Reisebericht Griechenland: Gökay Akbulut in Athen vom 30.07. bis 02.08.2018
In meiner Funktion als migrationspolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag und als Mitglied der deutsch-griechischen Parlamentariergruppe habe ich eine viertägige Reise nach Athen unternommen. Nach acht Jahren EU-Troika Programmen soll das Land ab dem 21. August wieder selbstständig werden. Ein historischer Tag, der eigentlich feierlich verlaufen sollte. Aufgrund der verheerenden Feuerkatastrophe ist die Stimmung in Athen aktuell allerdings sehr gedrückt. In der Stadt werden Mahnwachen organisiert, während Politik und Medien über die Ursachen und Verantwortlichkeiten debattierten. Zusätzlich zur Feuerkatastrophe ist die wirtschaftliche Lage für viele Menschen, die in Armut und Arbeitslosigkeit leben, schwer ertragbar. Das gilt vor allem auch für die vielen Geflüchteten, die in Griechenland angekommen sind.
In Griechenland beträgt der Ausländeranteil der Gesamtbevölkerung (ca. 11 Millionen) 7,4 Prozent. Neben verschiedenen migrantischen Communities ist in den vergangenen Jahren für viele Geflüchtete Griechenland zur Hauptstation auf dem Weg nach Europa geworden. Im Rahmen meiner Reise habe ich vor Ort Gespräche mit verschiedenen Akteuren zum Themenkomplex Migration geführt. Im Mittelpunkt der Gespräche standen die Versorgung der Geflüchteten, die Dublin III Verordnung, der Familiennachzug, sowie der EU-Türkei Deal. Seit 2013 wird in der EU die Dublin-III-Verordnung angewendet, die in der Praxis für viele Mitgliedstaaten problematisch ist. Laut der Verordnung ist das erste Land, in welchem die geflüchtete Person europäischen Boden betritt, für dessen Registrierung und das Asylverfahren zuständig.
Derzeit befinden sich über 18.000 Flüchtlinge auf den griechischen Inseln und etwa 40.000 in den Unterkünften auf dem Festland. Seit dem EU-Türkei Deal vom März 2016 müssen die Geflüchteten in den Insel-Hotspots ausharren, bis über ihren Antrag entschieden wird. Für die Registrierung der Geflüchteten wurden die sogenannten „Hotspots“ auf den Inseln Lesbos, Chios, Leros, Kos und Samos etabliert. Über den Seeweg versuchen viele von ihnen aus der Türkei auf die Inseln zu gelangen. Neben Griechenland werden aktuell viele Geflüchtete auch in Spanien und Italien registriert.
Laut verschiedenen Flüchtlingsorganisationen wie RSA, Pro Asyl und RLCA herrschen in den Hotspots menschenunwürdige Bedingungen. Der Zugang zu Unterkünften, Nahrung, Sanitäranlagen sowie medizinischer Versorgung sind sehr begrenzt. Tausende von Menschen (darunter Kinder, Kranke und Ältere) sitzen über Monate, teilweise Jahre dort fest. Die Infrastruktur ist schlecht ausgebaut und die Behörden sind in der Regel überfordert.
Die systemischen Mängel im griechischen Asylsystem sind seit Jahren bekannt. Aufgrund des Sparprogrammes der EU sind die Mittel in vielen Bereichen begrenzt. Und dennoch kämpfen viele Organisationen mit limitierten Ressourcen und zeigen vor Ort Solidarität und organisieren Hilfe.
1. Melissa- Network of Migrant Women in Greece
Nach 2015 wurde die Organisation Melissa Network gegründet um Solidarität und Vernetzung zwischen verschiedenen Akteuren zu organisieren und den Dialog zwischen der griechischen Bevölkerung und den Geflüchteten zu stärken. Im Rahmen verschiedener Projekte werden hier geflüchtete Frauen und Jugendliche betreut und beraten. Es finden zahlreiche Beratungsangebote und Aktivitäten für die oftmals traumatisierten Menschen statt. Neben psychologischer und sozialer Beratung werden kreative Kurse wie Nähen, Basteln und Kochen angeboten. Die Frauen haben hier die Möglichkeit Gewalterfahrungen zu verarbeiten, die Sprache und neue Kompetenzen zu erlernen, um selbstständig zu werden. Während am Anfang etwa 40 Frauen betreut wurden, ist die Zahl inzwischen auf über 140 Frauen und Jugendliche angestiegen. Melissa Network hat sich zu einem beliebten Treffpunkt für viele migrantische Frauen in Athen entwickelt.
2. Greek Council for Refugees
Beim griechischen Flüchtlingsrat wurde ich von Vasilis Papadopoulus, dem Koordinator des Flüchtlingsrats, sowie Eleni Perraki, der Koordinatorin für Soziale Projekte, empfangen. Der Flüchtlingsrat ist seit über 30 Jahren in der Flüchtlingsarbeit aktiv und arbeitet als Partner an der Seite von zahlreichen nationalen Organisationen und dem UNHCR. Mit einem Monitoring-Projekt wird die Situation an den Grenzen Griechenlands, insbesondere dem Mittelmeer und Ägäis beobachtet und monatlich Bericht an den European Council on Refugees and Exiles (ECRE) erstattet.
