Kandel-Demos: Intermezzo und Schlagabtausch bei Gericht / Prozess geht in die vierte Runde / weiterer Prozess bahnt sich an
Am Amtsgericht Kandel wurde am 01.10.19 ein Verfahren fortgesetzt, über das wir bereits berichtet haben. Am 10.09. fand ein sogenannter „Springtermin“ bei Gericht statt. Dieser 10-minütige Termin diente formellen Gründen der Prozessführung vor Gericht. Am heutigen Verhandlungstag sagten zwei Polizeizeugen aus. Ein weiterer geladener Polizeibeamter fehlte unentschuldigt. „Videobeweise“ flossen in die Beweisaufnahme ein. Die Staatsanwaltschaft beharrt auf der Fortführung des Prozesses, obschon die bisherige Beweislage die Anklagevorwürfe kaum noch stützt.
„Videobeweis“ vorgeführt – “nichts zu sehen, was die Anklage stützt”
Am ersten Verhandlungstag wurde festgestellt, dass sich Videoaufnahmen in den Asservaten der Polizeibehörden befinden, die dem Gericht nicht vorlagen. Zudem wurde ein Video auf YouTube thematisiert.
Heute zog der vorsitzende Richter zum Verhandlungsauftakt zwei CDs aus seiner Akte. Auf diesen sollten sich die Aufnahmen der Polizei-Videografen vom 07.04.18 am Bahnhof Wörth befinden. Die erste CD lies sich aufgrund nicht näher bekannter technischer Probleme auf dem PC der Gerichtsstenographin nicht abspielen. Das Abspielen der zweiten CD mit mehreren Aufnahmesequenzen/-dateien funktionierte.
Gezeigt wurden die mehrminütigen Videodateien auf dem PC-Monitor der Gerichtsstenographin. Für die anwesenden Pressevertreter war aus deren Sitzposition nur ein sehr eingeschränkter Blick auf die Filmaufnahmen möglich. Zu hören waren nicht näher verständliche Stimmen vieler Menschen, das Bellen von Hunden und zu sehen waren Außenaufnahmen vom Bahnsteig in Richtung Zug. Jedoch keine Aufnahmen, die die Anklage stützen. Wie gesagt der Blick auf die Videovorführung war nur bedingt möglich. Eine Person, die die Aufnahmen ungehindert sehen konnte, sagte nach Ende des Verhandlungstages (sinngemäß): „Da war nichts zu sehen, was als belastendes Beweismittel herangezogen werden kann.“
Zwei Polizeizeugen sagen aus und tragen nicht zu neuen Erkenntnissen bei
Der erste vor Gericht vernommene Beamte sagte im Großen und Ganzen ähnlich aus, wie der Beamte am ersten Verhandlungstag, dem 03.09.19. Viel Erhellendes konnte der Zeuge heute in seinen Einlassungen vor Gericht nicht vortragen. Er sprach viel von „Dynamik“ an diesem Einsatztag. An genaue zeitliche Abläufe konnte er sich nicht mehr erinnern, auch nicht daran welche Personen, aus welchem Grund genau zur Identitätsfeststellung von wem aus dem Zugabteil herausgegriffen wurden. Nur in zwei Punkten war sich dieser Zeuge sicher: Er und der Zeuge vom ersten Verhandlungstag hätten den Angeklagten aus dem Zug geholt und ihn auf dem Bahnsteig an Beamte der Landespolizei übergeben. Und er konnte in einem der gezeigten Videos einen Kollegen identifizieren, in der Art und Weise, wie dieser seinen Schlagstock im Einsatz „führte“.
Diese Aussage entlockte den im Gerichtssaal anwesenden uniformierten PolizeibeamtInnen ein hämisches Lächeln. Diese waren zum Schutz der Verhandlung anwesend, wie auch ein Justizwachtmeister. Wo der Grund für diese “Schutz- und Personeneinlasskontrollen” liegt, bleibt das Geheimnis der Justizbehörden.
Auf die Frage der Verteidigung, wie der Zeuge auf die Polizeivideos aufmerksam wurde, antwortete dieser (sinngemäß):“ Auf meiner Dienststelle, aus privatem Interesse und um meine Erinnerungen mit den Filmaufnahmen abgleichen zu können.“ Und dann sagte der Zeuge, dass auch er ein Video auf YouTube gesehen hat von diesem Tag in Wörth. Dieses Video scheint auch dem Vertreter der Staatsanwaltschaft nicht unbekannt zu sein.
Gericht und Verteidigung waren sich augenscheinlich einig, dass die Einlassungen dieses Zeugen mehrheitlich als Schlussfolgerungen einzustufen sind. Der Vertreter der Staatsanwaltschaft ordnete die Einlassungen des Zeugen eher als beweiskräftig ein.
Der zweite Polizeibeamte, der vernommen wurde, berichtete, dass er zu den Anklagevorwürfen keine Aussagen machen kann, da er diesbezüglich selbst keine Beobachtungen gemacht hat. Der Zeuge sagte, dass er auch keine Tritte und Schläge von Zugreisenden gegen seine Kollegen gesehen hat. Er stand beim Versuch des Betretens des Zugabteils in zweiter Reihe. Mitbekommen habe er, dass Menschen im Zug das Zugreifen seiner Kollegen durch Abwehrbewegungen versucht hätten zu verhindern. Einzelpersonen könne er diese Handlungen nicht zuordnen.
Der dritte Zeuge aus den Reihen der Polizei fehlte am heutigen Verhandlungstag unentschuldigt. Der Vertreter der Staatsanwaltschaft fragte das Gericht, ob deswegen nicht eine Ordnungsmaßnahme gegen den Beamten verhängt werden könnte. Der Vorsitzende zuckte mit den Schultern und rollte die Augen: „Bundespolizei – Koblenz – gerichtliche Ordnungsmaßnahme?“
Prozess geht in Runde 4
Heute wurden noch keine Plädoyers gehalten. Dies unterstellte der Staatsanwalt jedoch dem Strafverteidiger. Dieser hatte lediglich angeregt sich erneut Gedanken zu machen, ob eine Prozessfortsetzung noch Sinn macht oder ob man nicht § 153a Strafprozessordnung („Absehen von der Verfolgung unter Auflagen und Weisungen“) anwenden könnte.
Davon wollte der Staatsanwalt nichts wissen. Seiner Auffassung nach habe der Angeklagte bislang keine Bereitschaft zu einem Schuldeingeständnis, auch nicht in Teilen keine Reue, gezeigt.
Der vorsitzende Richter entschied, dass das mehrfach angesprochene YouTube-Video von „Experten“ mit Unterstützung der Staatsanwaltschaft als Beweismittel gesichert werden soll. Des Weiteren soll ein neuer Polizeizeuge vor Gericht geladen werden, sowie erneut der Beamte, der den Prozesstag heute geschwänzt hatte. Als Fortsetzungstermin wurde vom Gericht der 10.10.19, 13:30 Uhr festgelegt.
„Neuer Prozess bahnt sich an“
Am 07.10.19 wird vor dem Jugendschöffengericht am Amtsgericht Mannheim (ab 8:45 Uhr, Sitzungssaal 135) in öffentlicher Verhandlung der Prozess gegen einen Beteiligten am Protest gegen den Aufzug des sogenannten Frauenbündnis Kandel im März 2018 geführt.
(Bericht und Fotos: Christian Ratz)
KIM-Bericht vom ersten Verhandlungstag (03.09.19):