Gedenken an die NS-Widerstandsgruppe Lechleiter

Ihr Credo war: „Hitler hat den Krieg begonnen – Hitlers Sturz wird ihn beenden!“

Am 15. September fand die alljährliche Gedenkveranstaltung zu Ehren der 1942 ermordeten Frauen und Männer der Lechleiter-Gruppe auf dem Lechleiter Platz in Mannheim statt. Wir dokumentieren die Rede der diesjährigen Hauptrednerin Karin Heinelt, Geschäftsführerin Stadtjugendring Mannheim e.V. (KIM – Bilder: Helmut Roos)

 

Karin Heinelt

„Ende Februar 1942 wurden in Mannheim 60 Menschen, Mitglieder der Widerstandsgruppe um Georg Lechleiter, verhaftet.

32 Menschen wurden angeklagt. Ihnen wurde vorgeworfen, an der Erstellung und Verteilung der antifaschistischen Zeitung der „Vorbote“ beteiligt gewesen zu sein.

22 Menschen von ihnen bezahlten ihren Einsatz für Aufklärung und Wahrheit im nationalsozialistischen Terrorregime mit ihrem Leben.

Wir haben uns versammelt um sie zu ehren.

 

Heute vor 76 Jahren wurden 14 Frauen und Männer morgens um 5:00 Uhr in Stuttgart hingerichtet.

Sie sollen unvergessen sein:

Georg Lechleiter, Jakob Faulhaber, Rudolf Langendorf, Käthe Seitz, Alfred Seitz, Philipp Brunnemer, Ludwig Moldrzyk, Anton Kurz, Eugen Sigrist, Robert Schmoll, Max Winterhalter, Daniel Seizinger, Johann Kupka und Rudolf Maus.

 

Am 24. Februar 1943 wurden in Stuttgart 5 weitere Mitglieder der Lechleiter-Gruppe hingerichtet:

Henriette Wagner, Albert Fritz, Ludwig Neischwander, Richard Jatzek und Bruno Rüffer.

Und Hans Heck, Fritz Grund und Hans Probst wurden schon vor den Prozessen im Gefängnis ermordet.

 

Kranzniederlegung am Erinnerungsdenkmal

In den Abschiedsbriefen der Lechleiter-Gruppe an ihre Lieben wird ihr Schicksal lebendig. Im Buch von Max Oppenheimer „Der Fall Vorbote“ wurden sie 1970 veröffentlicht.

Wir gedenken dieser starken Menschen und verneigen uns vor ihrem Mut.

Unsere Ehrfurcht soll auch den Hinterbliebenen gelten, die als Familienmitglieder oder Freund*innen Schwerstes zu erleiden hatten.

 

In einem Terrorregime leben und als andersdenkend und handelnd erkennbar sein.

Die Männer und Frauen der Lechleitergruppe folgten einer Idee und sie hatten die Hoffnung mit ihrem mutigen Handeln der Nazi-Diktatur schweren Schaden zufügen zu können.

Sie waren so zielbewusst, dass sie das schafften, was auf anderen Ebenen oft nicht gelang: Kommunist*innen und Sozialdemokrat*innen taten sich zusammen. Gemeinsam gaben sie ihre Hoffnung auf das baldige Ende des Krieges und damit das Ende der Schreckensherrschaft der Nazis, an die vielen Menschen in den Mannheimer Industriebetrieben weiter. Und allen war bewusst was ihnen drohen konnte.

 

Ihr Credo war: „Hitler hat den Krieg begonnen – Hitlers Sturz wird ihn beenden!“

Es waren Arbeiter*innen, Angestellte, Hausfrauen und Rentner, zumeist aus Mannheim aber auch aus Heidelberg und Ilvesheim, die die Menschen über den Rassenwahn und die Kriegs- und Expansionspolitik des Terrorregimes aufklären wollten. Über äußerst komplizierte Herstellungswege gelang es ihnen vier Ausgaben zu veröffentlichen.

