Der Mietspiegel muss auf die Werkbank! Er bedient die Immobilienpreisblase
Der Mannheimer Mietspiegel 2020-2021 ist erschienen und tritt nach zu erwartender Billigung durch den Gemeinderat am 16.12.20 für 2 Jahre in Kraft. Wie nicht anders zu erwarten dokumentiert der Mietspiegel erneut eine erhebliche Steigerung des Mietpreisniveaus in Mannheim: 8,6% durchschnittliche Steigerung der Mietpreise innerhalb von zwei Jahren. Die „Durchschnittsmiete“ liegt jetzt bei 8,37 EUR/m²; 2018 betrug sie noch 7,71 EUR/m². Vor 10 Jahren waren es 6,01 EUR/m². Mithin beträgt die Steigerung in diesem Zeitraum 2,36 EUR/m² oder 39,3%. Wessen Einkommen hat in den letzten 10 Jahren einen solchen Sprung gemacht? Und wir sprechen hier nur von der Netto-Kaltmiete! Der Anteil der Mietbelastung an den Haushaltseinkommen ist entsprechend immer weiter gestiegen und liegt für viele – gerade nicht so betuchte – Haushalte weit über der allgemein anerkannten Zumutbarkeitsgrenze von 30% für die Warmmiete. Und wer will ernsthaft behaupten, dass für Bestandshäuser die Kapital- und Erhaltungskosten der Vermieter um 40% gestiegen seien? Ein 20 Jahre altes Haus, damals schon mit niedrigen Zinsen finanziert, kann heute nicht 40% teurer sein als vor 10 Jahren. Nein – „der Markt gibt es her“ und die Kapitalanleger*innen nehmen von den Mieter*innen in der Regel, was sie bekommen können; insbesondere institutionelle Anleger und die großen bundesweiten Vermietungsunternehmen.
Der gesetzlich geregelte Mietspiegel ist ein Mieterhöhungsspiegel
Nach vier Jahren wurde also das Mannheimer Mietpreisniveau durch Stichproben neu ermittelt. Vor zwei Jahren war es nur eine Fortschreibung. Der neue Mietspiegel stützt sich auf eine repräsentative Erhebung von 2.485 Mietverhältnissen (Vermietende und Mietende) durch ein externes Fachinstitut.
Gemäß den Vorgaben der §558ff BGB bezieht sich diese Erhebung jedoch keineswegs auf alle 168.000 Wohneinheiten in Mannheim, sondern nur auf etwa zwei Drittel davon. Für das restliche Drittel gilt der Mietspiegel nicht oder nicht unmittelbar. Er gilt nicht für nach einer Förderung mietpreisgebundene Wohnungen („Sozialwohnungen“), für Jugend-, Studierenden- und Altenheime. Von dort werden auch keine Daten erhoben. Nur als Orientierungshilfe gilt er für Ein- und Zweifamilienhäuser, Doppelhaushälften, Reihenhäuser, Dienst- und Werkswohnungen. Somit bildet das Datenmaterial preisgebundene und erfahrungsgemäß eher preisgünstige Wohnungen nicht ab.
Ein weiterer entscheidender Punkt ist die Beschränkung der Datenerfassung auf solche Mietverträge, die innerhalb der letzten sechs Jahre neu abgeschlossen oder durch Mieterhöhungen (Senkungen kommen wohl nie vor) verändert wurden. Mieten, die sechs Jahre lang nicht erhöht wurden, werden nicht erfasst. Solche ruhigen und friedlichen Mietverhältnisse bei Vermietenden ohne Dollarzeichen in den Augen fallen also nicht durchschnittssenkend ins Gewicht.
Da natürlich die unmittelbaren Ergebnisse der Erhebung selbst bei gleicher Quadratmeterzahl eine sehr große Bandbreite zeigen, ist der nächste Schritt die Definition von Kriterien, die annähernd eindeutig die vorgefundene Streuung sortieren und erklären können. So kommt es zur konkreten „örtlichen Vergleichsmiete“, seit 2016 in Mannheim nach der kriterienreichen „Regressionsmethode“.
