Die Dekarbonisierung des GKM steht auf der Tagesordnung

Ein spektakulärer wegweisender und ein trostloser Besuch beim GKM – das politische Spannungsfeld ist abgesteckt

Mannheim, Rheinau-Hafen (Hafen 21), Blick zum “Großkraftwerk Mannheim” (GKM), im Vordergrund der neue Block 9 (Bild: Hubert Berberich, CC BY 3.0)

Am 3. August letzten Jahres „besuchte“ – ungebeten – eine Delegation von „Ende-Gelände“ das Großkraftwerk im Morgengrauen mit der schlichten Forderung „GKM abschalten!“ Dies war zweifellos keine realpolitische Aktion, wollte es auch nicht sein, aber es war eine Aktion auf dem Boden der Realität. Die Besucher erklärten, dass „bei Fortsetzung des Status Quo in der BRD innerhalb zweier Jahre der CO2-Ausstoß erreicht ist, der zur Sicherung des Klimaziels maximal 1,5°C Erderwärmung überhaupt noch stattfinden darf.“ Wie das Ganze zu bewerkstelligen sei, wie die komplexen technischen und sozialen Umsteuerungsprozesse zu gestalten sind – dazu konnten und wollten die Besucher keine Antwort geben.

Das ist Sache der Politik: Sie muss die wirtschaftliche und ordnungsrechtliche Rahmenbedingungen schaffen, die involvierten Unternehmen müssen ihrer Verantwortung gerecht werden bzw. zur Wahrnehmung dieser Verantwortung gezwungen werden, und die Beschäftigten, die bisher erfolgreich für Strom und Wärme gesorgt haben, müssen geänderte oder neue Aufgaben auf dem Boden sozialer Sicherheit erhalten. Die unumkehrbare Richtung ist gewiesen.

Einige der Aktivist*innen besetzten das eingehauste Kohleförderband zum Kessel des Block 9. (Bild: Ende-Gelände)

Am 15.11. letzten Jahres besuchte – wie berichtet – sicherlich nach höflicher Anmeldung eine Delegation der AfD aus Mitgliedern des Stuttgarter Landtages, dem Kreistag Rhein-Neckar, sowie den Gemeinderäten Heidelberg und Mannheim das GKM und wurde, wie bei parlamentarischen Parteien üblich, vom Vorstand empfangen. Die AfD-Delegation verkündete dort nach eigenen Angaben, die Partei werde „sämtliche politischen Spielräume nutzen, um den Zusammenbruch der Stromversorgung Deutschlands auf Grund der wahnwitzigen ‚Energiewende‘ zu verhindern“. Lächerliche Ignoranz nach der Art „Die Erde ist eine Scheibe“ und keine einzige Antwort auf die sich stellenden dringenden Fragen, kein einziger brauchbarer Vorschlag – wie man die AfD eben kennt. Über die Resonanz im Werk ist nichts bekannt. Das Bündnis „Mannheim gegen Rechts“ stellte am 30. Januar in einem Offenen Brief an die Aufsichtsräte des GKM zu Recht fest: „Die Bündnisorganisationen von ‚Mannheim gegen Rechts‘ sehen mit Sorge, dass hier in populistischer Art und Weise mit den Ängsten der Beschäftigten im Großkraftwerk gespielt wird.“ Das Bündnis fordert stattdessen einen „konstruktiven Dialog über den Transformations- und Umbauprozess des GKM“.

Solidarische Positionen im Bewusstsein der Notwendigkeit des Kohleausstiegs

Das „Betriebliche Solikomitee“ innerhalb des DGB Mannheim, welches immer wieder aktiv wurde und wird, wenn Belegschaften von sozial nicht abgesicherten Umstrukturierungsmaßnahmen, von Massenentlassungen oder gar Betriebsschließungen bedroht sind, denkt darüber nach, einen Vertreter des GKM-Betriebsrates ins Boot zu holen.

