Dokumentation der Mietpreisexplosion: Wohnungsmarkt-Monitoring 2023
Seit 14 Jahren gibt die Stadt Mannheim den Wohnungsmarkt-Monitoringbericht heraus, zuletzt 2023 den Bericht für das Jahr 2022. Das Drama der heutigen Mietpreise (und auch der Immobilienpreise, die ja die Basis für die Mietpreise sind) lässt sich in den Monitoring-Berichten gut verfolgen. Die Berichte bilden den jeweiligen Ist-Zustand des „Wohngsmarktes“ empirisch ab. Die Frage ist: Anhand welcher Kriterien wird der Wohnungsmarkt beleuchtet. Dies sind von Anfang an: Die Bevölkerungsentwicklung, die Zahl der Bestands- und neu gebauten Wohneinheiten, deren Miet- bzw, Kaufpreise bezogen auf die Größe der Wohnungen und Art der Häuser. Nicht betrachtet werden bis heute wichtige Daten über die „Marktteilnehmer:innen“: die Zahl der Haushalte mit Transferleistungsbezug, die Zahl der Wohnberechtigungsscheine und die Warteliste der GBG als größter Vermieterin in Mannheim. Das Monitoring ist sozial blind. Das ändert sich erst beim aktuellen Wohnungsmarkt-Monitoring
2007 (damals gehörte der Fachbereich Wohnen und Stadterneuerung zum Geschäftsbereich des Dezernats 2 unter Christian Specht, CDU) wurde die Aufgabe der Wohnungspolitik noch folgendermaßen beschrieben: „Wohnungspolitik ist im Zusammenhang mit der Stadtentwicklung zu sehen. ‚Attraktives Wohnen in Mannheim 2020‘ ist nicht nur ein ‚Slogan‘, sondern es soll ein Programm sein, mit dem Mannheim auf dem Gebiet des Wohnens auf die Herausforderungen der demografischen Entwicklung und des Strukturwandels reagiert.“ Man könnte meinen: Alle haben eine passende Wohnung, nur muss man auf die Attraktivität noch ein bisschen achten. Dass es Arme und Reiche gibt mit jeweils unterschiedlichen Bedürfnissen, bleibt außen vor. Fröhlich schreibt der damalige Fachbereichsleiter Cibis in der Einleitung: „Der Wohnungsmarkt ist differenzierter geworden und damit stellen sich auch aus Sicht der kommunalen Wohnungspolitik neue Fragen. Die Zeit der direkten Steuerung des Wohnungsbaus und der Wohnungsversorgung durch entsprechend breit angelegte Förderprogramme ist vorbei.“ Das Ende der Wohnungsgemeinnützigkeit liegt damals schon 17 Jahre zurück.
In der Einleitung zum Monitoring-Bericht 2023 schreibt hingegen der Dezernent Ralf Eisenhauer (SPD): „Die in diesem Jahr durch den Gemeinderat beschlossene Wohnungspolitische Strategie hat zum Ziel, die Schaffung zusätzlicher Wohnungsangebote, insbesondere preisgünstige Wohnungen für einkommensschwache, erwerbstätige Haushalte zu ermöglichen und soll so den Nachfragedruck auf dem Mannheimer Wohnungsmarkt mindern. Die Berücksichtigung preisgünstigen Wohnraums im Wohnungsneubau im Rahmen des Quotenmodells stellt einen wichtigen Faktor zur Schaffung einer stabilen Mischung im Quartier dar und beugt Segregation vor.“
Zwischen beiden Statements liegt ein langer und beschwerlicher Weg, dessen Zäsur die Verabschiedung des 12-Punkteprogramms unter besonderer Berücksichtigung preisgünstigen Wohnens mit der Mehrheit aus SPD, Grünen und Linken war. Die Wohnungspolitik ist echtes „Bohren dicker Bretter“ und erfordert einen langen Atem. Und ohne linke Puste wäre es nicht so weit gekommen und würde es auch nicht erfolgreich weitergehen.
Zahlen, Daten, Fakten
Mannheim verfügt im Jahr 2022 über 171.240 Wohneinheiten. 2014 waren es ca.169.200 Wohneinheiten, 2006 165.101. Der Wohnungsbau dümpelte jahrelang bei ca. 600 neuen WE pro Jahr, erreichte 2021 einen Spitzenwert von 2.166 fiel dann 2022 auf 915 neue Wohnungen zurück. Geplant sind für die Jahre bis 2030 jeweils jeweils 1.000 neue Wohnungen.
