Antifaschistischer Stadtrundgang: Auf den Spuren von Tätern und Opfern des Nationalsozialismus (mit Exkurs und Bildergalerie)
Aktivisten der Mannheimer Kreisvereinigung der VVN-BdA (Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund deutscher Antifaschisten) und des AK Justiz (Arbeitskreis Justiz und Geschichte des Nationalsozialismus in Mannheim e.V.) veranstalteten am 20.10.18 einen Stadtrundgang, der rund 10 Orte von Opfern und Tätern in der Nazi-Zeit (1933-1945) dokumentiert. Vier thematisch unterschiedliche Standrundgänge werden von den Veranstaltern seit 10 Jahren zu unterschiedlichen Terminen ganzjährig in Mannheim angeboten.
Georg Lechleiter-Gruppe als Beispiel für den Widerstand nach 1933
Start für den ca. 2,5-stündigen Rundgang war die Gedenkstätte am Georg-Lechleiter-Platz. Hier wurden die etwa 15 TeilnehmerInnen über die Bildung der Lechleiter-Gruppe informiert, ebenso wie über das Schicksal der Widerständler und deren Verurteilung zu langjährigen Haftstrafen bzw. Ermordung durch die Nazis zwischen 1942 und 1945.
Deportation ins Konzentrationslager Gurs (Südfrankreich)
Am Mannheimer Hauptbahnhof zeigt ein Schild in Richtung der 1.170 Kilometer entfernt gelegenen Stadt in Frankreich. Vom Bahnhof aus wurden binnen zweier Tage im Oktober 1940 6.500 jüdische MitbürgerInnen aus Baden, Rheinland-Pfalz und dem Saarland in das Konzentrationslager deportiert.
Weisse Flagge gehisst – Erschießung in den Lauer‘schen Gärten
Wenige Tage vor dem Einmarsch der U.S.-Army in Mannheim im März 1945 hissten auf dem Dach des damaligen Kaufhaus Vetter (heute Galeria Kaufhof) drei Antifaschisten die weiße Flagge zum Zeichen der Kapitulation des Nazi-Regimes. Infolge dessen wurden die Personen vor einem Schnellgericht zum Tode verurteilt und an einer Mauer in den Lauer’schen Gärten erschossen. Stolpersteine erinnern dort an deren Schicksale.
„Mannheimer System“ – was Arbeits- und Finanzamt damit zu tun hatten
An der Stelle, wo sich heute der Parkplatz im Quadrat M4 befindet, stand früher das sogenannte „Schlageter-Haus“ (1935 von der NSDAP nach einem ihrer Parteifunktionäre benannt). Die ehemalige Kaserne wurde von der SA, SS und Hitlerjugend genutzt. Übergeben wurde das Gebäude an die NSDAP durch den damaligen Mannheimer OB Renninger. In unmittelbarer Nähe befanden bzw. befinden sich Finanz- und Arbeitsamt. Auf freiwilliger Basis bildete sich zur damaligen Zeit dort eine Gruppe aus Beamten und Gestapo-Leuten um ein Bespitzelungssystem jüdischer MitbürgerInnen zu entwickeln. Als „Mannheimer System“ wurde dieses auch in anderen Städten während der Zeit der Nazi-Diktatur zum Einsatz gebracht.
Volksgerichtshof und Unrechtsurteile durch Sondertribunale
Zahlreiche dem Nazi-Regime nicht genehme Richter am Landgericht Mannheim fielen dem Terror zum Opfer. Stolpersteine vor dem und eine Tafel im Gerichtsgebäude erinnern an die Opfer.
An 73 zivile Opfer der im Mannheimer Schloss bei Prozessen des Volksgerichtshofs abgehaltenen Tribunale, die alle mit dem Todesurteil endeten, erinnert seit 2002 ein Mahnmal der Opfer nationalsozialistischer Justiz. Erst in den späten 1990’er Jahren wurden die damals gesprochenen Urteile vom Deutschen Bundestag als Unrechtsurteile aufgehoben.
Kirche im Widerstand
Die vorletzte Station auf dem Rundgang war die Jesuitenkirche. Welche Rolle der Widerstand gegen die Hitler-Faschisten spielte, wurde am Beispiel des Jesuiten-Paters Alfred Delp vermittelt. Ob Delp organisatorisch am gescheiterten Attentat auf Adolf Hitler im Juli 1944 beteiligt konnte nie belegt werden. Der antifaschistische Geistliche wurde dennoch vor dem Volksgerichtshof in Berlin unter Vorsitz des Nazi-Richters Roland Freisler wegen Hoch- und Landesverrats zum Tode durch den Strang verurteilt und hingerichtet.
Glaskubus am Paradeplatz
Zum Gedenken an die durch „die Nationalsozialisten ermordeten Juden dieser Stadt“, so die Inschrift auf einer Bodenplatte, steht in unmittelbarer Nähe des Paradeplatz seit 2003 ein Glaskubus. Eingraviert sind dort die Namen tausender Opfer des Nazi-Terrorregimes. An dieser Stelle endete der äußerst informative und nachdenklich stimmende Stadtrundgang.
Exkurs:
Heinrich Vetter (geb. 1910 – gest. 2003), Unternehmer, NSDAP-Mitglied, Nazi-Profiteur, Kunstmäzen und bis dato Ehrenbürger der Stadt Mannheim.
Wie berichtet hissten Antifaschisten auf dem Dach des ehemaligen Kaufhaus Vetter die weiße Flagge. Vetter war erfolgreicher Unternehmer, noch erfolgreicher und wohlhabender wurde er während der Arisierung Mannheims während der NSDAP-Zeit. Viele Gegenstände und Besitztümer, die die Nazis vor allem von Juden einzogen hatten oder konfiszierten machte Vetter zu seinem eigenen Vorteil zu Bargeld. Nach 1945 und in den Jahren danach, im Prinzip bis dato, konnte sich der Mannheimer Unternehmer bis zu seinem Tod und danach als Kunstmäzen einen „Namen“ machen und wurde zweimal zum Ehrenbürger der Quadratestadt ernannt. Lediglich die jüdische Gemeinde Mannheims entzog ihm das zuvor verliehene Privileg posthum, nachdem Fakten über Vetters Machenschaften mit den Nazi’s ans Tageslicht kamen. Dies war 2013 der Fall. Der Gemeinderat Mannheim tut sich bis heute schwer damit, sich von dieser Person aufgrund seiner zweifelhaften Vita eindeutig zu distanzieren. Wie auf dem Stadtrundgang zu erfahren war befinden sich nach wie vor diverse Kunstobjekte, die von Vetter gestiftet wurden, in städtischen und privaten Ausstellungsräumen. Auch im öffentlichen Stadtbild Mannheims sind vom Nazi-Profiteur Vetter geschenkte Kunstgegenstände zu sehen. Beispielhaft genannt sei eine Bronze-Skulptur, die vor der Heilig-Geist-Kirche in der Oststadt auf einer Rasenfläche steht. „Der heilige Franziskus als Friedensbote“ versus dem verstorbenem Heinrich Vetter, der bis heute Unfrieden stiften „darf“. Aus welchen Gründen sich der Gemeinderat seit Jahren in dieser Sache mehr als bedeckt hält ist vielen kritischen Beobachtern überhaupt nicht erklärlich.
(Bericht und Fotos: Christian Ratz)
Alle Bilder der Stadtführung: