Corona-Rebellen – Harmlose Spinner oder gefährliche Agitatoren?
1. Mai 2020, 15:15 Uhr. Die Versammlung des Mannheimer Aktionsbündnis 1. Mai löst sich gerade auf, einige stehen noch mit Mundschutz herum und erzählen, die meisten gehen zügig nach Hause. Rund 250 Menschen aus dem linken und gewerkschaftlichen Spektrum hatten unter strengen Infektionsschutzmaßnahmen eine kleine Kundgebung abgehalten, als Ersatz für die traditionelle 1. Mai Veranstaltung des DGB.
Fast unbemerkt sammelt sich am Rande des Marktplatzes eine Handvoll Menschen. Ein Mann mit langen Haaren führt einen Hund an der Leine, eine Frau hat ein Schild mit einer politischen Botschaft um den Hals gehängt, eine andere schiebt ein Fahrrad mit sich. Einige lassen sich auf einer Decke nieder und sehen aus, als würden sie meditieren oder beten. Einer setzt sich daneben. Er hat einen gebastelten Aluhut auf dem Kopf. Eine Frau umklammert etwas, das wie ein Rosenkranz aussieht.
Sie unterscheiden sich von den vorherigen Kundgebungsteilnehmer*innen, die gerade am Gehen sind, vor allem durch eine Auffälligkeit: Sie tragen keine Mund-Nasen-Schutzmasken.
Bisher wenige „Corona Rebellen“ in Mannheim
Die Gruppe, die sich am 1. Mai auf dem Marktplatz versammelt hatte, nennt sich „Corona Rebellen“. Sie hatten sich in einem Telegram-Chat verabredet, zunächst am Alten Messplatz. Von dort aus sind sie Richtung Marktplatz gelaufen und haben Flugblätter verteilt. Ihr Thema: Protest gegen Grundrechtseinschränkungen durch Corona-Verordnungen. Doch bei genauerem Hinsehen, kommen weitere Themen hinzu, bei denen die Alarmglocken klingeln: angebliche Zwangsimpfungen, Verschwörung der Regierung gegen das Volk, Medienmanipulation, Biowaffen gegen die Bevölkerung… Die Feindbilder der Gruppierung heißen Bill Gates und George Soros, aber auch Christian Drosten, Jens Spahn und Angela Merkel.
In der sehr heterogenen Bewegung der „Corona Rebellen“ mischen sich legitime Kritik an den Maßnahmen zur Pandemieeindämmung mit haarsträubenden Verschwörungstheorien und antisemitischer Hetze. Bundesweit finden Versammlungen statt, die unter sehr allgemein klingenden Floskeln beworben werden: „Hygiene Demo“, „Nicht ohne uns“, „Für das Grundgesetz“, „Querdenken“ oder „Widerstand“. Die Teilnehmer*innen kommen aus den unterschiedlichsten politischen Ecken und Milieus, doch bisher profitieren ausschließlich rechte Organisationen, Parteien und vor allem sogenannte „alternative Medien“ von diesem Zulauf.
Die Versammlung der knapp 30 „Corona Rebellen“ am 1. Mai auf dem Mannheimer Marktplatz wurde nach längerer interner Besprechung schließlich von der Polizei aufgelöst. Auf Personalienfeststellungen oder Ermittlungsverfahren wegen möglicher Verstöße gegen die Corona-Verordnung wurde verzichtet.
Mehr als 5000 in Stuttgart – regelmäßige Kundgebungen in Heidelberg
Eine Kundgebung der Bewegung am 2. Mai ist in Stuttgart völlig aus dem Ruder gelaufen. Ein zunächst von der Versammlungsbehörde erlassenes Verbot wurde per Gerichtsentscheid gekippt. Daraufhin versammelten sich tausende auf dem Cannstatter Wasen. Abstandgebot oder Maskenpflicht? Die Polizei konnte oder wollte das nicht mehr durchsetzen. Anmelder der Versammlung war ein Unternehmer, der sich vor der Presse von radikalen politischen Kräften abgrenzte. Doch die inhaltliche Gestaltung sei ihm längst entglitten, meinen Beobachter*innen aus der Region Stuttgart.