Die Zahl der Privathaushalte am 31.12.2022 betrug 175.547. Das sind 4.300 mehr als es Wohnungen gibt. Das Verhältnis kann jedoch als ausgeglichen betrachtet werden, da z.B. in Wohngemeinschaften oft mehrere Haushalte leben. Die Wohnungsnot resultiert nicht primär aus der zu knappen Zahl von Wohnungen, sondern aus dem häufig nicht passenden Angebot, was Wohnungsgröße und -preis betrifft.
Da Mannheim entgegen den Bevölkerungsprognosen bis zur Flüchtlingsbewegung 2015 und der Freizügigkeit der EU-2-Bewohner:innen (Bulgarien und Rumänien) keine schrumpfende sondern eine Stadt mit zunehmender Bevölkerung ist (positiver Wanderungssaldo z.B. 2022 von 4.081 Menschen), besteht trotzdem erheblicher Neubaubedarf. Ende 2022 hatten 325.691 Personen ihren Hauptwohnsitz in Mannheim. Davon waren per saldo 3.889 aus der Ukraine gekommen. Die Zeiten, das man aus der Alterstruktur der Bevölkerung und aus dem “generativen Verhalten” der Menschen Hochrechnungen für die nächsten 10 Jahre machen konnte, sind definitiv vorbei. Mannheim ist eine Einwanderungsstadt. Viele Menschen kommen mit Fluchtgeschichte nach Mannheim (Kriege in den Kurdengebieten, Syrien, Ukraine, Unterdrückung, wirtschaftliche Not und Hunger), viele davon verlassen im Laufe der Zeit auch wieder die Stadt. Berechenbar sind diese Bevölkerungsbewegungen nicht, ein Ende ist nicht absehbar, die weltweite Klimakrise wird ihr Übriges beitragen. Ohne die Zuzüge aus Deutschland und der Welt würde Mannheim schrumpfen – so aber ist offenkundig ein deutlicher Zuwachs an Wohnraum erforderlich.
Das Mietpreispreis-Desaster
Nach Messung der Mietspiegel haben sich die Durchschnitts-Kaltmieten in Mannheim seit 1994, also innerhalb 30 Jahren, ziemlich exakt verdoppelt – von den Arbeitseinkommen und Transferleistungen kann man dies nicht behaupten:
Der Mietspiegel, welcher ein Mieterhöhungsspiegel ist, gewährt in bestehenden Mietverträgen einen wichtigen Schutz vor willkürlichen Mieterhöhungen.
Wer jedoch eine Wohnung sucht, ist auf die Wohnungsangebote angewiesen, deren Mieten sich nicht am Mietspiegel orientieren, sondern an dem, was der Markt hergibt.
So liegen 2022 nur drei Stadtteile mit ihren durchschnittlichen Angebotsmieten unter dem Mietspiegel-Durchschnitt (Hochstätt, Herzogenried und Schönau-Nord). Der Mannheimer Durchschnitt liegt bei 10,83 EUR/m² kalt. Spitzenreiter sind der Jungbusch (!) nach der „Stadtteil-Verbesserung“ und das Neubaugebiet Franklin mit 12,02 bzw. 12,26 EUR/m².
Im Jungbusch beträgt die Steigerung der Durchschnitts-Kaltmiete in den letzten acht Jahren 30%, in Neckarstadt-West 27,2%. Diese Ergebnisse sind eindeutig das Ergebnis einer Wohnungspolitik, die nicht die nötigen Instrumente bereithält, um dieser Preisexplosion Einhalt zu gebieten. Der freie Markt in seinem Lauf regelt nichts außer das Desaster.
Die Neubaumieten im Geschoßwohnungsbau betragen 2023 durchschnittlich 12,54 EUR/m² kalt.
Auch der Eigentumswohnungsmarkt muss betrachtet werden. Erstens ist bzw. war er für Menschen mit mittleren Einkommen eine Alternative zur lebenslangen Mietzahlung mit „open end“. Zweitens aber tauchen viele der Eigentumswohnungen nach dem „ersten Vermarktungsschritt“ als Mietwohnungen auf dem Markt auf; denn sie dienen gut situierten Privatpersonen oder auch profitorientierten Wohnungsunternehmen als Kapitalanlage. Die Miete wird natürlich primär durch den Wohnungspreis bestimmt.
