Neue Enthüllungen zur Ausländerbehörde Rhein-Pfalz-Kreis
Es waren Betroffene, die sich im Oktober an die ‘Rheinpfalz’ gewandt hatten, und die es dadurch schafften, dass die seit langem bestehenden Missstände in der Ausländerbehörde des Kreises an die Öffentlichkeit kamen.
Wie KIM berichtete, stapeln sich dort über 4.000 Anträge auf Aufenthaltsdokumente, die Beschäftigten sind völlig überlastet, es kommt zu mehrjährigen (!) Wartezeiten, die Behörde ist quasi nicht erreichbar, und zusätzlich werden die auf die Dienste der Behörde angewiesenen und hierdurch existenziell beeinträchtigten und bedrohten Menschen von einem Sicherheitsdienst schikaniert.
Eine sehr besondere Brisanz gewinnt das alles durch den Eindruck, den nicht nur Betroffene hatten: Das behördliche Versagen sei gezielt gewollt, “damit Ausländer wegziehen”. Es war vor allem die “intransparente Kommunikation”, durch die in den Augen des Rheinpfalz-Redakteurs Stefan Heimel die Behörde selbst für diesen Eindruck gesorgt hatte.
Rechtswidriges Schweigen
Pikanterweise kommt es nun gerade in diesem Punkt zu neuen Enthüllungen: Die ‘Rheinpfalz’ schreibt am 4.11., die Kreisverwaltung habe ihr nicht sagen wollen, “wie es in diesem Jahr mit der Personalstärke in ihrer Ausländerbehörde aussieht”.
Mit dieser Auskunftsverweigerung verstößt die Kreisverwaltung gegen ein ganzes Bündel gesetzlicher Bestimmungen, durch die die Presse einen Anspruch auf behördliche Auskünfte hat. So garantiert bspw. Artikel 5 des Grundgesetzes die Pressefreiheit, die auch das Recht der Presse umfasst, Informationen von staatlichen Stellen zu erhalten. Nach einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs soll dieser Informationsanspruch der Presse die Wahrnehmung ihrer Aufgabe im Rahmen der demokratischen Meinungs- und Willensbildung dadurch ermöglichen, dass sie umfassend und wahrheitsgetreu Informationen über Geschehnisse von öffentlichem Interesse erhält und dadurch in die Lage versetzt wird, die Öffentlichkeit entsprechend zu unterrichten. Die Vorgänge in Ausländerbehörden stehen derzeit – ob wir wollen oder nicht – an der Spitze des öffentlichen Interesses. Zu diesen Bestimmungen aus dem Grundgesetz gesellen sich andere, ähnlich lautende aus den Landespressegesetzen und aus Informationsfreiheitsgesetzen, die es auf Bundesebene und in einigen Bundesländern gibt.
Zu den vielfältigen Aufgaben von Ausländerbehörden gehört auch die Förderung der gesellschaftlichen Integration von Ausländern, zu der sie Beratungen anbieten sollen. Die Frage lautet nun: Was bedeutet es für die Integration, wenn die Leitung einer solchen Behörde nicht nur ihren “Kunden” in existenzbedrohender Weise grundlegende Rechte vorenthält, sondern sich auch selbst nicht an Recht und Gesetz hält?
“Prüfe die Rechnung, du musst sie bezahlen!” (Bert Brecht)
Da die Kreisverwaltung zunächst Auskünfte über die Besetzung ihres Ausländeramtes verweigerte, bezog sich die ‘Rheinpfalz’ auf Mitteilungen aus den Reihen des Migrationsbeirates. Danach seien vier Personen mit der Bearbeitung von Aufenthaltstiteln beschäftigt, die es seit Frühjahr geschafft hätten, 150 der etwa 4.000 vorliegenden Anträge zu bearbeiten. Vier Personen können also in etwa sechs Monaten 150 Fälle bearbeiten.
