CDU versucht Löbels Skandale wegzujubeln – politisch bleibt sie in der rechten Ecke
Die Mannheimer CDU hat nun also ihren Direktkandidaten für den Bundestag gewählt. Für Außenstehende und Menschen, die von einem MdB ein gewisses Maß an Anstand und Orientierung an irgendwelchen Werten, kurz an Seriosität erwarten, war die erneute Nominierung von Niklas Löbel dann doch überraschend. Insbesondere war es das Ergebnis von 83,9%.
Durchgestartet aus dem Sumpf
Vorausgegangen war bekanntlich eine Serie von Skandalen: Kauf eines Mehrfamilienhauses in schlechtem Zustand aber mit billigen Mieten, Entmietung, fristlose Kündigung des letzten im Wege stehenden Mieters, Neuvermietung zu Höchstpreisen – im Wahlkampf hatte er plakatiert er werde für preisgünstigen Wohnraum für Familien kämpfen. Währenddessen die unsägliche Anmietung von GBG-Drehscheibenwohnungen, um die beiden letztverbliebenen Mieter schnell aus dem Haus zu bekommen. Das Amtsgericht bescheinigt ihm, bei der Wiedervermietung vorsätzlich und sehenden Auges gegen bestehendes Recht verstoßen zu haben. Dann die öffentliche Unterstellung, der designierte Baudezernent Eisenhauer müsse ja wohl als bisheriger Mitarbeiter der GBG bei der Anmietung einer GBG-Wohnung bevorteilt worden sein – Korruptionsvorwurf also gegen die von ihm eben missbrauchte GBG, in deren Aufsichtsrat er mal saß. Schließlich die intransparente Anmietung von MdB-, Partei- und privaten Geschäftsräumen unter einem Dach, mit All-in-One-Schreibtisch für den Immobilienunternehmer, MdB, Stadtrat und örtlichen Parteivorsitzenden Löbel. Für diesen Skandal-Cocktail gab es ordentlich Gegenwind aus Parteien, Öffentlichkeit und der örtlichen Presse. Auch aus der Mannheimer CDU gibt es spektakuläre Kritik an diesen Machenschaften, verbunden mit Klagen über autokratisches Agieren in der Partei: Der stellvertretende Kreisvorsitzende Chris Rihm, einstimmig von der CDU für den Mannheimer Norden aufgestellter Landtagskandidat, und das Kreisvorstandsmitglied Andreas Pitz, Jurist und zehn Jahre lang als Richter tätig, treten eine Woche vor der Nominierungsversammlung nach Einblick in die Bücher der Kreisgeschäftsstelle mit sofortiger Wirkung von ihren Ämtern zurück. Und dann tritt plötzlich auch noch Dr. Maike-Tjarda Müller als Gegenkandidatin für die Nominierung als Bundestagskandidatin gegen Löbel an. Sie habe sich dazu entschlossen, weil sie von zahlreichen CDU-Mitgliedern in dieser Richtung angesprochen worden sei. Das skandalöse und undemokratische Verhalten von Löbel sei nicht mehr hinnehmbar, besonders seine selbstherrliche Personalpolitik. Die CDU in Mannheim brauche (erneut) einen Neustart.
Der Wille zur Macht und ein alter Löbel-Trick mit den „Lernkurven“
Sie sollte grandios scheitern. Egon Jüttner, der langjährige Vorgänger Löbels im Bundestag, schlug Müller offiziell vor. Er hatte schon bei der ersten Kandidatur von Löbel 2017 öffentlich geäußert, diese Person sei für das Amt keineswegs geeignet. Niemand ergriff auf der Wahlversammlung Wort für Frau Müller, dagegen 20 Leute für Löbel. Unter ihnen die gesamte Politprominenz der CDU in Mannheim inkl. Bürgermeister Specht (sein Kollege Bürgermeister Grötsch war ausgebremst als Versammlungsleiter) und Fraktionsvorsitzendem Stadtrat Claudius Kranz. Auch der ehemalige Kinikumsgeschäftsführer und spätere Vorstandsvorsitzende der Röhn-Klinikum AG Wolfgang Pföhler meldete sich laut Presse zu Wort.