Der Durchschnittspreis von Eigentumswohnungen lag 2010 bei 1.700 EUR/m², 2018 bei 3.100 EUR/m² (+ 82,4%). 2021 betrug der Durchschnittskaufpreis bereits 3.900 EUR/m². Für Eigentumswohnungen im Erstbezug betrug 2022 der durchschnittliche Kaufpreis 5.300 EUR/m².
Sozialwohnungen?
Im Jahr 2022 gab es noch 5.197 Wohnungen mit Belegungs- und Mietpreisbindung nach dem Landeswohnraumförderungsgesetz – immerhin aber 180 mehr als 2021. Der durch das Auslaufen der Bindungsfristen vorprogrammierte Abwärtstrend im Bestand der Sozialwohnungen wird gegenwärtig gestoppt und leicht gedreht: „Seit Beschluss des Quotenmodells für preisgünstigen Mietwohnungsbau im Mai 2018 wurden bei mehreren Vorhaben verbindliche Verträge zur Umsetzung von rund 800 bezahlbaren Mietwohnungen im Rahmen des Quotenmodells abgeschlossen,“ heißt es im Wohnungsmarkt-Monitoring 2023. In Summe würden dem Mannheimer Wohnungsmarkt „in den nächsten Jahren mehr als 2.000 zusätzliche bezahlbare Mietwohnungen zugeführt werden.“ Über die Bindungsfristen gibt das Monitoring nach wie vor keine Auskunft.
Schönau-Nord als Beispiel für Abweichungen von der langjährig beständigen Aufwärtsentwicklung der Preise / Mieten (rote Linien). Die graue Linien bilden die gesamtstädtische Entwicklung ab. Dort ist zumindest bei den Angebotsmieten ein winziger Rückgang von 10,92 auf 10,83 EUR/m² Kaltmiete festzustellen. Die Kurve flacht sich ab – auf hohem Niveau. (Quelle: Stadt Mannheim, Wohnungsmarkt-Monitoring 2023)
Trendwende bei Immobilien und Mieten?
Bei Betrachtung der stadtteilbezogenen Angebots-Immobilienpreise und -Mieten fällt auf, dass teilweise die Immobilienpreise, teils aber auch die Angebots-Mieten von 2021 auf 2022 sinken – Letzteres v.a. in Stadtteilen wie Hochstätt, Herzogenried und Jungbusch. Bei den Immobilienpreisen könnte sich der Trend abzeichnen, der bei Neubauten zum fast völligen Stillstand geführt hat. Aufgrund der geringen Fallzahlen in 2021/2022 (möglicherweise auch durch die Covid-Pandemie verursacht) ist aus vereinzelten Zacken nach unten jedoch noch keine ernsthafte Schlussfolgerung zu ziehen.
Fazit
Seit den 90er Jahren (Abschaffung der Wohnungsgemeinnützigkeit) ging die Mannheimer Wohnungspolitik davon aus, dass es – insbesondere im Vergleich mit Heidelberg, Karlsruhe, Freiburg oder Stuttgart – einen deutlich entspannteren Mietwohnungsmarkt gebe. Wer eine preisgünstige Wohnung benötigt sei bei der GBG gut aufgehoben. Der Rest sei das Bemühen um „Attraktivität“ des Wohnens in Mannheim.
Erst 2017 gelang eine gewisse Wende in der Wahrnehmung dringender Aufgaben einer sozialen Bodennutzungs- und Wohnungspolitik: Mit der Sozialquote von (zunächst!) 30%, Konzeptvergaben an Investoren statt meistbietend, Berücksichtigung (wenn auch keine wirksame Förderung) von gemeinwohlorientierten Wohngruppen-Projekten, erste zaghafte Anfänge eines Bodenfonds, (unzureichende) Vergabe vergünstigter Erbbaurechte. Dazu kommt eine Änderung der GBG-Strategie, die auch auf Sicherung preisgünstiger Mieten durch Erwerb von Bestandshäusern im Streubesitz fokussiert sowie auf die Erstellung preisgünstiger Wohnungen – nach den teuren Ausflügen in das Geschäft mit teuren Eigentumswohnungen.
All diese Instrumente, die erst am Anfang stehen, sind akut gefährdet, wenn die konservativen Kräfte bei der Kommunalwahl die Mehrheit erreichen sollten. Sie wollen erklärtermaßen hauptsächlich Einfamilienhäuschen (für mindestens ½ Million Euro) in Mannheim erreichten. Mieterinnen und Mieter sollten in diesem Bewusstsein unbedingt zur Gemeinderatswahl gehen.
Thomas Trüper