Schulstraßen – eine Chance für sichere Schulwege zu den Grundschulen [mit Video]
Montagmorgen, 7:45 Uhr vor einer Grundschule in der Neckarstadt. Auf den letzten Metern seines Schulwegs muss Erstklässler Miro über eine Autostraße. Es ist zwar keine Hauptverkehrsstraße, aber um kurz vor 8 Uhr ist im Berufsverkehr dennoch viel los: Menschen auf dem Weg zur Arbeit, Lieferverkehr, ein Schulbus, Eltern, die ihre Kinder kurz vor knapp mit dem Auto zur Schule bringen.
Über die Straße hilft eine Verkehrsinsel, eine sogenannte Querungshilfe. Einen Zebrastreifen gibt es nicht. Daher ist oft unklar, wann man loslaufen kann. Viele Autofahrer*innen sind freundlich und halten an, um die Schulkinder rüber zu lassen. Andere, die es sehr eilig haben, halten nicht. Vor allen weil die Sicht durch parkende Autos eingeschränkt ist, fällt den Kindern die Straßenüberquerung schwer.
Als Miro drüben ankommt, fährt ein Auto vor den Schuleingang. Direkt in der Feuerwehrzufahrt darf man eigentlich nicht parken, viele Eltern machen es trotzdem. Dann kommt noch ein zweites. Der Gehweg vor dem Schuleingang ist nun komplett zugeparkt.
Videobeitrag: Schulstraßen – eine Chance für sichere Schulwege zu den Grundschulen | Link zu Youtube: https://youtu.be/MuK9ZX-czeI
Die gefährlichen letzten Meter auf dem Weg zur Schule
So wie hier, an der Erich Kästner Schule in der Mannheimer Neckarstadt, ist es an vielen Schulen. Überall ist die Verkehrssituation anders, doch viele Eltern berichten von ähnlichen Problemen auf den letzten Metern des Schulwegs. Dort verdichtet sich der Verkehr, wenn um kurz vor acht Uhr hunderte Schüler*innen eintreffen.
Viele kommen zu Fuß, mit dem Roller oder mit dem Fahrrad. Viele werden aber auch von ihren Eltern mit dem Auto gefahren, obwohl fast alle in der Nähe wohnen. Das kann unterschiedliche Gründe haben. Manche Eltern nehmen ihre Kinder auf dem eigenen Arbeitsweg mit, andere halten es für sicherer, ihre Liebsten mit dem Auto durch den Stadtverkehr zu befördern.
Thorsten Papendick, Vorsitzender des Gesamtelternbeirats (GEB) hat sich Anfang des Jahres mit Schulleitungen und Elternvertreter*innen zum Thema ausgetauscht. „Die Situation ist die, dass vor den Grundschulen ein immenser Verkehr ist“, berichtet Papendick und sieht dafür vor allem die Elterntaxis in der Verantwortung. „Besonders gefährlich wird es dann für die Kinder, die zu Fuß in die Schule gehen“.
Strafzettel scheinen wenig Eindruck zu machen
Erstklässler Miro meint, dass es mit den Autos manchmal „irre“ wäre, sie würden einen „fast platt fahren“, wenn sie am Schuleingang einparken. Das bestätigt auch Frida, die in die zweite Klasse geht und mit Miro und anderen manchmal eine Laufgruppe bildet.
An manchen Tagen wäre die Polizei vor Ort und würde Strafzettel verteilen, doch die Autos parken am nächsten Tag trotzdem wieder vor dem Eingang, berichtet Miro.
Einmal sei sie fast umgefahren worden, berichtet Helene, Viertklässlerin an der Rheinau Grundschule. „Die Autos fahren einfach und parken auf den Gehwegen, so dass wir manchmal sogar zu spät kommen“, berichtet sie.
„Die Autos fahren richtig schnell“, erzählt Shania, die in den Quadraten auf die Maria Montessori Schule geht. Ihre Mutter beschreibt das Problem näher. Gerade wenn es keine Ampeln gibt und die Kinder zwischen den Autos stehen, können sie kaum nach links und rechts sehen, bevor sie über die Straße gehen.