 

Georg Lechleiter wird oft aus seinem Abschiedsbrief am Abend vor seiner Hinrichtung mit diesen Worten zitiert:

„Der Gedanke an den nahen Tod schreckt mich nicht. Ein Mensch, der nicht fähig ist, sich für eine Idee aufzuopfern, ist einem höheren Sinn nach kein Mensch. Ich tat das mit meinen Freunden, was erst den Menschen ausmacht – leiden für eine Idee, wie sie zum Leben gehört. (…)“

Käte Seitz schreibt am 6.9.1942 an ihre Tochter:

„Mag es kommen wie es will mein Herzelieb, Du brauchst Dich um Deine Mutter nicht zu schämen. Du kennst mein stetes Bestreben, die Menschheit mit Liebe zu befreien und zu beglücken, und ich habe es mit viel Erfolg in nächster Umgebung versucht. (…)“

 

Wir haben alle die Verpflichtung, das Erinnern und Gedenken fortzuführen – und das nicht allein aus Tradition, sondern vor allem um das Damals zu verstehen und daraus Lehren für unser Handeln im Hier und Jetzt und unsere gemeinsame Zukunft zu ziehen. Je weiter die Vergangenheit weg zu rücken scheint, desto entschiedener müssen wir gegen das Vergessen ankämpfen. Gerade wenn man zu hören bekommt: „Es müsse doch mal gut sein.“, sagen wir: Nein! Es ist nicht gut, solange Hass und Rassismus in den Köpfen von Menschen stecken und offen zutage treten, wie aktuell wieder vielerorts.

 

So wichtig wie die heutige Gedenkstunde ist ebenso die Aufrechterhaltung und lebendige Gestaltung von Erinnerungsorten. Deshalb engagieren wir, der Stadtjugendring, uns gemeinsam mit dem Marchivum / Institut für Stadtgeschichte der Stadt Mannheim für die KZ-Gedenkstätte Sandhofen, sein Arbeitskreis leistet hier für Mannheim Großes. Den ehrenamtlich Aktiven gilt unser innigster Dank für das große Engagement. Wir dürfen Orte wie diesen nicht dem Nebel des Vergessens anheimgeben, sondern müssen aufmerksam und mutig sein, wenn es darum geht, unseren ganz spezifischen Erinnerungsort in Mannheim zu pflegen, für die Zukunft weiterzuentwickeln und für kommende Generationen zu erhalten.

 

Anders ist es mit dem antifaschistischen Widerstand, der keinen eindeutigen Ort des Grauens in Mannheim hat. Aber wir stehen hier auf dem Georg-Lechleiter-Platz, der diesen Namen seit 1945 trägt und erinnern dank der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes und dem Offenen antifaschistischen Treffen jedes Jahr hier am Denkmal mitten in der Stadt an den Mut der Widerstandskämpferinnen und -kämpfer der Lechleiter-Gruppe. Der Mannheimer Bildhauer Professor Manfred Kieselbach hat dieses Denkmal 1988 geschaffen.

 

Als Vertreterin des Stadtjugendrings ist es für mich eine Ehre und eine Herzensangelegenheit hier sprechen zu dürfen, vielen Dank dafür.

Im Jahr 1946 wurde auf Verlangen der US-Besatzungsmacht in Mannheim ein deutsches Jugendsekretariat geschaffen. Die Folgen der Gleichschaltung sämtlicher Jugendaktivitäten waren Mahnung dafür, der kommunalen Jugendarbeit eine selbstorganisierte und werteorientierte zur Seite zu stellen.

Zu den Aufgaben des Jugendsekretariats gehörte die Beratung und Zulassung von wiederaktivierten Jugendverbänden, die während der Nazizeit verboten waren: evangelische und katholische Jugend, Sozialistische Jugend – Die Falken, kommunistische Jugend, Naturfreundejugend, Gewerkschaftsjugend, Sportjugend und freireligiöse Jugend. Fritz Salm schreibt im Buch „Im Schatten des Henkers“ 1979, dass der Sohn Lechleiters, Jacques Lechleiter, im kommunistischen Jugendverband als Organisationsleiter aktiv war.

