Vor dem Lechleiter-Gedenken: Interview mit VVN-Bundesvorsitzenden Florian Gutsche
Der VVN Bundesvorsitzende Florian Gutsche wird am Donnerstag 15. September 2022 auf Einladung der VVN Kreisvereinigung Mannheim nach Mannheim kommen und bei der jährlichen Gedenkkundgebung für den Mannheimer Arbeiterwiderstand am Lechleiterplatz sprechen. Wir führten vorab ein Interview mit ihm über Gedenkpolitik und die Zukunft des Antifaschismus.
KIM: Der 15. September ist der 80. Jahrestag der Hinrichtung der Mitglieder der Widerstandsgruppe, was hast du für einen Bezug zum Widerstand gegen den deutschen Faschismus? Wie konkret kennst du den Mannheimer Widerstand der Gruppe um Georg Lechleiter?
Florian Gutsche: Im Gegensatz zu vielen Mitgliedern der VVN-BdA habe ich keinen familiären Bezug zum antifaschistischen Widerstand von 1933-1945. Für mich ist aber der Mut und die Kraft der vielen Antifaschist*innen für Menschlichkeit und ihre Überzeugungen einzustehen bewundernswert und auch Ansporn selber aktiv zu sein.
Ehrlich gesagt kannte ich die Gruppe Lechleiter vor meiner Einladung nach Mannheim nicht. Wie bei allen antifaschistischen Widerstandsgruppen ist ihre Arbeit beeindruckend. Angesichts der eskalierenden Kriege auf der Welt finde ich insbesondere ihr antimilitaristisches Engagement in ihrer schwierigen Situation bewundernswert.
KIM: Du bist Jahrgang 1988, gehörst somit zur jungen Generation, die das Vermächtnis des Antifaschismus in die Zukunft tragen werden. Wie begann dein antifaschistisches Engagement und wann bist du in die VVN-BdA eingetreten? Was sagst du den vielen neuen VVN Mitgliedern, die ebenfalls zur jungen Generation gehören, womit können sie den Antifaschismus konkret stärken?
Florian Gutsche: Mein antifaschistisches Engagement begann ganz einfach damit auf antifaschistische Demonstrationen zu gehen. Über ein Praktikum in der Bundesgeschäftsstelle lernte ich die VVN-BdA näher kennen und trat schließlich 2010, wenige Tage vor den erfolgreichen Protesten gegen den Naziaufmarsch am 13. Februar in Dresden, in die VVN-BdA ein.
Den Antifaschismus stärkt man am besten mit antifaschistischem Engagement. Das mag erstmal banal klingen, aber wenn jede*r etwas tut haben wir schon viel geschafft. Antifaschistisches Engagement fängt für mich beim Entfernen von Nazistickern und Nazischmierereien an, geht über Flüchtlingssolidarität und reicht bis zur Mitgliedschaft oder Arbeit in antifaschistischen Gruppen und Organisationen wie der VVN-BdA.
KIM: Du bist beim VVN Bundeskongreß im April 2021 zum Bundesvorsitzenden gewählt worden, gemeinsam mit Cornelia Kerth. Welche Themen und Projekte haben dich seit dem Bundeskongress im April 2021 konkret beschäftigt?
Florian Gutsche: Neben der fast schon alltäglichen Gedenk- und Erinnerungsarbeit und unserer Arbeit gegen Geschichtsrevisionismus, stehen natürlich unser Kampf gegen die AfD und den gesellschaftlichen Rechtstrend und anlässlich des russischen Angriffskrieges in der Ukraine und der deutschen Aufrüstungspakete unsere friedenspolitische Arbeit im Fokus. Was wir dabei nicht aus den Augen verlieren dürfen ist die Militarisierung der EU-Außengrenzen und die Solidarität mit Geflüchteten im Kampf gegen institutionellen und gesellschaftlichen Rassismus. Wir machen also da weiter, wo die VVN-BdA immer schon aktiv war, nur halt manchmal mit anderen Mitteln als bisher.
