Beobachtung durch den “Verfassungsschutz”? Auch in Mannheim hat die AfD Verbindungen zu Nazis und Rechtsextremen

Heinrich Peter Liebenow (links) und Kreissprecher Rüdiger Ernst empfangen Gäste einer AfD-Veranstaltung im Schützenhaus Mannheim-Feudenheim | Bild: © kim
Am Dienstag verkündete der frisch gebackene Präsident des Bundesamt für “Verfassungsschutz” (VS), die AfD werde von nun an zum Prüffall erklärt. Es gebe “deutliche Anhaltspunkte für eine Ausrichtung der Partei gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung“. Die Jugendorganisation “Junge Alternative” (JA) und die Gruppe “Der Flügel” um den Rechtsradikalen Björn Höcke gelten in der Behörde sogar als “Verdachtsfall”. Zahlreiche Zitate von Parteifunktionären – die meisten Stammen aus Veröffentlichungen bei Facebook – dienen dem VS als Beleg für eine Nähe zum Rechtsextremismus. Außerdem werden Verbindungen zu Personen und Gruppierungen nachgewiesen, die der VS bereits als “rechtsextremistisch” definiert hat. Das ist auch für Beobachter der AfD in Mannheim nichts neues.
FAZ Recherchen über Verbindungen zu Pegida, Identitäre und NPD
Berührungsängste mit dem klassischen “rechtsextremen” Lager gibt es auch Mannheim kaum – warum auch? Die FAZ hat beispielsweise recherchiert, dass der Sprecher des gerade erst im Januar gegründeten AfD-Ortsverband Mannheim-Nord Heinrich Peter Liebenow bei einem Infostand mit einem Michael W. kooperiert habe, der bei einer Pegida-Demonstration als Sprecher der Identitären Bewegung aufgetreten sein soll. Der Schönauer Rentner Liebenow soll auf Anfrage gegenüber der FAZ gesagt haben “(…) wir haben kein Problem mit braunen Flecken bei uns in der Mannheimer AfD“.
Weiter berichtet die FAZ, dass der Neonazi Jonathan Stumpf alias Johannes Scharf, bekannt durch völkisch-rassistische Publikationen und Reden, bei einer Veranstaltung der AfD im Schützenhaus aufgetreten sei. Sogar zur NPD soll es Verbindungen geben. Silvio Waldheim, Kandidat der NPD auf Listenplatz 2 bei der letzten Kommunalwahl, soll sich am Rande einer AfD Veranstaltung im Schützenhaus mit Alice Weidel fotografiert haben.
All diesen unangenehmen und zur denkbar ungünstigen Zeit publizierten Recherchen widerspricht die AfD vehement. Auf der Internetseite des Kreisverbands wurde eine Stellungnahme zum FAZ Artikel veröffentlicht. Darin werden die Aussagen im Artikel als falsch dargestellt. Doch zumindest teilweise sind sie durch öffentliche, von Vertretern der Partei selbst publizierte Fotos zu belegen.
Rechte Netzwerke: Tradition und Zukunft bei der AfD
Die FAZ Recherchen brachten durchaus nicht die einzigen bekannten Verbindungen nach Rechtsaußen an die Öffentlichkeit. Bei der AfD in der Rhein-Neckar-Region mischen einige Personen mit, die vor AfD-Zeiten bei der islamfeindlichen und damals auch als “rechtsextrem” deklarierten Partei “Die Freiheit” aktiv waren, beispielsweise Edgar Baumeister (Mannheim) und Eva Kahlmann (Walldorf). Sie schrieben für den rassistischen Hetz-Blog „PI News“, der auf übelste Weise Stimmung gegen Muslime und andere Minderheiten macht. Auch gegenüber “Die Freiheit” gab es durch die AfD öffentlich beworbene Unvereinbarkeitsbeschlüsse, die in der Umsetzung jedoch wenig beachtet wurden und vermutlich lediglich der Imagepflege dienen sollten.
Bei der JA ist eine Zusammenarbeit mit anderen „rechtsextremen“ Gruppen noch naheliegender, gelten Jugendorganisationen doch als radikaler als ihre Mutterparteien. Leon Stockmann kommt aus einer kleinen Gemeinde im Rhein-Neckar-Kreis und sitzt im Vorstand der JA Baden-Württemberg, die sich bereits im Herbst wegen „rechtsextremen Tendenzen“ und einer Beobachtung durch den “Verfassungsschutz” gegenüber der Mutterpartei verantworten musste. Die JA soll Plakate der Identitären Bewegung aufgehängt haben, lautete ein Vorwurf.
Auf Anfrage der „Welt“ gibt Stockmann zu, es habe „Verfehlungen“ gegeben. Doch wie hält er es selbst mit der Demokratie? Im sozialen Netzwerk ask.fm nennt er sich „Orwin Remmel“, offenbar ein Wortspiel mit „Erwin Rommel“, dem wegen seiner Afrika-Feldzüge berühmten Nazi-General. Auf seinem Instagram-Profil zeigt sich Stockmann in Burschenschaftskleidung und postet ein Bild von einer Berlin-Reise: „Denkmal der Schande“ kommentiert er ein Foto auf dem das Denkmal für die ermordeten Juden Europas zu sehen ist. Damit übernimmt er eins zu eins die Sprache des AfD-Funktionärs Björn Höcke aus Thüringen, der selbst innerhalb der Partei für seine rassistischen Auswüchse heftig umstritten ist. Solche Zitate nutzte der „Verfassungsschutz“ als Belege für „demokratiefeindliche Tendenzen“ innerhalb der AfD.
Stockmann soll Anwärter der Burschenschaft Normannia sein. Sie gilt als völkisch-nationalistisch und sorgte in der Vergangenheit wegen Veranstaltungen mit Nazis für Schlagzeilen. Stockmann taucht ferner in einer Autorenliste des Magazins “Arcadi” auf, ein Influencer-Projekt, dass Jugendliche mit rechtem Gedankengut in Verbindung bringen und ein Autorennetzwerk von AfD über Pegida bis Identitäre Bewegung spinnen soll.
Prüffall? Verdachtsfall? Sinnlose Diskussion!

