Kommentar Kandel am 24. März: Die Polizei, die Medien und das Märchen von der Gewalt [mit Video]
Im Nachgang der Demonstrationen von Kandel am 24. März mischt die Polizei in der politischen Deutung der Geschehnisse fleißig mit. Die Polizeiführung hatte am Montag danach die Presse ins Polizeipräsidium Ludwigshafen eingeladen, um ihre Sicht der Dinge in den Medien zu platzieren. Die Zusammenfassung in aller Kürze: Die Linken waren die Störenfriede, mit den Rechten war alles ok.
Die Pressekonferenz hatte ihre Wirkung nicht verfehlt. Bereits am Dienstagmorgen titelte Die Rheinpfalz „Gewalt vor allem von links“, der SWR schrieb „Polizei erhebt schwere Vorwürfe gegen Antifa“ und im Interview mit dem Pfalz Express sagt Polizeidirektor Martin Kuntze, dass insbesondere aus dem „Bereich des linken Spektrums die meisten Herausforderungen resultieren“. Interessanterweise gab es eine solch eindeutige Schieflage mit Problemschwerpunkt links in der Medienberichterstattung am Sonntag und Montag noch nicht. Da musste die Polizei erst nachhelfen.
Was war geschehen?
Kurz nach Ende der Gegendemonstration „Wir sind Kandel“ zog ein Teil der Teilnehmer*innen in Richtung der rechten Demo, um Protest in Sicht- und Hörweite zu äußern. Die Polizei ließ das nicht zu, es kam zu Gerenne, Geschrei, Gerangel und in Folge zum Schlagstock und Pfefferspray-Einsatz. Während dieser Auseinandersetzung wurden auch „drei bis vier“ Böller gezündet. Ob diese nun auf Polizist*innen oder über die Polizeiabsperrung hinweg in Richtung rechter Demonstration geworfen wurden, bleibt Spekulation. Fakt ist, dass solche Böller (nach Aussage von Polizeisprecher Martin Kuntze „Sprengsätze“) gefährlich sind und zu schweren Verletzungen führen können. Fakt ist aber auch, dass es glücklicherweise keine schweren Verletzungen bei der Polizei gegeben hat. Insgesamt seien acht Polizeibeamte leicht verletzt worden.
Die schweren Verletzungen gab es dagegen bei den Nazi-Gegner*innen. In Folge des Schlagstock- und Pfefferspray-Einsatzes wurden zahlreiche Teilnehmer*innen der Gegendemo verletzt. Einige mussten vom Sanitätsdienst behandelt werden. Eine Sprecherin der „Kurfürstlich Kurpfälzischen Antifa“ kritisierte, dass die Polizei nicht zielgerichtet gegen mutmaßliche Straftäter vorgegangen sei, sondern wahllos in die Menge geprügelt und gepfeffert habe. Das belegen auch Videoaufnahmen, die über Youtube abrufbar sind.
Das Video zeigt die Polizeiaktion nach Böllerwürfen in Richtung rechter Demo. In Folge dessen wurde ein Teil der Gegendemo festgesetzt.
Polizei macht Politik
Polizeidirektor Martin Kuntze schiebt im Interview mit dem Pfalz Express bewusst vorweg, die Polizei sei „ein neutraler Garant“ und habe das Ziel, die Versammlungsfreiheit für alle gleichermaßen zu gewährleisten. Er sagt aber nicht, dass die Polizei als eigenständiger Akteur ganz eigene Interessen verfolgt.
Während es nach den gewalttätigen Ausschreitungen durch Rechte am 3. März keine besondere Meldung der Polizei, keine Pressekonferenz mit Präsentation der Ermittlungsergebnisse gab und erst auf Nachfrage entsprechende Straftaten bestätigt wurden, gab es nach dem 24. März eine große, durch die Polizei initiierte Pressekampagne.
