So geht’s!! Übernahme der Mietshäuser in Selbstverwaltung! Veranstaltung des Mietervereins Mannheim mit Praxisbeispielen
Am 14.11. gab es im großen Saal der Abendakademie eine Mut machende Veranstaltung zu der Frage: Was passiert mit uns Miter:innen, wenn das Haus plötzlich verkauft wird? Kommt eine Luxussanierung, nach der wir die Mieten nicht mehr bezahlen können? Wenn wir dann ausziehen müssen: Finden wir dann noch eine bezahlbare Wohnung? Die Übernahme des Hauses durch die Mieter:innen ist eine Möglichkeit, „in jeder Stadt machbar“, wie es auf dem Veranstaltungsplakat heißt. Aber leicht ist das nicht.
Stamitzstraße 7 Mannheim
Günter Bergmann vom Wohnprojekt „Umbau“ auf Turley, technisch wie wirtschaftlich sehr erfahrener Fachmann in Sachen Mietshäusersyndikat (MHS), führte durch die Veranstaltung. Und um gleich einmal deutlich zu machen, dass die Rettung eines Hauses mit bezahlbaren Wohnungen vor dem „Markt“ absolut kein Selbstläufer ist, wird zunächst das gescheiterte MHS-Projekt Stamitzstraße 7 in der Neckarstadt-Ost vorgestellt. (Kommunalinfo Mannheim berichtete hierüber zuletzt am 29.4.22) Das Haus war an einen neuen Eigentümer verkauft worden und stand nach einem halben Jahr vor dem Weiterverkauf an ein Immobilienunternehmen. Der neue Verkaufspreis sollte 500.000 EUR über dem Preis liegen (im 2-Mio.-Bereich), für den das Haus zuletzt den Eigentümer gewechselt hatte. Die Bewohnerschaft entschloss sich, unter Anleitung des MHS das Haus zurückzukaufen und in Selbstverwaltung zu nehmen. Die Summe wäre allerdings zumal in der kurzen Zeit, die der Investor zu Verhandlungen bereit war, nicht aufzubringen gewesen. Es gelang dem MHS jedoch erstmals, die Stadt Mannheim zu einer ganz wesentlichen Unterstützungsmaßnahme zu bewegen: Die Stadt erklärte sich bereit, das Grundstück zu kaufen und es der Hausgemeinschaft, die inzwischen einen Hausverein gegründet hatte, im Wege des Erbbaurechts zu überlassen. Der Pachtzins hätte allerdings nach der entsprechenden städtischen Satzung 4% betragen. Trotz dieser kommunalen Unterstützung scheiterte das Projekt. Ein jüngeres Mieter-Paar berichtete über einige Ursachen für das Scheitern: Die altersmäßig und auch sonst sehr unterschiedliche Bewohnerschaft hatte zu wenig Zeit, sich zu finden und gegenseitiges Vertrauen aufzubauen. Unter diesen Bedingungen war die Aufbringung der Finanzierung über Direktkredite und ein Bankdarlehen mit der Notwendigkeit der absoluten Verbindlichkeit nicht zu schaffen. Außerdem waren einige der Mietparteien mit den Anforderungen der Selbstverwaltung überfordert. Letztlich war das Interesse an der Übernahme des Hauses unter den gegebenen Bedingungen bei einem Teil der Mieterschaft dann doch zu gering. Außerdem fiel das Projekt in die Zeit der seit Jahren erstmals wieder steigenden Baukreditzinsen und einer rasanten Baukostensteigerung. Der jetzige Eigentümer lässt freiwerdende Wohnungen leerstehen und hat natürlich die Mieten angehoben. Die Zukunft sieht nicht gut aus für das Haus.
Bemerkenswert bleibt aber trotzdem, dass die Stadt Mannheim erstmals bereit gewesen wäre, durch den Grundstückserwerb die Höhe des von dem Hausverein aufzubringenden Kapitals zu senken. Dem Wunsch, auch mit einem Direktkredit dem Hausverein eine Starthilfe zu gewähren, lehnte die Stadt ab, weil sie nicht wie eine Bank agieren könne und dürfe. Da seien politische Entscheidungen des Gemeinderats erforderlich, auch was die Höhe des Erbbau-Zinses betrifft.
