Jahrbuch Rechte Gewalt 2018 (mit Interview)
Andrea Röpke, geboren 1965, ist die führende deutsche Journalistin zum Thema Rechtsextremismus. Im Zuge ihrer Recherchen in der rechtsextremen Szene wurde sie mehrfach tätlich angegriffen. Sie arbeitet u.a. für „Panorama“, „Fakt“ und „Spiegel TV“, ihre Texte veröffentlicht sie im „Spiegel“, der „Süddeutschen Zeitung“, im „Focus“ und im „Stern“. Andrea Röpke wurde für ihre journalistische Arbeit vielfältig ausgezeichnet, u.a. mit dem Otto-Brenner-Preis, dem Leuchtturm-Preis des Netzwerks Recherche, dem Paul-Spiegel-Preis des Zentralrats der Juden und als “Reporterin des Jahres”, und “Journalistin des Jahres”.
Chronik des Hasses
Rechtsextreme Gewalt und die menschenfeindlichen Ideologien, die Macher, die dahinterstehen, waren auch 2017 ein Kernthema und bleibt es auch 2018. Die Zahl begangener Gewaltverbrechen mit einem entsprechenden politischen Hintergrund bleibt ungebrochen auf einem erschreckend hohen Niveau. Die Schlagzeilen über militante Neonazis, Reichsbürger und mutmaßliche Rechtsterroristen blieben und bleiben ein Dauerthema. Tätliche Übergriffe auf JournalistInnen bei der Ausübung ihrer Jobs, über rechtsextreme Szenen zu berichten, nehmen in bedrohlichem Maße zu.
Auf 376 Seiten sind die aus dem rechten Spektrum verübten Gewalttaten dokumentiert. In 25 Kapiteln beschreiben Andrea Röpke und Co-Autoren sehr explizit worum es bei der rassistischen Mobilisierung im Inneren unserer Gesellschaft geht, welche die Demokratie in unserem Land, auch durch den Einzug der AfD 2017 in den Bundestag, zunehmend bedroht.
Reichsbürger zulange unbeachtet – enthemmte Jagd auf Journalisten
Wer das Jahrbuch Rechte Gewalt 2017 der Autorin gelesen hat, wird feststellen, dass im neuen Jahrbuch 2018 deutlich andere Themen angesprochen werden. Ein größerer Teil ist zurecht dem Phänomen oder besser gesagt dem von deutschen Sicherheitsbehörden unterschätztem Problem durch „Reichsbürger“ gewidmet. Raum in der vorliegenden Veröffentlichung findet auch, dass faktisch kaum noch unabhängige, kritische JournalistInnen gefahrenfrei vor rechten Übergriffen ihre Arbeit machen können.
Die Autorin, Andrea Röpke, hat am 23.06.2018 zusammen mit einem Kollegen das Kyffhäusertreffen in Sachsen des ultra-rechten Flügels der AfD dokumentiert. Auch hierbei wurde sie verbal, wie körperlich massiv angegangen. Teile der Kameraausrüstung wurden durch einen Angriff beschädigt. Es wurde der Versuch unternommen die Pressefreiheit massiv einzuschränken.
https://www.youtube.com/watch?v=eQKMyjgopz8
(Quelle: Über Medien)
Schriftlich am 29.06.2018 geführtes Interview mit der Autorin Andrea Röpke:
KIM: Frau Röpke, auf dem Buchmarkt erschienen ist ihr Jahrbuch Rechte Gewalt 2018. Wie unterscheidet sich dieses inhaltlich im Vergleich zur Publikation 2017?
Andrea Röpke:
Zum ersten hat sich das Erscheinungsbild rechter Gewalt geändert: Nicht mehr brennende Flüchtlingsunterkünfte und eine aufgebrachte Meute kennzeichnen die neue Qualität rechter Gewalt, sondern u.a. rassistisch motivierte, geheime Verschwörerkreise mit Verbindungen zur AfD, Bundeswehr und Polizei. Das neue Buch ist analytischer, wie schauen hinter die Kulissen militanter Gruppen, Strategien und Entwicklungen. Wir setzen uns mit der juristischen Aufarbeitung rassistischer Taten auseinander, blicken auf die Gewalt im westeuropäischen Ausland und warnen vor den neurechten, vermeintlich harmloseren Vordenkern, deren Ziel die nationale Revolte ist.
KIM: Auf der Rückseite der Buchausgabe steht geschrieben „Die rassistische Mobilisierung im Inneren unserer Gesellschaft bedroht die Demokratie“. Was sollen die Leser*Innen darunter verstehen?
