Es kreißte ein Berg und gebar eine Maus – AfD in den Haushaltsberatungen

„Hier stehe ich, ich kann nicht anders“ – mit diesem mächtigen Luther-Zitat beginnt der Fraktionsvorsitzende der AfD, Bernd Siegholt, seine Haushaltsrede. Er habe sich das vor einem Jahr nicht träumen lassen, dass er diese ehrenvolle Aufgabe erhalten würde. Luther wird das Zitat nachgesagt, als er beim Reichstag in Worms 1521 vor dem Kaiser seine Lehre widerrufen sollte. Diese entzog immerhin der päpstlichen kommerziellen Sündenvergebungsmaschinerie einen nicht unerheblichen Teil ihres Bodens und Einkommens in Europa.

Demgegenüber hat Herr Siegholt etwas hoch gegriffen, wenn er seine Haushaltsrede mit diesem historischen Satz beginnt. Eher ist die Rede darauf angelegt, Harmlosigkeit vorzugaukeln und zumindest im „bürgerlichen Lager“ andocken zu können. Herr Siegholt gibt sich ja auch stets als leutseliger gemütlicher Sandhöfer mit Jahrzehnte alter Erfahrung in dortigen Bürgerinitiativen. Allerdings wissen ja alle Parteigänger*innen der AfD, die sich noch nicht mit Grausen abgewandt haben, dass die AfD alles andere als harmlos immer tiefer in den Sumpf völkischer Theorien und völkischer Politik hineinstrebt. Jeglichem Konzept des friedlichen Zusammenlebens in einer historisch gewachsenen multiethnischen Gesellschaft wird die Dominanz einer phantasierten „weißen deutschen Ethnie“ entgegengesetzt. Außerdem prägt die AfD immer deutlicher ihre verschwörungstheoretisch fundierte Leugnung der menschenbedingten Klimaänderung aus. Das wenigstens müsste den gelernten „Fachmann für Katastrophenschutz“ alarmieren. Aber mit Katastrophenvermeidung scheint es zu hapern.

Beide eben benannten Schwerpunkte durchdringen auch die Haushaltsrede und die Haushaltsanträge der AfD. Allerdings eher verstohlen. Man muss sie gleichsam rückwärts lesen und wird sehen, woher sie kommen. Hierin unterscheidet sich bisher die AfD-Fraktion von ihren Vorgängern der letzten Amtsperiode. Diese traten zwar gleich zu Beginn ihrer Amtszeit alle vier aus der AfD aus und bildeten dann zu dritt eine Gruppierung, deren Namen sie zweimal wechselten, weil sie angeblich eher national-/ neoliberal tickten und nicht völkisch. Doch zumindest der Vorsitzende der Gruppierung, E. Will, hielt durchaus immer wieder völkische und von Rassismus geprägte ausschweifende Grundsatzbeiträge.

Man wird sehen, wie sich die neue AfD-Fraktion weiter positioniert. Ein Mitglied, Rainer Huchthausen, hat inzwischen sein Mandat niedergelegt, weil er in eine zwielichtige Kündigungsauseinandersetzung mit seinem Arbeitgeber gerutscht war (Vorwurf des häufigeren „Blaumachens“ z.B. während des Wahlkampfes). Nachgerückt ist der auf Platz 5 runtergewählte ehemalige Spitzenkandidat der AfD-Kommunalwahlliste, Rüdiger Ernst. Er ist zusammen mit dem in der Fraktionsgeschäftsstelle tätigen Robert Schmidt Sprecher des AfD-Kreises Mannheim. Und zur Erinnerung: Der Fraktionsvorsitzende Siegholt war von Listenplatz 7 auf Platz 4 hochgewählt worden.

