Unsichere Zukunftsperspektiven beim Neckarstädter Kulturprojekt ALTER
Interview mit Aktiven des Neckarstädter Kulturprojekts ALTER.
Bei den Beratungen zum Doppelhaushalt 2025/2026 hat sich der Mannheimer Gemeinderat mit knapper Mehrheit gegen eine beantragte Förderung des Kulturprojekts ALTER ausgesprochen. Damit ist die Zukunftsperspektive ungewiss, die finanzielle Situation angespannt. Im Interview sprechen die Aktiven des Projekts darüber, wie es am Alten Messplatz weitergehen kann.
KIM: Absolut knapp mit nur einer Stimme Mehrheit hat sich der Gemeinderat der Stadt Mannheim gegen eine Förderung des ALTER ausgesprochen. Plötzlich habt ihr 55.000 Euro verloren. Was ist euch an diesem Tag durch den Kopf gegangen?
ALTER: Wir wussten, dass es eine knappe Nummer wird. Die Hoffnung war dennoch groß, dass wir die Fördermittel erhalten. Da es sich bei der angefragten Summe um eine reine Existenzsicherung handelt ist der Förderstopp schon eine bittere Niederlage. Obwohl wir zum aktuellen Zeitpunkt noch nicht wissen ob und wie das möglich sein wird, sagt etwas in uns: Jetzt erst recht!
Könnt ihr für die Menschen, die noch nie was vom ALTER gehört haben, kurz in zwei oder drei Sätzen beschreiben, was ihr am Alten Messplatz macht?
ALTER: Mit ALTER haben wir einen öffentlichen und inklusiven Raum mitten in Mannheim geschaffen, der offen für alle ist und von ganz unterschiedlichen Menschengruppen auf verschiedene Weise genutzt wird. Hier gibt es verschiedene Angebote aus den Bereichen Kultur, Kunst, Sport und Spiel. Wir veranstalten Konzerte, bieten Workshops an, organisieren Ausstellungen und verleihen Spiel- und Sportgeräte, welche man auf der Fläche oder am Neckarufer nutzen kann. Bis auf die Getränke an der ALTER-Bar sind alle Angebote kostenlos, damit auch wirklich jede:r sie nutzen kann. Einen Konsumzwang gibt es auf der Fläche ebenfalls nicht; selbst Mitgebrachtes kann jederzeit auf der Fläche verzehrt werden. ALTER ermöglicht kulturelle und gesellschaftliche Teilhabe ohne Gegenleistung und wirkt so den bestehenden Bildungsbenachteiligungen der Menschen im Quartier entgegen. Als etablierter & inklusiver Freizeitort ermöglicht ALTER den Austausch von Menschen aus verschiedensten Lebensrealitäten und fördert deren gegenseitige Akzeptanz und somit den zivilgesellschaftlichen Zusammenhalt im Stadtteil Neckarstadt West.
KIM: Die fehlenden 55.000 Euro sind bitter, aber offenbar bricht euch nicht die komplette Finanzierung zusammen. Welche Förderungen und Finanzierungsmöglichkeiten habt ihr für eure Arbeit?
ALTER: Dank einer dreijährigen Förderung durch Herzenssache e.V. – die Kinderhilfsaktion von SWR, SR und Sparda-Bank – werden in den kommenden beiden Jahren die Löhne der beiden Sozialarbeiter, sowie 4 Workshopformate pro Jahr für Kinder und Jugendliche finanziert. Mit der sozialarbeiterischen Betreuung des Platzes schließt der Verein Pow e.V. nebenbei eine strukturelle Lücke vor Ort.
Die Gewinne aus dem Getränkeverkauf an der Bar decken die Löhne des Barpersonals und die allgemeinen Fixkosten (Strom, Pacht, Reparaturarbeiten, Versicherungen, Steuern, Internet, etc).
Die Einnahmen des vereinseigenen Parkplatzes zwischen LIDL und ALTER fließen ebenfalls in die Vereinskasse von POW! e.V. Wie lange dieser jedoch noch bewirtschaftet werden kann, ist nach aktuellem Stand jedoch völlig unklar: Sobald die Bauarbeiten des Forum Deutsche Sprache beginnen, muss der Verein die Fläche räumen, das heißt wir haben keine Planungssicherheit was die Einnahmen des Parkplatzes betrifft. Die Gewinne der Parkplatzbewirtschaftung decken in etwa eine halbe Stelle Projektleitung. Was wir benötigen, sind allerdings 1,5 Personalstellen für Projektleitung, Organisation und Booking. Die 55.000 € hätten die fehlende Personalstelle sowie Gagen für 10-15 Konzerte pro Jahr gedeckt.
