Ludwigshafen: Gebührenerhöhungen in den Sammelunterkünften und ein “Aufstand” im Stadtrat gegen die Grundsteuer
Der “Aufstand” im Stadtrat gegen die Grundsteuer, ein nettes Schauspiel – und ein Schelm, der Böses dabei denkt.
Im großen Tam-Tam um die Grundsteuererhöhung, erzwungen durch die Finanzaufsichtsbehörde ADD, blieb eine weitere Erhöhung ganz im Hintergrund – und die trifft tatsächlich die Allerärmsten.
Die Mieten, bzw. die sogenannte Benutzungsgebühr für Flüchtlingsunterkünfte und in den Einweisungsgebieten werden teils drastisch erhöht. So kostet künftig ein Bett in einer Sammelunterkunft für Flüchtlinge statt bisher 195,00 Euro satte 290,00 Euro monatlich pro Kopf, Kakerlaken sind kostenlos. Es handelt sich hier um sehr bescheidene Mehrbettzimmer mit Bad-und Küchenbenutzung, gemeinsam mit bis zu 15 oder mehr Mitbewohnern.
Die Betten in den „besseren“ Unterkünften in den Punkthäusern werden pro Person auf „nur“ 232,00 Euro erhöht. So erhöht sich ein von drei Personen bewohntes 30 qm Zimmer von 585 Euro auf 870 Euro monatlich. Sind vier Personen untergebracht, was auch mal vorkommt, fallen 928,00 Euro an – immerhin warm.
Man orientiere sich am Mietspiegel, heißt es im Beschlussantrag der Verwaltung. So kann man als Stadt auch Signale an die Vermieter senden.
Im Sommer wurde bekannt, dass in Oppau in völlig überbelegten Häusern horrende Mietpreise erzielt werden, weil dort osteuropäische Monteure bis zu 20 oder mehr Euro pro Tag für ein Bett bezahlen, was sich im Monat gleich auf über 600 Euro/Kopf summiert.
Die exorbitante Erhöhung in den Sammelunterkünften liege an den höheren Reinigungskosten dort, argumentierte die Verwaltung. Laut einer städtischen Kostenaufstellung fallen dabei pro Jahr satte 692.000 Euro für Reinigung an, das wären 13.000 Euro wöchentlich.
In den sogenannten Einweisungsgebieten, also den Notwohngebieten auf niedrigstem Niveau, wurden Erhöhungen von 10 – 50 % festgelegt. Für eine Kleinstwohnung von 21 qm werden künftig statt bisher 89 Euro nun 52 Euro mehr verlangt, also 141,00 Euro. Das hört sich wenig an, ist für Kleinstverdiener und die miese Wohnqualität aber spürbar. In Wohngemeinschaften erhöht sich die Gebühr um 30 Euro pro Kopf.
In den Ludwigshafener ‘“Einweisungsgebieten“ wohnen über 470 Menschen teils seit Generationen in heruntergekommenen Gebäuden, die schon in mehreren TV-Sendungen als Beispiel für soziales Elend herhalten mussten. Die Stadt nimmt hier als Grundlage für die Berechnung der Benutzungsgebühr den Mietspiegel der untersten Kategorie und reduziert gnädigerweise um 15 %, weil sich die Wohnungen „nicht in makellosem Zustand“ (Begründung im Beschlußantrag) befänden, eine meisterhaft euphemistische Beschreibung.
Die Stadtverwaltung rechtfertigt ihre gewaltigen Erhöhungen damit, dass die Betroffenen dies sowieso nicht selber bezahlen, es sich sozusagen nur um buchhalterischen Taschentausch im Haushalt handelt. So hat sie die Stimmen der Mehrheit ergattert.
Selbstzahlern droht Schuldenfalle
Aber so einfach ist es nicht wirklich. In den Unterkünften gibt es Selbstzahler. Das sind zum Beispiel Flüchtlinge, die arbeiten und zwar überwiegend im Niedriglohnbereich. Sie suchen bis heute erfolglos eine Wohnung und stecken deshalb in den Sammelunterkünften fest. Diese Menschen trifft die massive Erhöhung sehr hart. Bezahlen sie nicht, kommt es zu Mahnungen, dann zur Vollstreckung. Die Stadt geht am Ende wahrscheinlich leer aus, aber der Betroffene wird künftig wohl mit einer negativen Schufa-Auskunft zu leben haben. Die Chance auf eine normale Mietwohnung tendiert dann gegen Null. So kann man Integration auch torpedieren.