Man hätte vermuten können, dass die „ehrbaren Kaufleute“ und Jurist*innen, seriöses Bürgertum und vielleicht sogar einige Christenmenschen und der sozialen Marktwirtschaft verpflichtete Leute innerhalb der CDU sich nach den erneuten Skandalen geschüttelt und tatsächlich einen Neuanfang unterstütz hätten (die „Froschkönig“-Affaire von 2006, in deren Gefolge der gesamte Kreisvorstand zurücktrat ist ja noch in Erinnerung). Aber nein! Am Ende stehen fast alle hinter Löbel und heben diesen eigentlich nur vom Streben nach persönlichem Erfolg angetriebenen Unternehmer-Politiker erneut auf den Schild.
Löbel hatte drei Tage zuvor in einer Pressekonferenz und diversen Interviews und dann auf der Wahlversammlung den Demütigen gegeben. „Es gab viel Kritik an mir in den letzten Wochen. Ich habe eine dramatische Lernkurve durchgemacht. Heute habe ich bei einem Pressegespräch reinen Tisch gemacht und morgen werbe ich um neues Vertrauen,“ schreibt er auf facebook., wie der fröhliche Sünder, der zwischen Bordell und Beichtstuhl pendelt. “Wir als CDU haben viel Vertrauen verspielt”, bekennt er auf der Pressekonferenz (MM 22.10.2020) Das Wort „spielen“ ist dabei vielleicht gar nicht aus der Luft gegriffen. „Und die Situation haben wir uns selbst zuzuschreiben” (RNZ 26.10.2020) „Wen er mit ‚wir‘ meint, sagt er nicht“, merkt die RNZ dazu an. „Ich habe meinen politischen Instinkt vermissen lassen”, wird er dort weiter zitiert. Das heißt ja, die Sachen waren richtig, nur die Taktik falsch. „Löbel changiert zwischen dem Eingeständnis, Fehler gemacht zu haben, und Rechtfertigungserklärungen“, beobachtet die RNZ richtig.
Ein Dejà-vu: „Ende April 2014 wurde Löbel erneut im Amt des JU-Landesvorsitzenden bestätigt. Beim Parteitag in Backnang (Rems-Murr-Kreis) hatten 174 Delegierte für ihn und 57 gegen ihn gestimmt. Gegenkandidaten gab es diesmal nicht. Nach der Wahl hatte er versichert. „Ich habe gelernt, an mir zu arbeiten.“ Zuvor war der gesamte Bezirk Südbaden unter Protest aus der JU ausgetreten, drei Landesvorstands-Mitglieder hatten ihren Rücktritt erklärt. (Stuttgarter Zeitung 28.4.2014). „Das ist nicht die Art und Weise, wie sich die Mitglieder der Jungen Union Südbaden politische Arbeit vorstellen.“ Bei der strittigen Frage, wen Baden-Württemberg als stv. JU-Bundesvorsitzenden entsenden wolle, lehnte Löbel den von den Südbadener*innen vorgeschlagenen Kandidaten mit den Worten ab: „Er müsse aufpassen, ‚dass er nicht zu viele Ämter‘ anhäufe“ (!).
2016: Die RNZ berichtet am 8.7. über die erste Kandidatur Löbels zum Direktkandidaten für den Bundestag: „Er hat inzwischen ein dickes Fell, der 30-jährige Mannheimer CDU-Kreisvorsitzende Nikolas Löbel. Auch wenn es ihn immer noch wurmt, als ‚Karrierist‘ bezeichnet zu werden. Der designierte Bundestagskandidat der Union spricht lieber von seiner Berufung zum Politiker. Der Weg zum seriösen Spitzenmann mit politischen Perspektiven war allerdings keineswegs geradlinig.
