Betriebsratswahl aufgrund Gesetzesverstößen unwirksam – Lamy verliert vor Gericht gegen IG Metall
Arbeitsplatz- und Entgelt-“Garantien“ fragwürdig
Am 16.10.2018 hat das Arbeitsgericht Heidelberg das erwartete Urteil gefällt und die Wahlanfechtung durch die IG Metall (siehe KIM, 5.10.) per Beschluss bestätigt. Laut IG Metall hat die Geschäftsführung bei der Betriebsratswahl im März Wahlbeeinflussung betrieben und der Wahlvorstand 24 Fehler gemacht. Das Gericht hat drei Verstöße herausgenommen und seinen Beschluss darauf gestützt: Der Wahlvorstand habe es im Wahlausschreiben versäumt, die erforderliche Zahl von Stützunterschriften zu nennen; eine der drei Listen habe auch zu wenig Unterschriften enthalten; und der Wahlvorstand habe Langzeitkranke und Beschäftigte in Elternzeit angeschrieben, obwohl diese das nicht verlangt hatten. Dies habe das Wahlergebnis beeinflussen können. Auch habe die IG Metall ihr Anfechtungsrecht nicht rechtsmissbräuchlich wahrgenommen, wie von der Geschäftsführung behauptet.
Die Wahl bei dem Heidelberger Schreibgerätehersteller ist aufgrund dieser Verstöße gegen das Betriebsverfassungsgesetz und die Wahlordnung unwirksam und muss wiederholt werden. Während Firmen gewöhnlich die „schriftliche Urteilsbegründung abwarten“, hat die Geschäftsführung die Rhein-Neckar-Zeitung und den Mannheimer Morgen schon eine Woche vorher zu Pressegesprächen geladen und bereits vor dem Urteil „Berufung“ angekündigt (RNZ, MM, 12.10.) Laut RNZ vom 17.10. legt sie nun Beschwerde ein und „geht davon aus, dass auch der Betriebsrat Berufung einlegen wird“. Nach der Devise: Zeit gewinnen, damit der Betriebsrat im Amt bleibt, bis zur Rechtskraft.
Gegen Gewerkschaften habe man als Geschäftsführung „überhaupt nichts“. Die IG Metall habe aber einen „äußerst aggressiven Wahlkampf“ geführt, mit „wiederholt falschen Unterstellungen“, behauptet die Geschäftsführung weiterhin (nach MM). Ansonsten ging es in dem halbseitigen RNZ-Artikel und 2/3-seitigen MM-Interview mit reißerischen Überschriften auf der Titelseite („Keine betriebsbedingten Kündigungen in den nächsten zehn Jahren“) darum: Nach illegaler Betriebsratswahl, Entlassung eines Betriebsratsmitglieds und Ausstieg aus der Tarifbindung ist Imagepflege offensichtlich dringend. Auch bundesweit („finanznachrichten.de“) ließ man am gleichen Tag verbreiten: Man habe „im August mit dem Betriebsrat eine zehnjährige Standort- und Jobgarantie vereinbart. In diesem Zeitraum seien keine betriebsbedingten Kündigungen möglich“. Am 21.8. war dies schon in einer „Mitarbeiterversammlung“ und „Hausmitteilung“ an alle Beschäftigten verkündet worden, unmittelbar nachdem gegenüber der IG Metall der Ausstieg aus der Tarifbindung erklärt worden war.
Aktuell gehe es laut Geschäftsführung nur darum, zusätzlich zu den über 50 bereits „beendeten“ Leiharbeitern auch die restlichen 48 „kontinuierlich zurückzufahren“. Nachdem 2016/17 Rekord-Umsatzrenditen von 23 und 30 Prozent gerne mitgenommen wurden, soll nun auf einmal „nachhaltiges Wachstum“ angesagt sein. Man wolle „zurück zu den alten Werten eines Familienunternehmens und stärker Wert auf das Wort Familie legen“ (RNZ). Nicht weniger peinlich: „Wir tragen für unsere Mitarbeiter in Heidelberg Verantwortung. Lamy wird nie Teile der Produktion verlagern – selbst wenn wir dadurch mehr Gewinn machen könnten“ (MM). Denn schon die jetzigen Renditen sind in Industriekapital-Kreisen in Deutschland ohnehin einmalig und bewegen sich in SAP-Sphären, sogar weit über Porsche. 2016/17 verzeichnete Lamy über 60 Millionen Euro „Jahresüberschuss“. Gerade mal „etwa zehn Millionen Euro für neue Maschinen und neue Handarbeitsplätze“ sollen 2019 von diesen Profiten für Investitionen „eingeplant“ sein.