In einem Rundschreiben des Solikomitees wird darauf hingewiesen, dass das GKM weiterhin eine Existenzberechtigung habe, dass es eine hohe Effizienz besitze, aber im Sinne der Energiewende umgebaut werden müsse. „Angesichts des Klimawandels ist es höchste Zeit, dass ökologische und soziale Alternativen zur Sicherung der Strom- und Fernwärmeversorgung in der Region sowie der Arbeits- und Ausbildungsplätze der GKM-KollegInnen entwickelt und umgesetzt werden.“

Joachim Schubert, ehemaliges Betriebsratsmitglied von Alstom / GE und Aktiver im „Solikomitee“ schreibt in einem der KIM-Redaktion vorliegenden bisher vom Mannheimer Morgen nicht veröffentlichten Leserbrief:

„Eine vorzeitige Abschaltung des GKM macht den Bau zweier gasgefeuerter Ersatz-Kraftwerksblöcke noch zwingender. Denn im Jahre 2033 wird während Dunkelflauten der dann spärliche „Grünstrom“ erst recht nicht ausreichen. Somit wären wir auf polnischen Kohlestrom und französischen Atomstrom angewiesen. Und unser großes Fernwärmenetz müsste mit Gaskessel beheizt werden. Verschärft wird diese Situation, weil infolge des technologischen Wandels (Industrie 4.0) und der Verkehrswende mehr Strom als heute benötigt wird und bis 2023 die letzten 8 Kernkraftwerksblöcke abgeschaltet werden. Deshalb haben Städte wie Köln und Düsseldorf rechtzeitig gasbefeuerte Ersatzblöcke gebaut, die aus Gasturbine, Abhitzekessel sowie Dampfturbine mit Generator und Fernwärmeauskopplung bestehen. Sie kommen auf einen Gesamtwirkungsgrad von bis zu 85% bei vergleichsweise niedrigem CO2-Ausstoß und haben gute Schnellstarteigenschaften. Damit könnten mehrere Fliegen mit einer Klappe geschlagen werden: preisgünstige und schnell verfügbare Regelenergie, Überbrückung von Dunkelflauten, stabiles Stromnetz, sichere und preisgünstige Fernwärmeversorgung, Einsparung an Treibhausgasen, Erhalt von Arbeitsplätzen im GKM.“

Ob nun diese Einschätzung und dieser Vorschlag genau der richtige Weg ist und wie überhaupt die Dekarbonisierung der Mannheimer Fernwärme vorangetrieben werden kann, darüber ist die Diskussion innerhalb der die Energiewende fordernden Öffentlichkeit noch wenig entwickelt. Die Gewerkschaften halten sich mit eindeutigen Äußerungen noch sehr zurück. Aus politischen Kreisen, vor allem der SPD und der LINKEN, wird die Kohlefrei-Debatte um die damit verbundenen sozialen Aufgaben erweitert. Bei genauerer Betrachtung erweist sich der dringend und schnell erforderliche Umbau als außerordentlich komplex.

Die Stadt und „ihre“ MVV Energie AG sind gefordert …

Die Stadt Mannheim, die vor Jahren nach der Energiemarkt-Liberalisierung ihr ehemaliges Stadtwerk in einen börsennotierten international tätigen Energiekonzern umgewandelt hat, ist hier gefordert. Die MVV Energie, an der die Stadt Mannheim mit 50,1% die Aktienmehrheit hält, ist ihrerseits mit 28% am GKM beteiligt. Das Fernwärmenetz jedoch ist vollständig in Händen der MVV Energie. Somit ist die MVV Energie in der Pflicht, die Energiewende auf dem Strom- und Wärmesektor zu planen und durchzuführen. Das gilt natürlich primär auf dem Gebiet der Technologie. Aber das gilt auch hinsichtlich der gesellschaftlichen Diskussion. Hier gibt es tatsächlich Tausende aus guten Gründen „besorgte Bürger*innen“: Von den um ihre künftige Lebenswelt bangenden jungen Menschen, die sich z.B. bei Fridays für Future engagieren bis hin zu den um ihre Arbeitsplätze bangenden Beschäftigten des GKM. Die Debatte kann erfolgreich nur geführt werden, wenn sie von Ehrlichkeit geprägt ist und wenn die erforderlichen Sachkenntnisse von Physik über Technik bis Ökonomie verbreitet und das heißt demokratisiert werden. Mit dem in Entwicklungsabteilungen und auf Vorstandsetagen gefangenen und eingemauerten Wissen einerseits und undifferenzierter Werbung andererseits kann der gesellschaftliche Umgestaltungsprozess nicht erfolgreich geführt werden. Auch muss die Gesellschaft die Möglichkeit haben, sich in die Entscheidungsprozesse einzubringen. Ist alles, was technologisch möglich ist, auch für die Menschen akzeptabel? Hier stoßen wir ziemlich schnell auf Industrie 4.0 und „smarte“ Steuerungsformen im tagtäglichen Lebensvollzug, die der demokratischen Diskussion und Auseinandersetzung bedürfen, wenn wir am Ende noch souverän und selbstbestimmt leben wollen.