Siegholts Haushaltsrede

An den Anfang stellt er die Sorge um die konjunkturelle Entwicklung und die Kaufkraft der Bevölkerung. „Hier fordern wir Verwaltung und Fraktionen auf, alles zu unterlassen, was die Situation der hiesigen Industrie und der Geschäftswelt zusätzlich belastet.“

Auch die städtische Wohnungsbaugesellschaft GBG beschäftigt ihn: „Dazu fordern wir, dass die GBG – früher „Gemeinnützige“ genannt – künftig wieder ihre Überschüsse für Mieter und Bausubstanz einsetzt, anstatt dem Kämmerer Traumrenditen abzuliefern.“ Aufgrund welcher Kohl-Genscher- Machenschaften die GBG wie die gesamte gemeinnützige Wohnungswirtschaft 1990 ihre Gemeinnützigkeit verloren hat, erklärt er nicht. Stattdessen verbreitet er das leider auch in manchen linken Kreisen so beliebte Märchen von ausgeschütteten „Traumrenditen“ der GBG. Dass diese jährlich so viel investiert wie die ganze Stadt Mannheim, in Instandhaltung, Sanierung und Neubau, bleibt unerwähnt.

Zu einem emotionalen Höhenflug setzt Siegholt an, wenn es um’s heilix Blechle geht, um ungeminderten CO2-produzierenden Individualverkehr: „Kein Wohnungsinhaber fährt mit 0,8 Autos nach Frankreich, Italien, Spanien oder in die Türkei. Und wenn er von dort wieder nach Hause kommt, erwartet er seinen Parkplatz zu finden.“ (Gemeint ist die Ausweisung von „nur“ 0,8 Parkplätzen je zu errichtender Wohneinheit.) Und es kommt noch dicker, eine Mini-Verschwörung wird an die Wand gemalt: „Der infolge des Entzuges der Kraftfahrzeuge politisch gewünschte Zwang, das Wohngebiet möglichst nicht verlassen zu können, schränkt überörtliche gesellschaftliche, soziale Kontakte und Aktivitäten stark ein. Durch eine solche Ghettoisierung wird z.B. die freie Wahl des Einkaufs administrativ verhindert.“

Kita-Ganztagsversorgung ist nicht gern gesehen: „Die AfD befürwortet ein klassisches Betreuungskonzept, bei dem insbesondere Kleinkinder viel Zeit mit ihren Bezugspersonen verbringen. Eine Verstaatlichung der Kindheit, wie seinerzeit in der DDR, lehnen wir strikt ab.“ Allerdings fordert die AfD den „Ausbau der frühkindlichen Spracherziehung, um die erheblichen Probleme mit der deutschen Unterrichtssprache an den Grundschulen zu mindern.“ Im völkischen Sinne klingt dies fast schon defätistisch. Auch Schulsozialarbeit und Ganztagsschulen werden gefordert.

Kleinkunstbühnen, Musikclubs und Jugendkulturzentren müssen ebenso gefördert werden, wie Museen und Konzertsäle. Dies gilt insbesondere auch für die Vororte.“ Ein Bekenntnis zu alternativ versiffter Kultur? „Einrichtungen, die Hass schüren, zu Ausgrenzung oder gar Gewalt aufrufen, dürfen keinen Anspruch auf Förderung durch Steuergelder geltend machen.“ Hier ist Herr Siegholt beim Jugendzentrum in Selbstverwaltung angekommen. Denn im JUZ werden Faschismus und Rassismus gehasst und die Ausgrenzenden werden ausgegrenzt.

Und dann kommt die Abteilung Naturschutz: „Das flächendeckende Zupflastern der Landschaften und Meere mit Windrädern ist weder der Natur noch den Menschen zuträglich. Wo bleibt bei diesen späteren Industrieruinen der Gedanke der Nachhaltigkeit? Wer erklärt uns z.B., wie die Fragen der Entsorgung des Rotoren- und Turbinen-Sondermülls erfolgt? Warum wird die Diskussion um den unhörbaren und potentiell gesundheitsschädlichen Infraschall unterdrückt?“ Die Entsorgung von Atomkraftwerken muss dagegen wohl ein Klacks sein. Im Übrigen hat Herr Siegholt auch ein Herz für Bäume: „Mir ist es als Naturschutzwart ein Bedürfnis, auf das Missverhältnis zwischen dem Nutzen eines Altbaumbestandes zu einer Neupflanzung hinzuweisen. Der Schutz alter Stadtbaumbestände sollte Vorrang haben, auch dann wenn es um öffentliche Prestigeprojekte geht.“