Nun gibt die Kreisverwaltung bekannt, in der Ausländerbehörde gäbe es 13 Stellen, von denen elf besetzt sind. Darunter sind der Leiter der Behörde und fünf Personen, die laufende Asylverfahren, Abschiebungen und Duldungen bearbeiten, sowie fünf weitere Personen, die für die Erteilung von Aufenthaltstiteln und Fiktionsbescheinigungen zuständig sind. Wenn wir nun annehmen, dass vielleicht eine dieser letztgenannten Personen für kürzer oder länger erkrankt war, folgt daraus erstens: Die Angaben aus den Reihen des Migrationsbeirats waren zutreffend. Und zweitens: Auch wenn diese eine Person wieder arbeiten könnte und sogar auch, wenn alle dreizehn Stellen besetzt wären, würde es mindestens zehn Jahre dauern, bis die Rückstände aufgearbeitet sind.
Die Schlussfolgerung wäre: Das Versagen der Behörde ist tatsächlich gewollt.
Auch wenn – was unrealistisch ist – alle Mitarbeitenden gesund und alle Stellen besetzt wären, könnten die anfallende und die in der Vergangenheit angehäufte Arbeit nicht bewältigt werden. Diese These ergibt sich auch aus folgender Überschlagsrechnung: Es gilt die Faustregel, dass in einer funktionierenden Ausländerbehörde etwa 400 Personen von einer SachbearbeiterIn betreut werden sollten. Bundesweit liegt der Schnitt derzeit leider bei knapp über 1.000 Personen pro Sachbearbeitung. Im Rhein-Pfalz-Kreis jedoch sind es ca. 1.700 Personen. Selbst bei einer vollen Besetzung aller dreizehn Stellen wären es ca. 1.460 zu betreuende Personen pro Stelle. Das ist nicht zu schaffen. Deshalb muss an dieser Stelle darüber gesprochen werden, dass nicht nur die ausländischen Mitbürger Opfer dieser Zustände sind, sondern auch die Beschäftigten der Behörde. Der Landrat hat in einer Kreisverwaltung gegenüber den Beschäftigten die Arbeitgeberfunktion inne. Als Arbeitgeber besitzt er eine Fürsorgepflicht gegenüber den beschäftigten Mitarbeitern, die er hier verletzt. Deshalb sind auch Personalrat und Gewerkschaft dazu aufgerufen, sich bei der Kritik und der Überwindung dieser unwürdigen Zustände zu engagieren.
Externe Beratung
Anscheinend betrifft die Malaise nicht nur die Beschäftigten der Ausländerbehörde. Die ‘Rheinpfalz’ spricht von “Defiziten in der Organisation der Verwaltung”, wegen derer Ende September SPD, CDU und FWG einen gemeinsamen Antrag (!) einbrachten, in dem “aufgrund negativer Erfahrungen unserer Bürgerinnen und Bürger und der entsprechenden Pressemitteilungen” gefordert wird, eine externe Beratung einzuschalten. Sie soll “eine Analyse und Bewertung der Organisation sowie eine Personalbedarfs- und Entwicklungsplanung erstellen.” Der Antrag wurde einstimmig angenommen und die Verwaltung damit beauftragt, Angebote einzuholen, bis Ende Oktober sei aber noch nichts passiert. Die Verwaltung signalisiert, “im nächsten Jahr die Probleme in ihrer Ausländerbehörde angehen zu wollen.”
Bekannt wurde ferner, dass die Zustände im Ausländeramt mittlerweile auch die ADD (Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion, die frühere Bezirksregierung) beschäftigen. Anlass sei die schlechte Erreichbarkeit der Ausländerbehörde, es sehe jedoch nicht so aus, als ob die ADD “Maßnahmen ergreife”. Sie müsste, um dies tun zu können, belegen, dass die Verwaltung “ihren Verpflichtungen wissentlich und willentlich über einen längeren Zeitraum nicht nachkommt und sich der Pflichterfüllung verweigert”. Eine Verweigerung der Pflichterfüllung kann die Kreisverwaltung abstreiten mit dem Hinweis, sie habe ja angekündigt, “die Probleme im nächsten Jahr anzugehen”.