Die genaue Zahl der Geflüchteten zu erfassen ist schwierig, da nur die registrierten Geflüchteten in den Statistiken berücksichtigt werden können. Seit 2011 wurden keine Menschen mehr im Rahmen des „Dublinverfahrens“ von Deutschland nach Griechenland überstellt. Dies wurde auf Anraten der EU Kommission jedoch ab März 2017 wieder aufgenommen. Auf meine schriftliche Frage Ende Juli zur geplanten Rücküberstellung unbegleiteter Minderjährige und vulnerable Personengruppen gibt die Bundesregierung an, dass eine Änderung dieser Praxis im Hinblick auf vulnerable Personen derzeit nicht beabsichtigt sei. Hinsichtlich unbegleiteter Minderjähriger sei entsprechend der genannten Verordnung die Bestimmung Griechenlands als zuständigem Mitgliedstaat sowie eine Überstellung dorthin aber möglich, sofern eine Einzelfallprüfung ergeben würde, dass diese dem Wohl des Minderjährigen diene. Die Aufnahme von Asylsuchenden aus Griechenland durch EU Staaten ist sehr begrenzt. Besonders schwierig ist die Lage der Geflüchteten aus der Türkei. In den vergangenen Monaten sind über 1.600 Menschen in Griechenland angekommen, haben aber keinen Asylantrag gestellt.
Die Versorgung der Geflüchteten stellt noch immer eine besonders große Herausforderung aus Sicht des Flüchtlingsrats dar, da die Ressourcen sehr knapp sind. Viele NGOs haben Griechenland mit ihren Ärzten und Ehrenamtlichen inzwischen verlassen. Ein nationales Programm für die Geflüchteten liegt nicht vor. Die Flüchtlinge erhalten im Rahmen des UNHCR Case-Programms ca. 150,00 Euro monatlich, um über die Runden zu kommen. Die Asylverfahren dauern in der Regel etwa sechs Monate bis ein Jahr. Abgelehnte Asylbewerber sollen theoretisch abgeschoben werden, in der Regel wird dies jedoch kaum praktiziert. Konkrete Zahlen konnten im Gespräch nicht genannt werden. Für die Mehrheit der Geflüchteten ist Griechenland eine Zwischenstation auf dem Weg nach Europa. Viele verlassen das Land wieder über unterschiedliche legale und illegale Wege.
2016 wurde in Griechenland das Asylrecht reformiert. Auch aufgrund des EU-Türkei Deals 2016 sind die Verfahren komplex geworden. Neben dem regulären Asylverfahren finden sog. Zulässigkeitsverfahren statt, in denen geprüft wird, ob die schutzsuchende Person überhaupt einen Asylantrag innerhalb der EU stellen darf oder ob diese zurück in die Türkei geschickt wird, um dort einen Antrag auf internationalen Schutz zu stellen. Bei den Verfahren wird in der Regel festgestellt, dass die Türkei für die betreffende Person ein sicherer Drittstaat ist. Der Flüchtlingsrat bietet Erstberatungen für alle Antragsteller*innen an. Die rechtliche Betreuung der Menschen im Verfahren kann sehr kostspielig werden, da oftmals die Gebühren für die rechtlichen Beratungen sehr hoch sind.
In Griechenland warten derzeit 3.000 Menschen im Rahmen der Familienzusammenführungen auf ihre Überstellung nach Deutschland. Deutschland hat seit Anfang des Jahres 67 % der von Griechenland gestellten Asylgesuche abgelehnt (PM: https://bit.ly/2LZaEbj). Das ist erschreckend, da die Begründung für die Ablehnung häufig unrechtmäßig erfolgt. In einem Fall, den ich als Bundestagsabgeordnete unterstütze, sollten die Familienmitglieder Übersetzungen ihrer Unterlagen beibringen. Dies ist aber nach der Dublin III VO nicht vorgesehen. Viele Familien sind über Jahre voneinander getrennt. Der Flüchtlingsrat fordert die Bundesregierung und die EU auf Verantwortung zu übernehmen.
3. Migrationspolitische Sprecherin Syriza
Im Rahmen des Gesprächs mit der Migrationspolitischen Sprecherin Aggelikh Bisbigh, Georgos Chondors vom Vorstand der Partei Syriza und weiteren Mitarbeiterinnen von Syriza wurde die aktuelle Situation der griechischen Regierung geschildert. Nach dem Sommer 2015 hat sich die Lage in Bezug auf die Zahlen der ankommenden Geflüchtete zwar entspannt, die Versorgung der über 50.000 Menschen in Griechenland ist derzeit aber weiterhin schwierig.
Die Flüchtlinge werden als Asylberechtigte und subsidiäre Schutzberechtigte unter dem internationalen Schutzstatus zusammengefasst. Jeder der diesen Status hat, darf im Land bleiben und hat Zugang zu Bildung, Arbeit, Gesundheitsdienstleistungen und zum Arbeitsmarkt. Auf dem Arbeitsmarkt haben die Flüchtlinge als ArbeitnehmerInnen die gleichen Rechte und Pflichten wie die Einheimischen. Die medizinische Versorgung und der Zugang zu Bildung für Kinder ist kostenlos. Der Immigrationsminister Giannis Mouzalas arbeitet an den systemischen Mängeln im griechischen Asylsystem. Es fehlt an Personal, wie in vielen Bereichen, die aufgrund des Memorandums nur begrenzt eingestellt werden können. Die Beschleunigung der Asylverfahren ist ein zentrales Anliegen in der aktuellen Gesetzgebung im Parlament. Sowohl die Partei Syriza als auch die Regierung fordern eine Reform des europäischen Asylrechts.