Kundgebungen zum Ukraine-Krieg: Die Waffen nieder oder die Waffen in die Ukraine?

Am Donnerstagmorgen begann der Angriff der russischen Streitkräfte auf die Ukraine – ein Schock für ganz Europa. Überall gehen die Menschen auf die Straße gegen den Krieg, auch in Mannheim. Hier gab es bereits mehrere Kundgebungen auf denen sehr unterschiedliche Forderungen erhoben wurden. Von „Die Waffen nieder“ und „Abrüsten“ bis zu „Aufrüsten“ und „Waffen in die Ukraine“. Anhand zweier Veranstaltungen stellen wir die Positionen gegenüber.

Kundgebung der Grünen-Stadträte am Freitag: „Stoppt Putin“

Die erste Veranstaltung fand bereits am Tag des Angriffs statt. Mannheimer Parteijugendverbände der Regierungskoalition von SPD, Grüne und FDP hatten dazu aufgerufen. Einige hundert Menschen kamen spontan zum Paradeplatz.

An Tag 2 des Krieges mobilisierten Politiker*innen der Grünen zu einer Kundgebung, Motto „Stoppt Putin“, zum Toulonplatz. Dort war das Gebäude der Reiss-Engelhorn-Museen blau-gelb angeleuchtet, um Solidarität mit der Ukraine zu zeigen. Es dürften mehr als tausend Menschen auf dem Platz gewesen sein.

Gerhard Fontagnier

Eine große Zahl von Redner*innen traten auf die Bühne. Die Grünen-Stadträt*innen Chris Rihm, Angela Wendt und Gerhard Fontagnier moderierten die Veranstaltung. Gerhard Fontagnier sagte, man habe sich heute versammelt, um den Frieden in Europa zu verteidigen. Man wolle aber auch um die ersten Opfer des Krieges trauern. Es fand eine Gedenkminute statt. Chris Rihm sagte, es zerreiße ihm das Herz. Er bezeichnete Putin als Kriegsverbrecher und unberechenbaren Despoten. Als ehemaliger Kriegsdienstverweigerer habe er nie gedacht, dass er einmal froh über die „starke Ostflanke“ der NATO sei. Man müsse seine Gedanken dazu noch einmal neu bewerten.

Neben Politiker*innen und Aktivist*innen sprachen auch direkt betroffene Menschen aus der Ukraine und aus Russland, mit Verwandtschaft im Kriegsgebiet.

Hunderte Menschen auf dem Toulonplatz

Forderung nach militärischer Unterstützung für die Ukraine

Andreas Kaprocki

Andreas Kaprocki vom Vorstand des Dachverbands der ukrainischen Organisationen in Deutschland e.V. bedankte sich bei der Anwesenden für die Unterstützung und Empathie. Er sagte, er werde heute nicht über Frieden sprechen, denn es herrsche Krieg und „Hammer und Sichel“ unter russischer Trikolore bedrohe Europa und die Ukraine. Er verglich den russischen Angriff mit dem Angriff Nazi-Deutschlands auf England. Man müsse nun den Menschen helfen, die ihr Land verteidigen wollten. Neben Geldspenden geht es ihm vor allem um militärische Unterstützung. Außerdem forderte er auch einen Ausschluss Russland aus dem SWIFT-Finanztransaktionssystem, wofür er viel Beifall bekam.

Telefonat in die Ukraine

Eine Rednerin organisierte ein Telefonat mit einem ukrainischen Vize-Bürgermeister. Sie übersetzte spontan. Er berichtete von der Angst der Bevölkerung vor den russischen Luftschlägen und wie sie unter schwierigen Bedingungen den Schutz der Bevölkerung organisierten.

Otto Reger

Als Otto Reger vom Friedensbündnis seine Rede hielt, rief er zum Ende aller Kampfhandlungen, zu Abrüstung und zur Rückkehr zu Gesprächen und Diplomatie auf. In den vorderen Reihen gab es Buh-Rufe. Die Rede wurde zum Teil gestört von Rufen nach Waffen für die Ukraine. Moderator Gerhard Fontagnier wies darauf hin, dass dies nicht die Meinung der Veranstalter gewesen sei, dass aber auch anderer Meinungen gesagt werden dürften.

Humanitäre Hilfe und nicht-militärische Druckmittel

Elina Brustinova

Elina Brustinova vom Stadtjugendring sprach als Ukrainerin ebenfalls aus einer Position der persönlichen Betroffenheit. Es käme ihr vor, als wäre sie in einem nicht enden wollenden Alptraum gefangen. Sie bezeichnete Putin als nationalistischen Despoten, der hemmungslos moralische Grenzen verschiebe. Unsere Aufgabe sei es nun, für die vielen hunderttausend Menschen da zu sein, die nun auf der Flucht seien, humanitäre Hilfe zu leisten, dazu dürfe es keine zwei Meinungen geben.

Peter Kurz

Einen Redebeitrag gab es auch von Oberbürgermeister Peter Kurz der die partnerschaftliche, zivile Zusammenarbeit der Städte in Europa heraus hob und deren Bedeutung für die Menschen in Krisenzeiten darstellte. „Als Städte wollen und können wir helfen.“ Auch dieser Redebeitrag wurde mehrmals von Rufen nach Waffen gestört. Kurz sprach sich für nicht-militärische Mittel und humanitäre Hilfe aus, aber auch für Sanktionen. Man müsse erreichen, dass der Preis für Putin für den Krieg zu hoch werde. Die indirekte Finanzierung des Krieges müsse enden.

Weitere Beiträge gab es unter anderem von Vertreter*innen der Parteien SPD, CDU, FDP, DIE LINKE, Mannheimer Liste. Die Veranstalter hatten nicht nur Probleme mit den zahlreichen, langen Beiträgen und Regenwetter. Auch unangemeldete Redner*innen wollten das Mikrofon für sich haben, um ihrer Wut Ausdruck zu verleihen. Der Veranstalter*innen musste der aufgebrachten Menge Zugeständnisse machen, um die Situation zu deeskalieren. So kam es leider auch zu Beiträgen und Sprechchören, die nicht im Sinne einer Kundgebung für den Frieden waren und zu Drohungen gegen die Veranstalter*innen.

Weitere Bilder von der Kundgebung am Freitag


 

Kundgebung des Friedensbündnis am Samstag: Für Friedenspolitik statt Krieg!

Dass sich auf der Kundgebung des Friedensbündnis auf den Mannheimer Kapuzinerplanken statt zunächst angemeldeten 50 Menschen fast 400 versammelten, war natürlich der aktuellen Wendung des Ukraine-Konflikts geschuldet. Auch die Veranstalter waren überrascht von der aktuellen Entwicklung, dass Russland und dessen Präsident Putin nun seine Truppen in einen direkten Krieg gegen die Ukraine und damit den Konflikt auf dramatische Weise führt und somit diesen Konflikt auf seine Art militärisch lösen.

Nalan Erol

Nalan Erol, Stadträtin für die LINKE im Mannheimer Gemeinderat und bei DIDF aktiv, moderierte der Veranstaltung.

Roland Schuster, der für das Friedensbündnis Mannheim die einleitende Rede hielt, forderte, dass sich die russischen Truppen unverzüglich aus der Ukraine zurückziehen müssten. Dies sei eine Grundvoraussetzung, damit Gespräche zwischen den Kriegsparteien wieder möglich werden.

„Was uns und unsere heutige Kundgebung aber unterscheidet von manch anderer Veranstaltung, die in diesen Tagen stattfindet, ist: Wir wollen nicht, dass die militärische Eskalationsspirale noch weiter gedreht wird von allen Seiten. Wir müssen alles, was uns möglich ist, tun, um diesen Krieg zu beenden. Die Gefahr eines noch viel größeren Krieges, eines Weltkrieges ist real. Auch deshalb muss dieser Krieg sofort beendet werden.“ (hier die ganze Rede von Roland Schuster)

NATO-Aufrüstung ist mitverantwortlich für die Situation

Der Westen habe eine Mitverantwortung für die jetzige Situation. Stichwort: Die kontinuierliche NATO-Osterweiterung seit 1991 und die militärische Aufrüstung der NATO-Staaten an der russischen Grenze.

Auch die Bundesregierung habe ihre Mitverantwortung daran, dass MINSK 2 gescheitert sei. Noch im Januar haben ukrainische Politiker, u.a. im Beisein mit der deutschen Außenministerin Baerbock, sich strikt gegen MINSK 2 ausgesprochen.

Letztendlich gäbe es aber nur eine Alternative: Rückzug der Truppen und ein Zurück zum Verhandlungstisch. Diese Auffassung teilten auch alle anderen Redner*innen.

Altstadtrat Thomas Trüper, der der Friedensbewegung seit vielen Jahren verbunden ist, resümierte:

„Wenn wir in die Zukunft schauen, dann ist es die Aufgabe der Friedensbewegung, die einst erhoffte „Friedensdividende“ nach der Selbstauflösung des Warschauer Paktes und dem eigentlich fälligen Ende der NATO und des Kalten Krieges mit größtem Nachdruck zu verlangen. Ohne Interessenausgleiche kann eine multipolare Welt im Umbruch nicht existieren. Die Hirne vieler westlicher imperialistischer Politiker sind nicht weniger gestört als das Hirn Putins, der möglicherweise seinen Zenit längst überschritten hat.“

Trüper hielt zielgerichtete Sanktionen gegen Russland für gerechtfertigt und notwendig. Schuster sprach sich namens des Friedensbündnisses gegen Sanktionen aus, da sie vor allem die Bevölkerung leiden lässt und politisch nichts Positives bewirken. (Hier die ganze Rede von Thomas Trüper)

Inan Bahadir sprach für die Jugend der Föderation demokratischer Arbeitervereine DIDF. Er verlas den Aufruf der Bundesorganisation „Das ist nicht unser Krieg – Frieden jetzt sofort“.