Mit „Premium“- und „hippen Lifestyle“-Produkten gegen „schrumpfende Märkte“?
Tatsächlicher Grund der behaupteten „nachhaltigen Entwicklung“ statt „schnellem Wachstum“ dürfte sein: Seit der „Beendigung“ des vorigen Geschäftsführers im Frühjahr gibt es deutliche Auftragsrückgänge, weitere drohen angesichts schrumpfender Märkte. In den letzten 18 Jahren hat Lamy jährlich im Schnitt 220 Schreibwarengeschäfte als Partner verloren. Hektisch werden inzwischen über die Presse Werbekampagnen gestartet: „Auch in Amerika will Lamy wieder präsenter werden, um die dortige Erfolglosigkeit zu beenden. Dazu werde im Spätherbst am New Yorker Broadway eine aufwendig gestaltete Filiale eröffnet: Wir werden dort unsere Produkte bestmöglich in Szene setzen. Der Lamy-Stift soll weltweit als Lifestyle-Produkt genauso selbstverständlich dazugehören wie das hippe Smartphone“ („Handelsblatt“-Magazin, 12.10.) Die „neue Strategie“ soll künftig mehr auf Nischenprodukte zielen: „Wir setzen verstärkt auf das Premium-Segment mit hochwertigen, handgefertigten Schreibgeräten“ (MM). Dieser Bereich ist allerdings längst von anderen Konkurrenten besetzt – wobei sich die Zahl von Kunden, die an die 350 Euro für solch einen Füllfederhalter ausgeben können, ohnehin in Grenzen hält.
Was taugen die der Belegschaft gemachten „Garantien“?
„Die Mitarbeiter müssen sich keine Sorgen machen. Es ist uns wichtig, dass jeder, der eingestellt wird, auch hier in Rente gehen kann“ (RNZ) – weiter kann man sich kaum aus dem Fenster lehnen. Und die Beruhigungspille über den Mannheimer Morgen lautet: „Für die Mitarbeiter ändert sich gar nichts“. Tatsächlich sind alle 14 Tarifverträge gekündigt. Und damit müssten bei „wirtschaftlichen Problemen“ die Beschäftigten nach Ablauf der jeweiligen Kündigungsfrist nur individuell „überzeugt“ werden, per Einzelarbeitsvertrag rechtlich auf Leistungen zu verzichten. Wenn absehbar für die 355 Stammbeschäftigten (davon 300 in der Produktion) nach Meinung der Geschäftsführung „nicht mehr genug Arbeit da“ sein sollte, könnte die wacklige „Betriebsvereinbarung“ („zehn Jahre keine betriebsbedingten Kündigungen“) schnell Makulatur werden – natürlich „nur, um Schlimmeres zu verhindern“. Ohnehin sind bei solchen „Standort- und Arbeitsplatzsicherungs-Vereinbarungen“ stets Formulierungen üblich wie „es sei denn, es treten unvorhergesehene, wirtschaftliche Probleme“ auf.
Noch weniger wert sind die in der ominösen Vereinbarung „garantierten zehn Jahre Entgelterhöhungen wie in der Metallindustrie“. Denn mit Betriebsräten können Tarife gar nicht vereinbart werden. Dies geht laut Tarifvertrags- und Betriebsverfassungsgesetz nur mit Gewerkschaften. Der Belegschaft ist zu wünschen, dass sie auf solche „Garantien“ nicht angewiesen sein wird. Die IG Metall hat im September alle Mitglieder angeschrieben und ihnen Unterstützung angeboten.
mho