Diskussion “Rechtsruck” – Wer ist das Volk und mit wem geht es nach links?
Lesereinsendung von Stephan Bordt , Diskussionsbeitrag zum Thema Rechtrsruck
So unterschiedlich die drei Beiträge waren, eint sie doch die Verwendung von Stereotypen und Verallgemeinerungen. Während im Beitrag I von jb gleich das ganze Land „an einer Wegscheide zwischen Rechtsradikalismus und unseren demokratischen Prinzipien“ steht, wird in Beitrag II von Philipp B. von Volk und Heimat schwadroniert. Für Kaliyuga ist in Beitrag III sowieso das Kernproblem in einem Wort zusammengefasst: Dummheit. Wie schön, dass die Welt so einfach ist!
Oder etwa doch nicht? Kaliyuga muss zugutegehalten werden, dass sie oder er um diesen simplen Kern sehr wortreich zumindest teilweise ernstzunehmende Analysen geliefert hat. Problematischer sind Beitrag I und II.
Hysterie ist kein guter politischer Ratgeber
Bei der Lektüre von Beitrag I fühlte ich mich an die 1980er Jahre und ihre Weltuntergangs-Szenarien erinnert. Standen damals atomarer Super-GAU und 3. Weltkrieg vor der Tür, ist es jetzt die Machtübernahme durch die AfD plus Stiefelnazis. Neben dem eingangs erwähnten Wegscheide-Zitat heißt es weiter hinten: „Wenn wir weiter blind die Situation verkennen (…) wird es dunkelbraun in Deutschland“. Wichtigstes Indiz ist neben den Ausschreitungen in Chemnitz und Köthen (zweifelsohne erschreckende Ausmaße brauner Aggression) „ein ausgeklügeltes Netzwerk, das extrem systematisch vorgeht“. Belegt wird diese Behauptung nicht. So klingt sie für mich nach Verschwörung, sozusagen nach rechtsextremen Illuminaten.
Weiter findet jb, dass sich die Alltagsstimmung spürbar verändert und „unsere Empathie“ zu Grabe getragen wird. Das ist als persönliches Empfinden nachvollziehbar. Jedoch sollte an die frühen 1990er Jahre erinnert werden, als Nazis Häuser ansteckten, viele rassistische Morde begingen und die Regierung daraufhin den sog. Asylkompromiss aushandelte. Der damalige Innenminister Schäuble verkündete ganz ohne Druck der AfD, dass von nun an das Zurückdrängen der „Asylanten“ – ein neues Schimpfwort war geboren! – das einzige Mittel sei, um das Wir-sind-das-Volk zu besänftigen. Diese unheilvolle Koalition aus mordenden Nazis und Regierungspolitik (mit SPD-Zustimmung) so kurz nach der Wiedervereinigung ließ Schlimmes in Bezug auf die Entwicklung Deutschlands befürchten, was sich dann – allerdings nur teilweise – bestätigte. Die Leittragenden waren und sind in erster Linie die Flüchtlinge. Mit der Empathie war’s jedenfalls auch damals nicht weit her.
Ich kann deshalb nicht erkennen, dass die politische Situation (anders als die soziale) heute schlimmer ist und die AfD plus Stiefelnazis kurz davor stehen, die Macht zu übernehmen. Dass sich die CSU und manch andere Politiker/innen aus dem Spektrum von links bis konservativ von der AfD in deren Logik treiben lässt, ist ein anderes Problem. Das wird aber nicht – außer vielleicht in Sachsen – zum von jb an die Wand gemalten Zusammenbruch des demokratischen Mainstreams führen. Das belegen alle Statistiken. Auch 20 Prozent Rechte bedeutet 80 Prozent, die auf diesen blau-braunen Spuk keinen Bock haben. Natürlich kann sich das weiter zu unseren Ungunsten verschieben, aber es gibt keinen Anlass, in Hysterie zu verfallen, die uns zu Panikreaktionen verleitet.
Wer ist das Volk?
Noch weitaus problematischer als Beitrag I kommt Philipp B. mit Beitrag II daher, der fordert: „die politische Linke muss ihre Isolation vom Volk überwinden.“ Aha – und wer soll das sein, das Volk? Ich will jetzt gar nicht wie die Antideutschen mit dem Knüppel des Völkischen draufhauen, aber diese Gleichsetzung Volk = die, die nichts mit LGBT anfangen können und denen Kultur und Heimat wichtig sind, unterschreibt dir jeder AfD-Depp. Nebenbei: Kultur ist ein Begriff, der zwischen Kulturbeutel und Stockhausen alles umfasst, nichts erklärt. Nicht anders Heimat. Über -museum und -ministerium hinaus hat der Begriff auch schon viele philosophische Diskurse zur Erschöpfung gebracht. Also lassen wir das besser!