„Die Auto werden immer größer“ bestätigt auch Regina Jutz. Die Stadträtin der Grünen engagiert sich in der Initiative Kidical Mass und organisiert Kinder-Fahrraddemos für bessere Radwege und sichere Schulwege zu den Grundschulen.
Schulstraßen für mehr Sicherheit auf den letzten Metern
Hier bei der Kidical Mass werden Forderungen nach sogenannten Schulstraßen laut. Regina Jutz erklärt das Konzept: „Die Idee kommt aus Österreich. Die Schulstraße bedeutet eine temporäre Sperrung für den Autoverkehr vor den Schulen – eben auch für die Elterntaxis.“ Temporär bedeutet dabei eine Sperrung zu Beginn und zu Ende der Schulzeit für jeweils etwa eine Dreiviertelstunde. Das könne zum Beispiel baulich durch Poller erfolgen, so dass alle Kinder geschützt vor dem PKW-Verkehr die letzten Meter zum Schulgebäude kommen können.
Neben Österreich gibt es auch erste Schulstraßen in Nordrhein-Westfalen, zum Beispiel in Köln und Düsseldorf. Dort hat das Verkehrsministerium eine landesweite Regelung herausgegeben, die für andere Bundesländer zum Vorbild werden könnte.
Einige Kommunen in anderen Bundesländern haben bereits Schulstraßen getestet, berichten aber von einer Rechtsunsicherheit.
Noch keine Schulstraßen in Mannheim – aber vielleicht schon bald?
In einer Vorlage an den Gemeinderat berichtet die Stadtverwaltung, dass das Verkehrsministerium Baden-Württemberg aktuell an einer Handlungsanweisung für Kommunen arbeite. „Die Stadt Mannheim wird die dargestellten Möglichkeiten dann an geeigneten Stellen umsetzen“ verspricht die Verwaltung.
Das Ministerium erklärt auf Anfrage allerdings, dass bereits jetzt Schulstraßen rechtlich möglich seien und beispielsweise in der Stadt Ulm erprobt würden. Eine Handlungsanweisung für Kommunen sei in Arbeit, ein Zeitplan wird jedoch nicht genannt.
Solange würden zur Verbesserung der Sicherheit der Grundschüler*innen andere Maßnahmen geprüft und umgesetzt, verspricht die Stadtverwaltung. Da gebe es Fahrbahnverengungen, Schaffung von Sichträumen und Geschwindigkeitskontrollen des motorisierten Verkehrs. Außerdem wurden von der Verwaltung Schulwegpläne zu allen Mannheimer Grundschulen erstellt.
Ein weiteres Projekt der Stadtverwaltung ist die Kampagne „Schulweg aktiv“, die im April an 25 Mannheimer Grundschulen stattgefunden hat. Die Idee: Kinder sollen ihren Alltag freiwillig aktiv gestalten und den Schulweg zu Fuß, mit dem Rad oder dem Roller zurücklegen. Zur Motivation wurden über den Kampagnenzeitraum Punkte gesammelt und die Schulen waren im Wettstreit miteinander. „Meine Klasse hat in den zwei Wochen 188 Punkte gesammelt“, berichtet Frida. Damit hat sie der Erich Kästner Schule als eine der drei aktivsten Schulen der Stadt zum Sieg verholfen und einen sportlichen Aktionstag vor den Sommerferien gewonnen.
Trotz positiver Resonanz und großer Beteiligung ist der Haken an der Kampagne „Schulweg aktiv“, dass die Eltern nicht in die Verantwortung genommen werden. Während viele Kinder großen Spaß an selbstbestimmten, teils sportlichen Schulwegen haben, entscheiden am Ende in der Regel doch die Eltern, ob sie ihre Kinder mit dem Auto fahren.
