Rechte Hass-Mails – wie sie funktionieren und warum sie manchmal straffrei bleiben
Anonyme Drohmails sorgten in den vergangenen Monaten bundesweit für Schlagzeilen. Vor allem politisch aktive Frauen mit Migrationsbiografie sind von rechten Hass-Botschaften betroffen, die meist über anonyme Mailing-Dienste verschickt werden. Nun gibt es einen Fall aus der Region, der Fragen aufwirft.
Weinheim/Rhein-Neckar-Kreis: Todesdrohungen an Feindeslisten geschickt
Ein großer Teil des politisch rechten Aktivismus spielt sich im Netz ab. In Telegram- und Facebook-Gruppen wird gehetzt, auf im Ausland gehosteten Internetseiten werden Daten von politischen Gegner*innen veröffentlicht, oft in Verbindung mit mehr oder weniger eindeutigen Drohungen. Ein besonders drastischer Fall sind die Nachrichten des „NSU 2.0“, da sie mit Informationen aus Polizeidatenbanken erstellt wurden. Aber auch in den Chat-Gruppen der Querdenker-Szene werden „Feindeslisten“ geteilt.
Ein regionaler Fall wurde nun zu den Akten gelegt, ohne dass der Täter für sein Handeln Konsequenzen fürchten muss. Das berichteten der „Mannheimer Morgen“ und die „Weinheimer Nachrichten“. Der Beschuldigte soll im Zeitraum 2018 bis 2020 mehr als 70 E-Mails an Personen und Institutionen des öffentlichen Lebens versandt haben, die ins Feindbild der rechten Szene passen, darunter das Bündnis „Weinheim bleibt bunt“, das Polizeirevier Weinheim, die muslimische Moscheegemeinde und in der Flüchtlingsarbeit aktive Frauen aus Ladenburg. Auch auf der Webseite des Fördervereins Ehemalige Synagoge Hemsbach soll er einen Kommentar hinterlassen haben. Beim Freizeitbad Miramar habe er sogar einen Sprengstoffanschlag angekündigt. Die Droh-Mails, in denen er Gewalt, Anschläge und den Einsatz von Schusswaffen ankündigte, sollen mit „Die Enkel Adolf Hitlers“ unterzeichnet gewesen sein.
Der Täter habe seine Identität mit einen Anonymisierungsdienst für E-Mails verschleiert. Dennoch muss ihm ein Fehler unterlaufen sein, so dass ihm die Polizei auf die Fährte kam. Bei einer Hausdurchsuchung sollen mehrere Waffen, darunter eine Armbrust, sogenannte Hieb- und Stoßwaffen, eine Schreckschusspistole und eine Zielscheibe mit dem Konterfei der Bundeskanzlerin gefunden worden sein. Er kam für zwei Monate in Untersuchungshaft.
Schuldunfähigkeit wegen psychischer Erkrankung
Dann die Wende: Im Februar 2021 wurde das Ermittlungsverfahren eingestellt. Ein psychiatrisches Gutachten sei zu dem Ergebnis gekommen, dass der Tatverdächtige zu den Tatzeiten aufgrund einer psychischen Erkrankung schuldunfähig war, da er seine Psychopharmaka nicht eingenommen habe. Die Taten bleiben somit ohne Konsequenz, auch weil die Hürden für eine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus zu hoch seien, so die Staatsanwaltschaft.
Es stellt sich die Frage, warum der Täter über zwei Jahre zwar ein aufwändiges Bedrohungssystem aufbauen konnte, mit umfangreicher Recherche, Adresssuche und Anonymisierungsdiensten arbeitete, aber dennoch keine persönliche Schuld nachgewiesen werden konnte. Ist es ausreichend, solche Taten mit psychischen Erkrankungen zu erklären? Auch bei anderen rassistisch motivierten Taten, beispielsweise den Anschlägen von Hanau, wurden psychische Erkrankungen als Erklärung angeführt. Das gesellschaftliche Klima, in dem Rassismus entsteht, die Politik von Parteien, wie der AfD, spielt in der juristischen Aufarbeitung dagegen selten eine Rolle.
Nähere Details zum Fall Weinheim und Umgebung dürften mangels öffentlichem Prozess nicht bekannt werden. Es bleibt die Befürchtung, dass der Täter einfach weiter machen könnte – das nächste mal vielleicht ohne einen Fehler zu begehen, so dass ihn die Polizei nicht mehr ermitteln kann.
„Man darf sich davon nicht unterkriegen lassen, denn das wäre ja genau der Zweck dieser Mails“
Gökay Akbulut, Bundestagsabgeordnete der Linksfraktion, kennt sich mit Droh-Mails aus. Regelmäßig erhält sie hasserfüllte Botschaften, nicht nur von deutschen Rassist*innen, auch rechte Türk*innen, meist Anhänger des Präsidenten Erdogan, bedrohen sie mit dem Tod. Die Zuschriften kommen in Wellen. Nach prominenten Ereignissen erreichen sie E-Mails in großer Zahl. Als sie beispielsweise den rechten Blog PI-News in einer Bundestagsdebatte thematisierte, folgten zahlreiche Hass-Botschaften. Auch nach ihrer Wahl auf Platz 2 der Landesliste folgten Drohungen
„Generell ist es so, dass aggressive Kommentare und Hassmails oft im Zusammenhang mit Aktionen oder Reden im Bundestag stehen, bei denen es um Migration und Flüchtlingspolitik oder gegen die AfD geht. Deren Anhänger fühlen sich dann herausgefordert, vor allem, wenn eine Frau ihnen die Stirn bietet“ sagt die migrationspolitische Sprecherin der Linksfraktion.
Zuschriften sammelt sie und übergibt sie zur Überprüfung auch an die Sicherheitsbehörden. „Natürlich wäre es wünschenswert, dass sie stärker gegen Hass und vor allem digitale Drohungen vorgehen würden. Auf der anderen Seite machen einem die Nachrichten über rassistische Strukturen bei Polizei und Bundeswehr wenig Hoffnung.“ Sie sieht die Rolle der Sicherheitsbehörden ambivalent.
Nachdem Hass-Kommentare jahrelang als Kavaliersdelikt verharmlost wurden, haben öffentliche Debatten durchaus dazu geführt, dass in Teilen der Sicherheitsbehörden ein Umdenken erfolgte. „Im Fall der NSU 2.0 Drohmails ist das gut nach zu vollziehen. Zunächst einmal war ein Haufen öffentlicher Druck notwendig, damit überhaupt gründlich ermittelt wurde und dann wurde ein Einzeltäter präsentiert, der keine Verbindungen zu den rassistischen Strukturen in den hessischen Behörden hatte. Wie die illegalen Datenabfragen aus hessischen Polizeicomputern ins Bild passt, wurde weder ermittelt noch plausibel erklärt.“
Trotz allem will sich Gökay Akbulut von den Drohungen nicht unterkriegen lassen, „denn das wäre ja genau der Zweck dieser Mails“. Politische Konsequenzen dürften aber nicht klassische Law&Order-Forderungen sein. Vielmehr müssten sich die Strukturen in den Sicherheitsbehörden ändern. „Ein erster Schritt wäre hier natürlich eine unabhängige Antirassismusstudie.“ (cki)