Corona-Montagsdemos: Menschenkette und Infostand gegen Querdenker-Aufmarsch [mit Video und Bildergalerie]

Menschenkette ums Rathaus – Protest gegen Querdenker*innen

Am Montag, 27. Dezember 2021 kam es in der dritten Woche zu einer Montagsdemonstration der Querdenken-Bewegung gegen die Corona-Maßnahmen. Erstmals regte sich dagegen Widerstand und auf Initiative der Grünen-Stadträte Chris Rihm und Gerhard Fontagnier wurde als Gegenprotest eine Menschenkette ums Rathaus gebildet. Außerdem hatten die „Omas gegen Rechts“ einen Infostand am Paradeplatz angemeldet und kämpften mit Flugblättern gegen Verschwörungsideologien und rechte Propaganda an.

Die Polizei hatte im Vorfeld angekündigt, konsequent gegen nicht-angemeldete Montagsdemos vorzugehen. Dennoch zogen hunderte Corona-Maßnahmengegner*innen vor das Rathaus und widersetzen sich erfolgreich dem Versammlungsverbot. Die Polizei setzte einige Gruppen fest, führte Personenkontrollen und Festnahmen durch, in den Quadraten war trotzdem viel Bewegung und immer wieder kam es zu kleineren und größeren Ansammlungen. Ein Polizeisprecher schätzte deren Zahl zunächst auf 400, in einer späteren Pressemeldung wurde die Zahl 800 genannt.

Videobeitrag bei Youtube: https://youtu.be/EstzMk5uL3Q

Gute Beteiligung bei Menschenkette „Uffbasse – Solidarität in der Pandemie“

Gerhard Fontagnier und Chris Rihm

Auf Initiative von Chris Rihm und Gerhard Fontagnier, beide Stadträte für Bündnis 90/Die Grünen, wurde am frühen Abend eine Menschenkette um das Mannheimer Rathaus in E5 gebildet. Die Beteiligung daran war sehr groß, bereits um 18 Uhr war die Kette einmal herum ums Quadrat geschlossen. Es bildete sich sogar eine zweite Reihe und ein Abzweig in Richtung Paradeplatz.

Organisator Chris Rihm sagte gegenüber dem KIM, man wolle mit der Aktion zeigen, dass die Mehrheit in der Stadt nicht hinter den Ideen der „Montagsspaziergänger“ stehe, sondern für all das, was denen fehle: Solidarität, Rücksicht, Impfen, Vorsichtsmaßnahmen beachten. Außerdem wolle man den fast 400 Menschen gedenken, die in der Stadt bereits an Corona gestorben sind und denen Respekt zollen, die in ihrem Arbeitsalltag wegen Corona am Limit sind, vor allem dem medizinischen Personal und den Mitarbeitern der Verwaltung.

Reden gab es bei der Veranstaltung nicht, eine schweigsame, nachdenkliche Aktion sollte der „kleinen lauten Minderheit“ der Querdenker*innen entgegen stehen. Die Veranstalter schätzen vor Ort rund 500 Personen, die sich an der Menschenkette beteiligten. Damit waren die eigenen Erwartungen weit übertroffen worden.

Infostand der “Omas gegen Rechts”

300 Meter weiter, am Quadrat E1 am Rande des Paradeplatz, standen die „Omas gegen Rechts“ mehrere Stunden mit ihrem Infostand. „Manche kapieren vielleicht noch nicht, mit wem sie da mitlaufen. Es wird Zeit, dass sie es lernen“, begründete eine der Organisatorinnen den Stand. An Aufklärungsmaterial mangelte es nicht. Flugblätter zu Verschwörungsideologien, zur rechten Szene, zur AfD, aber auch eine Auseinandersetzung mit dem Freiheitsbegriff, den die Montagsdemos für sich beanspruchen, lagen aus. Trotz Regen und Anfeindungen von den Querdenker*innen blieben die Omas mehrere Stunden an ihrem Stand. Ein Anwesender berichtete, dass die Polizei auch sehr rabiat gegen die Teilnehmer*innen des Infostands vorgegangen sei.

Erneut mehrere hundert Personen bei „Montagsspaziergang“

Um kurz vor 19 Uhr war es in der Fußgängerzone gegenüber dem Wasserturm noch ruhig. Wer genau hin sah, erkannte kleinere Personengrüppchen, die offenbar nicht zum Einkaufen in der Stadt waren. Stattdessen standen sie möglichst unauffällig herum, schielten nach links und rechts, gingen ein paar Schritte vor und wieder zurück.

