Ist Antifaschismus nicht gemeinnützig? Interview mit der VVN-BdA Mannheim zur Entscheidung des Berliner Finanzamtes
Nachdem vor Tagen die Nachricht durch die Medien ging, der VVN sei die Gemeinnützigkeit aberkannt worden, sprach KIM mit Fritz Reidenbach, Vertreter der Mannheimer Kreisvereinigung der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes-Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten, kurz VVN-BdA.
KIM: Was bedeutet die Aberkennung der Gemeinnützigkeit für die VVN?
Die Entscheidung des Berliner Finanzamtes stützt sich auf den Eintrag im Bericht des Landesverfassungsschutzes Bayern, in dem die VVN als „linksextremistisch beeinflusst“ eingestuft wird. Nicht der Verfassungsschutz muss diese Feststellung beweisen, die VVN soll nun beweisen, dass sie nicht linksextrem beeinflusst ist.
Die VVN soll rückwirkend für 3 Jahre Steuernachzahlungen leisten, für Spenden, die sie bekommen hat, die von Spendern als steuermindernd geltend gemacht werden konnten. Dies können bis zu mehreren zehntausend Euro betragen. Die VVN könnte an den Rand der finanziellen Existenz geraten und ihre gemeinnützige Arbeit im Bereich der Erinnerungs- und Gedenkarbeit im bisherigen Umfang nicht mehr ausüben.
KIM: Welche Arbeit leistet die VVN im Sinne der Gemeinnützigkeit?
Seit der Gründung der VVN 1947 haben sich überlebende KZ-Insassen und Überlebende aus den Gefängnissen für die Anerkennung der Verfolgten und deren Entschädigung stark gemacht. Sie haben sich die Aufgabe gestellt, alles dafür zu tun, dass Nie wieder Krieg und Nie wieder Faschismus in Deutschland eine Chance hat. Dies gilt bis heute.
Bei der Einrichtung der KZ-Gedenkstätte Sandhofen war die VVN maßgeblich beteiligt. Oder nehmen wir das Denkmal auf dem Georg-Lechleiter-Platz für den antifaschistischen Widerstand aus der Arbeiterbewegung. Jahrzehntelang setzte sich die VVN für diesen Gedenkort ein, der 1988 nach langen Auseinandersetzungen geschaffen wurde. Die VVN organisiert jährlich zum 15. September eine Gedenkveranstaltung für den Arbeiterwiderstand und für alle NS-Opfer.
Und noch ein Beispiel, dass wir als VVN im Sinne der Gemeinschaft, des Erinnerns und des Gedenkens mit anderen Partnern tätig sind. Die Fritz-Salm-Straße auf dem Gelände der ehemaligen Turley-Kaserne in der Neckarstadt-Ost. 2009 wurde dies von uns öffentlich vorgeschlagen, 2017 im April wurde die Fritz-Salm-Straße mit einem schönen Fest eingeweiht.
Wir erarbeiten Biografien von Widerstandskämpfer*innen, um sie jungen Menschen näher zu bringen. Wir engagieren uns verstärkt gegen Rassismus und Hetze gegen Minderheiten. Wir beteiligen uns als Unterzeichnerin der Mannheimer Erklärung für ein Miteinander in Vielfalt an gemeinsamen Aktivitäten für das Zusammenleben.
Wir unterstützen die Verlegung von Stolpersteinen für NS-Opfer.
KIM: Wie ist die VVN entstanden und wer hat in Mannheim an der Gründung mitgewirkt?
Die VVN entstand nach 1945 aus Anlauf- und Betreuungsstellen für NS-Verfolgte und dann aus den Hilfsstellen für politisch Verfolgte, weil es bei diesem Personenkreis um spezielle Fragen der Haftentschädigung und der Verfolgungsgeschichten ging.
1947 im April genehmigte die US-Besatzungsmacht erstmals eine Versammlung der politisch Verfolgten im Saal der Motorenwerke Mannheim in der Carl-Benz-Straße.
Dies kann als Gründungsdatum der Mannheimer VVN betrachtet werden. Es gab ca. 900 Mitglieder, darunter knapp über 100 SPD-Mitglieder. In der Anlaufstelle waren vor allem Anette Langendorf für die Kommunisten und Jakob Baumann für die Sozialdemokraten Ansprechpartner der Verfolgten.
KIM: Was könnte hinter der Entscheidung des Finanzamtes stecken? Besteht eventuell ein Zusammenhang mit einem gesellschaftlichen Rechtsruck?
Ich denke doch, wer Attac und der Plattform Campact und jetzt auch der VVN die Gemeinnützigkeit mit fadenscheinigen Argumenten entzieht, der hat die Absicht, diese Organisationen, aktuell unsere VVN, politisch zu stutzen. Unsere gesamte politische Tätigkeit bezieht sich doch auf die Erinnerung an die NS-Gräueltaten sowie an das Gedenken an den Widerstand und an die unterschiedlichsten Opfergruppen. Dies liegt doch unbestritten im Interesse der Gesellschaft und ist zutiefst für die Gemeinschaft nützlich. So wie wir als Zeitzeugen der Zeitzeugen in den siebziger und achtziger Jahren geprägt wurden (bei mir vor allem von Fritz Salm), so war und ist unser Engagement hoffentlich prägend für weitere Generationen gewesen. Wer in Zukunft noch als gemeinnützig gilt, dies soll im Finanzrecht neu geregelt werden. Darauf sollten wir massiv Einfluss nehmen.
KIM: Mit welchen Organisationen arbeitet die VVN in Mannheim zusammen?
Die VVN ist eine typische Bündnisorganisation. Das meiste an Aktivitäten und Veranstaltungen machen wir zusammen mit anderen Gruppen und Personen. Mit der Antifa-Jugend und der Gewerkschaftsjugend organisieren wir die jährliche Gedenkfeier für den Widerstand am Georg-Lechleiter-Platz.
Mit den Naturfreunden und der IG Metall organisieren wir am 8. Mai eine Befreiungsfeier, weil wir den Tag der Befreiung vom Faschismus feiern möchten und dafür eintreten, dass der 8. Mai zum Feiertag wird.
Mit Freunden vom AK Justiz gestalten wir zusammen Antifaschistische Stadtrundgänge.
Soli kommt von vielen Bündnispartnern, aus dem DGB, den Naturfreunden, etc. Aber auch die Online-Petition hat großen Zuspruch. Und was uns besonders freut, ist die Tatsache, dass in diesen Tagen über 300 Personen bundesweit ihre Aufnahme in die VVN beantragt haben. Es gibt auch die Idee, im neuen Jahr einige Solikonzert für die VVN zu organisieren. Dies alles macht doch optimistisch.
KIM: Welche Möglichkeiten zur Solidarität mit der VVN empfiehlst du unseren Leser*innen?
Die Online-Petition unterschreiben. Protestbriefe an Finanzminister Olaf Scholz. Man kann die VVN finanziell unterstützen und man kann Mitglied der VVN werden. Schau auf unsere Homepage: www.mannheim.vvn-bda.de