Bedeutung des Mietspiegels hat zugenommen
Ist ein Mietspiegel nicht letztlich eine Plage für die Mieter*innen? Dies kann man nur mit Ja und Nein gleichzeitig beantworten. Einerseits ist er preistreibend, andererseits stellt er gegenüber vollständiger Marktfreiheit der Vermieter*innen, die die Wohnungsnot bis zum Wucher ausnutzen könnten, trotzdem eine Schranke dar. Und vor allem erspart er im Streitfalle über Mieterhöhungen in der Regel eine gerichtliche Auseinandersetzung (Rechtssicherheit und „Rechtsfrieden“).
Seit 2008 dient der Mitspiegel mit der örtsüblichen Vergleichsmiete der Festlegung der Mietpreise bei preisgebundenen Wohnungen (“Sozialmieten“). Diese bestimmen sich nach örtlicher Satzung in Mannheim beispielsweise durch einen Mindestabstand von 10% unter der jeweiligen Vergleichsmiete (bis 2008 galt die „Kostenmiete).
Seit Aufnahme von Mannheim in den Kreis der Orte mit „angespanntem Mietwohnungsmarkt“ gilt nun auch hier die sog. Mietpreisbremse. Diese schützt wenigstens (in den meisten Fällen) vor beliebiger Preistreiberei bei Neuabschlüssen von Mietverträgen: Die dort vereinbarten Mieten dürfen „nur“ noch 10% über der ortsüblichen Vergleichsmiete liegen. Dies gilt aber nicht bei Neubauten und Vollmodernisierungen. Hier kann die Mietpreisexplosion weiterbetrieben werden, so lange es „der Markt“ hergibt.
Auch für die Mietpreisbildung bei den Wohnungen der “Sozialquote” lt. 12-Punkteprogramm der Stadt Mannheim (Landes- oder kommunale Förderung i.V.m. Mietpreisbindung) ist der entsprechende Mietspiegelpreis die Leitgröße, davon dann ein Abzug von 33%. Auf diese Weise reißt die Mietpreisentwicklung auch die Mieten für neue “Sozialwohnungen” und “preisgünstige” Wohnungen in die Höhe.
Jenseits der Durchschnittsmiete
Kaum jemand wird genau die statistisch ermittelte Durchschnittsmiete von 8,37 Euro/m² nach einer Preissteigerung gegenüber dem Vorjahr um 4,3% zu zahlen haben, sondern eben die ortsübliche Vergleichsmiete, die durchaus auch eine differierende Preissteigerungsrate aufweisen kann. Das sei anhand von einigen Zahlen dargestellt:
Schon die „Basismiete“ je Quadratmeter differiert je nach Größe der Wohnung erheblich. Am teuersten ist die Basismiete in kleinen Wohnungen bzw. Appartements. Der Mietspiegel beginnt überhaupt erst bei eine Fläche von 25m². Hier beträgt die Basismiete 11,42 gegenüber 10,48 EUR/m² vor zwei Jahren, eine Steigerung von 4,5% pro Jahr. Der niederste Basispreis findet sich im Bereich von 60 bis 70 m² mit 8,07 EUR/m² (+ 4,3% pro Jahr). Dann nimmt die Basismiete kontinuierlich zu auf 9,00 EUR/m² bei einer Wohnungsgröße von 150 m². Die Preissteigerungsrate sinkt gegenüber dem Vorjahr Richtung 2,5%. Kleine Wohnungen bis ca. 40 m² sind also relativ teuer und unterliegen zudem der höchsten Teuerungsrate bei der Basismiete.
Die weitere Differenzierung der Vergleichsmieten erfolgt sodann durch prozentuale Zu- und Abschläge anhand einem im Laufe der Jahre gewachsenen Kriterienkatalog, als da wären:
- Baujahr,
- Bauausstattung (Bad zwischen -5% und +5%, und ggf. Einbauküche bis zu 20%),
- „sonstige Ausstattung“ (Heizungsversorgung, Fußböden, Videogegensprechanlage und Aufzug bewegen sich zwischen -6% für Einzelöfen und +11% für Fußbodenheizung; in Summe zwischen -10% und +29%),
- Modernisierungsmaßnahmen in den letzten 10 Jahren (max. +12%)und
- Lage (Entfernung „zu Eingängen des zentralen Versorgungsbereichs Innenstadt, also Planken, Breite Straße und G2/H2 bis G5/H5 oder zu den Stadtteilzentren, jeweils unter 300 m fußläufig ergeben +9% bzw. +4%. Eine Entfernung von über 600 m zum nächsten Lebensmittelmarkt bringt -2%, mehr als 300 m fußläufig zu einer Park- oder Grünanlage bringen -4% Abzug).
