Normannia-Prozess – Alkohol, Gedächtnislücken, Täterschutz
Am 23. November 2022 kam es zum zweiten Verhandlungstag im Normannia-Prozess, in dem vier Burschenschafter, darunter zwei der Normannia Heidelberg, wegen gefährlicher Körperverletzung und Beleidigung angeklagt sind.
Die vier Angeklagten sind die letzten, deren Tatbeteiligung beim antisemitischen Angriff vor zwei Jahren auf dem Haus der Burschenschaft geklärt werden soll – andere haben bereits Strafbefehle akzeptiert oder werden vom Gericht nicht mehr als Tatverdächtige betrachtet. Verteidigt wurden alle vier durch Anwälte, die sich durch ihr gerichtliches Eintreten für Nazis einen Namen in der rechten Szene gemacht haben. Wie die Angeklagten entstammen auch sie extrem rechten Burschenschafts-Netzwerken. Zwei der Anwälte arbeiten in derselben Kanzlei, in der mittlerweile auch einer der am Tatabend anwesenden Normannen arbeitet. Der gescheiterte Nazi-Rapper Patrick B. hatte in der Tatnacht im Haus der Normannia in seinen Geburtstag gefeiert und ist durch seine Aktivitäten in der “Identitären Bewegung” (IB) bekannt.
Heidelberger Antifaschist*innen, die mit knapp 40 Personen fast den ganzen Zuschauer*innensaal ausfüllten, hatten also viele Gründe, den Prozess zu verfolgen. Die Angeklagten von der Burschenschaft Normannia, André R. und Luis S., die mit dem Geschädigten vor dem Angriff befreundet waren, sind ebenfalls bekannte Gesichter: auch außerhalb der Neonazi-Villa der Normannen sind beide durch Aktivitäten für die IB und die AfD in Erscheinung getreten.
Die meisten der geladenen Zeug*innen wollten wenig bis nichts zur Aufklärung der Tatbeteiligung beitragen, was die Vorsitzende Richterin sichtlich provozierte. Gedächtnislücken, zu viel Alkohol, lange her: Niemand hat etwas mitbekommen, alle waren zu betrunken, Pizza essen oder am Tatabend nicht zugegen. Wenn überhaupt versuchten die Zeug*innen, die Angeklagten zu entlasten und verstrickten sich dabei in Widersprüche und Falschaussagen, die möglichwerweise Folgeverfahren nach sich ziehen werden.
Besonders stach dabei der damalige Vorstand der “Alten Herren”, Gunnar H. hervor: Obwohl er erst gegen 22 Uhr zur Feier kam, erinnert sich der trinkfeste Normanne bereits ab 0 Uhr an nichts mehr. So ein Zufall, ereignete sich der antisemitische Angriff erst gegen 1 Uhr.
Ein anderer korporierter Zeuge, Lars B., gab erst auf Nachfrage der Nebenklage zu, den Geschädigten kurz nach dem Vorfall auf dem Haus einer anderen Verbindung zum “Kontrahieren” (=Fechten) herausgefordert zu haben, da dieser seine Anzeige nicht zurückgezogen hatte.
Ein Moment, der im Zuschauerraum für Unruhe sorgte, war die Verlesung von Auszügen der Chatnachrichten, die sich die Zeugin Larissa G. und Luis S. hin- und hergeschickt hatten. Eines davon war ein Bild eines Wehrmachtssoldaten mit Maschinengewehr, das mit “Lehnt 1400 Asylanträge pro Sekunde ab” betitelt war. Die 23-jährige Jura-Referendarin muss möglicherweise auch mit einem Folgeverfahren rechnen. Auch Rochelle L. verstrickte sich beim Versuch, ihren Freund André R. zu entlasten, so stark in widersprüchlichen Aussagen, dass sie wahrscheinlich mit einem juristischen Nachspiel rechnen muss.
Insgesamt gibt der Prozess weitere Einblicke in ein Weltbild, das geprägt ist von Männlichkeit, Gewalt und Korpsgeist. Nazi-Memes sind hierbei nur die Spitze eines braunen Haufens, der auch nach der Auflösung der Aktivitas seine Netzwerke aufrechterhält. Klar ist: die damaligen Aktiven der Normannia pflegen auch nach dem Vorfall ihre Kontakte zu anderen Verbindungen und Burschenschaften.
Die Mauer des Schweigens, auf die die Ermittler*innen geprallt sind, wird das Nachweisen einer Tatbeteiligung erschweren. Interessant werden in den nächsten Prozessen mehrere Zeug*innen, die ebenfalls mit lokalen Nazi-Strukturen verbunden sind. Darüber hinaus wird ein Zeuge zu hören sein, der am Tatabend anwesend war und den Versionen der Normannen eindeutig widerspricht.
Der nächste Verhandlungstermin ist Montag, der 5. Dezember, 9 Uhr, Amtsgericht Heidelberg.
Antifaschistische Initiative Heidelberg / iL