Ausgangspunkt der Corona-Proteste in der Unistadt Heidelberg waren die abstrusen Äußerungen und Handlungen der Anwältin Beate Bahner kurz vor Ostern dieses Jahrs. Diese wurden bereitwillig von Rechtsextremisten und Verschwörungstheoretikern zum Anlass genommen, um in verschiedenen digitalen Netzwerken Stimmung gegen die verhängten Corona Maßnahmen im öffentlichen Raum zu machen.
KIM berichtete:
- Nach massiver Kritik: Polizei Mannheim richtet Ermittlungsgruppe ein
- Polizei lässt rechte CoronaleugnerInnen trotz massiven Verstößen gegen das Abstandsgebot gewähren
- Corona ist kompliziert – Rechtsanwältin Bahner ist darauf ausgerutscht
Am 2.5. fand auf dem Uniplatz nunmehr die dritte Kundgebung der sogenannten „Corona-Rebellen“ statt. Eine Gruppierung, die sich „Demokratischer Widerstand (Nicht ohne uns!)“ nennt und sich für die Hygiene-Demos in Berlin und anderenorts verantwortlich zeichnet, ist auch in Heidelberg angekommen. Als lokaler Kontakt wird die E-Mail eines Unternehmens in der Bergheimer Straße genannt. Als Versammlungsleiterin agierte Christa G., die zumindest bis Ende 2019, zum harten Kern des rechtsextremen Frauenbündnis Kandel zu zählen war. Gekommen waren etwa 70 Personen (andere Beobachter sprechen in der Spitze von bis zu 200 Teilnehmern). Christa G., die am Folgetag in Landau bei einer ähnlichen Kundgebung gesehen wurde, begrüßte die Leute und sagte sinngemäß, dass sich heute die richtig Informierten auf dem Platz befinden würden, die von den wahren alternativen Medien informiert seien und nicht der Gehirnwäsche der gleichgeschalteten Presse erlegen sind. Hauptsächlich vertreten waren Menschen aus den unterschiedlichsten Milieus: Verschwörungstheoretiker, Esoteriker, Fundamentalchristen, Reichsbürger und Vertreter der AfD und NPD. In Summe eine gefährliche Melange, die sich da versammelte. Der NPD-Mann Jonathan Stumpf (alias Johannes Scharf), der 2019 erfolglos für den Mannheimer Gemeinderat kandidierte, durfte sogar das Wort am Mikrofon ergreifen. Am Rande und vor der der eigentlichen Kundgebung, die vor allem in Telegram-Kanälen beworben wurde, nahm die Polizei die Personalien von Leuten auf, die sich unweit des Uniplatz demonstrativ versammelt hatten. Diese Gruppe wurde dann unter polizeilicher Beobachtung zur Versammlung geleitet. Neues Ungemach droht: für den 09. Mai ist bereits die nächste Kundgebung angekündigt.
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Panikmache und Verfolgungswahn – soziale Medien als Brandbeschleuniger
Das Spektrum der „Corona Rebellen“ reicht von Menschen, die einfach nur Angst vor dem Virus haben und die Flut an Informationen nicht verarbeiten können, bis hin zu politischen Agitator*innen, die gezielt mit diesen Ängsten spielen und Falschinformationen verbreiten. Um sich gegenseitig zu erkennen, hängen sich einige einen Bommel aus Alufolie um den Hals. Andere tragen demonstrativ einen Aluhut auf dem Kopf und sehen aus, als seien sie eine Karikatur ihrer selbst.