Bei den Baujahren gibt es Abschläge für die Jahrgänge bis 1977 von -8% bzw. -11%. Die Jahrgänge 1978 bis 2009 bewegen sich zwischen -4% bis +4%. Die Baujahre 2010 bis 2016 bewirken Zuschläge von +10% und Neubauten ab 2018 von +20%. Hierin spiegelt sich die Preisexplosion bei Neubauten. Vor zwei Jahren waren es noch +17%.
Die hier zugrunde gelegten Kriterien erstaunen in ihrer Auswahl bzw. im Ausschluss von andern Kriterien, die auch denkbar wären und naheliegen. Die Mietspiegelerläuterung nennt u.a.: Anzahl der Geschosse | einfach-, Mehrfachverglasung | Balkon/Loggia/(Dach-)Terrasse nicht vorhanden | mindestens ein gefangener Wohnraum | Abstellraum außerhalb der Wohnung vorhanden (Keller, Speicher, Dachboden, externer Raum) | Abstellraum innerhalb der Wohnung vorhanden | Gartennutzung | Wäschetrockenraum | Waschmaschinenraum | Fahrradabstellraum | überdachter Fahrradabstellplatz. Eine Auswirkung dieser Kriterien sei nicht messbar gewesen. Die Kriterien können jedoch bei ausführlicher Begründung herangezogen werden für Zu- oder Abschläge von bis zu 19% über / unter der eigentlich ermittelten Vergleichsmiete.
Vor zwei Jahren tauchten bei der Lage noch die Kriterien Erreichbarkeit von Schulen, Kitas, Ärzt*innen und ÖPNV auf. All dies ist jetzt ersetzt durch Zentrennähe. In den Mietspiegeln vor Einführung der Regressionsmethode 2016, die wesentlich simpler aufgebaut waren, fanden sich immerhin auch Kriterien wie Lärm oder z.B. Geruchs-Immissionen oder die Verkehrsdichte vor dem Haus.
Was auch in der alten „tabellarischen“ Methode fehlte, sind energetische Kriterien, wie Abzüge bei schlechter Wärmeisolierung oder ineffizienten Heizungen, die jeweils zu erhöhten Nebenkosten führen.
Die Spannbreite im Mietwohnungsmarkt nimmt zu – Richtung oben. Der Mietspiegel liefert angebliche Kriterien
Während nach dem letzten tabellarischen Mietspiegel 2014 der billigste Quadratmeterpreis mit 4,32 EUR und der höchste Preis mit 10,72 EUR ausgewiesen war (248% des billigsten Quadratmeters), beträgt die Spanne zwischen dem billigsten Quadratmeter mit den höchsten denkbaren Abschlägen (5,96 EUR) und dem teuersten mit den höchst denkbaren Zuschlägen (20,90 EUR) 351%.
Die Erläuterungen zum Mietspiegel sinnieren über diese Spanne wie folgt: „Der Mietspiegel kann durch die in den Tabellen angeführten Merkmale wesentliche Mietpreisunterschiede erklären. Trotzdem verbleibt auf dem freien Wohnungsmarkt ein Streubereich der Nettomieten für gleichartige Wohnungstypen, der statistisch nicht erklärt werden kann.“ Für Preis-Ausreißer nach unten finden die Autor*innen immerhin eine sehr plausible Erklärung: Es könnten da „individuell bewertete Wohnwertmarkmale“ zur Wirkung kommen, die im BGB nicht vorgesehen sind, „z.B. Mietdauer, soziale Verantwortung“. Damit treffen die Autor*innen den Nagel auf den Kopf. Tatsächlich kennt man ja durchaus Vermieter*innen, die beispielsweise mit ihren langjährigen Mieter*innen im Geschoßwohnungsgebäude unter einem Dach wohnen und lange Zeit gar nicht und wenn dann nur sanft erhöhen, aus den eben genannten Gründen.