Es gab Zeiten, da wollte der Senkrechtstarter, der schon mit 23 Jahren zum Stadtrat avancierte, mit dem Kopf durch die Wand. Auf Kosten seines Jurastudiums peilte er vor fünf Jahren ein Landtagsmandat an – erfolglos. Eine bittere Erfahrung, aber sie sei nicht umsonst gewesen, betont er. “Man darf Fehler machen, wenn man daraus lernt”, sagt er.
2017 grätschte dann Jüttner mit seiner vernichtenden Einschätzung Löbels mitten in den Bundestagswahlkampf. Er konfrontierte ihn mit der Beschuldigung, er habe als JU-Vorsitzender zwei baden-württembergische MdB, u.a. Jüttner, zum Verstoß gegen das Parteienfinanzierungsgesetz aufgefordert (verdeckte Finanzierung einer Mitarbeiterstelle für die JU durch die MdB – Löbel bestritt dies und sprach von der Übernahme einer gesplitteten Halbtagsstelle durch die JU). (Stuttgarter Zeitung 5.9.2017)
Löbel soll’s richten – die CDU in Mannheim ist in traurigem Zustand. Wofür stehen Nikolas Löbel und Maike-Tjarda Müller politisch?
Dass gestandene Leute über die Allüren Löbels scheinbar mühelos hinwegsehen und sich hinter ihm versammeln, mag einen triftigen Grund haben: Die CDU leidet unter ihrer lokalen Machtlosigkeit. Grün-Rot-Rot ist der Erzfeind. Der OB ist SPD, nur zwei von fünf Dezernet*innen kommen aus der CDU. Im Landtag hat sie kein Mandat, nur im Bundestag ihren Löbel. Und der alte Kohl war ja schließlich auch nicht zimperlich.
Die örtliche Wirtschaft stützt Löbel ebenfalls. Auf dem Höhepunkt der negativen Presseberichterstattung wird ein Plakat gedruckt und noch schnell vor der Wahlversammlung aufgestellt: „Expertengespräch“ – nein, nicht über Webex, sondern über „Corona und die wirtschaftlichen Folgen“, mit den beiden Wirtchaftspräsidenten Prof. Dr. Achim Wambach (ZEW) und Manfred Schnabel (IHK Rhein-Neckar). Das Ganze im Rahmen einer Video-Konferenz über Webex – nicht besonders öffentlich. Hauptsache das Plakat mit dem weitsichtigen Wirtschaftsfachmann Löbel steht in der Stadt.
Und wofür steht Löbel nun eigentlich politisch, wenn man durch das Strampeln um die eigene Karriere hindurch sieht?
In der Wohnungspolitik steht er für die Ablehnung jeglicher Restriktionen und Steuerungsinstrumente für preiswertes Wohnen außer der Wirkung von „Angebot und Nachfrage“ – so verteidigte er ja anfangs auch sein Immobilienprojekt. Der Markt muss es richten.
Ein Wunder, dass er da nicht auf dem wirtschaftsliberalen Friedrich Merz als Parteivorsitzendem steht, der sich neuerdings als „Outlaw“ von Teilen der CDU-Führung sieht. Aber Merz war in Berlin nicht greifbar zum Anbandeln. Jens Spahn, der junge weithin anerkannte Politiker schon. Ihn unterstützt Löbel in der Parteivorsitz- und Kanzlerfrage.