Test-Schulstraße in Rheinau – im Rahmen einer politischen Versammlung
Den Aktivist*innen der Kidical Mass dauert das alles zu lange. Verständlich, denn Viertklässlerin Helene wird eine richtige Schulstraße auf ihrem Schulweg nicht mehr selbst erleben.
Daher hatte der Gesamtelternbeirat mit Unterstützung von ADFC und Kidical Mass die Sache in die Hand genommen und im Jahr 2023 zumindest für eine kurze Zeit auf eigene Faust eine Schulstraße eingerichtet – testweise im Rahmen einer politischen Versammlung.
„Wir hatten das gut vorbereitet, Eltern und Anwohnerschaft frühzeitig informiert“, berichtet Alice van Scoter, die das Projekt damals als Elternbeirätin mitorganisiert hatte. Auch von der Verwaltung und der Schulleitung habe es Unterstützung gegeben und die Reaktionen seien bis auf ganz wenige Ausnahmen positiv gewesen. Mit temporären, mobilen Straßensperren wurde der Bereich vor dem Schuleingang zu Beginn und Ende des Schultages für den motorisierten Verkehr gesperrt. Die Sorgen über Beschwerden von Anwohner*innen seien unbegründet gewesen, berichtet van Scoter. Im Gegenteil habe es viel Zustimmung gegeben, da sich auch für die unmittelbaren Anlieger Stress, Verkehr und Lärm reduziert habe.
Was sagt der neue Gemeinderat zu den Schulstraßen?
Politisch stehen die Schulstraßen bereits in den Startlöchern. Grüne, SPD und Linke haben jeweils mit eigenen Anträgen ihre Unterstützung der Schulstraßen deutlich gemacht. Die Verwaltung scheint nur auf ein Signal aus dem Verkehrsministerium zu warten. Doch nach den Kommunalwahlen im Juni hat sich die Zusammensetzung im Gemeinderat verändert. Die grün-rot-rote Mehrheit ist weg und die bürgerlichen und rechten Parteien sind bekannt für ihre auto-freundliche Politik.
Die Einrichtung temporärer Fußgängerzonen für Schulkinder könnte von CDU, FDP, AfD und Mannheimer Liste als Verbotspolitik verstanden und damit abgelehnt werden. Wann und wie das Thema in der Kommunalpolitik weiter diskutiert wird, ist zur Zeit noch offen.
Der GEB hat im Vorfeld der Kommunalwahl sogenannte Wahlprüfsteine erstellt. Da ging es auch um das Thema Sicherheit auf den Schulwegen. „Es gibt keine Partei und keine Liste, die nicht die Notwendigkeit sieht“, berichtet Thorsten Papendick. Allerdings gebe es Unterschiede. Während Grüne, SPD und Linke mit dem Schulstraßen vorpreschen, positionieren sich CDU, Freie Wähler und FDP nur sehr allgemein für sichere Schulwege. Papendick vermutet, für Elterntaxis wolle man hier keine Einschränkungen vorgeben.
Zeit für Veränderungen
Für die Schulkinder geht die Zeit weiter. Tag für Tag gibt es gefährliche Situationen im „Flaschenhals“ der letzten Meter Schulweg vor den Grundschulen, wo sich hunderte Kinder und dutzende Autos in den Straßen drängen.
Frida findet die Schulstraßen eine sehr gute Idee, da der Schulweg für die Kinder damit viel leichter würde. Viertklässlerin Helene wird an ihrer Rheinau Grundschule keine Schulstraße mehr selbst nutzen können. Sie wünscht sich die Maßnahme aber für die nächste Generation. Außerdem hofft sie, dass Eltern ihre Kinder zum laufen motivieren. Miro ist auch der Meinung, dass es eine Schulstraße braucht. Strafzettel und rote Ampeln reichen nicht aus, da ist er sich sicher. Letztendlich müsse man an die Eltern appelieren, meint Thorsten Papendick. Ansonsten müsse man die vielen Bausteine zur Verbesserung der Schulwegsicherheit angehen, dass sich in den nächsten fünf Jahren etwas ändert. (cki)