Gegen Ende seiner Ausführungen wendet sich Siegholt dem Großkraftwerk Mannheim (GKM) zu, einer Perle des Carbonzeitalters: „Im Zuge der Elektrifizierung auch des Verkehrssektors benötigen wir das GKM, das zuletzt rund 1.300 Millionen EURO für eine zuverlässige Lieferung mit Grundlaststrom und Fernwärme investiert hat. Darüber hinaus ist das GKM mit einer Primärenergieausnutzung von über 70% weltweit führend. An dieser Stelle sei betont, dass es sicher nicht nachhaltig ist, diese Milliardeninvestition ohne Not zu vernichten. Von dem Verlust hunderter hochqualifizierter und gutbezahlter Fachkräfte ganz abgesehen.“ Wen wundert es, dass die AfD-Landtags- wie Gemeinderatsfraktion dem GKM ihre Aufwartung machen und dort auch offensichtlich gerne empfangen werden (siehe hierzu den eigenen Bericht in dieser Ausgabe des Kommunalinfo).

Wie also sieht es mit der Anschlussfähigkeit der AfD aus? Zum konservativen Lager nicht schlecht – schließlich kommen sie überwiegend auch da her. Aber auch bei tatsächlichen oder auch nur in der Furcht lebenden Modernisierungsopfern hat die AfD das Zeug, Punkte zu machen und trifft hier auf offene Flanken progressiver Kräfte. Antifaschismus heißt eben auch Kampf für eine Energie-und Klimawende, die sozialen Verwerfungen gezielt entgegensteuert. Das immerhin kann man aus der AfD-Haushaltsrede lernen. Es ist zu hoffen, dass mögliche Modernisierungsopfer rechtzeitig realisieren, dass die AfD ihnen nicht wirklich helfen kann und wird – bevor es zu spät ist.

Die Anträge der AfD – das volle Programm

Eines muss vorweg festgehalten werden: Trotz aller Anschlusschancen ins konservative Lager hat kein einziger AfD-Antrag auch nur eine Stimme aus einer der anderen im Gemeinderat vertretenen Parteien bekommen. Manches Mal stimmten sogar Teile der AfD-Fraktion nicht für ihre eigenen Anträge. Dies mag aufmerksamkeits- oder stressbedingt gewesen sein. Vielleicht aber gab es auch interne Dissonanzen, was jedoch reine Spekulation ist. (Wenn im weiteren Verlauf dieses Beitrags über Abstimmungsverhalten berichtet wird geschieht dies unter großem Vorbehalt: Denn als involvierter Akteur ist es nicht möglich, bei jeder Abstimmung alle anderen Abstimmenden im Blick zu haben. Leider verfügt der Gemeinderat immer noch nicht über ein elektronisches Abstimmungsverfahren, das jeden Zweifel über Abstimmungsergebnisse beseitigen könnte.)

Hier zunächst die Streichungsanaträge der AfD:

  • Streichen der Gelder für Förderung von LSBTI
  • Kürzen der Mittel, die der Stadtjugendring an seine Mitgliedsverbände weiterleitet
  • Streichen der Gelder für die Implementierung von Gendermainstreaming
  • Streichen der Fördermittel für die Klimaschutzagentur
  • Streichen der Fördermittel für das EinTanzhaus (die AfD fühlt sich hier ausgesperrt)
  • Streichung der Fördermittel das Antidiskriminierungsbüro Mannheim e.V
  • Streichung der Fördermittel für das Mannheimer Institut für Integration und religiösen Dialog
  • Kürzen der Mittel für soziale Einrichtungen für Flüchtlinge
  • Streichen aller unbestimmter Zahlungen (an einzelne Projekte)
  • Streichen der Fördermittel für das Jugendzentrum in Selbstverwaltung e.V

Die Begründungen für diese Anträge sind schnörkellos, z.B.: „Die AfD lehnt jedwedes Gendermainstreaming ab.“ Eine Kürzung der Mittel des Stadtjugendrings begründet die AfD mit der Mitgliedschaft von JUZ („vom Verfassungsschutz überwacht“) oder muslimischen Jugendverbänden wie der DITB-Jugend(„fragwürdiges Verhältnis zur Demokratie“).