Trotz aller Absurdität des Denkens und Handelns der Verschwörungsgläubigen, müssen einem die Menschen leid tun. Getrieben von Ängsten und Verfolgungswahn, verwirrt durch widersprüchliche Meldungen von „etablierten“ und „alternativen“ Medien, müssen diese Menschen einem enormen Leidensdruck im Alltag ausgesetzt sein. Der Protest auf der Straße dürfte für viele ein Ventil sein, um die Angst und den Frust, der sich in der häuslichen Isolation aufgestaut hat, raus zu lassen.
Umso mehr sollte man vor diesem Hintergrund die gezielte Agitation verurteilen, wie sie Politiker*innen von AfD und NPD, aber auch die Stars der „alternativen Medien“, wie Ken Jebsen, Oliver Janisch oder Hans Tolzin betreiben.
Zwar haben sie in den etablierten Medien und bei den allermeisten Parteien kaum Einfluss, doch in den sozialen Medien erleben sie einen rasanten Aufstieg. Die Abonnentenzahlen ihrer Youtube-Kanäle, Telegram-Gruppen und Facebook-Seiten gehen in der Corona-Krise durch die Decke. Sie erreichen mit ihren Videobotschaften Hunderttausende. Einer der Gefährlichsten hält sich bislang noch zurück. Mannheims Popstar Xavier Naidoo vertritt seit Jahren die Ideologie dieser Szene, anfangs noch hinter vorgehaltener Hand, in den letzten Monaten immer offener. Wenn er sich an die Spitze der Bewegung stellt, könnte Mannheim zum „Zion“ der Verschwörungsgläubigen werden.
Wie sollte man mit den „Corona Leugner*innen“ umgehen?
Nach dem Thema Flüchtlinge im Jahr 2015 ff. ist das neue große Thema der Rechten im Jahr 2020 die Corona-Krise (und hat damit die Diskussion um den Klimawandel abgelöst). Die noch junge, diffuse neue Bewegung ist für die politische Rechte ein ideales Mobilisierungsfeld. Die Bewegung sieht sich „nichts rechts und nicht links“ und sei für alle offen – mit dem Ergebnis, dass Faschist*innen und Verschwörungstheoretiker*innen unwidersprochen und exklusiv ihre Propaganda verbreiten können.
Dass die Szene auch ein Nährboden für brutale Gewalt sein kann, zeigt der Vorfall von Berlin, als am Rande einer sog. „Hygiene-Demo“ ein Team der Satiriker der „heute show“ angegriffen und teils schwer verletzt wurde. Auch die Attentäter von Hanau und Halle waren Anhänger dieser Verschwörungstheorien.
Der Umgang mit der Bewegung ist kompliziert. Sie alle als „Rechte“ oder „Nazis“ zu bezeichnen, wäre nicht nur strategisch, sondern auch analytisch falsch. Zur Wahrheit gehört dazu, dass auch Menschen mitlaufen, die sich selbst als politisch links begreifen. Doch die Kategorie von rechts und links ist für die Bewegung ohnehin unwichtig. Wer sich „Wir sind das Volk“ auf die Fahne schreibt, hält sich selbst für den Mittelpunkt der Gesellschaft. Eine verschobene Selbstwahrnehmung ist der Bewegung immanent.
Das Überzeugen dieser Menschen mit Argumenten und Fakten ist schwierig, wenn sich bereits eine ablehnende Haltung gegenüber wissenschaftlichen Erkenntnissen entwickelt hat. Der Anhängerschaft „alternativer Medien“ und esoterischer Ideen ist mit Vernunft schwer bei zu kommen.
Aber nicht alle, die bei dieser Bewegung mitlaufen, sind bereits so gefestigt und verschlossen. Viele suchen nach Antworten und sind durchaus offen für kontroverse Diskussion. Persönliche Gespräche können Zugänge schaffen. Auch eine linke, progressive Kritik an den Maßnahmen der Regierung zeigt zumindest, dass eben nicht alle gleichgeschaltet sind, wie es die politische Rechte immer behauptet. In jedem Fall sollte man die Entwicklung der Szene gut im Blick behalten und der Einflussnahme durch die Rechten widersprechen, wo es möglich ist.
(red)