“Denkmal der Schande” – öffentlicher Instagram-Post auf dem Profil von Leon Stockmann | Screenshot: Instagram
Die ganzen Nachweise über Verbindungen in Nazi-Milieus, die Diskussion um die Beobachtung durch den “Verfassungsschutz”, die zwanghaften Distanzierungsversuche seitens der AfD… das alles mutet skurril an. Der Wirbel um den „Prüffall“ ist tatsächlich das, was die AfD vermutet: ein politisches Geschachere. Der alte “Verfassungsschutz”-Chef Hans-Georg Maaßen stand offensichtlich der AfD sehr nahe. Er verteidigte die Rechten selbst nach den schlimmen rassistischen Ausschreitungen in Chemnitz. Er hatte sie beraten, wie sie einer Beobachtung durch seine Behörde vermeiden können. Eine Weile schien das gut zu gehen.
Dafür hat ihn die große Koalition abgesägt. Der neue Präsident des VS Thomas Haldenwang scheint eine neue Strategie zu fahren, die besser ins Konzept von Union und Sozialdemokraten passt. Natürlich ist das politisch motiviert. Wer etwas anderes glaubt, glaubt auch an die Wissenschaftlichkeit der Theorie des Hufeisenmodells. Aber die Grenze verläuft nicht zwischen einer angeblich guten gesellschaftlichen Mitte und den bösen extremistischen Rändern. Rassismus, Nationalismus und autoritäre Gesellschaftsvorstellungen sind tief verankert und in allen Bereichen zu finden.
Antifaschismus nicht an den “Verfassungsschutz” delegieren
Natürlich bilden die Rechten Netzwerke. Selbstverständlich verbrüdern sich die Anhänger*innen von AfD, Identitären, NPD und Pegida dann, wenn es ihnen sinnvoll erscheint. Und klar doch, dass in Sachsen über eine mögliche Koalition von CDU und AfD diskutiert wird. Am offensichtlichsten wurden die Gemeinsamkeiten in Kandel, wo sich Anfang 2018 alles versammelte, was irgendwie zum rechten, rassistischen Milieu gehörte. Berührungsängste gab es nicht.

“Verfassungsschutz abschaffen!” – hier als Forderung bei einer Demo zum NSU-Prozess in München | Bild: cc Die Linke
Die Beobachtung der AfD durch den “Verfassungsschutz” ist wenig hilfreich, vielleicht sogar kontraproduktiv. Denken wir an den Aufstieg des NSU. Geschützt vor Strafverfolgung durch die Polizei, konnten die Nazis Dank Geheimdienst untertauchen. Finanziert wurden sie von V-Leuten. Jahrelang konnten sie im Beisein von VS-Spitzeln morden, rauben und bomben. Sie wurden erst enttarnt, als ein Banküberfall daneben ging.
Jetzt erklärt der “Verfassungsschutz” die AfD – nach Skinheads und NPD in den 90er Jahren die neue rechte Kraft – zum „Prüffall“. Um es mit Katharina König (Linke) zu sagen: “Nur damit klar ist, was das konkret bedeutet: Der Verfassungsschutz wird öffentlich verfügbare Papiere, Positionen etc. aus der AfD ›prüfen‹. Also das tun, was Journalisten, Wissenschaftler und Antifaschisten schon seit Jahren mit eindeutiger Analyse machen.”
Damit ist eigentlich alles gesagt. Den Kampf gegen Rassismus, Nationalismus, Antisemitismus und alles rechte Gift, das unsere Gesellschaft spaltet, dürfen wir nicht einem Geheimdienst überlassen. Erfolgreich werden wir nur sein, wenn wir die Aufgabe selbst in die Hand nehmen.
(cki)