Zum Thema Streichung der Gelder für das JUZ meldet sich der AfD-Stadtrat und Polizeibeamte Finkler zu Wort: Die im JUZ beheimatete Antifa habe mehrere Angriffe auf die Polizei zu verantworten. Im Übrigen erinnert er die CDU daran, dass sie vor zwei Jahren den gleichen Antrag gestellt habe. (Damals scherte die FDP aus dem rechten Block aus und verhinderte das Ansinnen der CDU.) Der OB stellte fest, es habe eine Untersuchung zu dem Vorwurf der Gewalt aus dem JUZ gegen die Polizei gegeben. Der Vorwurf habe sich nicht bestätigt.

Den Streichungs- stehen zahlreiche Förderungsanträge der AfD gegenüber:

  • Der Etat für die Stadtteilarbeit wird verdoppelt
  • Mittel für Kommunalen Ordnungsdienst erhöhen
  • Unterstützung für Seniorentreffs erhöhen
  • Zivilen Bevölkerungsschutz erhöhen
  • Freiwillige Feuerwehr stärken
  • Katastrophenabwehr
  • Ehrenamtsausweis schaffen
  • Mittel für Grünflächenpflege deutlich erhöhen
  • Aufstockung des Personals im KOD (Kommunaler Ordnungsdienst)

Teilweise decken sich diese Anträge mit solchen aus anderen Parteien. Selbst zwei Anträgen, die die LI.PAR.Tie. gestellt hat, stimmte die AfD zu: Der Bereitstellung eines Budgets zum Einsatz von Gebärdendolmetschern und der Einrichtung einer Clearingstelle für Menschen ohne Krankenkassenmitgliedschaft. Und es gab auch Einstimmigkeit im Gemeinderat zu einzelnen Anträgen: z.B. die Stärkung der Schulsozialarbeit, die Förderung des Abenteuerspielplatzes Erlenhof oder die Erhöhung des Medien-Etats der Stadtbücherei.

Zusammenfassend lässt sich sagen: In Mannheim wie in den meisten Kommunalvertretungen herrscht nicht die konsequente Konfrontation von „Regierungs-“ und „Oppositionsparteien“ wie man sie beispielsweise aus dem Bundestag kennt. Das erleichtert es der AfD, sich auch „positiv“ einzubringen. Wer hätte beispielsweise etwas gegen mehr öffentliche Toiletten einzuwenden, die schon viele Parteien und diesmal eben die AfD gefordert haben. Dennoch zeigt die AfD z.B. mit ihren Kürzungs- und Streichungsanträgen ein klares Profil als tief reaktionäre Partei: Patriarchalisch, antiegalitär, nationalistisch ethnisch fixiert, neoliberal. Man hasst alles Emanzipatorische. Der Fraktionsgeschäftsführer und Kreissprecher Robert Schmidt bezeichnet sich selbst als „moderat, freiheitlich, national“, als Vertreter der „Alternativen Mitte“. Er distanziert sich von Höcke und Nazifiguren wie Lars Steinke, lädt aber gerne Gauland, v. Storch und Weidel nach Mannheim ein. Im Gemeinderat pflegt man bisher eher die ruhigere Tonlage.

AfD-Kritik erfordert neben einem gesunden Maß an Aktionismus auch das genauere Hinsehen und den Nachweis, dass sie eben keine Alternative darstellt, sondern alte Konzepte propagiert, die schon einmal in die Katastrophe geführt haben, ergänzt um die vollkommene Ignoranz gegenüber der Klimabedrohung.

(Thomas Trüper, Stadtrat DIE LINKE, Fraktion LI.PAR.Tie.)