Kommentar: Sofortiger Waffenstillstand in der Ukraine! Krieg löst keine Probleme!

Kommentar unseres Redaktionsmitglieds und Altstadtrat Thomas Trüper, DIE LINKE, Fraktion Li.PAR.Ti. Der Kommentar wurde als Redebeitrag bei der Kundgebung des Friedensbündnis Mannheim am 26. Februar 2022 gehalten.

Sofortiger Waffenstillstand in der Ukraine! Krieg löst keine Probleme!

Der völkerrechtswidrige Angriff der Russischen Föderation unter Putin gegen die Ukraine vor drei Tagen war und ist neben allem Anderen auch ein totaler Kulturschock: Eben noch flanierten die Menschen in Kiew durch die Straßen, shoppten und gingen in die Bars, und 24 später müssen sie U-Bahntunnel und Parkhäuser als Luftschutzkeller aufsuchen. Von drei Seiten greift Putin an. Es gibt sofort Tote und Verletzte. Wohnhäuser stehen in Flammen, zig-tausende Menschen auf der Flucht. Dieser Krieg geht uns besonders nahe, wohl wissend, dass es in vielen Teilen der Welt ständig und auch aktuell furchtbare Kriege gibt.

Putins Kriegserklärung

Unvorstellbar, wie Putin das verbrecherisch umsetzt, was er eigentlich bereits vor einem Jahr in einem Aufsatz geschrieben und vor drei Tagen in seiner Kriegserklärungsrede nochmal formuliert hat:

Die Ukraine bestehe aus „unseren eigenen historischen Gebieten“ und sei somit gar kein legitimer eigener Staat. Das ist blanker Revisionismus mit völkischem Grundton. Als Kriegsziel formuliert Putin für seine sogenannte „besondere militärische Operation“:

„Wir haben nicht vor, die ganze Ukraine zu besetzen, aber sie zu demilitarisieren“ und: „wir versuchen, die Ukraine (…) zu entnazifizieren und diejenigen vor Gericht zu bringen, die zahlreiche blutige Verbrechen gegen die Zivilbevölkerung, einschließlich russischer Bürger, begangen haben.“

Mit Letzterem meint Putin den seit acht Jahren währenden sezessionistischen Krieg im Donbass, in dem unterschiedliche Milizen einschließlich der berüchtigten russischen Privatarmee „Gruppe Wagner“ die Bevölkerung terrorisieren. Was Putin ankündigt ist GovernmentChange, diesmal auf russisch. „Demilitarisierung“ will in diesem Fall heißen: Angliederung an die Russische Föderation. Und „Entnazifizierung“ ist von Putins völkischem Standpunkt aus eine glatte Pervertierung des Begriffs.

Schwierige Geschichte der Ukraine

Ja – die Ukraine hat in ihrer schwierigen Geschichte teilweise Kollaboration mit der Nazi-Wehrmacht hinter sich. Und in die Geschehnisse auf dem Maidan griffen faschistische Kräfte ein, die von einer „Entrussifizierung“ der Ukraine träumten. Die „sozial-nationalistische“ Partei Swoboda schaffte es 2014 in die Regierungskoalition und stellte Minister.

Aber das ukrainische Volk wählte 2019 den russischsprachigen jüdischstämmigen Ministerpräsidenten Wolodymyr Selenskyj. Ihn als drogensüchtigen Nazi hinzustellen wirft die Frage auf, welche Drogen Putin eigentlich zu sich nimmt.

Dass Putin heute Selenskyj zu „Verhandlungen“ über die Demilitarisierung nach Minsk, in die Hauptstadt des Mitaggressors Belarus, einlädt, ist der platte Versuch, die Kriegsziele direkt durchzusetzen einschließlich das Verschwinden Selenskyjs zu organisieren, ihn „vor Gericht zu bringen“.

Die Tragödie der Ukraine, seit sie sich 1991 zum selbstständigen Staat erklärt hat, ist, dass West und Ost an ihr zerren mit schwankenden Auswirkungen auf die ukrainische Politik.

Man könnte überspitzt sagen: Die US-Präsidenten und Putin haben den gleichen Berater: Gemeint ist Zbigniew Brzeziński. Er veröffentlichte 1997 sein Buch: „Die einzige Weltmacht“ – womit er die USA meint, für die er die Kontrolle des Kaspischen Beckens zur Schicksalsfrage erklärt.

Die Ukraine bezeichnet Brzeziński als geopolitischen „Dreh- und Angelpunkt“: „weil ihre bloße Existenz als unabhängiger Staat zur Umwandlung Russlands beiträgt. Ohne die Ukraine ist Russland kein eurasisches Reich mehr. Wenn Moskau allerdings die Herrschaft über die Ukraine (…) wiedergewinnen sollte, erlangte Russland automatisch die Mittel, ein mächtiges Europa und Asien umspannendes Reich zu werden.“

Beide Machtblöcke richten sich jeweils in ihrem Interesse danach. Obama verspottete seinerzeit Russland als eine „Regionalmacht“. Der Untergang der UdSSR und die Selbstauflösung des Warschauer Paktes versetzte den Westen in einen Siegesrausch. Die Idee einer multipolaren Welt lag ihm absolut fern.

