Pauschalverbote von Palästina-Kundgebungen – Sicherheitspolitische Notwendigkeit oder schwere Grundrechtseingriffe?
In Mannheim, wie auch in vielen anderen deutschen Städten, werden zur Zeit pauschal fast alle Pro-Palästina-Solidaritätskundgebungen verboten. Grundsätzlich werden die Verbote mit Sicherheitsaspekten begründet. Zu erwartende, fiktive Straftaten, sowie Erfahrungen aus der Vergangenheit, dienen als Begründung dafür. In Berlin ist die Situation besonders angespannt. Von unterschiedlichen politischen Gruppierungen werden alle möglichen Arten von kleinen wie großen Mahnwachen, Kundgebungen und Demonstrationen angemeldet. Diese schlagen zunehmend auch in gewaltsame Auseinandersetzungen um, wie zuletzt in Berlin Mitte und Neukölln.
Versammlungen in Mannheim
Trotz Verboten war bislang auch hier schon einiges los. Direkt nach den Terroranschlägen der Hamas organisierte die Deutsch-Israelische-Gesellschaft (DIG) eine Mahnwache in Solidarität mit den Menschen in Israel (KIM berichtete). Eine für vergangenen Samstag geplante Kundgebung der Gruppe Free Palestine Mannheim wurde von der zuständigen Versammlungsbehörde der Stadt Mannheim verboten. Die Veranstalterin legte Beschwerde ein, das Verbot wurde jedoch vom Verwaltungsgericht Karlsruhe bestätigt. Die Polizei überwachte die Einhaltung.
Nach dem Einschlag einer Rakete in einem Krankenhaus in Gaza, bei dem offenbar viele Menschen starben, versammelten sich am Dienstagabend spontan rund 100 Menschen zu einer Kundgebung am Marktplatz. Die Polizei beobachtete die Versammlung, schritt aber nicht ein.
Eine weitere nicht-angemeldete Versammlung am Mittwochabend in Heidelberg wurde dagegen von der Polizei aufgelöst.
Für Samstag ruft die Gruppe Free Palestine zu einer weiteren Kundgebung um 18 Uhr auf dem Marktplatz auf, Motto „Gemeinsam gegen Krieg, Gewalt, Besatzung und Unterdrückung“. Diese ist laut Veranstalter aktuell ebenfalls verboten, es wurde aber angekündigt, gegen das Verbot zu klagen – notfalls bis in höhere Instanzen.
Am Samstag ist außerdem eine weitere Mahnwache der Deutsch-Israelischen-Gesellschaft um 18 Uhr auf dem Paradeplatz geplant.
Wann kann eine Versammlung verboten werden?
Grundsätzlich müssen Versammlungsverbote mit realen Tatsachen begründet werden. Oft nutzen die Behörden aber auch eine allgemeine Situationsbeschreibung, wie aktuell die internationalen Auswirkungen der Eskalation in Nahost. Ereignisse an anderen Orten, beispielsweise die Ausschreitungen in Berlin, können für die Begründung der Sicherheitslage hier vor Ort angeführt werden. Speziell in Mannheim gibt es aber eine Vorgeschichte.
Die zur Zeit aktivste Pro-Palästina-Gruppe Free Palestine Mannheim hatte im Mai 2021 eine Kundgebung auf dem Friedensplatz veranstaltet, die massiv ausgeartet war (KIM berichtete). Radikale Islamist*innen hatten die Veranstaltung übernommen und Hassreden gegen Israel skandiert. Ein wütender Mob verbrannte eine Israel Fahne. Daraufhin kam es zu Auseinandersetzungen mit der Polizei, zahlreichen Verletzten und Festnahmen.
Dieses Ereignis blieb an der Gruppe Free Palestine Mannheim haften. Zukünftige Veranstaltungen wurden verboten oder mit weitreichenden Auflagen versehen. Zuletzt wurde zum 75. Jahrestag der Staatsgründung Israels, von Palästinenser*innen als Nakba-Tag (Tag der Katastrophe) bezeichnet, im Mai diesen Jahres eine Demonstration durch die Mannheimer Innenstadt veranstaltet. Diese verlief unter strenger polizeilicher Aufsicht störungsfrei (KIM berichtete).
Rückblick im Video: 2021 eskalierte eine Kundgebung der Gruppe Free Palestine Mannheim: Hamas-Symbole, Hassreden radikaler Islamist*innen und brennende Israel-Fahnen. Video bei Youtube: https://www.youtube.com/watch?v=F0ApBVlxds8
Was ist strafbar?
Neben offensichtlich strafbaren Handlungen, wie Steine werfen und brennenden Barrikaden, gibt es bei den Veranstaltungen mit Nahost-Bezug einen großen inhaltlichen Graubereich. Die meisten pro-palästinensischen Veranstaltungen thematisieren – verständlicherweise – das große Leid der Zivilbevölkerung im Gaza-Küstenstreifen. Dem Staat Israel werden mal mehr, mal weniger sachlich, Kriegsverbrechen vorgeworfen. Soweit so legitim. Doch zur Hamas hört man in der Regel nichts, kein Wort zu den Massakern der in Gaza herrschenden Terrororganisation. Genau so macht es auch die Gruppe Free Palestine Mannheim mit ihren Veröffentlichungen bei Instagram.
Allerdings sind Anhänger*innen der Hamas auch in Deutschland präsent. Bei der oben genannten Kundgebung 2021 wurden zahlreiche Fahnen und Banner mit den Logos und Symbolen islamistischer Terrororganisationen, wie Hamas und IS, gezeigt.
Unter Jurist*innen wird die Frage diskutiert, ob eine pauschale, nicht näher definierte Solidaritätsbekundung mit dem „palästinensischen Widerstand“ im Kontext der aktuellen Ereignisse bereits eine Billigung von Straftaten, namentlich den Gewalttaten der Hamas, darstellen könnte.
Konkret wird es am Beispiel der international populären Parole „From the river to the sea, palestine will be free“. Hier erkennen Polizei und Staatsanwaltschaften einen Anfangsverdacht der Billigung von Straftaten (§140 StGB) oder auch der Volksverhetzung (§130 StGB) und es kam nach entsprechenden Rufen bereits zu Festnahmen und Ermittlungsverfahren. Ob die Parole so gemeint ist, dass das israelische Staatsgebiet „frei von Israelis“ sein soll oder man dort einfach nur „in Freiheit“ leben wolle, dürfte bei kommenden Gerichtsprozessen ausführlich diskutiert werden.
Auch Abseits juristischer Geplänkel ist das Schweigen zur Hamas das größte Problem der pro-palästinensischen Bewegung. Wer nur die israelischen Kriegsverbrechen anklagt, aber kein Wort zu den vielen Opfern des Hamas-Terrors verliert, macht sich unglaubwürdig – gerade dann, wenn man von Frieden und Gewaltfreiheit spricht. Warum wird die Hamas nicht deutlich und auf breiter Front abgelehnt, wo doch jedem klar sein müsste, wer die aktuelle Eskalation verursacht hat, die zu tausenden Toten auf allen Seiten geführt hat?
Wenn man der israelischen Regierung vorwirft, in den letzten Jahren zu wenig für Gerechtigkeit, Aussöhnung und einen neuen Friedensprozess getan zu haben, so muss man doch gleichzeitig erkennen, dass Hamas alles dafür tut, jeglichen noch zu kleinen Vorstoß in Richtung Frieden, mit brutalster Gewalt zu bekämpfen. (cki)