… und beginnen Elemente der Dekarbonisierung zu liefern

Wer die Geschäftspolitik der MVV Energie aufmerksam verfolgt, kann feststellen, dass die MVV Energie im Laufe der letzten Jahre einen Richtungswechsel im Sinne der Energiewende vollzogen hat – dies nicht ohne Einwirken ihres Hauptaktionärs Stadt Mannheim. Nicht weniger als die Dekarbonisierung der Fernwärme in einer Stadt mit dem größten und drittjüngsten Steinkohlekraftwerk (Block 9) ist als Ziel formuliert, also der Abschied von der Kohle und auch letztlich vom fossilen Erdgas – „spätestens bis 2050“. Dieser Zeitraum von 30 Jahren ist natürlich viel zu lang. Die Anstrengung und der Kampf um ein deutliches „Schneller!“ muss geführt werden. Aber wie soll das funktionieren?

Das Müllheizkraftwerk auf der Frieseneheimere Insel deckt seit dieser Woche 30% der Mannheimer und regionalen Fernwärme neben dem Prozessdampf für Industriebetriebe ab. (Bild: tht)

 

Seit 3. Februar: 30% weniger Kohle in der Fernwärme

Einen gewaltigen Schritt hat die MVV mit einer 60-Millionen-Investition gemacht: Sie hat – was schon längst möglich gewesen wäre – das Müllheizkraftwerk auf der Friesenheimer Insel endlich an das Fernwärmenetz angeschlossen, welches 60% der Mannheimer Wohnungen und darüber hinaus noch 30.000 Wohnungen in der Region beheizt. Mit diesem Anschluss wird das GKM nur noch 70% seiner Wärmemenge abgenommen kriegen. Ab 2024 kommt dann noch der Anschluss des Biomassekraftwerks hinzu, welches dann 10% der Mannheimer Fernwärme liefern wird. Damit stammen dann nur noch 60% der Fernwärme aus der Primärenergie Kohle. Sicher: Abfall ist mit seinem Anteil an Erdölprodukten wie Plastikteilen keine gänzlich erneuerbare Energiequelle, was in der CO2-Bilanz auch berücksichtigt wird. Und das Abfallaufkommen muss natürlich insgesamt und grundsätzlich reduziert werden. Aber dieser Energieträger ist deutlich der blutbeschmierten Importsteinkohle vorzuziehen. Mit dieser Verdrängung der Fernwärme aus dem GKM wird natürlich dessen Betrieb unwirtschaftlicher und weniger effizient. Der von der MVV bereits angekündigte nächste Schritt wäre dann die Installation von Gas- und Dampfturbinen. Der Brennstoff Erdgas kann dann perspektivisch ersetzt werden durch Biomethangas oder auch Wasserstoff, beide vollständig regenerierbar.