Ohne eine genauere Betrachtung, wie – wenn überhaupt – Volk definiert werden kann und woraus sich diese Masse zusammensetzt, sind daraus keine Schritte gegen Rechts ableitbar. Im Gegenteil, das kann eigentlich nur nach hinten losgehen. Zwei Beispiele: Wer „Volk“ so schlicht umreißt wie Philipp B., bezieht offenbar nicht ein, dass die Hälfte der Menschheit weiblich ist und deshalb mit alltäglichen Diskriminierungen zu kämpfen hat. Die Bewohnerschaft unserer Stadt besteht fast zur Hälfte aus Menschen mit Migrationshintergrund, die ebenfalls mit den sich daraus ergebenden Problemen konfrontiert ist. Alles „das Volk“, von dem die Linke isoliert ist? Und gehören Lesben und Schwule etwa nicht zum Volk, weil das mit LGBT nichts am Hut hat?
Zu guter Letzt unterstellt Philipp B. ohne jede Begründung ausgerechnet den AfD-Anhängern ein ausgeprägtes Klassenbewusstsein, das irgendwie im blauen Katalysator steckengeblieben ist, und fordert von der Linken, Antworten auf die dringendsten gesellschaftlichen Fragen liefern zu können. Mir drängt sich an dieser Stelle der Witz auf, mit so etwas Banalem würden wir uns niemals abgeben. Nein, Spaß beiseite: Philipp B. hat zwar in dem Punkt recht, dass wir uns weiter darüber intensiv Gedanken machen müssen, wie wir unsere politischen Angebote als die besseren Argumente auch für AfD-Wähler/innen vermitteln. Aber er hat ganz und gar nicht recht in der Unterstellung, wir würden uns nicht den brennenden Themenfeldern zuwenden, die in allen Umfragen und in Gesprächen auf der Straße breite Mehrheiten bewegen, z.B. bezahlbares Wohnen, sichere, gut bezahlte Arbeit, Pflegenotstand, Klimawandel usw. Verdammt, worüber reden wir denn die ganze Zeit und machen Aktionen, stellen Anträge und und und? Welche Antworten erwartet denn Philipp B. für die AfD-Wähler, die ach so klassenbewussten? Das würde mich mal wirklich brennend interessieren.
Langgezogener Rechtsdrall mit Gegenbewegung
Auf die Frage, ob wir schon rechts abgebogen sind, antworte ich ganz klar mit „Nein“. Der reaktionäre Roll-back dauert schon seit mindestens 40 Jahren, aber er hat bei weitem nicht alles plattwalzen können. Es dürfte kein Zufall sein, dass er praktisch zeitgleich mit der wachsenden Hegemonie der neoliberalen Ideologie und dem Dauerdrohszenario der Globalisierung einherging. Anders als für die klassischen Liberalen ist für die Neoliberalen die Verbindung autoritärer oder sogar faschistischer Politik (z.B. Friedman für Pinochet) mit freier, sprich: deregulierter Wirtschaftsordnung kein Widerspruch. Im Gegenteil. Das gegenseitige Ausspielen der besitzlosen Klassen und gewalttätige, autoritäre Reaktionen leiten Aufmerksamkeit und Empörung weg von Klassenkampfmaßnahmen von oben wie Umstrukturierungen auf Kosten der Beschäftigen, Hartz-4-Regime etc.
Diese Masche fällt auf fruchtbaren Boden bei all denen, die sich nie für die Ideale der Aufklärung und demokratischer Gesellschaftsordnungen erwärmen konnten. Früher scheinen diese Menschen eine politische Heimat bei CDU, CSU, SPD, FDP und SED gefunden zu haben. Sie lassen sich keineswegs verführen, sondern in ihren schon immer bestehenden Überzeugungen bestätigen und in der AfD bündeln. Wen wir vielleicht noch erreichen können, sind die Wankelmütigen, darunter überwiegend (gefühlte) Modernisierungsverlierer, die sich von den Veränderungen in der Welt bedroht fühlen, aber nicht ganz generell Flüchtlinge bedrohlicher finden als z.B. steigende Mieten bei wachsender sozialer Unsicherheit. Denen sollten wir in noch nachdrücklicherer Form, die wir ja auch ständig diskutieren, Angebote von links machen. Die Anderen sind schlicht und ergreifend unsere Feinde – Punkt.
Die zumindest halbwegs aufgeklärte und weltoffene Gesellschaft, nach Wahlergebnissen und empirischer Sozialforschung die große Mehrheit in Deutschland, dürfen wir dabei aber auf gar keinen Fall mit Anbiederung an rechte Rhetorik vor den Kopf stoßen. Der empathische (um den Begriff von jb aufzugreifen), sozial und egalitär gesinnte Teil dieser Mehrheit sind unsere natürlichen Verbündeten – so wie sie es immer waren, ob 1918, 1968 oder 2018!
Kritik an den bisherigen Beiträgen der Diskussions-Serie im KIM Nr. 20/2018 von Stephan Bordt, Mitglied der Partei Die Linke.