Heidelberg: Nazis, Querfront und antifaschistischer Protest auf dem Uniplatz
Am 9. Mai 2020 hatte sich ab 15 Uhr erneut eine größere Gruppe aus Faschist*innen, Verschwörungstheoretiker*innen, Querfrontler*innen, Mitgliedern der Identitären Bewegung, Reichsbürger*innen, AfDler*innen, Esoteriker*innen, Impfgegner*innen und deutschtümelnden Sympathisant*innen auf dem Universitätsplatz Heidelberg versammelt. Unter dem durchschaubaren Vorwand, den durch die getroffenen Maßnahmen zum Schutz vor der Corona-Pandemie bedingten Grundrechte-Abbau wieder zurückzudrängen, tritt sie seit Mitte April 2020 öffentlichkeitswirksam in Heidelberg in Erscheinung, um ihre menschenverachtende Ideologie an ein breiteres Publikum zu bringen. Bisher hatte sie dreimal ohne nennenswerten Widerstand agieren und provozieren können.
Gestern schlug ihr zum ersten Mal massiver antifaschistischer Protest entgegen, der den Ablauf dieser stationären Kundgebung von fast 200 Personen empfindlich stören konnte. Nahezu 100 Antifaschist*innen waren – ausgestattet mit Antifa-Fahnen, Transparenten, Schildern – gekommen, um sich direkt am Rande des markierten Versammlungsareals der Rechten und Erzreaktionäre sicht- und hörbar zu postieren: Von dort aus konnte mit Sprechchören und diversen Lärm produzierenden Gegenständen Unruhe stiftend auf die Teilnehmer*innen und Redner*innen des verschwörungstheoretischen Auftritts eingewirkt werden.
Angemeldet worden war die Kundgebung, die sich zwar auf die ebenfalls am gestrigen Tag in anderen Städten initiierten Auftritte aus dem neu entstandenen „Widerstand 2020“-Zusammenschluss bezieht, aber ihm organisatorisch nicht subsumiert werden kann, wie schon bei den letzten drei Malen von Aktivist*innen aus dem faschistischen „Frauenbündnis Kandel – Zusammenhalt für Deutschland“; Christa Groemping aus diesem „Bündnis“ verlas die Auflagen.
Äußerst negativ aufgefallen ist gestern der Betreiber des YouTube-Kanals „W.I.M.-Wirtschaft.Information.Meinung“, der dafür live gestreamt hat: Jürgen Felger ist die ganze Zeit filmend und „interviewend“ durch die Menschenansammlungen gegangen, um dabei die anwesenden Antifaschist*innen provokativ und bedrohlich beispielsweise danach zu fragen, warum sie denn heute hier seien und wer sie bezahlen würde. Aus seiner Homepage und seinen Social Media geht eindeutig hervor, dass der Heddesheimer Diplom-Volkswirt ein glühender Verehrer explizit faschistischer AfD-Funktionäre ist. Das ist auch der Grund, weshalb er gestern immer wieder laut in seinen Live-Stream hinein brüllte, dass Antifaschist*innen „Terrorist*innen“ seien, die „verboten“ werden müssten.
Und auch sonst konnten wir in den letzten Wochen hier in Heidelberg – angefangen bei der Solidaritätskundgebung für die rechte Verschwörungstheoretikerin und vehemente Corona-Leugnerin Beate Bahner vor der Polizeidirektion am 15.04.2020 – immer wieder beobachten, dass die Klientel, die sich zu Auftritten solcherart locken lässt, aus einem mobilisierbaren Spektrum beziehungsweise Milieu stammt, das ideologisch und organisatorisch nahezu ausschließlich am äußersten rechten Rand der Parteienlandschaft und der sozialen Bewegungen zu verorten ist.
Ein von den Veranstalter*innen ausdrücklich gewolltes und teilweise sogar mit Redebeiträgen „belohntes“ Stelldichein gaben sich bisher unter anderem der NPD-Kader Jonathan Stumpf (siehe unsere Presseerklärung vom 02.05.2020), Reiner Berberich (NPD, Kandel-Demonstrationen), der NPDler Christian Mörtl, Sören Cors (AfD Edingen, „Jesus Freaks“), Michael Wenglorz (Identitäre Bewegung, Pegida, „Tag der Patrioten“), Matthias Niebel (AfD Heidelberg), Christa Groemping (Frauenbündnis Kandel) und Alice Blanck (AfD Heidelberg).
Die auf diesen Versammlungen bisher gehaltenen Redebeiträge zeigen deutlich auf, dass die Vortragenden in keiner Weise gewillt sind, auf den patriarchal disponierten Klassencharakter der staatlichen Maßnahmen zum Schutz vor der Corona-Pandemie einzugehen, und die am stärksten davon betroffenen Menschen ausschließlich dazu herangezogen werden, die so genannte Falschheit dieser „diktatorischen“ Maßnahmen zu illustrieren. Eine Verbesserung ihrer Lebensumstände wird mit keinem Wort angestrebt; und trotzdem – und das ist das Gefährliche daran – schließen sich solchen „Protesten“ auch Personen an, die in besonderem Maße durch Prekarisierung bedroht werden und auch schon vor Corona bedroht wurden. Auch sie gehen bisweilen dem wirkungsvollen Narrativ „Sorge um Grundrechte“ auf den Leim, das als „unpolitisch“ verkleidet wird.
Zwar mag nicht jede*r der bisherigen Teilnehmer*innen an diesen Kundgebungen diese aus tief empfundener Zustimmung zu rassistischen oder sozialdarwinistischen Positionen besucht haben; jedoch bleibt festzuhalten, dass auch diese Teilnehmer*innen aktiv und wissentlich dazu beitragen, solche Positionen zu normalisieren und in den Bereich des Diskutablen zu integrieren. Jegliche Hinweise auf rechte Akteur*innen werden bei Seite gewischt, mit dem Verweis, mensch sei „unpolitisch“ und wolle „den Menschen wahrnehmen, nicht die Parteizugehörigkeit“. Dies öffnet Räume für nationalistische und rassistische Propaganda, die durch fehlende Nichteinordnung als „zu äußernde Meinung“ legitimiert wird.
Die antifaschistische Szene hier in Heidelberg und Umgebung konnte gestern unter Beweis stellen, dass sie mobilisierungsfähig und selbst unter den Bedingungen bewegungsfreiheitseinschränkender Coronapandemie-Zeiten extrem reaktionäre, extrem rechte Auftritte in der Stadt massiv zu stören im Stande ist. Und zwar direkt dort, wo sie in Stellung gebracht werden.
Auch in Zeiten von Corona gilt für uns: Kein Fußbreit den Faschisten!
Text: Antifaschistische Initiative Heidelberg (AIHD/iL) | Fotos: Michael Csaszkóczy