Seumestraße 14, Berlin-Friedrichhain
Die Vertreter:innen des „Seume14 e.V.“ waren leider kurzfristig verhindert. Jedoch konnte anhand einer Präsentation der Seume14 Günther Bergmann über dieses sehr erfolgreiche Projekt der „Entprivatisierung“ eines großen Berliner Altbau-Wohnhauses mit 30 Wohnungen berichten. Die Bewohnerschaft beschreibt sich so: „Wir sind Handwerker, AkademikerInnen, Reinigungskräfte, Verwaltungsfachangestellte, Künstlerinnen, Altenpfleger, VerkäuferInnen, Hartz4-EmpfängerInnen, selbstständig oder festangestellt. Wir sind bereits in Rente oder besuchen erst die KiTa. In 30 Wohnungen leben wir als Familien, Singles oder in Wohngemeinschaften. Einige von uns wohnen erst seit kurzem hier, andere seit Jahrzehnten oder seit ihrer Geburt vor über 70 Jahren. In unseren Pässen stehen unterschiedliche Herkunftsländer.“
Der große Unterschied zur Stamitzstraße 7: Die Bewohner:innen haben 2016 vor dem Verkauf des Mietshauses von der bedrohlichen Situation erfahren. Man konnte sich rechtzeitig organisieren und einem potenziellen Investor zuvorkommen.
Den meisten war schnell klar, dass sie mit erheblichen Mietsteigerungen zu rechnen haben würden, und dass sie in Berlin so schnell keine Mietwohnung finden würden, die sie sich noch leisten könnten. 50% der Bewohner:innen hätten sich sehr aktiv auf den Weg zu einem MHS-Wohnprojekt gemacht, 40% seien solidarisch gewesen und 10% sein „normale Mieter“, Menschen, die an der Selbstverwaltung kein Interesse hatten (und haben), dem MHS-Modell skeptisch gegenüberstanden und die Umwandlung in Eigentumswohnungen bevorzugt hätten. Die Mehrheit akzeptiere aber diese Position und man begegne sich respektvoll, was aber die eine oder andere juristischen Auseinandersetzung nicht ausschließe.
Wesentlich für den Erfolg der Übernahme des Hauses durch die Haus-GmbH im Eigentum des Hausvereines der Mieterinnen und Mieter sowie des bundesweiten Mietshäusersyndikats war die Zusammenarbeit mit der Edith-Maryon-Stiftung in Basel. Diese Stiftung kaufte den Grund und Boden und gewährt dem Hausverein ein Erbbaurecht. Durch sehr intensive Öffentlichkeitsarbeit gelang es dem Verein, die nötigen Direktkredite bei solidarischen Menschen einzusammeln. Der Rest der Finanzierung wurde durch ein Bankdarlehen abgesichert. Trotz einigen erforderlichen Sanierungsarbeiten konnte die Kaltmiete auf 8 EUR/m² gehalten werden – für Berliner Verhältnisse inzwischen „sehr billig“.
Die Edith-Maryon-Stiftung anthroposophischen Ursprungs beschreibt ihre Geschichte und ihr Ziel folgendermaßen: „Angefangen hat alles 1990 mit der Idee einer Gruppe junger Menschen. Sie wollten den Boden dem Waren- und Erbstrom und damit dauerhaft der Spekulation entziehen und soziale Wohn- oder Arbeitsstätten fördern. Um ihre Ziele zu erreichen, gründeten sie die Stiftung Edith Maryon. Bis heute hat die gemeinnützige Stiftung über 100 Projekte realisiert oder sichergestellt. Vor allem in der Schweiz und in Deutschland, aber auch anderswo.“
Damit ist diese Stiftung – was ihre Position zur Grund-und-Boden-Frage betrifft – ein idealer Partner für das MHS. Auch sie gewährleistet die Unverkäuflichkeit des Hauses durch ihr Eigentum am Grund und Boden.
Woerthstraße 8, München-Haidhausen
Dieses Haus aus dem Jahr 1898 verfügt über 13 sehr große Wohnungen, deren Mietpreis 10 EUR/m² beträgt. Die Hausgemeinschaft war sehr gut, jedoch stellte der Plan, das Haus in Selbstverwaltung zu übernehmen, angesichts der erforderlichen immensen Kapitalsumme eine ganz besondere Herausforderung dar. Auch in München schloss man sich dem MHS an. Das Haus war auf die Erbengemeinschaft eines Geschwisterpaares übergegangen, die das Haus nicht behalten wollen. Die Schwester schenkt ihren Anteil an dem Haus der Confoerdera-Stiftung. Der Bruder verkauft seine Haushälfte an die Haus GmbH Woerthstraße 8 für 6,5 Mio. EUR. MHS überzeugte die Hausgemeinschaft: „Man kann so viel Geld sammeln!“ Aktuell sind 84% der erforderlichen Mittel zusammen.