Die Verwaltung gestand ein, dass es 240 Menschen gäbe, die diese Wohngebühr entweder selber bezahlen müssen oder es zahlt das Jobcenter. Dies herauszufinden, war ihr keine Mühe wert.
Die Anregung, die Selbstzahler von dieser satten Erhöhung auszunehmen, wurde abgelehnt. Eine Miete könne nicht nach der jeweiligen Kassenlage des Mieters festgelegt werden (CDU).
Diese Erhöhungen fanden also die volle Zustimmung aller Parteien im Stadtrat – mit Ausnahme der „Grünen im Rat“ und der LINKEN.
Und dann passierte mal ein Verwaltungsakt in Ludwigshafen überraschend schnell. Bereits eine Woche nach dem Stadtratsbeschluss gingen, kurz vor den Weihnachtsfeiertagen, die Zahlungsaufforderungen bei ALLEN Bewohnern ein – auch bei denjenigen deren Wohnkosten bislang von der Stadt getragen wurden, ohne nähere Erläuterung, alles auf Deutsch. Die Verwirrung, das Entsetzen und die Empörung waren groß – ein Verwaltungsakt, der ungeschickter und gedankenloser und bar jeglicher Empathie nicht hätte sein können.
Zugleich der Aufstand gegen die Grundsteuererhöhung
In derselben Sitzung gab es vehementen Widerstand gegen die Erhöhung der Grundsteuer, angeführt von der CDU, im Schlepptau ein „bunter Reigen“ von FDP, „Grüne und Piraten“, AFD und die LINKE. Die LINKE verstand diese Aktion als einen Appell an die Landesregierung und die ADD. Die SPD-Fraktion befürwortete die Erhöhung.
Die CDU argumentierte mit der sowieso schon hohen Belastung der Mieter, dies dürfe sich nicht noch mehr verschärfen. (sic!) Zu kurz gesprungen, kann man da nur sagen.
Ja, die Grundsteuer belastet alle Bürger: wer großflächig im Eigentum mit Garten etc. wohnt, bezahlt mehr; wer in einer kleinen Mietwohnung in einem großen Wohnblock lebt, den trifft es weit weniger und zum städtischen Boden zählen ja auch Gewerbeflächen. Jeder kann sich ausrechnen, wer da stark betroffen ist. Für wen hat man da wirklich den ‘“Aufstand“ geprobt in einer Stadt, wo es den flächenmäßig weltweit größten Chemiestandort gibt?
Der eigentliche Skandal der Grundsteuer aber liegt darin, dass die Eigentümer von Immobilienkapital die Steuer auf ihr Eigentum über die Nebenkostenabrechnung voll auf die Mieter abwälzen dürfen. Die LINKE im Bundestag wollte diese ungerechte Bevorzugung des großen profitorientierten Immobilienkapitals abschaffen; gemeinnützige und genossenschaftlich orientierte Wohnungsunternehmen hingegen sollten von der Grundsteuer befreit werden. Dies scheiterte im Bundestag am geschlossenen Widerstand aller Parteien (außer den Grünen), vor allem aber jener Parteien, die im Ludwigshafener Stadtrat plötzlich ihr Herz für die Mieter entdeckt haben. (Drucksachen 19/8358 Feb. 2019, 19/14118 Okt. 2021, https://www.bundestag.de/webarchiv/presse/hib/2019_03/628386-628386)
Wie die hohe Verschuldung der Stadt Ludwigshafen bewältigen?
Ludwigshafen ist mit 1,6 Mrd Euro verschuldet. Die tägliche Zinslast liege bei 75.000 Euro, schreibt die Rheinpfalz (14.12.2021). Damit gehört LU zu den am höchsten verschuldeten Städten in der Bundesrepublik. Die größte Zahl der überschuldeten Kommunen gibt es in Rheinland-Pfalz. Hier gibt es die höchste Kreditbelastung pro Kopf in der ganzen Republik. Man fragt sich warum und hört dann immer wieder, es liege wohl daran, dass Wahlen in RLP auf dem Land gewonnen werden, so seien die Städte chronisch unterversorgt und quälen sich mit hohen Altschulden.