Über den Messengerdienst Telegram mobilisierten die „Freien Pfälzer“ zu den sogenannten Montagsspaziergängen in Rheinland-Pfalz und angrenzenden Städten. Mannheim war wieder in der Liste dabei, 19 Uhr Wasserturm, Quadrate. Mannheim ist wegen der zwei großen Demos in den vergangenen Wochen in der Szene bekannt geworden und zieht nun offenbar vor allem aktionsorientiertes Publikum an, Leute die Lust auf eine Konfrontation mit der Polizei haben.

In den Planken setzte die Polizei eine größere Gruppe fest und führte Personenkontrollen durch

Um Punkt 19 Uhr führte die Polizei ein erste Durchsage durch und erklärte, dass alle Versammlungen in diesem Bereich verboten seien – was ohnehin allen Anwesenden klar gewesen sein dürfte. Nach und nach sammelten sich immer mehr Leute in der Fußgängerzone, noch immer war es häufig unklar, wer zum demonstrieren da ist und wer sich zum einkaufen in der Stadt aufhält.

Mit einer ersten gewaltsamen Aktion zerstreute die Polizei die Ansammlung in Höhe des Quadrats O6/P6 und sperrte die kompletten Planken für den Durchsgangsverkehr. Zwischen P5 und P6 wurde eine größere Gruppe „Montagsspaziergänger“ von der Polizei eingekesselt und zunächst schien es, als sei damit die Dynamik aus der Versammlung heraus genommen worden.

Unübersichtliche Lage in den Quadraten

Montagsspaziergang vor dem Rathaus in E5 – keine Gegendemo und keine Polizei mehr zu sehen

Doch diese Strategie ging offenbar nicht auf, denn rund um die Polizeiabsperrung sammelten sich immer mehr Aktivist*innen, die sich weiterhin frei bewegen und den polizeilichen Anweisungen widersetzen konnten. Eine große Gruppe, mehrere hundert Personen, zog in Richtung Paradeplatz, wo es zu einem Zusammentreffen mit dem Infostand der „Omas gegen Rechts“ kam. Es blieb bei verbalen Auseinandersetzungen. Veranstalter des Infostands berichteten später, die Polizei sei gegen sie nicht weniger aggressiv vorgegangen, als gegen die nicht-angemeldete Montagsdemo.

Vom Paradeplatz zog die Demonstration weiter zum Rathaus. Die Menschenkette war dort längst beendet, kein einziger Polizist war weit und breit zu sehen. Die Menge skandierte euphorisch „Friede, Freiheit, keine Diktatur“ und „Widerstand“. Sie bog bei D4 in Richtung F-Quadrate ab. Dort trafen Polizeitrupps ein, darunter eine Pferdestaffel, und treiben die Demonstrierenden auseinander.

Es wurde immer unübersichtlicher. In der Breiten Straße, in den Planken und in der Fressgasse sammelten sich immer wieder größere Gruppen und lieferten sich kleinere Auseinandersetzungen mit der Polizei. Es kam zu Festnahmen und Böllerwürfen. Die Situation blieb bis etwa 21 Uhr unübersichtlich und bei den Montagsspaziergänger*innen dürfte das Gefühl überwogen haben, dass sie die Straßen gegen den Willen der Polizei erneut erobert hatten.

In einer nachts veröffentlichten Pressemitteilung der Polizei berichtete diese von 307 Personenkontrollen. Diese würden wegen wegen des Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz angezeigt werden. Weiter sei es zu drei Widerstandshandlungen gekommen. Hier solle ein beschleunigtes Verfahren am Dienstag durchgeführt werden. Außerdem habe man drei Organisatoren erkannt und identifiziert. Eine weitere Person sei wegen Beleidigung angezeigt worden. Verletzte Polizist*innen habe es diesmal nicht gegeben.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass es der Polizei auch in der dritten Woche nicht gelang, das Verbot der Montagsdemonstration durchzusetzen. Durch Repression (Kontrollen, Ermittlungsverfahren, Verurteilungen, Bußgelder…) könnte einem Teil der Szene aber die Motivation für zukünftige Konfrontationen genommen werden.

Ein Schnellverfahren wurde bereits am Dienstag gegen zwei Personen durchgeführt. Ein 57-jähriger Teilnehmer der Montagsdemo wurde wegen Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte zu einer Geldstrafe von 2100 Euro verurteilt. Ein 50-jähriger muss 3600 Euro zahlen wegen tätlichen Angriffes auf in Tateinheit mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte. Das berichtet die Polizei in einer Pressemeldung.

