Jobcenter Mannheim: Über 3.000 Sanktionen pro Jahr
Auf Anfrage der LINKEN. im Mannheimer Gemeinderat hat die Verwaltung über die vom JobCenter Mannheim verhängten Sanktionen informiert. Das Ergebnis: jährlich werden in Mannheim über 3000 Sanktionen verhängt. In einem Drittel der Fälle werden Sanktionen von 30% oder gar 60% ausgesprochen.
Thomas Trüper – DIE LINKE im Gemeinderat hatte im Juli 2015 die Verwaltung per Antrag (A209/2015) aufgefordert
- über Art und Umfang der vom JobCenter verhängten Sanktionen und über davon ausgehende Rechtsstreitigkeiten zu informieren und
- beim JobCenter darauf hinzuwirken, dass es bis zu einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über eine mögliche Verfassungswidrigkeit solcher Sanktionen diese aussetzt (Sanktionsmoratorium).
Die Verwaltung sagte im zuständigen Sozialausschuss eine Stellungnahme zu diesem Antrag zu, die sie im Dezember mit der Vorlage V690/2015 vorlegte.
Die Antwort zu Punkt 2 fällt erwartungsgemäß kurz und bündig aus:
Nach der geltenden Rechtslage hat das Jobcenter bei der Verhängung von Sanktionen kein Ermessen, d.h. die Rechtsfolge tritt automatisch ein. Insofern ist das Jobcenter gebunden und handelt gesetzeskonform. Eine andere Vorgehensweise kann nur durch den Bundesgesetzgeber oder durch eine Weisung des zuständigen Bundesministeriums verordnet werden.
Zu Punkt 1 präsentiert die Verwaltung entsprechendes Zahlenmaterial der Bundesagentur für Arbeit und fasst diese wie folgt zusammen:
Eine differenzierte Aufstellung der Sanktionstatbestände der Jahre 2013, 2014 und dem 1. HJ 2015 sind der Anlage 1 zu entnehmen. Danach wurden in diesem Zeitraum jährlich zwischen 3.272 und 3.450 Sanktionen verhängt, was einer Sanktionsquote von 2,2 % bis 2,7 % entspricht. Die Sanktionsquote im Jobcenter liegt damit deutlich unter der durchschnittlichen Quote des Landes Baden-Württemberg wie auch des Bundes.
Aktuell werden rd. zwei Drittel der Sanktionen wegen unentschuldigten Meldeversäumnissen, d.h. wegen Nichtwahrnehmen von Terminen ausgesprochen. Die Sanktionshöhe besteht in diesen Fällen in der Minderung der Bedarfe nach den §§ 20 und 21 SGB II (Regelbedarf wie auch evtl. Mehrbedarfe) um 10% für die Dauer von drei Monaten.
Rd. ein Drittel der Sanktionen werden wegen Pflichtverletzungen verhängt. Hier beträgt die Minderung in der ersten Stufe 30 % und in der zweiten Stufe (Wiederholungsfall) 60 % der Bedarfe, ebenfalls für die Dauer von drei Monaten. Eine Auswertung nach erster und zweiter Stufe ist statistisch nicht möglich.
Die folgende Tabelle (Auszug aus der zitierten Anlage 1) zeigt die Anzahl der im jeweiligen Berichtsjahr neu festgestellten Sanktionen sowie die Sanktionsquote in Bezug auf alle erwerbsfähigen Leistungsberechtigten in Prozent. Die Zahlen für das 1. Hj. 2015 lassen keine großen Änderungen gegenüber den Vorjahren erwarten.
1. HJ 2015 |
2014 |
2013 |
||||
Deutschland |
504.690 |
3,0% |
1.001.103 |
3,1% |
1.009.614 |
3,5% |
Baden-Württemberg |
32.768 |
2,8% |
64.058 |
3,0% |
69.158 |
3,3% |
Mannheim |
1.632 |
2,2% |
3.450 |
2,6% |
3.272 |
2,7% |
Rund 2.000 „KundInnen“ des JobCenters Mannheim werden also jährlich für drei Monate mit einer empfindlichen Minderung ihres Lebensunterhalts um 10% traktiert, weil sie einen Termin „unentschuldigt“ versäumen. Die Erzählungen von JobCenter-„KundInnen“ sind Legion, in denen von Verspätungen um 5 bis 10 Minuten die Rede ist, welche sofort als „Nichtwahrnehmen“ gewertet werden. Über die Schuldhaftigkeit entscheidet der/die SachbearbeiterIn. Widrige Lebensumstände wie Krankheit, Probleme mit den Kindern oder sonstige Vorkommnisse, die nicht exakt belegt werden können, führen ebenso ruckzuck zur 10%-Kürzung. Es braucht dann schon viel Nerven (und auch entsprechende Kenntnisse und Fertigkeiten), um mit Widerspruchs- und ggf. Gerichtsverfahren gegen den Schuld- und Kürzungsspruch des JobCenters vorzugehen.
Brutal sind die jährlich über 1.000 Fälle, in denen Menschen 30% oder gar 60% ihrer Leistungen gestrichen werden, wegen „Pflichtverletzung“. Auch hier gilt die Schwierigkeit, sich dagegen zur Wehr zu setzen.
Über das Ausmaß juristischer Schritte gegen die Sanktionen und über die Ergebnisse geben zwei weitere Tabellen Auskunft.
Festzuhalten ist, dass das Jobcenter nur in ca. der Hälfte der Verfahren Recht bekommt. (In 2015 scheint das JobCenter erfolgreicher zu sein. Aber hier sind die Ganzjahreszahlen abzuwarten.) Widerspruch lohnt sich also durchaus.
Man darf gespannt sein, ob und wann das Bundesverfassungsgericht dem Sanktionsgeschäft ein Ende setzt, weil die Verweigerung des soziokulturellen Minimums dem Sozialstaatsgebot widerspricht.