Wer jetzt annimmt, er liest das Drehbuch einer Komödie, irrt sich. Für die betroffenen ausländischen MitbürgerInnen und für die MitarbeiterInnen der Behörde ist es eine bittere Tragödie. Es scheint in absehbarer Zukunft für sie keine begründete Hoffnung auf Änderung der unsäglichen Verhältnisse zu bestehen. Möglicherweise aus diesem Grund weist die ADD Betroffene darauf hin, dass ihnen “der individuelle Rechtsweg offen stehe”. Dass eine Aufsichtsbehörde mehr oder weniger durch die Blume dazu auffordert, eine von ihr beaufsichtigte Verwaltung zu verklagen – auch das erleben wir nicht alle Tage.
Untätigkeitsklagen
Der hierzu von der ‘Rheinpfalz’ interviewte Rechtsanwalt Frank Peter aus Bobenheim-Roxheim teilt mit, das geeignete Rechtsmittel sei eine Untätigkeitsklage, einzureichen beim Verwaltungsgericht Neustadt. Eine Sprecherin des Gerichts bezeichnet diese Art von Klagen als “etwas ganz Alltägliches”. Ein Problem ist jedoch laut Frank Peter, dass die Klage nur erhoben werden kann, wenn man drei Monate zuvor bei der Kreisverwaltung einen Antrag eingereicht hat. Die Verwaltung suggeriert aber, der Antrag müsse persönlich abgegeben werden, vergibt hierfür jedoch keine Termine. Der Fachanwalt gibt für den individuellen Rechtsweg folgende Tipps:
- Untätigkeitsklagen haben gute Aussichten auf Erfolg.
- Es reicht bei der Beantragung von Aufenthaltspapieren aus, dass ein Antrag bei der Kreisverwaltung per Post oder E-Mail gestellt wird.
- Zur Sicherheit sollte ein Zeuge zuschauen, welche Dokumente übermittelt werden (per Einschreiben, Kopie behalten!).
- Für die Anwaltskosten kann Prozesskostenhilfe online beantragt werden.
- Bekommt der Kläger recht, muss sowieso der Beklagte (die Kreisverwaltung) die Kosten zahlen.
Nur empören oder auch solidarisieren?
Wie kann nun den Betroffenen wirksam zu ihrem guten Recht verholfen werden? Sowohl der ADD als auch der Rheinpfalz ist es hoch anzurechnen, dass sie auf die Möglichkeit und auf die guten Aussichten des individuellen Rechtsweges aufmerksam machen. Trotzdem werden sicherlich die allermeisten Betroffenen diese Chance nicht ergreifen können, weil ihnen der Weg als zu schwierig und zu riskant erscheinen muss. Darum wird es wohl unerlässlich sein, die Arbeit der Ausländerbehörde des Kreises im kritischen Auge und in der öffentlichen Aufmerksamkeit zu behalten. Hier sind nicht nur die Medien angesprochen, sondern wir alle, alle Menschen, denen Werte wie Demokratie und Mitmenschlichkeit etwas bedeuten. Darüber hinaus könnten und sollten wir versuchen, aus dem “individuellen Rechtsweg” gemeinsame Wege zu machen. Heißt: Auf die Betroffenen zugehen, ihnen sagen, dass sie nicht alleine sind, sie über ihre Rechte informieren, ihnen Hilfe und Begleitung anbieten, evtl. einen Rechtshilfefonds gründen usw. usf. Auch hier sind wir alle angesprochen, besonders aber die Mitglieder des Kreistages, Kirchen, Gewerkschaften und die ganze Breite zivilgesellschaftlicher Organisationen.
(mk)