Grundsätzlich gibt es auch immer die Möglichkeit sich auf verschiedene Ausschreibungen und Projektförderungen zu bewerben um Budget für spezifische Projekte zu erhalten, doch diese Arbeit ist zum einen zeitintensiv und von einer halben bezahlten Stelle Projektleitung nicht zu meistern. Diese Anträge müssen also in unserer unbezahlten Freizeit geschrieben werden. Außerdem decken Projektförderungen niemals laufende Personalkosten, das heißt unser Problem kann mit Projektförderungen nicht gelöst werden.
KIM: Die Verschiebung nach rechts im Mannheimer Gemeinderat, die sich nach der Kommunalwahl 2024 vollzogen hat, bildet sich quasi perfekt in der Entscheidung gegen euch ab. Warum denkt ihr, findet das bürgerliche bis rechtsradikale Lager eure Arbeit nicht unterstützenswert? An anderer Stelle wurden Kulturprojekte teilweise sehr großzügig bedacht.
ALTER: Die neue Zusammensetzung des Gemeinderats ist nur einer der Gründe, warum ALTER keine mehrheitliche Zustimmung im Gemeinderat gefunden hat. Neben der Förderung für ALTER wurden auch weiteren sozialen Projekten Gelder gestrichen, was wohl der (rechts-)konservativen Mehrheit im Gemeinderat zuzuschreiben ist. Eine weitere Rolle spielt gewiss die schwierige finanzielle Lage mit der die Stadt Mannheim aktuell zu kämpfen hat. Würde Mannheim finanziell gerade anders dastehen, hätte es eine knappe Entscheidung für ALTER gegeben, da sind wir uns sicher.
Ein weiterer Punkt ist unseres Erachtens auch, dass einige Mitglieder des Gemeinderats uns anhand eines Konzeptes bewertet haben, welches wir vor einem Jahr im Rahmen des Umzugs von ALTER eingereicht hatten. Dort ist nicht nur unsere grundsätzliche Arbeit beschrieben, sondern es werden auch einige Ideen für verschiedene Projekte skizziert. Eine Projektidee aus dem Konzept ist beispielsweise die Frauen*armee, die unter anderem Konzerte von Frauen für Frauen organisiert. Die Schaffung eines „Safe Space“ für Frauen wurde bereits im Oktober von den -wohlgemerkt meist männlichen- konservativen Mitgliedern im Gemeinderat intensiv diskutiert, die hier den Ausschluss von Männern kritisierten und die Meinung vertraten, man könne Ausgrenzung nicht mit Ausgrenzung beantworten. Unsere toleranzfördernde und den Zusammenhalt stärkende Arbeit rutschte bei dieser Diskussion ungerechtfertigterweise in den Hintergrund.
KIM: ALTER hat auch eine wichtige Funktion als sozialer Stadtteiltreffpunkt auf dem Alten Messplatz – das sagen zumindest eure Unterstützer*innen von SPD, Grünen und LTK Fraktion (Linke, Tierschutzpartei, Klimaliste). Wie seht ihr die Entwicklung in der Neckarstadt und speziell am Alten Messplatz, wo zur Zeit viel im Umbruch und in der Schwebe ist?
ALTER: Wie auch unsere Unterstützer:innen aus der Politik sind wir der Meinung, dass niederschwellige dritte Orte wie ALTER gerade für einen so diversen Stadtteil wie die Neckarstadt West grundlegend für den sozialen Zusammenhalt sind. Hier werden Berührungspunkte zwischen Personengruppen geschaffen, die sich sonst nie begegnen würden und das obwohl sie Tür an Tür leben. Dass die Funktion von ALTER als sozialer Stadtteilkitt von einigen politischen Akteur:innen verkannt wird, hat im schlechtesten Fall die Folge, dass es diesen Ort bald nicht mehr geben wird. Gerade mit Blick auf die bröckelnde Demokratie ist der Wegfall solcher Toleranz und Teilhabe hervorbringenden Begegnungsorte ein riesiger Fehler.