Ist es versponnene Phantasie wenn wir uns kurz einmal vorstellen, wie es in den letzten 30 Jahren auch hätte weitergehen können?
Die 2014/15 konstituierte Eurasische Wirtschafsunion, deren Vorläuferin Eurasische Wirtschaftsgemeinschaft 2000 von Kasachstan ausging, und die Europäische Union hätten in gegenseitiger Achtung und im Sinne eines Interessenausgleichs in einem ungebundenen Staat Ukraine eine prosperierende Drehscheibe zwischen beiden Bündnissen bekommen können. Utopie??

Die internationale postsowjetische Geschichte muss aufgearbeitet werden

Am 25. September 2001, kurz nach 9/11, eineinhalb Jahre nach seinem Machtantritt, hielt ein gewisser Wladimir Putin vor dem Deutschen Bundestag in deutscher Sprache eine Rede, die das Plenum mit stehendem Applaus quittierte. Darin führte er u.a. aus:

„Ich bin der Meinung, dass Europa seinen Ruf als mächtiger und selbstständiger Mittelpunkt der Weltpolitik langfristig nur festigen wird, wenn es seine eigenen Möglichkeiten mit den russischen menschlichen, territorialen und Naturressourcen sowie mit den Wirtschafts-, Kultur- und Verteidigungspotenzialen Russlands vereinigen wird.“

Und Putin ergänzt:

„Für unser Land, das ein Jahrhundert der Kriegskatastrophen durchgemacht hat, ist der stabile Frieden auf dem Kontinent das Hauptziel. Wie bekannt, haben wir den Vertrag über das allgemeine Verbot von Atomtests, den Vertrag über die Nichtverbreitung von Kernwaffen, die Konvention über das Verbot von biologischen Waffen sowie das START-II-Abkommen ratifiziert. Leider folgten nicht alle NATO-Länder unserem Beispiel.“

21 Jahre später, in seiner Kriegserklärung gegen die Ukraine beklagt Putin, fast winselnd:

„Es ist bekannt, dass wir in den vergangenen 30 Jahren beharrlich und geduldig versucht haben, mit den führenden Nato-Ländern eine Einigung über die Grundsätze der gleichen und unteilbaren Sicherheit in Europa zu erzielen. Als Antwort auf unsere Vorschläge (…) [hat sich] sich das Nordatlantische Bündnis trotz all unserer Proteste und Bedenken immer weiter aus[ge]dehnt.“ Seine Kriegserklärung schließt mit dem irren Satz: „Ich hoffe, dass ich gehört werde.“ Das ICH eines Autokraten.

Putins Klage ist berechtigt, aber sie berechtigt ihn in keinster Weise zu dem jetzigen Krieg.

Aber leider muss man feststellen: Die Kategorie der „friedlichen Koexistenz“, die aus dem Kalten Krieg stammt, hätte in den letzten 30 Jahren mehr Beachtung gebraucht. Und vor allem den Respekt vor dem Völkerrecht und vor den Vereinten Nationen.

Die Sezessionistische Zerlegung Jugoslawiens mit dem anschließenden Kosovokrieg der NATO 1998/99 („Krieg in Europa!“) ebenso wie der völkerrechtswidrige Irakkrieg 2003 mit der Belügung der UN durch die Bush-Regierung zeugen nicht von der Qualität, die eine friedliche Außenpolitik benötigt:

Militarismus und Krieg lösen keine Probleme

Grundvoraussetzungen einer friedlichen Außenpolitik:

  • Achtung der Territorialen Unversehrtheit der Staaten,
  • Lösung von Interessenkonflikten auf dem Wege der Diplomatie und friedlicher Verhandlungen,
  • gegenseitige Achtung auf Augenhöhe.

Zwei letzte Anmerkungen nach Putins Wahnsinnstat:

  1. Es ist m.E. in diesem krassen Fall legitim und notwendig, Putin wirtschaftlich mit gezielten Sanktionen unter Druck zu setzen, bei allen bekannten Nebenwirkungen solcher Sanktionen.
  2. Die mit Macht nun wieder auferstehenden militaristischen Narrative sind entschieden zurückzuweisen, nämlich:
    Nur Aufrüstung könne Frieden sichern
    Auf Verhandlungen sei es sinnlos zu setzen, und wenn schon, dann nur bis an die Zähne bewaffnet.
    Auch heute und gerade in der durch Putins Krieg gegen die Ukraine furchtbar angespannten Situation ist dagegen festzuhalten:

Frieden kann es nur durch diplomatische Konfliktlösung auf dem Boden des Völkerrechts geben.

Und genau deswegen fordern wir auch heute, am dritten Tag dieses abscheulichen Krieges:

  • Sofortige Einstellung der Kampfhandlungen!
  • Die Waffen nieder!
  • Sofortigen Abzug aller fremden Truppen!
  • Sofortige Verhandlungen unter dem Dach der Vereinten Nationen, unter Beteiligung aller Konfliktparteien.
  • Die Alternative wäre das Risiko eines Dritten Weltkrieges. Dies ist keine Alternative!

Es geht auch heute um Frieden für alle Völker! Und insbesondere natürlich um Frieden für die Ukraine.

Deshalb: Die Waffen nieder! Sofort!