Ullrich Peckholt, Arzt und engagiert für die „Internationalen Ärzte für die Verhinderung des Atomkrieges“, warnte vor den Gefahren eines Atomkrieges. Er forderte, dass die Stadt Mannheim Wohnungen für Ukraine-Flüchtlinge in den Kasernen des Columbus-Quartier zur Verfügung stelle.

Laura Knittel, Gemeindepfarrerin in der Neckarstadt, sprach für die Evangelische Kirche Mannheim. Sie brachte einen ethischen Ansatz zur Sprache. Sie erinnerte an die Leiden der Menschen in einem Krieg. An den „Mythos der Gewalt“ dürfe man sich auch hier in Deutschland nicht gewöhnen.

Last but not least umrahmte der Musiker Bernd Köhler die Veranstaltung am Anfang und am Ende mit zwei Liedern. Besonders eindrucksvoll war sein extra für die Kundgebung entstandener Songtext „Nie wieder Krieg“.

Weitere Bilder von der Kundgebung am Freitag


 

Fazit: Geschichte wiederholt sich

Es ist absolut verständlich, dass die Reaktionen zum Ukraine-Krieg Schock und Angst auslösen. Auf einmal ist der Krieg fast vor der Haustür und die Menschen in Deutschland sind direkt bedroht, in den Konflikt hinein gezogen zu werden. Die Gefahr eines Dritten Weltkriegs – inklusive Atomwaffen – ist auf einmal real. Aber neu ist das nicht, es war nur lange nicht so bedrohlich.

Der Ukraine-Krieg ist keinesfalls der erste Krieg in Europa seit 1945. Ende der 90er Jahre bombardierte die NATO das ehemalige Jugoslawien. Putin begründet seine Militäroperation mit fast identischen Worten, wie es damals die NATO-Sprecher*innen taten.

Schaut man die Jahre zurück, gibt es viele solcher Kriege, die allesamt ähnlich begründet wurden: Bedrohliche Sicherheitslage, Gefahr eines Völkermords, illegitime Regime, die beseitigt werden müssten. Natürlich darf man Putins Kriegspropaganda nicht glauben. Aber auch zur Begründung des Irak Krieges wurde nachweislich vom Außenminister eines NATO-Staates gelogen – übrigens mit „Beweisen“, die deutsche Geheimdienste beschafft hatten. Nun führt Putin die NATO vor, in dem er ihre Strategie zur Erfüllung der eigenen Ziele kopiert.

Der Ruf nach Waffen setzt sich durch

Nach einem Wochenende voller Kundgebungen (mehr als 100 000 Menschen sollen es am Sonntag alleine in Berlin gewesen sein) wissen wir nun, dass sich die lauten Rufe nach Waffen durchgesetzt haben. Die Stimmen für Abrüstung und nicht-militärische Konfliktlösung waren zu leise. Die Bundesregierung hat einen Kurswechsel vollzogen. Die ursprünglich von Trump erhobene Forderung wurde nun doch erfüllt: Deutschland will mindestens 2% des Bruttoinlandsprodukts für die Militarisierung ausgeben. Der unwirklich klingende Betrag von 100 Milliarden Euro wurde von Scholz für Militärausgaben versprochen. Panzerfäuste und Stingerraketen werden kurzfristig an die Ukrainischen Streikkräfte ins Kriegsgebiet geliefert. Dort wird das ganze Land mobilisiert. Es werden Waffen an die Bevölkerung ausgeteilt, sogar Strafgefangene kommen aus den Gefängnisse frei, wenn sie sich zum Dienst an der Waffe verpflichten. 18-60 jährigen Männern ist die Ausreise verboten, ein heroischer Kampf wird beschwört.

So viel scheint an Tag 5 nach dem Angriff sicher: Der Krieg wird lange dauern, blutig werden und viele Opfer fordern. Die Chancen für Deeskalation sind schlecht geworden. Ein Ausbreiten des Krieges auf weitere NATO-Staaten inklusive Deutschland ist eine reale Gefahr. Die Vergangenheit hat uns wieder eingeholt.

(Text: cki/scr / Bilder: cki/hr)

 

Siehe auch

Die Redebeiträge der Veranstaltung des Friedensbündnis sind auch beim Freien Radio Bermuda.funk nachzuhören