Entscheidend ist aber auch bei diesem Hausprojekt, dass das Grundstück nicht erworben werden muss. Die schweizer Confoedera-Stiftung (vergleichbar der Maryon-Stiftung) erledigt das und gewährt Erbbaurecht. Von der Bank werden „nur“ 500.000 EUR benötigt.
Die Stadt München fördert dieses MHS-Projekt, indem sie dort für 1,24 Mio. EUR Belegungsrechte kauft (“Sozialwohnung”). Belegungsrechte in Bestandshäusern zu erwerben ist eine sinnvolle Maßnahme, um den sozial- und preisgebundenen Wohnungsbestand zu erhöhen (in Mannheim auch praktiziert, in München als Teil der EFO: Einkommensorientierte Wohnraumförderung). An Direktkrediten benötigt das MHS-Projekt 3,25 Mio. EUR.
Die Mieten werden aufgrund von gewissen erforderlichen Sanierungsmaßnahmen auf 12 EUR/m² steigen. Durch eine solidarische Mietpreisgestaltung zwischen 10 und 15 EUR/m² im Rahmen einer „Bieterrunde“ wird es jedoch auch den 30% Grundsicherungsempfänger:innen und Aufstockern möglich sein, im Haus weiterhin zu wohnen.
Auch in der Woerthstraße 8 gibt es einen „harten Kern“ von Aktivisten, die das Projekt wesentlich nach vorne bringen. Der in Mannheim vortragende Vertreter des Harten Kerns fasst als Quintessenz für das Gelingen solcher solidarischen Projekte zusammen: So früh wie möglich müssen die Mieter:innen einen Hausverein gründen, damit sie – wenn es zum Verkauf kommen soll – sofort bieten und den Investoren zuvorkommen können. Am besten ist, man tritt aktiv an den Hauseigentümer heran und unterbreitet ihm ein Kaufangebot.
Fazit
Der sehr interessante Abend hat gezeigt:
- Übernahmen von Bestandshäusern in die Selbstverwaltung sind nur dann möglich, wenn zu mindest in den Metropolen der Erwerb des Grund und Bodens erspart wird und statt dessen Erbbaurechte verliehen werden mit einem sehr niederen Erbbauzins.
- Der Zeitfaktor spielt eine erhebliche Rolle. Rückkauf des schon mal verkauften Hauses ist sehr teuer und zeitkritisch. Ein gutes Informationssystem über anstehende Verkaufsgänge kann entscheidend sein.
- Der gesellschaftliche Ertrag bzw. Gemeinnutzen sind der Spekulation dauerhaft entzogene Wohneinheiten.
Daraus leiten sich folgende Forderungen an die Stadt Mannheim ab:
- Der Bodenfonds muss so gefüllt sein, dass er fragliche Grundstücke kaufen und in Erbbaurecht abgeben kann. Die Kommune wäre gut beraten, das Angewiesensein der Wohnprojekte auf private Stiftungen zu erübrigen, indem sie genau den Grund und Boden in Frage kommender Übernahme-Immobilien erwirbt und dann erbbaurechtlich nutzen lässt. Gemeinwohlbindung kann nicht auf private Stiftungen beschränkt sein, sondern sie ist eine originäre Aufgabe kommunaler Daseinsvorsorge
- Der Erbbauzins darf nicht nur für Einfamilienhäuser reduziert werden, sondern er muss auch in solchen Fällen maximal bei 1% liegen.
- Die Stadt muss sich aktiv als Anlaufstelle für verkaufswillige, aber nicht primär profitorientierte Verkäufer von Bestandshäusern präsentieren. Der europaweit agierende Immobilienhai Engels&Völkers macht’s vor mit Postwurfsendungen und Telefoninterviews unter Mietern, um frühzeitig an Verkaufswillige Eigentümer heranzukommen. Einfach zu warten, dass man im einen oder anderen Fall von Verkaufswilligen angesprochen wird, reicht nicht aus. Absicherung von günstigem Wohnraum ist gerade in einer Zeit explodierender Neubaukosten eine vordringliche Aufgabe der kommunalen Wohnraumpolitik.
Sehr interessant ist in diesem Themen-Zusammenhang ist ein Youtube Bericht über die deutlich fortgeschrittenere
Situation in Leipzig. https://www.youtube.com/watch?v=8qFr2Y0DPFE
Thomas Trüper