Die Entwicklung am Alten Messplatz sehen wir als direkte Betroffene kritisch. Die Fläche zwischen Altem Messplatz und Neckar hat schon seit 20 Jahren mit Drogenkriminalität und dem zugehörigen Klientel zu kämpfen. Das war auch einer der Gründe warum ALTER 2018 dort mit Unterstützung der Stadt initiiert wurde. Dass bürgerschaftliches Engagement und kulturelle Bespielung allein diese Problematik in den Griff bekommen, ist allerdings eine Fehlannahme. So etwas muss auf städtischer Ebene gelöst werden oder bestenfalls gemeinsam unter Einbezug unserer Erfahrungen mit diesem Ort und seinen Nutzer:innen.
Der Rückzug von ALTER von der ursprünglichen Fläche nach der Saison 2023 hat die altbekannten Probleme wieder zutage gefördert, welche in der Zeit der Zwischennutzung durch ALTER kleiner oder zumindest weniger sichtbar waren: Kaum waren die Aktivitäten von ALTER eingestellt, die Beleuchtung und das Sportangebot abgebaut, wurde er wieder von verschiedenen Dealergruppen in Beschlag genommen. Das vorherrschende Bild am ehemaligen Standort ALTER ist nun geprägt von Drogendealern, Konsument:innen, Unrat und Gewalt. Dass ALTER für DIESEN Zustand weichen musste, dass die Baustelle des Forum Deutsche Sprache irgendwann später oder vielleicht nie kommt, dass die Neckarstädter:innen vollkommen im Unklaren über den Fortgang dieser Fläche gelassen werden und ihre Wünsche diesbezüglich einfach nicht gehört werden, sorgt für Unmut in der Bevölkerung. Verärgerte Nachrichten über diese Thematik erreichen uns beinahe täglich.
KIM: Demokratische und selbstorganisierte Kulturprojekte haben oft die Situation, dass bezahlte und unbezahlte Arbeit nebeneinander die Projekte am Leben halten. Wie geht ihr mit diesem Widerspruch um, gerade auch mit Blick auf das kommende Jahr? Wird es mehr ehrenamtliches Engagement geben oder geht die Motivation nach solchen Entscheidungen bergab?
ALTER: Wie bereits oben aufgeführt war das angefragte Geld vor allem für die dringend benötigte Personalstelle. In den vergangenen beiden Jahren wurde die fehlende Stelle von zwei Personen aus dem Verein durch ehrenamtliches Engagement aufgefangen. Ob das in dieser Form auch für das kommende Jahr umsetzbar ist, haben wir zum aktuellen Zeitpunkt noch nicht entschieden. Mit dem Gemeinderatsbeschluss vom 10.12.24 wurden uns nicht nur existenzielle Finanzmittel vorenthalten, sondern viel mehr die Wertschätzung unserer jahrelangen, ehrenamtlichen und wichtigen Arbeit im Stadtteil verweigert. Das ist zunächst frustrierend, keine Frage. Nachfolgend hat der Förderstopp für ALTER auf social media eine Welle der Empörung ausgelöst; uns erreichten unzählige Nachrichten von Menschen, denen die Bedeutung von ALTER für die Neckarstadt bewusst ist und die dem Förderstopp durch dem Gemeinderat vollkommen fassungslos gegenüberstehen. Dieser riesige Zuspruch aus der Bevölkerung wirkt sich wiederum sehr positiv auf unsere Motivation aus.
KIM: Wie geht es bei euch weiter? Und kann man euch unterstützen?
ALTER: Momentan gönnen wir uns eine kleine Pause und werden im neuen Jahr damit beginnen eine Finanzplanung aufzustellen, um herauszufinden, ob ALTER und unter welchen Bedingungen weiter bestehen kann. Außerdem müssen wir die Bedingungen für unser eigenes ehrenamtliches Engagement ausloten.
Aus moralischen Gründen haben wir uns bewusst gegen einen weiteren großen Spendenaufruf entschieden, wer uns aber dennoch finanziell unterstützen möchte hat auf unserer Homepage die Möglichkeit eine Spende für unsere Arbeit zu hinterlassen.
(cki)
Webseite des Projekts ALTER: https://www.alter-mannheim.de