Und der „Rest“? Im Gegensatz zu dem großen 40%-Schritt von der Friesenheimer Insel wird der „Rest“ mit vielfältigsten kleinteiligen alternativen Methoden zu ersetzen sein, als da beispielsweise neben den schon erwähnten Biomethan- und Wasserstoffgasen wären: Tiefengeothermie, Wärmerückgewinnung aus Luft, Boden, Abwasser, Flusswasser, Photovoltaik, Klärschlammverschwelung etc. Es wird viele dezentrale Einspeisungen in das Wärmenetz geben, dessen Temperatur zu diesem Zweck deutlich herabgesetzt wird, beginnend auf den Konversionsgeländen Franklin und Spinelli.

Die Bundespolitik muss entscheidend nachbessern

Der Kabinettsbeschluss vom 29. Januar zum Kohleausstieg ist hochumstritten und so nicht haltbar. Dieser Meinung sind außer den Bundesländern mit Braunkohleförderung eigentlich alle Akteure. Das Prinzip dieses Kabinettsbeschlusses, welcher auch dem vor einem Jahr mühsam erzielten Kohlekompromiss widerspricht, ist erstens die Garantie für die Braunkohleverstromung bis 2038, vergoldet mit 4,5 Mrd. Euro Subventionen und zweitens die zwingende Durchsetzung der Reduzierung der CO2-Emissionen. Wenn aber diese Reduzierung nicht vom Braunkohleausstieg kommt, dann muss sie aus dem früheren Steinkohleausstieg erfolgen. Steinkohle ist aber wesentlich effizienter zu verstromen – ein nicht tolerierbarer Widerspruch. Ferner sollen die süddeutschen Steinkohlekraftwerke als „systemrelevant“ zur Sicherstellung der Energieversorgung länger laufen als die im Rest der Republik. Das hieße dann lt. Aussagen des GKM für Mannheim: 2033. Zu lang zweifellos, aber die Gesamtreihenfolge stimmt nicht. Gleichzeitig werden die Subventionen für die Energiekonversion (z.B. G- und D-Turbinen) nur für einen kürzeren Zeitraum gewährt, so dass die Süddeutschen gar nicht drankommen. Die Aufregung über den Kabinettsbeschluss zum Kohleausstieg war bei der Feier zum Anschluss der Müllverbrennung an die Mannheimer Fernwärme uni sono: Vom Landesumweltminister über den Oberbürgermeister und MVV-Aufsichtsratsvorsitzenden, zum Vorstandsvorsitzenden der MVV. Auch der GKM-Miteigentümer EnBW hat sich inzwischen so geäußert.

Man sieht: Innerhalb weniger Tage verrutscht der GKM-Kohleausstieg um fünf Jahre, was erst einmal positiv aussieht aber im Gesamtsystem – welches insgesamt zu langsam ist – keinerlei Sinn macht.

Perspektiven und Notwendigkeiten für die GKM-Belegschaft

Die ca. 570 Beschäftigten des GKM müssen sich auf einen langen Transformationsprozess einstellen. Die GKM-Belegschaft ist nicht die erste, die einen solchen Prozess durchlaufen muss. Ähnliches zeichnet sich auch für die Automobilbranche ab. Äußerst schmerzlich und vernichtend war z.B. die Umstrukturierung des GE-Konzerns in der Sparte Großkraftwerke für die Mannheimer Belegschaft. Es ist die Pflicht des GKM-Vorstandes, den anstehenden Prozess gemeinsam mit dem Betriebsrat und der Gewerkschaft sozialverträglich zu gestalten. Auch die kommunale Wirtschaftspolitik trägt hier eine Mitverantwortung. Elemente eines solchen Prozesses müssen eine demografisch sehr bewusste Personalpolitik sein, die Ansiedelung der Brückentechnologie G- und D-Turbinen auf dem Gelände des GKM, die Eröffnung einer Industriepark-Perspektive mit Übernahme- und Beschäftigungsgarantien. Dies alles ist leichter gesagt als getan, insbesondere bei den gegenwärtig sprunghaften und verworrenen politischen Rahmenbedingungen. Wichtig ist aber, aus der nur beharrenden Defensive in die Initiative und Offensive zu kommen.

Thomas Trüper, Stadtrat DIE LINKE | Fraktion LI.PAR.Tie.