR unverzüglich den im Koalitionsvertrag versprochenen Gesetzentwurf eines Gesetzes gegen Digitale Gewalt vorlegt, der alle Formen digitaler Gewalt beachtet
• dass die nationale Koordinierungsstelle zur Umsetzung der Istanbul-Konvention unverzüglich ihre Arbeit aufnimmt.
• dass die BR angemessene finanzielle Mittel sowohl zu Umsetzung der Istanbul-Konvention als auch für das „Gewalthilfegesetz“ und die Zivilgesellschaft, damit diese unabhängig und kritisch die Umsetzung begleiten kann, bereitstellt.