Zweitens fragt man sich, wie kann das sein mit einer BASF vor Ort, dem weltweit größten Industriestandort? Die Gewerbesteuereinnahmen sind relativ hoch und zwar so hoch, das Ludwigshafen regelmäßig Teile davon in den kommunalen Finanzausgleich abgeben muss. Die LINKE Stadtratsfraktion forderte statt einer höherer Grundsteuer eine Gewerbesteuererhöhung und blieb damit allein auf weiter Flur.
Ludwigshafens Verschuldungsproblem liegt zum großen Teil an den Pflichtaufgaben von Land und Bund, vor allem an den hohen Ausgaben im sozialen Bereich, die nicht adäquat gegenfinanziert werden. Zweimal schon hat das rheinland-pfälzische Verfassungsgericht den kommunalen Finanzausgleich in diesem Land für verfassungswidrig erklärt. Für die Landesmutter Malu Dreyer scheint dieses Problem leider bislang nicht zu den dringlichen zu gehören. Seit 2014 sind die Finanzzuweisungen unvereinbar mit der Landesverfassung. (Aktenzeichen: VGH N 12/19, VGH N 13/19 und VGH N 14/19 ) Schon 2012 hatte das Verfassungsgericht eine Entlastung der stark verschuldeten Kommunen angemahnt.
Die ADD (Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion), die immer wieder mit neoliberalen Sparvorgaben von sich Reden macht, war massiv geworden und forderte eine signifikante Grundsteuererhöhung von 420 auf 525 Punkte Das wäre eine Erhöhung um 25 % und dann die höchste Grundsteuer in ganz Rheinland-Pfalz gewesen – und dies in der hässlichsten Stadt der Bundesrepublik.
Die erhöhte Grundsteuer war bereits im Haushalt eingepreist. Eine Nichtgenehmigung des Haushalts hat dazu geführt, dass keinerlei Zahlungen für freiwillige Leistungen wie für Kultur, Theater, Sport, diverse Vereine etc. mehr hätten erfolgen können.
Daher brachten die FWG mit der Fraktion „Grüne und Piraten“ einen Kompromissantrag ein: Erhöhung der Grundsteuer auf 487 Punkte, genau wie in Mannheim. Dieser Antrag fand eine knappe 2 Stimmen-Mehrheit von SPD, FWG und den beiden GRÜNEN Fraktionen. Alle anderen stimmten dagegen.
Die CDU brachte einen Antrag ein, in dem sie statt einer Grundsteuererhöhung zur Konsolidierung des Haushalts Einsparüberprüfungen an anderer Stelle anregte. Dazu sollte eine Arbeitsgruppe eingerichtet werden. Auf den Prüfstand sollen dabei „Freiwillige Leistungen, pflichtige Leistungen, Überprüfung der Standards im Bereich Bauen, Soziales, Jugend, sowie Strukturanalysen bei einzelnen Behörden (Ausländerbehörde, Zulassungsstelle, Jugendamt u.a.), sowie Überprüfung und ggf. Anpassung der Realsteuern.“ (Letzteres ist seltsam, denn in Deutschland gibt es nur zwei Realsteuern, und das sind die Gewerbe-und Grundsteuer )
Wesentlich aber ist, die CDU regt Einsparungen in solchen Bereichen an, wo sozial benachteiligte Bürger auf städtische Leistungen dringlich angewiesen sind. Aber auch dieser CDU-Antrag wurde mehrheitlich mit nur 3 Gegenstimmen (LINKE) angenommen.
Im Nachhinein sah es so aus, dass der „Aufstand“ von Erfolg gekrönt war. Die Landesregierung versprach einen Zuschuss zur Schuldentilgung von 450 Mio Euro an die Stadt. Immerhin etwas. Das hilft aber leider nur vorübergehend, denn das grundsätzliche Problem ist weiter offen, 1. eine generelle Lösung der Altschulden und 2. das verletzte Konnexitätsprinzip, (wer bestellt bezahlt). Das heißt: Bund und Land übertragen den Kommunen Aufgaben, statten diese aber nicht mit den dafür notwendigen finanziellen Mitteln aus. Die rot-grüne Landesregierung wurde vom rheinland-pfälzischen Verfassungsgericht im Dezember 2020 dazu verdonnert, bis Januar 2023 ein neues Finanzausgleichssystem zu schaffen, das den aufgabenbezogenen Finanzbedarf der Kommunen gerecht wird. (F.Rüd)
Hinweis der Red.: Der Beitrag wurde am 22.1.22 und 29.01.22 überarbeitet.