2015 fiel Löbel auf dem Landestag der JU dadurch auf, dass er vehement für ein Aufnahmestop für Geflüchtete eintrat. „50 Prozent der Menschen seien keine Flüchtlinge, sondern wollten Teil des deutschen Wohlstands werden.“ (Stimme.de 10.10.2015) Die angereisten Bundespoltiker der CDU widersprachen ihm. Dazu passt, dass er im Januar die Demonstration „Mannheim sagt JA“, an der sich 10.000 Menschen beteiligten, kritisierte und dafür auch Widerspruch aus der eigenen Partei erntete. Im OB-Wahlkampf 2015 zauberte er für seine Partei den Horber OB Peter Rosenberg als Gegenkandidat zu Peter Kurz aus dem Hut. Dass Rosenberger seinen Wahlkampf völlig losgelöst von der örtlichen CDU führte und sich als engagierter Flüchtlingsfreund präsentierte, störte Löbel nicht. Dass mit diesem Wahlkampf wie schon zuvor mit dem OB-Kandidaten Wellenreuter die CDU-Parteifinanzen völlig aus dem Ruder liefen, störte ihn ebenfalls nicht. Nach heftigem Widerstand musste er die Finanzen offenlegen.
Die Position der Mannheimer CDU-Fraktion zur Buga 2023 kippte er durch eine Mitgliederbefragung in Mannheim – hier einmal ganz basisdemokratisch. Stadtplanerisch landete er einen großen Presse-Coup durch Veröffentlichung einer von der CDU in Auftrag gegebenen Studie zum Thema „Neue Innenstadt“ mit einigen Änderungsvorschlägen zur Verkehrsplanung. Hier war der Hype allerdings offensichtlich wichtiger als die tatsächliche Position. Im Wesentlichen blockt die CDU weiterhin entschiedene Schritte hin zu einer Verkehrswende.
Statt Sozialpolitik gießkannenartige „Familien“-Politik – damit steht Löbel voll und ganz in der Tradition der Mannheimer CDU, ebenso bei Law-and-Order. Ansonsten ist Programmatik nicht seine Stärke. Im Zweifelsfall immer die reaktionärere Alternative bei politischen Fragen. Soziale Marktwirtschaft, Arbeitnehmer*innenrechte, Überwindung sozialer Spaltung: Fehlanzeige. Dafür Unflätigkeiten in Gender-Angelegenheiten: „Ich bin die bessere Frau für Berlin“ fällt ihm zu seiner Gegenkandidatin Müller ein. Dass ein Versammlungsteilnehmer die Gegenkandidatin als „lahmende Ackergaulstute“ (RNZ) beleidigt, veranlasst Löbel nicht zum Einschreiten.
Und die Gegenkandidatin Müller? Sie kritisiert Löbel fast ausschließlich wegen seiner Skandalgeschichten, und wegen seines autokratischen Führungsstils, dem sie selber als Bezirksbeirätin zum Opfer gefallen war. Und sie kritisiert Löbel wegen seiner Spahn-Anhängerschaft. Sie hält Friedrich Merz für den Geeigneten.
Gar keinen Dissens gibt es bei Law-and-Order oder bei der Abwehr von Geflüchteten. Hierzu teilt sie auf facebook einen Beitrag aus dem ultrarechten Blog „Die Freie Welt“, einem Produkt des von-Storch-Clans. Auch Hans-Georg Maassen darf nicht fehlen. Das können die sympathischen Seiten wie Tier- und Naturschutz und viel Musikbegeisterung nicht aufwiegen. Ein absolut trauriges Bild! Löbels Gegenkandidatin ist eine begeisterte Anhängerin der AfD-affinen Werteunion.
Facit: Die CDU in Mannheim stützt sich auf einen karrierebesessenen jungen Konservativen. Sie verfügt offenkundig über keinen eher sozial eingestellten Flügel, der Ideen für die Entwicklung einer urbanen Gesellschaft in einem Einwanderungsland hat und der in der Lage ist, sich vernehmbar zu machen. Die CDU kann kein Mannheim. Gemeinwohlorientierung ist von dieser hör- und sichtbaren CDU nicht zu erwarten. Inzwischen hat am 28.10. denn auch Chris Rihm seinen Austritt aus der CDU-Fraktion im Gemeinderat und den Rücktritt als Landtagskandidat bekannt gegeben.
Thomas Trüper