Wie geht es weiter mit dem Montagsdemonstrationen…

Mobilisierungen und Erfolgsmeldungen kommen unter anderem über den Telegram-Kanal „Freie Pfälzer“ in Anlehnung an die erfolgreichen Mobilisierungen der „Freien Sachsen“. Ein maßgeblicher Teil der Teilnehmer*innen kommt aus der Querdenker-Szene, die seit Beginn der Pandemie gegen die Regierung auf die Straße geht. Mit dabei sind auch viele rechte Aktivist*innen, die die Gunst der Stunde nutzen und mit ihren Leuten konfrontative Demonstrationserfahrungen auf der Straße sammeln und Grenzen austesten – vor allem im Osten, aber jetzt auch in Mannheim. In die Demonstrationen reihen sich weitere Leute ein, darunter alternative Ökos (Esoterik-Szene), junge Leute, denen die Corona-Maßnahmen einfach auf die Nerven gehen oder Schaulustige, Passant*innen und Jugend-Cliquen, die im Chaos auf der Straße eine willkommene Abwechslung zum Corona-Alltag sehen.

Die Warnungen vor Verschwörungsideologie und rechten Rättenfängern sind weiterhin nicht falsch, aber sie laufen bei vielen ins Leere, da bei den Montagsdemonstrationen kaum Inhalte vermittelt oder konkrete Standpunkte vertreten werden. Es gibt keine Partei- oder Organisationsfahnen, die auf die Veranstalter*innen hindeuten. Man sieht keine Banner oder Transparente mit politischen Forderungen. Die nahezu einzige Parole, die gerufen wird, ist „Friede, Freiheit, keine Diktatur“. Man kann also durchaus bei einer Montagsdemo mitlaufen und anschließend behaupten, keinen einzigen Rechten, Verschwörungsideologen oder Querdenker gesehen zu haben. Die Bewegung ist sehr anschlussfähig. Das ist zur Zeit ihre Stärke.

Langfristig wird die inhaltliche Leere zum Problem und das Vakuum von denen gefüllt werden, die ein Programm haben. Das sind rechte Aktivist*innen, die zur Zeit als „Freie Pfälzer“ auftreten und davor unter anderen Namen, wie „Frauenbündnis“ oder „Pegida“ ihre populistischen Themen abgearbeitet haben. Da Flüchtlinge oder Islam zur Zeit keine großen Themen sind, wird die Corona-Pandemie ausgeschlachtet. Die Diskussion um die kommende Impflicht wird dem ganzen noch eine Weile Aufwind verschaffen.

… und dem Gegenprotest?

„Wir werden nächste Woche wieder hier sein, wenn die Montagsdemonstranten glauben, dass ihnen die Stadt gehört“, sagte Chris Rihm zu einer Fortsetzung der Aktion Menschenkette. Nach den letzten drei Wochen und insbesondere auch aufgrund der Entwicklung in anderen Städten, ist davon auszugehen, dass die Mannheimer Gegendemonstrant*innen noch weiter gebraucht werden. Es mag vielleicht sein, dass die Montagspaziergänger*innen nur „eine kleine laute Minderheit“ sind, aber bei den Demonstrationen am 27.12. waren sie eindeutig in der Mehrheit und hatten wieder die Straßen für sich erobert.

Für kommende Aktionen sollten einige Fragen diskutiert werden. Ist eine schweigsame Menschenkette der richtige Weg oder braucht es nicht eher eine fundierte Auseinandersetzung mit dem, was da auf der Straße passiert? Wie viel Konfrontation ist sinnvoll? Wie weit geht die Kooperationsbereitschaft mit der Polizei? Man muss feststellen, dass die Symbolik am 27.12. völlig daneben ging. Die schützende Menschenkette ums Rathaus war längst beendet, als die Montagsdemo zum Rathaus marschierte. Das Ziel „Wir ziehen vor‘s Rathaus“ wurde seitens der Querdenker*innen voll und ganz erreicht und kein Gegendemonstrant, noch nicht einmal ein Polizist war dort zu sehen.

Zuletzt sollte auch diskutiert werden, welchen Standpunkt man mit der Rathaus-Menschenkette vertritt. Es ist eine sehr staatstragende Symbolik. Wir schützen den Staat vor den Staatsfeinden, scheint die Botschaft zu sein. Politisch links orientierte Menschen werden sich damit schwer tun.

Bei aller notwendigen Verteidigung der Demokratie vor Faschist*innen sollte man nicht vergessen, welche Fehler und Versäumnisse staatlicherseits in der Corona-Pandemie eigentlich zu kritisieren wären. Beispielsweise die Schieflage im Gesundheitssystem mit seiner Fallpauschalen-Logik, die Orientierung von politischen Entscheidungen an wirtschaftlichen Interessen, die sich verschärfenden Spaltung der Gesellschaft in arm und reich (Stichwort: Profiteure der Krise), die egoistische Impfstoff-Beschaffung der reichen Länder und auch das Thema Grundrechte war eigentlich mal ein von links besetztes. (cki)

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