KIM: Wenn wir am 15.Sept. an den Widerstand erinnern und damit einen wichtigen Beitrag gegen das Vergessen leisten, wo siehst du gegenwärtig unsere größten Aufgaben angesichts des Krieges in der Ukraine und der gewaltigen Aufrüstung in unserem Land? Wie kommen wir zum Frieden?
Florian Gutsche: Meine Position und die der VVN-BdA sind da sehr klar. Die Waffen müssen schweigen und alle Beteiligten müssen an den Verhandlungstisch zurückkehren. Die territoriale Integrität der Ukraine, wie die aller Länder, muss geachtet und wiederhergestellt werden. Wir fordern auch, dass Deutschland hier mit gutem Beispiel voran geht und statt unvorstellbarer Milliardensummen in die Rüstung zu investieren endlich das Geld in den Gesundheits- und Bildungsbereich, sowie einer dringend notwendigen Bekämpfung des Klimawandels investiert.
Da dies leider nicht von alleine passieren wird, müssen wir Druck machen. Bei Parlamentarier*innen, aber natürlich auch auf der Straße.
KIM: Wir blicken auf die NSU-Morde, auf den Mord an Walter Lübcke in Kassel, an die Morde in Hanau und Halle und sehen die weitere Rechtsentwicklung mit Netzwerken bei der Bundeswehr und der Polizei. Wie können wir den Betroffenen solidarisch zur Seite stehen und solche Anschläge zukünftig verhindern?
Florian Gutsche: Ich glaube, wir können mit den Betroffenen nur solidarisch sein, wenn wir ihnen zuhören und das tun was sie sich wünschen. Oft gehört dazu, dass die Opfer nicht in Vergessenheit geraten und das die Morde und ihre Umstände vollends aufgeklärt werden.
Das mit der Erinnerungsarbeit klappt schon ganz gut, nur bei der Aufklärung stellen sich die deutschen (Un-)Sicherheitsbehörden regelmäßig quer und am Ende profitieren sie noch von den eigenen Verstrickungen in solche Morde und Netzwerke. Bestes Beispiel der sogenannte Verfassungsschutz, der als größter Terrorhelfer des NSU, nach dessen auffliegen tausende Stellen hinzubekommen hat. Begründet wurde das Ganze damit, dass man jetzt ja mehr Leute bräuchte, um die Nazis besser beobachten zu können. Ich finde das absurd!
Als VVN-BdA halten wir den „Verfassungsschutz“ nicht für reformierbar und fordern stattdessen seine Auflösung. Das würde den Nazis vermutlich beträchtliche Einnahmequellen (Gelder für V-Männer und Frauen) nehmen und wäre ansonsten auch kein Verlust, schließlich sind antifaschistische Gruppen und Recherchenetzwerke seit Jahrzehnten die besseren Informationsquellen zu neofaschistischen Umtrieben.
KIM: Wie stellst du dir die zukünftige Gesellschaft vor, welche Ziele strebt die VVN an? Welche gesellschaftliche Verfassung strebt die VVN an? Wer sind die wichtigsten Verbündeten und mit welchen politischen Gruppen und Parteien will die VVN erfolgreich Nazis, Rassisten und Militaristen zurückdrängen?
Florian Gutsche: Die VVN-BdA war seit ihrer Gründung immer eine strömungs- und konfessionsübergeifende Organisation. Im Schwur von Buchenwald sind die Ziele der Organisation, Jahre vor der Gründung der VVN, von den Überlebenden des KZ Buchenwald niedergelegt worden. Das sind die Beseitigung des Nazismus mit seinen Wurzeln und der Aufbau einer Welt des Friedens und der Freiheit. Als VVN-BdA arbeiten wir dabei mit allen zusammen, die gegen Faschismus, Antisemitismus, Rassismus und andere Formen der Diskriminierung auftreten und sich für eine friedliche Welt einsetzen.
Das können lokal sehr verschiedene Organisationen, Parteien oder Initiativen sein, deshalb würde ich an der Stelle gar keine Hierarchisierung vornehmen wollen.
KIM: Lieber Florian Gutsche, wir danken dir für deine Antworten und sind gespannt auf deine Rede am 15.9. in Mannheim.