Andrea Röpke:
Rassismus und Demokratiemüdigkeit sind längst im bürgerlichen Lager angekommen. Es ist kein Randphänomen mehr. Der Erfolg von Pegida und vor allem der AfD sollte uns wachrütteln. Das geschieht aber leider nicht. Im Gegenteil: Politik und Medien lassen sich die Themen von den Rechten diktieren, agieren kopflos und unbedacht. Die Folge ist, dass es europaweit gegen die Opfer und nicht gegen die Täter geht. Die Demokratien in Europa wanken bedrohlich. Meines Erachtens nicht wegen der Flüchtlinge, sondern wegen der erstarkenden Rechten.
KIM: Sie beschreiben in ihrem aktuellen Jahrbuch u.a. Entwicklungen in der gewaltbereiten/gewalttätigen rechten Szene zwischen 2016 und Ende 2017 in verschiedenen Kapiteln. Ist die Gefahr von rechts für die Demokratie in unserem Land heute größer, als bspw. 2016?
Andrea Röpke:
Ja, eindeutig. Mit der AfD hat die rassistische Bewegung einen parlamentarischen Arm, der stark wie nie ist. Rechte professionaleren sich und gewinnen zusehends an Einfluss. Sie sickern an allen wichtigen Schaltstellen in die Gesellschaft ein. In Sachsen ist die Partei bereits stärkste Kraft und das, obwohl sie selbst immer offener völkisch-nationalistisch und aggressiv gibt. „Merkel muss weg“ reicht den meisten Anhängern nicht mehr. Sie wollen mehr. Und dieses mehr ist gefährlich für die Demokratie. Außer Acht bleibt, dass es bedrohliche Verbindungen reichen ins extrem rechte und ins gefährliche Mischszenenmilieu. Die AfD hat ebenso wenig Probleme wie Pegida mit rechter Gewalt – übernimmt aber keine Verantwortung. Bedrohlich sind die Verbindungen im Hintergrund: Sie reichen vom Rocker- und Kampfsportmilieu bis hin zu Reichsbürger. Unmerklich rüstet die Szene im Schatten der AfD auf – auch darauf weisen wir im Jahrbuch 2018 hin.
KIM: Frau Röpke, in ihrer Publikation widmen Sie ein Kapitel dem Thema „Feindbild Presse: Ungehemmte Jagd auf Journalisten“. Mitglieder dieser Redaktion sahen sich auch schon von rechtsradikalen Protagonisten zur „Jagd“ ausgesetzt. Können Sie jungen und interessierten journalistischen Nachwuchskräften Mut machen in dieses komplexe und nicht immer für den/die Berichterstatter*In persönlich risikofreies Arbeitsgebiet einzusteigen?
Andrea Röpke:
Ja, natürlich, ich versuche es gerne. Wir haben als Journalisten eine Verantwortung, aber auch viele Freiheiten. Das Internet und die sozialen Netzwerke sind keinesfalls nur Fluch, sondern eröffnen uns unglaublich viele Möglichkeiten. Es gibt Blogs und sehr gute Alternativmedien. Wir können kreativer arbeiten, individueller. Nur es braucht eben auch Engagement und Beherztheit bei der Sache zu bleiben.
KIM: Welche Rolle spielen ihrer Einschätzung nach Frauen in der rechten Szene und welchen Einfluss üben diese dort aus? Wir nennen hier beispielhaft Ricarda Riefling (NPD), Melanie Dittmer (Identitäre Aktion), Tatjana Festerling (ex-PEGIDA und jetzt Fortress Europe) und Ester Seitz (bis Sommer 2017 regelmäßig für „Karlsruhe wehrt sich“ aktiv).
Andrea Röpke:
Frauen spielen eine wichtige Rolle. Junge Frauen wie Marina Djonovic oder Sonnhild Sawallisch wurden zu Gesichtern lokaler Anti-Asyl-Initiativen. Kaum beachtet blieb dabei ihr politischer Background. Frauen werden gezielt von Neonazis und Rechten als Eyecatcher eingesetzt. Sie wollen diese Politik aber auch bewusst mit vorantreiben. Sie sind nicht weniger fanatisch und rassistisch als die Männer, aber es gibt kaum Aufklärung darüber. Auch gerade die sogenannten „Frauenmärsche“ haben das sehr deutlich gemacht, dass es weniger um Prävention vor Gewalt gegen Frauen geht, als um Populismus. Transportiert werden gezielt reaktionäre Positionen gegen Abtreibung, Emanzipation und Feminismus.
KIM: Frau Röpke, wir bedanken uns für das Interview.
(Bericht/Interview und Fotos: Christian Ratz)