In den zurückliegenden 75 Jahren hat sich viel bewegt, doch der Förderauftrag demokratischer Strukturen und pluraler Werteorientierung steckt nach wie vor im Bestreben des Stadtjugendrings. Seine Mitgliedsverbände, als Selbstorganisationen tragen aktiv zur Demokratiebildung und einem Zusammenleben in Vielfalt in unserer Stadt bei.

 

Die Auseinandersetzung mit anderen und ihren verschiedensten Lebensauffassungen und Lebenspraxen ist die Kernaufgabe unserer Arbeitsgemeinschaft und sie positioniert sich gegen jede Form von Ausgrenzung und Diskriminierung, gegen Antisemitismus, gegen Rassismus, gegen Sexismus, gegen antimuslimische Haltungen, gegen Antiziganismus, gegen Behindertenfeindlichkeit, gegen Klassismus und alle weiteren Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit.

Unsere Vielfalt ist Aufgabe und Herausforderung. Nur ein respektvoller Dialog und Austausch bildet unsere demokratische Gesellschaft – nicht Diffamierung, Diskriminierung und dumpfe Hetze.

Der Auftrag des Stadtjugendrings bis heute lautet, junge Menschen darin stärken, sich für ihre Interessen einzusetzen und sich in diesem Prozess mit anderen auszutauschen und um beste Lösungen zu ringen und Verantwortung zu übernehmen. Diese Form des demokratischen Handelns schafft Anerkennungs- und Zugehörigkeitserfahrungen und ist damit entscheidend für eine antirassistische Grundhaltung.

 

Momente der Erinnerung an die Opfer und Auseinandersetzung mit dem Grauen des Nationalsozialismus in der deutschen Geschichte sind wichtige Voraussetzungen dafür, dass Vergleiche und Relativierungen des nationalsozialistischen Unrechts aus der Mitte der Gesellschaft heraus, die immer wieder eine Fortsetzung finden, erkannt und bekämpft werden können. – Das   Nie wieder!   darf nie aufhören, das Schicksal der Mannheimer Widerstandskämpferinnen und -kämpfer macht dies uns und nachfolgenden Generationen zur Pflicht.

 

Mit dem Bündnis „Mannheim gegen Rechts“ ist es gelungen eine Vielzahl an Positionen nebeneinander im gemeinsamen Ziel gegen Nazis, Rassisten und Rassistinnen zu vereinen. Das ist der richtige Weg dahin, allen Feinden unserer Demokratie die Grenzen zu zeigen.

 

Aber:

Wo stehen wir, wenn eine Bewegung, die unser politisches System als Diktatur verunglimpft, ihre Anhänger dazu aufruft Schulen zu gründen, um ihre Sicht auf die wahren Machtbeziehungen in unserer Gesellschaft und der Welt zu verbreiten?

Wo stehen wir, wenn Menschen aufgrund ihres SoSeins auf offener Straße ermordet werden?

 

Wo stehen wir, wenn das Bekenntnis Antifaschistin zu sein, nicht in der Mitte der Gesellschaft zu finden ist?

 

Wo stehen wir, wenn Jüdinnen und Juden Angst haben in ihrem Glauben erkannt zu werden?

Wo stehen wir, wenn Hate Speech und Fake News zum gesellschaftlichen Alltag gehören?

Wo stehen wir, wenn Abgeordnete einer Partei, die sich in ihrem Wesenskern gegen die Demokratie und unsere freiheitliche Ordnung wendet, in unseren Parlamenten sitzen?

 

Wir können keins der beschriebenen Phänomene mit der Situation während der Nazi-Herrschaft vergleichen, dies verlangt unser großer Respekt und unsere Ehrfurcht gegenüber den Widerstandskämpferinnen und -kämpfern der Lechleiter-Gruppe und allen Opfern des nationalsozialistischen Terrorregimes.

Wir müssen aber aufmerksam sein und alles dafür tun, dass unsere Demokratie Angriffen gegenüber wehrhaft bleibt.

Es gibt für alle etwas zu tun, in Bündnissen, Zuhause, am Arbeitsplatz, im Verein, in der Schule, in der Nachbarschaft, an Universitäten, in Behörden, auf der Straße.

 

Lasst uns das Erbe weiterführen.

Für Frieden und Verständigung, für Gerechtigkeit und Solidarität.“