Wie aber sieht es am oberen Rand aus? Die enorme Spanne dorthin müsste eigentlich im gegenteiligen Sinne erklärt werden: Profitgier und soziale Verantwortungslosigkeit. So würde ein Schuh daraus. Die Mietpreise liegen eindeutig über der tatsächlichen Kostenentwicklung. Dieser Spekulations-Speck müsste vor Ermittlung von Kriterien zur Erklärung und Analyse des Mietpreises erst einmal abgeschnitten werden. Stattdessen werden die Bewertungen der Kriterien immer weiter gespreizt, siehe z.B. bei Neubauten. Dies ist ein systemischer Fehler der Mietspiegel. 2018 betrug die Distanz zwischen den höchst denkbaren Zu- und Abschlägen 106 %-Punkte, 2020 beträgt sie schon 121%-Punkte. Der Spekulations-Speck muss eben statistisch amhamd von Kriterien erschlossen werden.
Das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung nennt den „Speck“ beim Namen: Immobilienpreisblase.
„Die Deutsche Bundesbank ging schon 2018 davon aus, dass Wohnimmobilien in Deutschland in städtischen Gebieten zwischen 15 und 30 Prozent überbewertet sind. Auch die IMK- Wissenschaftler sehen „ein deutliches Warnsignal für das Vorhandensein einer Immobilienpreisblase“, weil die Preissteigerungen zum Teil auf Kapitalanlagemotive, insbesondere von Vermögenden, und nicht allein auf die Nachfrage nach Wohnraum zurückzuführen sind. Das Verhältnis der Häuserpreise zu Mieten oder Einkommen deutet ebenfalls auf Überbewertungen hin: Beim Preis-Miet-Verhältnis oder dem Preis- Einkommens-Verhältnis zeigten sich im internationalen Vergleich für Deutschland und China die größten Ausschläge.“ (https://www.boeckler.de/pdf/pm_imk_2020_11_02.pdf)
Fazit:
Die Mietspiegel-Systematik muss dringend geändert werden. Sie darf nicht einfach die Immobilienpreisblase mit angeblich wissenschaftlichen Kriterien ausschmücken und dadurch auch das preisliche Mittelfeld nach oben ziehen. Außerdem muss die Datenbasis alle Mietwohnungen, auch die bisher ausgeschlossenen und dies über 10 Jahre erfassen, und nicht nur die letzten besonders krassen Mieterhöhungsfälle beleuchten.
Das ist eine Aufgabe der Bundespolitik. Aber auch auf kommunaler Ebene muss über die statistischen Kriterien und ihre Bewertung diskutiert werden, die von den Instituten unter Zustimmung der Mieter*innen- und Vermieter*innen-Verbände und des Gemeinderats dann Rechtskraft erlangen. Die zunächst als analytische Instrumente fungierenden Kriterien werden schließlich nach ihrer Veröffentlichung sofort zu Instrumenten der „Preisbildung“ nach oben Richtung Preisblase. Damit muss Schluss sein.
Was wäre sonst noch zu tun?
Die Mietspiegel-Systematik kräftig zu überarbeiten, sie quasi auf die Werkbank zu legen, ist das Eine. Aber lässt sich denn nichts am Marktgeschehen selbst ändern, evtl. sogar mit positiven Wirkungen auf den Mietspiegel?
Marktradikal würde die Antwort lauten: „Bauen, bauen, bauen!“ Aber ohne massive Förder-Intervention kommen dabei nur möglichst profitable Wohnobjekte im Privateigentum heraus. Diese tragen dann zur Beschleunigung der Preissteigerungen bei – denn an eine Übersättigung des Mietwohnungsmarktes ist in den Metropolen so schnell nicht zu denken – es sei denn, die Blase platzt.
Also müssen viele Wohnungen bei gemeinwohlorientierten Trägern entstehen und möglichst auch Bestandswohnungen dorthin in Sicherheit gebracht werden. Sobald hier irgendwelche öffentlichen Förderleistungen im Spiel sind, werden diese Wohnungen aber keinen Eingang in die Mietspiegelerhebungen geben (s.o.). Der Abstand zwischen gemeinwohlorientierten Mieten und jenen auf dem „freien Markt“, die immer mehr spekulative Preisanateile enthalten, wird dadurch immer größer – vorausgesetzt, die gemeinwohlorientierten Träger wie z.B. die GBG folgen nicht – wie es früher Routine war – im Wesentlichen der Mietspiegelentwicklung. Nein – sie müssen kostenorientiert immer deutlicher unter dem Mietspiegelniveau bleiben. Mögen Verbände wie Haus und Grund noch so toben.
Thomas Trüper, Stadtrat DIE LINKE, Fraktionsvorsitzender LI.PAR.Tie.