Warum das unterschiedliche Vorgehen? Die Opfer des 3. März waren Gegendemonstrant*innen, die am Rande der rechten Demo niedergeschlagen wurden. Die Polizei hatte es versäumt, gegen Straftaten aus der rechten Demo (Vermummung, Flaschenwürfe, Körperverletzung) vorzugehen. Am 24. März war die Polizei personell viel besser aufgestellt. Immerhin hatten sich auch mehr Gegendemonstrant*innen angekündigt. Jeder Verstoß gegen Auflagen durch die Linken wurde sofort geahndet (zum Beispiel das zusammen knoten von Transparenten). Als die Polizei dann selbst Teil der Auseinandersetzung wurde, Menschen verletzte und ihrer Freiheit beraubte, darunter ganz offensichtlich auch Unbeteiligte, wie Gemeinderäte aus dem Nachbarort Minfeld und Heidelberg, begann der Kampf um die Deutungshoheit der Geschehnisse.
Die eigene Gewalt musste legitimiert werden. Man beachte hier Details, wie die gezielte Wahl der Sprache. In Kandel, das betonte Polizeidirektor Martin Kuntze ganz ausdrücklich, seien Sprengsätze gezündet worden, die könne man nicht mehr als Böller bezeichnen. Sprengsätze. Dieser Begriff wird ansonsten wohl eher im Zusammenhang mit Terroranschlägen verwendet.
Welche Gewalt ist gut?
Es ist legitim und sinnvoll, die Böllerwürfe zu kritisieren. Das geschieht in den Kommentarspalten der Medien, aber auch in Diskussionen innerhalb der antifaschistischen Bewegung. Es ist aber genauso legitim und sinnvoll, gewalttätige Übergriffe durch die Polizei zu kritisieren. Nur eben das geschieht leider nicht. Nicht in den Medien, die von der Polizeipressekonferenz berichteten. Und schon gar nicht in den eigenen Reihen der angeblichen Gesetzeshüter.
Es bleibt die Frage: Was ist die größere Gefahr für eine demokratische Gesellschaft: Eine Handvoll Antifa Aktivist*innen, die drei bis vier Böller in Richtung einer rechten Demo werfen oder eine mächtige Behörde, die ohne jegliche neutrale Kontrollinstanz, schwer bewaffnet, finanziell, technisch und organisatorisch bestens aufgestellt, die Bevölkerung bei Versammlungen im öffentlichen Raum nach eigenem Ermessen überwachen, einschränken, festhalten und im Konfliktfall mit körperlicher Gewalt überziehen kann – ohne dafür kritisiert zu werden?
Der Feind steht links
„Bei der „bürgerlich-rechten Demo“ seien dieses Mal nur vereinzelt Rechtsextreme dabei gewesen“, zitiert der Pfalz-Express den Polizeidirektor Kuntze. Dagegen seien das Hauptproblem die „Linksextremisten“ gewesen. Mit dieser Positionierung legt sich der Polizeidirektor fest. Nicht die Rassist*innen, Antisemit*innen, Nationalist*innen sind die große Gefahr, sondern diejenigen, die dagegen protestieren.
Hier zeigt sich wieder einmal die Problematik der Extremismusdoktrin. In Verkennung jeglicher Bedeutung politischer Haltungen gegenüber einer Gesellschaft, werden diejenigen als „Extremisten“ (und damit als die Schlimmsten und Bösesten überhaupt) bezeichnet, die sich den staatlichen, in diesem Fall polizeilichen Vorgaben am vehementesten widersetzen. Der Rassismus von „Kandel ist überall“ kommt tatsächlich aus der Mitte der Gesellschaft. Er wird von braven Bürger*innen vertreten. Daher sieht der Polizeidirektor auch so wenige „Extremisten“. Sie laufen alle brav ihren Fähnchen hinterher, gehorchen Befehlen und zünden erst das Flüchtlingsheim an, wenn es die entsprechende Autorität erlaubt hat.
Für die Polizei sind die Linken der unkontrollierbare Faktor. Für die Polizei steht der Feind links. Das war schon immer so und das soll ganz offensichtlich auch so bleiben.
(cki)