Straßenverkehr oder Demonstration? Muss die Critical Mass beim Ordnungsamt angemeldet werden?
Ist die Mannheimer Critical Mass eine scheinbar zufällige, hierarchiefreie und subversive Fahrradausfahrt, die ganz nebenbei auf die Rechte der nicht motorisierten Zweiradfahrer*innen hinweist? Oder ist sie eine politische Demonstration nach dem Versammlungsgesetz? Nach Meinung der Versammlungsbehörde ist sie letzteres und müsse daher nach den entsprechenden Paragraphen inklusive einer vorher festgelegten Route angemeldet werden. Dann wäre es aber keine Critical Mass mehr im eigentlichen Sinn, sagen die Initiator*innen.
Noch einmal konnte die Critical Mass am 15. September ohne Anmeldung durch Mannheims Straßen fahren. Mehr als 50 Teilnehmer*innen wurden dabei gezählt. Die zu Beginn anwesenden Polizeibeamten sollen sehr freundlich aber auch neugierig gewesen sein, möglicherweise um herauszufinden, wer die Initiator*innen sind.
Greift die Straßenverkehrsordnung oder das Versammlungsgesetz?
Zum Hintergrund, die Aktivist*innen der Critical Mass berufen sich auf den Paragrafen 27 in der Straßenverkehrsordnung. Darin heißt es: „mehr als 15 Rad Fahrende dürfen einen geschlossenen Verband bilden. Dann dürfen sie zu zweit nebeneinander auf der Fahrbahn fahren.“ Damit kommt die namensgebende „kritische Masse“ ins Spiel. Wohin die Reise geht, wird hierarchiefrei, spontan und damit eben auch zufällig entschieden. Jede und jeder kann sich mal an die Spitze setzen und entscheiden, wo es hin geht. Bereits hier sprechen die Regeln der Critical Mass denen der Versammlungsbehörde entgegen.
Über den politischen Charakter dagegen, sind sich alle einige. Natürlich ist die Critical Mass eine Demonstration für die Rechte der Fahrradfahrer*innen, die im urbanen Straßenverkehr im Konfliktfall meist den Kürzeren ziehen. Im Autoland Deutschland haben sie im Kampf um Gleichberechtigung auf den Straßen noch einiges vor sich. Aber: „Eine Critical Mass hat nicht das Ziel, den Straßenverkehr zu blockieren, sie ist selber Teil des Straßenverkehrs – es geht um ein gemeinsames Miteinander auf gleicher Augenhöhe.“, schreiben die Veranstalter*innen der Critical Mass Mannheim.
Ermessensspielraum wird nicht zugunsten der Radler*innen genutzt
Das Ordnungsamt sieht dagegen das Verteilen von Flugblättern als „deutliches Indiz“ für den politischen Charakter der Veranstaltung und der damit verbundenen Einstufung als anmeldepflichtige Versammlung. Ordnungsamtsleiter Klaus Eberle weist darauf hin, dass ab 15 Personen zwar die Verbundsregelung gelte, ab 100 Personen eine Fahrradtour aber genehmigungspflichtig sei – die Critical Mass Veranstaltungen blieben von den Teilnehmerzahlen bisher deutlich darunter. Allerdings könne eine Genehmigungspflicht auch dann entstehen, wenn es zu erheblichen Verkehrsbeeinträchtigungen kommen könnte, beispielsweise bei Nutzung von Bundesstraßen. Und hier dreht sich die ganze Diskussion im Kreis. Denn wenn nach der Idee der Critical Mass die Route spontan und hierarchiefrei entschieden wird, ist davor keinesfalls entschieden, welche Straßen befahren werden und ob es demnach zu Verkehrsbeeinträchtigungen kommen könnte.
„Fahren also tausende von Pkws als Stau durch die Stadt, dann ist das Verkehr. Tun das ein paar Dutzend Radfahrer, dann brauchen sie eine Genehmigung“ kommentiert Gerhard Fontagnier, grüner Stadtrat und Mitorganisator der jährlichen Radparade.
Anmeldepflicht könnte für die Critical Mass das Ende bedeuten
Die Pflicht zur Anmeldung würde den Charakter der Critical Mass derart verändern, dass viele der Teilnehmer*innen sie nicht mehr als solche ansehen würden. Dennoch, für den September soll es das letzte mal eine Schonfrist gegeben haben. Bereits im August hatte die Polizei die Tour gestoppt und die Weiterfahrt verhindert. Die September-Aktion wurde wie angekündigt toleriert, aber anfangs von der Polizei beobachtet. Ab Oktober müsse nach dem Willen der Versammlungsbehörde nach Stuttgarter Vorbild ordnungsgemäß angemeldet werden.
Grundsätzlich signalisiert Eberles Amt dafür Kompromissbereitschaft. Wie schnell aber politische Versammlungen massiv eingeschränkt werden können, wurde im April diesen Jahres deutlich. Eine ordentlich angemeldete, pro-kurdische Demonstration wurde dermaßen mit Auflagen eingeschränkt, dass die Veranstalter sie kurzfristig absagen mussten. Ein Knackpunkt war beispielsweise, dass ein Aufzug verboten war, sprich nur eine stationäre Versammlung genehmigt wurde. Das wäre auch für die Critical Mass das definitive Ende – und das im Jahr des Radjubiläums.
(Text: cki / Alle Fotos: Critical Mass Mannheim)