Binnennachfrage als Rettungsanker
Michael Schlecht – „Deutsche Konjunktur stabil“ so betiteln die Wirtschaftsinstitute ihr Herbstgutachten 2015. Ein nachhaltiger Aufschwung ist hingegen nicht in Sicht. Die Wirtschaftsinstitute ziehen Konsequenzen und fordern mehr in Bildung zu investieren. Da sind sie weiter als Merkel, Schäuble und Gabriel. Die feiern den Zustand der deutschen Wirtschaft. Um 1,7 Prozent soll 2015 die Wirtschaft wachsen. Solange die Profite steigen scheint für Merkel und Co. alles in Ordnung zu sein. Nur ein bisschen klingen die Gefahren für die deutsche Wirtschaft an. Dabei konnte weder der private noch der staatliche Konsum noch die Anlageinvestitionen die Wirtschaftsentwicklung in den zurückliegenden Quartalen maßgeblich voranbringen. Und der Außenhandel erweist sich als die Achillesferse der deutschen Wirtschaft.
Merkel und Co. hielten und halten stoisch am exportgetriebenen Entwicklungsmodell fest und ignorieren seit Jahren die Gefahren für die deutsche Wirtschaft und letztlich die Beschäftigten. Einen positiven Beitrag zur Wirtschaftsentwicklung kann der Außenhandel nur leisten, wenn der Exportüberschuss beständig wächst. Von 2008 zu 2014 stiegen die Ausfuhren um knapp 150 Milliarden Euro auf rund 1,13 Billionen Euro, so konnte der Außenhandel bisher noch einen positiven Wachstumsbeitrag leisten. Angesichts der weltweiten labilen Wirtschaftsentwicklung ist mehr als zweifelhaft, ob die deutschen Exporte weiterhin so steigen können wie bisher.
2008 gingen knapp 44 Prozent der deutschen Ausfuhren in die Eurozone. Der Anteil ist rasant geschrumpft und beträgt momentan nur noch 37 Prozent. Auf absehbare Zeit wird sich daran auch nichts grundlegend ändern. Zwar konnte sich die wirtschaftliche Entwicklung in den Euroländern stabilisieren, doch in den meisten Ländern konnte noch nicht mal das Vorkrisenniveau bisher wieder erreicht werden. Für Millionen Menschen in der Eurozone spiegelt sich die wirtschaftliche Stabilisierung auf niedrigen Niveau ohnehin nicht in ihrem Alltag wieder. Die Massenarbeitslosigkeit grassiert weiter. Eine Konsequenz der Massenarbeitslosigkeit und der immer noch schwachen Wirtschaftskraft in den meisten Euroländern ist das hohe Niveau fauler Kredite. Der Wert der notleidenden Kredite wird auf 1,2 Billionen Euro geschätzt. Jeder wirtschaftliche Einbruch, ja sogar nur Unsicherheit, kann letztlich zum Zusammenbruch weiterer Banken führen mit entsprechenden Rückwirkungen auf die Wirtschaftsentwicklung.
Auch um die Banken weiter zu stabilisieren, fährt die Europäische Zentralbank eine Niedrigzinspolitik und kauft in Billionenhöhe Anleihen auf dem Kapitalmarkt. Doch das eigentliche Ziel der Europäischen Zentralbank – eine stabile Preisentwicklung bei knapp zwei Prozent – konnte trotz dieser massiver geldpolitischen Interventionen nicht erreicht werden. In der teilweise deflationären Preisentwicklung zeigt sich die tatsächliche Instabilität der wirtschaftlichen Entwicklung in der Eurozone.
Der Export sollte und wird voraussichtlich nicht der Stabilitätsanker für die Entwicklung der deutschen Wirtschaft sein. Auch Merkel, Gabriel und Co. setzen zumindest verbal auf die Binnennachfrage als Stabilitätsanker. Gebetsmühlenartig wird auf die steigenden Beschäftigtenzahlen und die steigenden Einkommen verwiesen. Beides ist richtig und doch ist diese Argumentation schräg. Immer noch sind Millionen in Deutschland arbeitslos oder würden gern mehr bezahlt arbeiten. Dazu kommen Millionen, die in unsicheren Arbeitsverhältnisse mit zumeist schlechter Bezahlung arbeiten. Die Lohnsteigerungen haben verglichen mit den vergangen zehn, fünfzehn Jahren tatsächlich ein höheres Niveau. Wegen der niedrigen Preisentwicklung können sich die Beschäftigten davon auch real mehr leisten. Doch das wird nicht reichen für eine stabile, sich selbsttragende Wirtschaftsentwicklung.
In der Wirtschaftspolitik ist ein grundsätzlicher Kurswechsel notwendig: hin zu einer deutlichen und dauerhaften Stärkung der Binnennachfrage. Ein nachhaltiger Aufschwung, der bei der Mehrheit der Menschen ankommt, erfordert insbesondere in Deutschland eine gestärkte inländische Konsumnachfrage durch Steigerung der Masseneinkommen, insbesondere durch massive Lohnsteigerungen, und mehr öffentliche Investitionen. Die Strukturen des Wirtschaftens müssen grundlegend verändert werden. Es muss wieder eine Ordnung in der Arbeitswelt hergestellt werden, vor allem muss die Tarifbindung wieder massiv erhöht werden.
Dieser Kommentar ist eine Kurzzusammenfassung eines gleichnamigen wirtschaftspolitischen Papieres, welches unter www.michael-schlecht-mdb.de heruntergeladen werden kann.